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Die Crux mit den Castoren

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Die Crux mit den Castoren
Neue Transportbehälter sollen verhindern, daß Atommeiler vom Netz müssen. Seit dem Skandal um erhöhte Radioaktivität beim Verfrachten abgebrannter Kernstäbe stapelt sich die strahlende Last in den Reaktoren. Eine Krefelder Firma hat jetzt sichere Castoren entwickelt.

Dr. Manfred Sappok ist zufrieden. „Wir verdanken Herrn Trittin volle Auftragsbücher“, freut sich der Geschäftsführer der Firma Siempelkamp. Da kein Atommanager in Deutschland wisse, wohin die Reise in Sachen Kernenergie geht, würden Reaktorbetreiber eifrig Transportbehälter für abgebrannte Brennelemente bei der Krefelder Gießerei bestellen. Ob RWE, PreussenElektra, Bayernwerk, HEW oder VEW – alle bekannten Namen aus der Kernenergiebranche stehen auf Sappoks Kundenliste. Irgendwo im Ruhrgebiet sind zur Zeit etwa 80 Castoren deponiert – der Ort ist aus Angst vor Atomkraftgegnern ein streng gehütetes Geheimnis der Atomwirtschaft. „Sobald das Bundesamt für Strahlenschutz grünes Licht für neue Transporte gibt, können die Behälter beladen werden, die Castoren wieder rollen“, sagt Physiker Sappok. Im Mai 1998 waren die Atommülltransporte von der damaligen Umweltministerin Angela Merkel gestoppt worden. Erhöhte Strahlenwerte an der Außenhaut der Transportbehälter hatten für Schlagzeilen gesorgt. Bis zu ihrem Abtransport werden die abgebrannten Brennelemente unter Wasser in Abklingbecken der Reaktoranlagen zwischengelagert. Dabei nimmt im ersten Jahr die Radioaktivität der Brennelemente auf rund ein Prozent ihres Anfangswertes ab. Auch das Beladen der Castoren fand unter Wasser statt, damit die radioaktive Belastung des Personals möglichst gering ausfiel. Bei diesem Vorgang hatten sich kleinste strahlende Korrosionspartikel aus den Rohren und Pumpen der Reaktoren an der Außenhaut und in den Schraubgewinden der Behälter festgesetzt.

Inzwischen drohen die Abklingbecken von vier Kraftwerken wegen des Transportverbots vollzulaufen. Denn bei der jährlichen Revision eines Kernkraftwerks wird routinemäßig ein Drittel der Brennelemente erneuert. Etwa 60 bis 70 verbrauchte hochradioaktive Brennstäbe mit einem Gewicht von 25 bis 30 Tonnen sind aus den Reaktorkernen zu entfernen. Die Strommanager beteuern, daß die Atommeiler in Stade und in Biblis schon im kommenden Frühjahr vom Netz genommen werden müßten, wenn das Verbot nicht aufgehoben wird. „Wir haben seit dem Transportstopp hinzugelernt“, ist Manfred Sappok überzeugt. Zur Zeit stellt die Gießerei alle zwei Wochen einen Castor-Behälter her. Er besteht aus einem hochzähen Gußwerkstoff mit einer Wandstärke von rund 40 Zentimetern. Dadurch läßt sich die intensive Gamma- und Neutronenstrahlung der Brennelemente wirksam abschirmen. Nach dem Rohguß wiegt der Klotz etwa 150 Tonnen und sieht aus wie eine überdimensionierte Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Tieflader verfrachten den Gußkörper anschließend von Krefeld ins knapp 40 Kilometer entfernte Mülheim. Dort häutet eine computergesteuerte Fräsmaschine den Zylinder. In knapp zweiwöchiger Feinarbeit schabt sie Millimeter für Millimeter Metallspäne ab, so daß der Behälter am Schluß nur noch 80 Tonnen wiegt. Das aufwendige Verfahren und die massive Bauweise aus einem Guß sollen garantieren, daß der Behälter mechanischen Einwirkungen etwa bei einem Transportunfall widersteht. Würde der Castor-Behälter aus mehreren Teilen zusammengeschweißt, wäre das Risiko undichter Stellen größer.

„In diesem Zustand untersuchen Mitarbeiter der Bundesanstalt für Materialprüfung mit Ultraschallgeräten, ob der Behälter Risse hat“, sagt Karsten Schrooten, Ingenieur bei Siempelkamp. Danach werden in die Behälterwand Polyäthylenstäbe eingebracht, die auf zwei konzentrischen Kreisen angeordnet sind. Sie helfen, die radioaktive Strahlung abzuschirmen, die von den Brennelementen ausgeht. Anschließend überziehen Gießerei-Mitarbeiter den Innenschacht des Castors mit einer Nickelschicht, damit sich später dort kein Rost bilden kann. Konstruktionsfehler früherer Castoren hat Siempelkamp mittlerweile beseitigt. So sind die Bohrungen für die Polyäthylenstäbe von 8 auf 8,2 Zentimeter Durchmesser vergrößert worden – zwei Millimeter, die im heißen Atommüllgeschäft viel ausmachen. Denn im Innern des Castors kann es bis zu 400 Grad Celsius heiß werden, was zur Ausdehnung der Stäbe führt. Experten des Umweltministeriums hatten moniert, daß diese Ausdehnung nicht richtig berechnet worden wäre und deshalb die Polyäthylenstäbe mangels Freiraum beschädigt werden könnten. Um zu vermeiden, daß die Außenwand bei der Brennelementebeladung radioaktiv verstrahlt wird, werden die Castoren in ein sogenanntes Kontaminationshemd gesteckt: einen überdimensionalen Plastikschlauch, der unter Überdruck steht und verhindert, daß Wasser aus dem radioaktiv belasteten Lagerbecken eindringt. Zudem dichtet Siempelkamp besonders kritische Stellen des Behälters – etwa die Tragzapfen – mit einem neuen Material ab. Sappok weist darauf hin, daß deutsche Castoren weniger empfindlich für radioaktive Verunreinigungen sind als die französischen oder britischen Behälter. Denn diese Modelle mit den Bezeichnungen TN, Excellox oder NTL haben eine rauhere Außenhaut, die einerseits die Abwärme besser verteilt, andererseits aber schlechter von radioaktivem Schmutz befreit werden kann. „Mit unseren Castoren kommen wir allerdings nicht durch die Schleusentore der Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague oder Sellafield“, sagt Sappok. Briten und Franzosen schützen ihre Behälterproduzenten vor der deutschen Konkurrenz. Siempelkamps Castoren können nur beim innerdeutschen Transport und Rücktransport von hochaktivem Abfall aus dem Ausland ins Zwischenlager Gorleben eingesetzt werden. Experten sind überzeugt, daß schon deswegen der nächste Atommüll-Skandal programmiert ist. Gerhard Schmidt vom Darmstädter Öko-Institut: „Egal wie sicher die deutschen Castoren sind – solange Franzosen und Briten auf ihre alten Behälter setzen, wird es bei den Brennelement-Transporten keinen vollkommenen Schutz vor radioaktiver Kontamination geben.“

Michael Franken

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