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Die Bautrupps von Stonehenge

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Die Bautrupps von Stonehenge
Forscher haben das Dorf der Stonehenge-Erbauer entdeckt. Die Suche nach dem Zweck der Steinkolosse geht weiter.

Mythen rückt man eigentlich nicht mit Baggern zu Leibe. Man zerrt nicht an ihnen herum, bis sie dastehen, wie man es gerne hätte. In Stonehenge aber, dem sagenumwobenen Steinkreis in der südenglischen Grafschaft Wiltshire, schien im letzten Jahrhundert jedes Mittel erlaubt, um die monumentalen Stelen ins rechte Licht zu setzen. Weil viele von ihnen damals bedrohlich schief standen, ja sogar umgefallen waren, fackelte man nicht lange und brachte „ Ordnung“ in die Anlage, die seit der Steinzeit ziemlich mitgenommen war. Vier Eingriffe – in den Jahren 1901, 1919, 1958 und 1964 – hat der Historiker Brian Edwards von der University of the West of England für seine Doktorarbeit dokumentiert. Was partout nicht aufrecht stehen wollte, wurde in ein Betonfundament gesetzt. Die Halterung bedeckte man anschließend mit Erde und Gras. „Dieses Monument ist keine Schöpfung prähistorischer Menschen mehr“, kommentierte Edwards. Trotz moderner Kosmetik am Bau bleibt die Leistung der steinzeitlichen Macher phänomenal. Keine andere Megalithanlage in Europa schlug die Menschen so in ihren Bann. Allein, das Wissen um ihren Sinn und Zweck hat die Zeiten nicht überdauert. Und so ist es der Fantasie und den wissenschaftlichen Erklärungsversuchen überlassen, den stummen Steinen ihr Geheimnis zu entlocken. Dienten sie als Kulisse für kultische Feste? Waren sie weithin sichtbare Grabsteine? Oder ein überdimensionales Kalenderblatt? Und nicht zuletzt: Wer waren die Gigantomanen, die tonnenschwere Gesteinsblöcke im Kreis aufstellten? Im Mittelalter meinte man, Riesen hätten sich einen Spaß erlaubt oder der Teufel persönlich sei am Werk gewesen. Doch die wahren Konstrukteure sind weder in der Fabelwelt noch im Inferno zu finden, sondern drei Kilometer von Stonehenge entfernt – in der prähistorischen Stätte Durrington Walls.

1200 SEELEN – REKORDVERDÄCHTIG

Dort haben Archäologen um Mike Parker Pearson von der University of Sheffield eine Siedlung ausgemacht, die inzwischen als Basislager der Bautrupps gilt. Im Boden zeichnen sich die Grundrisse von Häusern ab, die aus Holz bestanden und über Betten, Schränke und eine zentrale Feuerstelle verfügten. Was anfangs wie ein kleines Handwerkerdorf aussah, wuchs mit jedem Spatenstich zu Stonehenge würdiger Größe. Etwa 300 Behausungen zählen die Archäologen bereits. Doppelt so viele könnten es insgesamt sein, schätzt Pearson. Bei vier Bewohnern pro Haus, wie der Experte vermutet, war die Einwohnerschaft mindestens 1200 Seelen stark – ein Rekord für das Nordeuropa jener Zeit. Die steinzeitliche Stadtchronik reicht zurück ins 26. und 25. Jahrhundert vor Christus – jene Epoche, in der die Pharaonen im entfernten Ägypten die Pyramiden von Gizeh in den Himmel bauten. Auch die Macher von Stonehenge fühlten sich offensichtlich zu Größerem berufen und begannen, der Anlage ihr unverwechselbares steinernes Gesicht zu geben. Der Spatenstich für den Bau war schon 500 Jahre zuvor erfolgt, etwa 3000 vor Christus, als ein kreisförmiger Graben ausgeschaufelt und der Aushub auf der Innenseite zu einem Wall aufgetürmt worden war. Ein Eingang im Nordosten markierte jene Achse, auf der die Sonne zur Sommersonnenwende aufging und zur Wintersonnenwende versank. 500 Jahre später korrigierten die Bewohner von Durrington Walls die Ausrichtung des Eingangs um drei Grad und kennzeichneten mit einer breiten Allee den Weg des Sonnenstrahls, der ankündigte, wann die Nächte länger und wann sie wieder kürzer wurden. Außerdem begannen sie, gigantische Brocken unterschiedlicher Art herbeizuschaffen: Blausteine aus dem Hunderte Kilometer entfernten Wales und bis zu 7 Meter hohe und 45 Tonnen schwere Sandsteinblöcke aus den etwa 30 Kilometer entfernten Malborough Downs.

