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Dolly-Vater Wilmut: Klonen war ein Irrweg

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Dolly-Vater Wilmut: Klonen war ein Irrweg
Jahrelang kämpfte er für das Klonen: Ian Wilmut, Schöpfer von Dolly. Jetzt schwenkt er um und setzt auf ein neues Verfahren, um Stammzellen zu gewinnen: die Verjüngung von Hautzellen.

Eine verlockende Vision: Alzheimer und Parkinson sind vergessen. Infarkte und Diabetes haben ihren Schrecken verloren. Falls ein Organ versagt, sprießen individuelle Herzen und Nieren im Reagenzglas. Blinde können wieder sehen, Lahme wieder gehen. Möglich werden all diese Wunder dank embryonaler Stammzellen. So hat man sich das vor zehn Jahren für das Jahr 2008 ausgemalt – doch nichts von alledem ist eingetreten. Dabei schienen die Wunder zum Greifen nahe, nachdem Biologen die fantastischen Eigenschaften embryonaler Stammzellen 1998 entdeckt hatten. Ian Wilmut glaubte noch 2001, dass man in drei bis fünf Jahren Parkinson-Patienten mit embryonalen Stammzellen heilen werde. Er träumte davon, Patienten zu klonen, um aus dem Klon-Embryo patientenspezifische embryonale Stammzellen zu gewinnen, mit denen sich Krankheiten therapieren ließen. Immerhin gelang ihm das Klonen bei Schafen. Als Vater des ersten Klonschafs Dolly wurde er berühmt.

Heute räumt der Schotte ein, dass er blauäugig war. Tröstlich nur, dass sich mit ihm viele Forscher in der Euphorie der ersten Stunde irrten. Vor wenigen Monaten verabschiedete sich Wilmut völlig vom Klonen und kritisiert jetzt die Methode, für die er jahrelang gekämpft hat. 2006 verließ er das Roslin Institute, jene Forschungsstätte, an der Dolly geboren wurde, und wechselte an das Zentrum für regenerative Medizin der Universität Edinburgh. Der Grund war die Stammzellforschung. Aber bis es dazu kam, musste viel geschehen.

Zunächst stellte sich bei Wilmut Ernüchterung ein. Denn die Stammzellen erfüllten die großen Hoffnungen nicht, die sie geweckt hatten. Schon 2005 hatte das amerikanische Unternehmen Geron eine klinische Studie am Menschen angekündigt. Es wollte Querschnittsgelähmte behandeln, nachdem rückenmarkgeschädigte Ratten dank einer Zellspende wieder besser laufen gelernt hatten. Doch aus der klinischen Studie wurde nichts. Sie wurde auf das Jahr 2006 verschoben, dann auf 2007 und jüngst noch einmal auf 2008. „Das dauert. Die Anforderungen sind immens”, wiegelte Wilmut ab.

EIN WILDES GEMISCH VON ZELLEN

Bevor die Zellen einem Menschen gegeben werden dürfen, muss ihre Unbedenklichkeit an Tieren bewiesen sein. Aber in Mäusen sprießen krebsartige Geschwüre, sogenannte Teratome, wenn sie embryonale Stammzellen erhalten. Es bildet sich ein wildes Gemisch aus Herz-, Knochen-, Haut- und anderen Zellen. Schon 100 bis 1000 Stammzellen genügen, um ein Geschwür wachsen zu lasen. „ Pluripotente Zellen, wie es embryonale Stammzellen sind, bergen immer die Gefahr eines Tumors”, betont Wilmut. „Deshalb steht inzwischen fest: Keine Einzige darf in den Körper gelangen.” Embryonale Stammzellen dürfen niemals einem Menschen gespritzt werden. Wenn die embryonalen Stammzellen schon nicht als Transplantat taugen, dann wenigstens die daraus entwickelten Körperzellen und Gewebe, hofften die Forscher. Deshalb tüfteln sie daran, aus den Stammzellen mit Wachstumsfaktoren gebrauchstaugliche Zellen aufzupäppeln. Im April 2007 gewannen Wilmuts ehemalige Kollegen am Roslin Institute menschliche Leberzellen aus embryonalen Stammzellen und konnten sie erfolgreich reinigen. Im August folgten Forscher um Yi Sun von der University of California in Los Angeles mit funktionstauglichen menschlichen Nervenzellen – dem Rohstoff für künftige Therapien bei Alzheimer und Parkinson.

