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Geister zwischen Risiko und Kalkül

Allgemein

Geister zwischen Risiko und Kalkül
Reiner Korbmann über das Dilemma von Risiko und Stillstand

Die Gespenster gehen um im Lande. Da leiden in Oberbayen die Kühe eines Bauern unter „nervösem Trippeln“, in Norddeutschland spüren Hypersensible Juckreiz auf der Haut, im Süddeutschen rücken Bauer und Bäuerin ihre Betten auseinander, um endlich wieder ruhigen Schlaf zu finden. Schuld sein soll immer wieder das gleiche: Elektrosmog – aus Handys, Mobilfunkstationen oder Hochspannungsleitungen.

Dies sind nur drei Beispiele aus Diskussionen der letzten Wochen. Es klingt wirklich gespenstisch: Jede Menge glaubhafte Zeugen, doch nichts wissenschaftlich Greifbares.

Welche Risiken bergen sie wirklich, die Funkwellen mit Mikrowellenfrequenz, die aus Mobiltelefonen und Fernsehsendern auf uns einströmen? Sind Hochspannungsleitungen und Elektromotoren tatsächlich gravierende Gesundheitsgefahren? Eine wissenschaftliche Antwort auf diese Fragen ist schnell gegeben: Viel ist bekannt, doch letzte Klarheit wird es wohl nie geben. Und bei der wichtigsten Antwort müssen selbst die klügsten Forscher passen: Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit solchen Phänomenen um?

Natürlich sind Empfindungen subjektiv. Denn wo sich der eine gemartert fühlt, empfindet der andere noch nicht einmal eine Spur von Risiko. Und natürlich geht es nicht um die Größe des Risikos, sondern um dessen individuelle Wahrnehmung. Sonst müßten wir über Straßenverkehr, Rauchen oder Sonnenbaden viel mehr sprechen als über Elektrosmog.

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Bei gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, so der Kieler Wissenschaftler Prof. Bernd Heydemann vor kurzem auf einer Tagung des H. G. Creutzfeldt- Instituts in Bad Bramstedt, spielen Fakten und logische Schlußfolgerungen nur eine untergeordnete Rolle. Hier entscheiden vor allem Emotionen. Der renommierte Biologe sollte es wissen, denn er stand einige Jahre als Umweltminister mitten im politischen Meinungsstreit. Gegen Emotionen aber helfen Informationen kaum.

Irrationalität gehört zum Menschsein, genauso wie die Neugier, die Forscher umtreibt, oder die Freude am Schönen, die Kunst für uns unentbehrlich macht. Wer daher Emotionen nicht ernst nimmt, nimmt in Wirklichkeit seine Mitmenschen nicht ernst. Wer als Forscher von Politikern rationale Entscheidungen fordert, wendet sich tatsächlich gegen den demokratischen Diskurs. Das heißt nun nicht, die Ratio auszuschalten, wenn es um die Durchsetzung von neuen Technologien geht. Doch für das überzeugende Vermitteln von Forschungsergebnissen sind emotionale Signale ebenso wichtig wie Fakten und Statistiken. Eine Gesellschaft, die dringend den Wandel braucht, um nicht wirtschaftlich, kulturell und politisch hoffnungslos ins Hintertreffen zu geraten, muß Risiken in Kauf nehmen.

Was in unserem Lande fehlt, ist vor allem Vernunft.Wir brauchen einen vernünftigen Umgang mit Emotionen ebenso dringend wie einen vernünftigen Umgang mit Risiken. Der Elektrosmog kam gerade noch rechtzeitig. Vielleicht lernen viele Wissenschaftler und Ingenieure dadurch endlich, in unserer emotionsgeladenen Gesellschaft zu argumentieren und zu agieren – und erwerben sich so Vertrauen.

Denn die nächsten Auseinandersetzungen stehen schon ins Haus, etwa um hormonähnliche Wirkungen von Chemikalien oder um gentechnisch veränderte Lebensmittel. Die Einhaltung von Grenzwerten genügt nicht als Beweis für die Unbedenklichkeit.

Reiner Korbmann

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Ist|wert  auch:  Ist–Wert  〈m. 1〉 Wert, den eine physikal. od. mathemat. Größe aufweist; … mehr

Nie|ren|be|cken  〈n. 14; Anat.〉 in der Niere der höheren Wirbeltiere u. des Menschen vom sekundären Harnleiter gebildetes, fächerförmiges Sammelbecken: Pyelon

Hä|mor|rho|i|de  〈f. 19; meist Pl.; Med.〉 Mastdarmkrampfader, die als knotenförmige Erweiterung der unteren Mastdarmvenen auftritt; oV Hämorride … mehr

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