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LÖCHRIGE GESICHTSKONTROLLE

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LÖCHRIGE GESICHTSKONTROLLE
„Ich glaube nicht, dass ich das noch erlebe“: Neuroinformatiker Christoph von der Malsburg, Pionier der computerge-stützten Gesichtserkennung, hält die vollautomatischen Systeme für unausgereift.

Mitten in einer Menschenmenge ein gesuchtes Gesicht zweifelsfrei zu identifizieren, selbst wenn es nur für einen Sekundenbruchteil vom Objektiv einer Überwachungskamera erfasst wird – das ist ein alter Traum von Sicherheitsdiensten, Polizei und Staatsschützern. Zum Jahresbeginn 2008 stellten Forscher von der University of Glasgow im Fachblatt „Science“ eine Methode vor, mit der die Erkennungsleistung einer industriellen biometrischen Standardsoftware angeblich von tristen 54 auf sagenhafte 100 Prozent gesteigert werden kann. Die neue Software der Psychologen Rob Jenkins und Mike Burton ahme den menschlichen Lernprozess nach, heißt es, indem sie aus bis zu 20 verschiedenen Fotos desselben Gesichts einen gemittelten Referenzdatensatz berechne. Bisherige Probleme wie Lichtverhältnisse, Blickrichtung und Mimik würden auf diese Weise irrelevant, behaupten die Forscher.

Urgesteine der Biometrie-Branche wie Christoph von der Malsburg winken bei solchen Durchbruchsmeldungen ab – es gab schon zu viele, die mit Frust endeten. Auch hier findet der Neuroinformatiker Haare in der Suppe: „Interessant, aber für die Fahndungspraxis ungeeignet – wann hat man schon 20 verschiedene Fotos von einem Verdächtigen?“ Von der Malsburg, Pionier in Sachen Gesichtserkennung, hat in den Neunzigerjahren zusammen mit seinem Team an der Ruhr-Universität Bochum einen der bis heute erfolgreichsten Algorithmen entwickelt, das sogenannte Elastic Graph Matching.

Darauf basierende Erkennungsprogramme wie „ZN Face“ oder „ PersonSpotter“ haben zahlreiche Forschungspreise gewonnen (bild der wissenschaft 4/1998, „PersonSpotter is watching you“). Baldige Serienreife wurde damals versprochen – aber die erreichten die Forscher nur bei optimalen Lichtverhältnissen und Vereinzelung der überprüften Personen, etwa an Passkontrollen. Inmitten bewegter Menschenmenge schwächelt die vollautomatische Gesichtserkennung. Ihre jüngste Enttäuschung erlebten die Entwickler 2007 bei einem groß angelegten Feldversuch des Bundeskriminalamtes (BKA). Auf der Suche nach leistungsstarken Fahndungshilfen testete das BKA am Mainzer Hauptbahnhof mehr als drei Monate lang die Systeme der Biometrie-Schmieden Cognitec Systems, Cross Match Technologies und L1 Identity Solutions/Bosch.

Die Gesichtsspäher erzielten auf der Suche nach 200 vorab eingegebenen Gesichtern „Verdächtiger“ Trefferquoten von bestenfalls 70 Prozent – was genau 30 zu wenig sind. Als „derzeit nicht praxistauglich“ ließ daher BKA-Präsident Jörg Ziercke das Vorhaben wieder in der Schublade verschwinden. Verbesserte Trefferquoten erhoffen sich die Testverantwortlichen nun von einem EU-geförderten internationalen Forschungsprojekt zur 3D-Gesichtserkennung, das 2009 abgeschlossen sein soll. Doch von der Malsburg hat allzu oft die Erfahrung gemacht: „Die Unternehmen, die die Weiterentwicklung der Technologie mit finanzieren, sind irgendwann mit dem Status quo zufrieden“ – kein weiterer Kapitaleinsatz, folglich keine Perfektionierung der Systeme.

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Der studierte Physiker ist aus dem von ihm gegründeten Spin-Off-Unternehmen der Universität Bochum („ZN Vision Technologies“) ausgestiegen, wo er viele seiner Ideen vermarktet hat. Er beschäftigt sich heute am Frankfurt Institute for Advanced Science nur noch mit der Grundlagenforschung, dem Gesichtserkennungsprozess im menschlichen Gehirn. Die Praxistauglichkeit seiner Ergebnisse ist für ihn inzwischen zweitrangig. Sein resigniertes Fazit: „Ich glaube nicht, dass ich die Terroristenfahndung mit selbstständig arbeitender Gesichtserkennungs-Software noch erleben werde.“ Ernüchternd für die Kollegen und deren Projekte: Der Forscher ist gerade mal 65. Simon Beuck ■

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