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Doch der Wettlauf um die hochreinen Zellen wurde von einer weiteren Hürde verzögert: Zellen für Patienten müssen nachweislich frei von tierischen Substanzen und Krankheitserregern sein, und sie müssen nach einem standardisierten Verfahren gewonnen werden. Aber: Embryonale Stammzellen wurden bis 2006 auf Hautzellen der Maus als Träger gezüchtet. Alle verfügbaren Stammzell-Linien, immerhin einige Hundert, waren für klinische Studien deshalb nicht zu gebrauchen, so die bittere Erkenntnis. Die ersten beiden Linien, die den Anforderungen der Behörden genügten, wurden endlich im Januar 2006 in der Zeitschrift Nature Biotechnology beschrieben. Doch die Freude währte nicht lange. Denn es häuften sich Berichte, dass viele der vorhandenen Stammzell-Linien inzwischen Erbdefekte aufwiesen und für eine etwaige Therapie unbrauchbar geworden waren. Der Grund: Die Zellen altern und sammeln Chromosomenschäden an, wenn sie im Labor vermehrt werden. Sie werden genetisch instabil. „Menschliche embryonale Stammzell-Linien, die in Kultur gehalten werden, müssen regelmäßig überwacht werden, bevor sie verwendet werden dürfen”, mahnt der Entdecker der genetischen Schäden, Anirban Maitra von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore. „ Ältere menschliche embryonale Stammzell-Linien könnten für therapeutische Zwecke unbrauchbar sein.”

WENN ZELLEN ALTERN

Mittlerweile ist diese Befürchtung zur Gewissheit geworden, wie Albrecht Müller, Stammzellforscher an der Universität Würzburg, bestätigt: „Alle teilungsfähigen Zellen altern – auch Stammzellen. Deshalb braucht man immer wieder neue Stammzellen.” Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Jahr 2006 erstmals eine Novellierung des Stammzellgesetzes forderte, führte sie die Altersschwäche und die tierischen Verunreinigungen der alten Kulturen als Argumente an. Die vor 2002 erzeugten embryonalen Stammzellen würden den aktuellen Qualitätsstandards nicht genügen, argumentierten die Sprecher der DFG. Mit Zellen jüngeren Datums dürfen deutsche Wissenschaftler aber von Gesetzes wegen nicht arbeiten. Inzwischen hat der Bundestag darüber debattiert, ob das Gesetz geändert und der Stichtag auf den 1. Mai 2007 verschoben werden soll. Eine Entscheidung soll noch in diesem Frühjahr fallen. Doch damit wäre das Problem nicht vom Tisch – denn auch diese Zellen werden altern.

Und das bedeutet: Selbst wenn es heute schon eine Therapie auf Basis von embryonalen Stammzellen gäbe, würde sie in gewissen Abständen neue Eizellen zur Gewinnung neuer embryonaler Stammzell-Linien erfordern. Die Eizellen wären der Preis für die Heilung von Menschen. Junge Frauen müssten in großer Zahl bereit sein, sie zu spenden. Doch Eizellen sind heute schon knapp, Forschungsstätten in Großbritannien und einzelnen US-Bundesstaaten umwerben deshalb potenzielle Spenderinnen mit einer „Aufwandsentschädigung” von einigen Hundert US-Dollar. In Deutschland ist dagegen das Spenden von Eizellen für die Forschung verboten.

