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NICHT TEUER GENUG

Gesundheit|Medizin

NICHT TEUER GENUG
Aus Opossum-Blutserum isolierte die Forscherin Binie Ver Lipps eine Substanz, die vor sämtlichen Schlangengiften schützt. Doch keine Pharma-Firma will den Fund vermarkten.

VON DER SCHLANGENGRUBE zur Goldgrube: So hatte sich die Mikrobiologin Binie Ver Lipps ihre Karriere vorgestellt, als sie in den 1990er-Jahren anfing, aus Schlangengiften therapeutische Wirkstoffe zu isolieren. Mittlerweile besitzt die gebürtige Inderin zehn US-Patente, und sie ist Gründerin und Präsidentin einer eigenen Firma: Ophidia Products Inc. heißt das in Bellaire/Texas ansässige Unternehmen, das seinen Namen vom griechischen Wort für „Schlange“ ableitet. Mit einem aufsehenerregenden Projekt schaffte es Ver Lipps in die Ausgabe 11/2000 von bild der wissenschaft („Ein Serum gegen alle Bisse“): Die Forscherin berichtete von der Laborsynthese kleiner Eiweißfragmente (Peptide), zum Beispiel des Peptids LT-10, die als universelles Gegengift bei einer Vielzahl von Schlangen-, Skorpion- und Spinnenbissen helfen.

Ver Lipps war aufgefallen, dass das amerikanische Opossum – ein rattenähnliches Beuteltier – von Natur aus gegen die verschiedensten Gifte immun ist. Sie fand heraus, dass ein bestimmter Eiweißstoff im Blut des Tieres, der Lethal Toxin Neutralizing Factor (LTNF), den schützenden Effekt bewirkt. Sie isolierte die Substanz und identifizierte innerhalb des Proteins den besonders effektiven Abschnitt LT-10 aus nur zehn Eiweißbausteinen, sogenannten Aminosäuren. Dieses Peptid stellte sie synthetisch her, um damit vom Rohstoff Opossum-Serum unabhängig zu sein. „Der Herstellungsprozess ist einfach und kostengünstig“, sagt Ver Lipps.

Das sollte in den Ohren amerikanischer Schlangenbiss-Patienten verlockend klingen. Denn wer aufgrund einer Giftschlangen-Attacke in der Notaufnahme landet, den schmerzt bald nicht nur die Bisswunde, sondern auch der Geldbeutel. Er erhält ein Gegengift, das von Tierfarmen stammt – meist von Schafen, denen man kleine Dosen des Giftes von vier verschiedenen, in den USA vorkommenden Giftschlangen injiziert hat. Die Tiere produzieren daraufhin Antikörper, die man aus dem Schafblut isoliert und als Medikament nutzt. Das Herstellungsverfahren ist aufwendig und daher sehr teuer: „Die Behandlung eines Schlangenbisses kostet um die 30 000 Dollar“, weiß Henry Spiller von der AAPCC, der Vereinigung der US-Giftzentralen. Der Toxikologe würde ein billiges und universell einsetzbares Gegengift, das beispielsweise Wanderer im Rucksack mit sich führen könnten, sehr begrüßen.

In den USA sterben jährlich weniger als ein halbes Dutzend Menschen an solchen Begegnungen. Aber die Statistiken der AAPCC verzeichnen Jahr für Jahr mehr als 6000 Attacken. Unter den identifizierten Angreifern führten 2009 die Grubenottern (1176 Bisse), gefolgt von Klapperschlangen (1013 Bisse). Gut zwei Drittel der Opfer benötigten eine medizinische Behandlung. Mehr als 1500 Patienten erhielten das teure Anti-Venom aus Schafsblut – für die Hersteller ein Jahresumsatz von 45 Millionen Dollar.

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Das ist viel Geld, das amerikanische Pharmafirmen sich nicht gerne nehmen lassen wollen. So jedenfalls erklärt sich Binie Ver Lipps, dass bislang weder LT-10 noch eines der anderen von Ophidia Products entwickelten Therapeutika den Einzug in die US-Apotheken geschafft haben – obwohl die Wirksamkeit im Tiermodell nachgewiesen ist. Auch in Europa und Kanada hat kein Hersteller Interesse. „Ich brauche eine Pharmafirma, die klinische Studien an Menschen durchführt und die Produkte vertreibt“, drängt die heute 75-jährige Forscherin und beklagt: „ Wir sind mit der Vermarktung unserer Ergebnisse einfach nicht aggressiv genug.“

Eines allerdings braucht sich Binie Ver Lipps nicht vorzuwerfen: allzu große Bescheidenheit. Zumindest, was ihr LT-10 betrifft – denn das, so findet sie, „ist die nächstgrößte Entdeckung nach dem Penicillin“. Désirée Karge■

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