Sie zogen die Brocken vermutlich auf Schlitten, die auf Baumstämmen rollten, übers Land und/oder verschifften sie auf Flößen und Booten. Wie dies möglich war, dürften sich jene Möchtegern-Steinzeitler gefragt haben, die vor wenigen Jahren versuchten, in originaler Manier einen vier Tonnen schweren Brocken von Wales nach Wiltshire zu befördern. Die Reise des steinernen Riesen endete jäh – nach nicht einmal 28 Kilometern, auf dem Grund des Bristol Channel. Die Stonehenge-Gondoliere stellten sich offensichtlich geschickter an, sodass die Steine an ihrem Bestimmungsort – 13 Kilometer nordwestlich von Salisbury – im Kreis sowie hufeisenförmig positioniert in Gruben eingelassen und aufgerichtet werden konnten. Die Decksteine, die abschließend darüber gelegt wurden und die Stonehenge, den „hängenden Steinen“ , den Namen gaben, wurden wahrscheinlich auf kontinuierlich wachsenden Holzgerüsten in die Höhe gestemmt.

STEINZEITLICHE GELAGE

Stonehenge war ein Jahrtausendprojekt, das allem Anschein nach als astronomisches Observatorium diente, mit dessen Hilfe man den Verlauf der Gestirne, das Kommen und Gehen der Jahreszeiten und den besten Zeitpunkt für Aussaat und Ernte beobachten konnte. Doch der Ort war wohl nicht nur für die Lebenden gemacht. Aschereste zeugen von Feuerbestattungen und Gräber im Gebiet von der feierlichen Beisetzung einiger Auserwählter. Einer der Toten hatte derart kostbare Gold- und Kupfergaben dabei, dass er prompt als „König von Stonehenge“ bezeichnet wurde. Kurios nur, dass der Mann, der um 2300 vor Christus etwa 40-jährig verstarb, ursprünglich aus dem Alpenraum kam. Das Wasser, das er in Jugendjahren trank, hatte in seinem Zahnschmelz ortstypische Spuren hinterlassen. Ob gekröntes Haupt oder nicht – der Mann macht klar, von wie weit her die Menschen nach Stonehenge kamen. Neben Arbeitern, die an den Steinkreisen schufteten und Händlern, die sich in Durrington Walls verdingten, vermutet der Archäologe Pearson auch Menschenmassen dort, die zu bestimmten Zeiten und Anlässen – vielleicht zu den Sonnenwendfesten oder zu großen Begräbnissen – aus ganz Südengland zusammenströmten. Geschlemmt wurde jedenfalls ausgiebig, wie Fleischknochen belegen, die haufenweise und nur unsauber abgenagt gefunden wurden. Auffällig ist, dass in der Siedlung offenbar keine Jungtiere aufgezogen wurden. Auch Mahlsteine zur Verarbeitung von Getreide fehlen. Mussten die Besucher ihre Verpflegung selbst mitbringen? Haben die Bewohner von Durrington Walls sich nicht dauerhaft häuslich eingerichtet, weil sie die Siedlung nicht ganzjährig nutzten? Wurde Stonehenge in Saisonarbeit gebaut? Ach, könnten die Steine doch sprechen! ■

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von Bettina Gartner

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