EIZELLEN VERZWEIFELT GESUCHT

Am hohen Eizellen-Verbrauch entzündet sich auch die Kritik an einer anderen Methode: dem therapeutischen Klonen. Bei diesem Verfahren wird die Eizelle nicht befruchtet, sondern entkernt und danach ein Zellkern aus der Hautzelle des Patienten eingesetzt (siehe Grafik „Vier Wege zur embryonalen Stammzelle”). Aus dem künstlich erschaffenen Embryo sollten sich eines Tages patientenspezifische Stammzellen und damit auch patientenspezifisches Gewebe züchten lassen, das vom Immunsystem nicht abgestoßen wird, so die Vision. Im November 2007 gelang das therapeutische Klonen erstmals bei Primaten. Aus 213 Eizellen von mehreren Rhesus-Makaken-Weibchen erzeugte das Team um James Byrne vom Oregon National Primate Research Center in Beaverton zwei Stammzell-Linien. „Damit ist die Machbarkeit des therapeutischen Klonens bei Menschenaffen bewiesen”, verkündete Byrne stolz. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch beim Menschen funktioniere. Er sollte Recht behalten. Schon im Januar 2008 war in der Zeitschrift Stem Cell zu lesen, dass der erste menschliche Klon-Embryo im Labor entstanden war und einige Tage überlebt hatte. Stammzellen wurden ihm allerdings nicht entnommen. Forscher und Firmenchef Samuel Wood vom kalifornischen Reproductive Sciences Center in La Jolla hatte das notwendige Stückchen Haut für sein Double gespendet. Die 29 im Experiment verbrauchten Eizellen stammten von drei jungen Frauen.

Für Wilmut zeugen die Fortschritte insgesamt von einem Kraftakt im Labor. Einige Hundert Eizellen sind nicht etwa eine Ausnahme, sondern der Standardbedarf fürs Klonen: „Wenn man Eizellen benutzt, die bei der künstlichen Befruchtung übrig bleiben, dann wird man für eine Stammzell-Linie wahrscheinlich die Eizellen von 90 Frauen brauchen”, schätzt er. „Das ist sehr ineffizient.” Dabei hat Ian Wilmut bis zum vergangenen Jahr selbst in Vorträgen für das therapeutische Klonen geworben. Er zeigte sich optimistisch, dass man den hohen Eizellen-Verbrauch in den Griff bekommen wird. „Wir hoffen, bessere Methoden für den Transfer von Zellkernen zu entwickeln”, sagte er 2001 gegenüber der Zeitung Die Welt.

EIN NEUER TRAUM

2002 stellte er einen Antrag für Versuche zum therapeutischen Klonen von Menschen. Die Kirchen überhäuften ihn mit Kritik. Wilmut ließ sich nicht entmutigen. Drei Jahre wartete er auf die Genehmigung. 2005 war es endlich soweit. Aber 2005 geschah noch etwas anderes: Der Koreaner Hwang Woo-Suk machte Schlagzeilen mit der Behauptung, Stammzellen aus einem menschlichen Klon gewonnen zu haben. „Wir wollten von ihm mehr über seine Methoden erfahren, statt selbst erfolglos zu klonen”, sagt Wilmut. 2006 flog der Schwindel des Koreaners auf: Seine Daten waren gefälscht. Wilmut war am Boden zerstört. Viele Jahre der Forschung schienen für die Katz. Er dachte zum ersten Mal darüber nach, das Klonen aufzugeben. Als er 2006 vom Roslin Institute zur University of Edinburgh wechselte, erlosch auch seine institutsgebundene Erlaubnis zum Klonen. Doch Ian Wilmut blieb der Optimist, der er immer war. Er träumte jetzt einen neuen Traum: Körperzellen ohne den Umweg über das embryonale Stadium zu reprogrammieren. Wilmut glaubte fest daran, dass das funktionieren würde – und doch zögerte er, den neuen Weg einzuschlagen.

Wilmut unterstützte vielmehr den Genehmigungsantrag eines Kollegen für neue Klon-Experimente. Dieses Mal sollten die menschlichen Zellkerne in Kaninchen-Eizellen eingesetzt werden. Solch ein Tier-Mensch-Embryo enthält zu 99 Prozent menschliches Erbgut. Aus dem Embryo lassen sich nach fünf Tagen ebenfalls menschliche Stammzellen gewinnen. Wilmut hoffte, wie andere Forscher auch, mit diesem Trick den Mangel an menschlichen Eizellen ausgleichen zu können. Doch die Mischwesen erhitzten die Gemüter. Die Genehmigungsbehörde blockierte den Antrag. Wieder musste Wilmut warten. Endlich, im September 2007, erhielt der Kollege die Erlaubnis. Wilmut freute sich mit ihm.

Aber wirklich überzeugt von diesem Weg war er nicht mehr. Andere Wissenschaftler hatten inzwischen seinen eigentlichen Traum verwirklicht: Sie hatten die Reprogrammierung der Körperzelle zur Stammzelle in die Tat umgesetzt. 2007 bestätigten mehrere Forschergruppen, dass die wundersame Verwandlung funktioniert: Hautzellen lassen sich mit einer Gentherapie in embryonale Stammzellen zurückverwandeln (siehe Grafik „Vier Wege zur embryonalen Stammzelle”). Diese reprogrammierten Zellen können sich zu jeder Art von Gewebe weiterentwickeln: Herz, Leber, Nerven. Die Zell-Reprogrammierung ermöglicht eine ethisch unbedenkliche Stammzelltherapie, betont Shinya Yamanaka von der Universität Tokio, der die Reprogrammierung 2006 erfunden hat. „ Wir brauchen weder Embryonen noch Eizellen”, sagt er. Es genügt ein Stückchen Haut. Die Zellen werden mit der Gentherapie zum Alleskönner verjüngt, dann zur gewünschten Körperzelle gezüchtet und dem Patienten transplantiert, so die Vision der Forscher. Dass Therapien mit diesen sogenannten iPS-Zellen wirklich möglich sind, wurde im Dezember 2007 deutlich: Wissenschaftler der University of Alabama in Birmingham und das Team um Rudolf Jänisch in Cambridge (USA) behandelten Mäuse mit Sichelzell-Anämie, einer seltenen Bluterkrankung, erfolgreich mit den iPS-Zellen.

WILMUT: „FASZINIERENDE ENTDECKUNG”

Sie hatten Yamanakas Methode genutzt und vier Gene mithilfe von Viren als Genfähren in die isolierten Hautzellen der Mäuse eingeschleust. Diese Gene versetzen die Zelle in den Embryonalzustand. Da bei einer Sichelzell-Anämie ein Erbdefekt vorliegt, wurde dieser mit einem weiteren gentechnischen Eingriff korrigiert. Molekulargenetiker Tim Townes, Co-Autor der Studie, sagt: „Die neuen Blutzellen funktionierten hervorragend. Sie bildeten normale rote Blutkörperchen. Die Tiere zeigten keine Krankheitssymptome und stießen die transplantierten Zellen nicht ab.” Jänisch spricht von einem „Machbarkeitsbeweis”: Erstmals konnte gezeigt werden, dass sich Krankheiten mit iPS-Zellen behandeln lassen. An der Maus, wohlgemerkt.

„Diese Entdeckungen faszinieren mich”, sagt Wilmut. „Damit brauchen wir das therapeutische Klonen nicht mehr, um zu patientenspezifischen Zellen zu kommen. Die iPS-Methode ist viel effizienter und leichter.” Im November 2007 verabschiedete er sich offiziell vom therapeutischen Klonen. Nicht ethische Bedenken, sondern die technischen Fortschritte nannte er als Ursache für seinen Kurswechsel. Und „soziale Gründe”, wie er das Warten auf die Genehmigungen umschreibt. Mittlerweile äußert er sich kritisch über das Klonen: „Ich habe meine Meinung geändert. Es ist nicht richtig, Frauen um Eizellspenden zu bitten, wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit für das Klonen so gering ist. Die Eizellspende bedeutet ein Risiko für die Frauen, wenn auch nur ein geringes.” Und: „Wir werden das definitiv nicht mehr machen.” Der 63-Jährige setzt jetzt voll auf die Verjüngung der Haut: Im Februar 2008 hat er begonnen, die Hautzellen von gesunden Menschen und von Patienten mit der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zu reprogrammieren. Er möchte herausfinden, worin sich die iPS-Zellen von Gesunden und Kranken unterscheiden. Dann wird Wilmuts Team Neuronen aus den iPS-Zellen züchten und daran potenzielle Medikamente testen.

„Die Zellen sind ein ideales Modell, um die Erkrankung zu studieren”, ist er überzeugt. Den Patienten will er sie aber zunächst nicht geben. Dazu sei es zu früh. Noch gibt es viele Bedenken von Fachkollegen: Die iPS-Zellen könnten Tumore erzeugen, und man wisse nicht genau, was bei der Reprogrammierung passiert. Doch Ian Wilmut wagt den Blick in die Zukunft, auch wenn ihm bewusst ist, dass er als notorischer Optimist schon einmal daneben gelegen hat: „Die iPS-Zellen werden früher oder später den embryonalen Stammzellen den Rang ablaufen”, sagt er. „ Wir werden zunächst die embryonalen Stammzellen als Referenzsystem brauchen. Aber irgendwann wird deutlich werden, dass die reprogrammierten genauso gut sind. Dann werden sich die Forscher sehr schnell auf die iPS-Forschung konzentrieren. Es wird vermutlich noch eine Weile Therapien mit embryonalen Stammzellen geben, aber sie werden von solchen mit iPS-Zellen abgelöst.”

Und die adulten Stammzellen? „Ich glaube, die meisten Wissenschaftler stimmen mir zu, dass man mit den adulten Stammzellen weiter ist als mit den embryonalen und den iPS-Zellen” , sagt Wilmut bedächtig. Mit Blutstammzellen oder Stammzellen aus dem Knochenmark werden Blutkrebs, Blutarmut und Immunerkrankungen seit vier Jahrzehnten erfolgreich behandelt. Jedes Jahr erhalten alleine in Deutschland rund 4000 Patienten solche Zellen. Daneben laufen Hunderte klinischer Studien, zumeist um die bestehenden Verfahren zu verbessern. Auch gegen Brustkrebs werden die potenten Zellen erprobt, in Kombination mit einer Chemotherapie. „ Therapien mit adulten Stammzellen wird es weiterhin geben”, ist Wilmut überzeugt. Im Übrigen sind die Visionen der Stammzelltherapie dieselben geblieben: Lahme sollen wieder gehen, Diabetiker ohne Insulin auskommen, Alzheimer soll nicht mehr vergesslich machen. Nur mit dem Zeitpunkt sind die Forscher vorsichtig geworden. „Eines kann ich Ihnen jedoch versichern”, betont der Schotte. „Bis zu meinem Ruhestand bleibe ich den iPS-Zellen treu.” ■

SUSANNE DONNER telefonierte Ian Wilmut wochenlang hinterher, bis sie den Klon-Vater endlich interviewen konnte: „Dann nahm er kein Blatt vor den Mund.”

von Susanne Donner

Gut zu wissen: Stammzellen

· Eine embryonale Stammzelle ist eine Zelle, die sich zu nahezu allen Zelltypen des Körpers entwickeln kann, beispielsweise zu einer Herzzelle, Nervenzelle oder Leberzelle. Diese Fähigkeit wird als Pluripotenz bezeichnet.

· Embryonale Stammzellen werden in Kultur vermehrt, sodass eine ganze Kolonie an Stammzellen desselben Ursprungs entsteht. Diese werden Stammzell-Linie genannt. Mehrere Forscher können so an Zellen derselben Linie arbeiten.

· Im Unterschied zu embryonalen Stammzellen können sich adulte Stammzellen nicht mehr zu jedem Gewebetyp entwickeln. Ihre Wandlungsfähigkeit ist begrenzt. Adulte Stammzellen kommen nach der Geburt in verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers vor und dienen als natürliches Ersatzteillager bei Verletzungen und Entzündungen: Sterben Körperzellen ab, so werden aus den entsprechenden Stammzellen neue gebildet.

· Stammzellen mit induzierter Pluripotenz, kurz iPS-Zellen, sind ausgereifte Körperzellen, die mithilfe einer Gentherapie in den Zustand einer embryonalen Stammzelle zurückversetzt wurden. Diesen Vorgang nennen die Genetiker Reprogrammierung.

Kompakt:

· Das umstrittene Klonen menschlicher Embryonen könnte bald der Vergangenheit angehören.

· Denn menschliche Hautzellen lassen sich verhältnismäßig einfach mit einer Gentherapie zu embryonalen Stammzellen verjüngen.

Vier Wege zur embryonalen Stammzelle

1. Klassische Methode: Es werden meist überzählige Eizellen von Frauen verwendet, die sich einer In-Vitro-Befruchtung unterzogen hatten, um schwanger zu werden. Nach einer Hormonstimulation entnimmt man gewöhnlich etwa zehn Eizellen und befruchtet sie im Reagenzglas mit Spermien. Aus der befruchteten Eizelle bildet sich dann eine Blastozyste – ein Keimbläschen, in dem sich die embryonalen Stammzellen befinden. Die Zellen werden üblicherweise am fünften Tag entnommen, wobei in der Regel der Embryo zerstört wird.

2. Therapeutisches Klonen: Dabei wird eine menschliche oder tierische Eizelle entkernt und der Zellkern einer menschlichen Körperzelle eingesetzt (Zellkerntransfer). Danach wird die Zelle mit einem Stromstoß oder einer Chemikalie stimuliert. Dadurch beginnt die Embryonalentwicklung, ein Vorgang, der bislang nicht völlig verstanden ist. Im Januar 2008 berichteten amerikanische Forscher, erstmals auf diese Weise einen menschlichen Klon erzeugt zu haben. Dafür benötigten sie 29 frische Eizellen, die junge Frauen gespendet hatten.

3. Jungfernzeugung: Sie kommt von Natur aus nur bei Pflanzen und sehr wenigen Tieren vor. Ein Stromstoß oder die Anregung mit Chemikalien sorgt zunächst dafür, dass die unbefruchtete Eizelle sich einige Tage wie ein Embryo entwickelt. Die so produzierten Embryonen enthalten nur die Gene der Mutter. Sie können sich nicht zu einem lebensfähigen Menschen entwickeln, doch Stammzellen können aus ihnen entnommen werden. 2004 gelang dem koreanischen Forscher Hwang Woo-Suk diese Jungfernzeugung unbemerkt, 2007 beschrieben russische Forscher das Verfahren.

4. Reprogrammierung: Eine Hautzelle kann in einen verjüngten Zustand versetzt werden, wenn man ihr Erbgut gentechnisch manipuliert. Die so entstandene iPS-Zelle verhält sich wie eine embryonale Stammzelle. Im 2006 entwickelten Reprogrammierungs-Verfahren wurden die vier Gene Oct4, Sox2, c-myc und Klf4 – verpackt in Viren – ins Erbgut einer Hautzelle eingeschleust. Nachdem Mäuse von diesen Zellen Krebs bekommen hatten, wurde die Methode abgewandelt. Die krebserzeugenden c-myc und Klf4 wurden ersetzt: Die Reprogrammierung erfolgt nun mit Oct4, Sox2, Nanog und Lin28.

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