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„Unser Exzellenzsystem ist einzigartig“

Allgemein

„Unser Exzellenzsystem ist einzigartig“
Die strategische Komponente der Landesstiftung Baden-Württemberg für die Wissenschaft erläutern Ministerpräsident Günther H. Oettinger und Geschäftsführer Herbert Moser.

bild der wissenschaft-plus: Die seit 2001 bestehende Landesstiftung Baden-Württemberg hat es sich zur Aufgabe gemacht, außergewöhnliche Grundlagenforscher zu unterstützen. Seitens der Wirtschaft wird immer wieder angemahnt, dass Grundlagenforschung zugunsten von angewandten Forschungsprojekten zurückgefahren wer- den sollte. Warum setzen Sie dennoch auf dieses Zugpferd?

Oettinger: Natürlich kann man sich darauf beschränken, abzuschauen, was andere erfunden haben. Das machen ganze Volkswirtschaften und Nationen mit beträchtlichem Erfolg. Ich sehe das etwas anders und behaupte, es dient in jeder Hinsicht dem Standort Deutschland, wenn wir uns zur Grundlagenforschung bekennen. Innovation ist selten planbar. Deshalb sind wir mit unserem dreistufigen Ansatz gut beraten und langfristig auch erfolgreicher: Die Grundlagenforschung ist Basis. Darauf baut die anwendungsnahe, produktnahe Forschung auf. Und wiederum darauf basieren Entwicklung und Fertigung. Die freie und unabhängige Grundlagenforschung führt oft zu überraschenden Erkenntnissen, aus denen sich dann wirtschaftliche Erfolge entwickeln lassen.

Moser: Ohne exzellente Grundlagenforschung gibt es keine exzellente Anwendung. Um in der Grundlagenforschung Exzellenz zu bekommen, muss man Forschern zunächst einmal ein entsprechendes Maß an Freiheit einräumen. Das zahlt sich längerfristig meist aus. Bei Forschungsprojekten, die durch die Landestiftung gefördert werden, stellen wir fest, dass nach einem gewissen Vorlauf die Wissenschaftler selbst anfangen zu überlegen, inwiefern ihre Ergebnisse in eine konkrete Anwendung münden könnten.

bdw-plus: In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe privater Hochschulen ins Leben gerufen. Auch wenn sie durchaus Zulauf von Studierenden aus aller Welt haben – durch Grundlagenforschung tun sich die wenigsten hervor.

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Oettinger: Die neu gegründeten privaten Hochschulen beschränken sich weitgehend auf Business-Fächer und bieten kaum naturwissenschaftlich orientierte Studiengänge an. Das liegt an den Kosten. Während man im ersten Fall nur Hörsäle und Seminarräume benötigt, braucht man im zweiten Fall noch Labors, anspruchsvolle Geräte oder Reinräume, die ein Mehrfaches von Hörsälen kosten. Auch nach der Einführung von Studiengebühren werden die ingenieur- und die naturwissenschaftlichen Studiengänge zu über 90 Prozent aus Steuermitteln finanziert.

bdw-plus: Fördert die Landesstiftung Baden-Württemberg deshalb nur Institute von Landesuniversitäten?

Moser: Die Landesstiftung ist eine Stiftung in Baden-Württemberg für Baden-Württemberg. Wenn wir Forschungsprojekte vergeben, kann sich jedes Institut in Baden-Württemberg, das die wissenschaftliche Kompetenz hat, bei uns bewerben – also auch private Institute. Wir vergeben unsere Forschungsprojekte stets an die Besten, egal ob sie bei staatlichen oder privaten Forschungsorganisationen arbeiten. In Baden-Württemberg sind wir dabei in einer guten Ausgangslage. Von den zwölf forschungsstärksten Universitäten Deutschlands befinden sich sieben in diesem Bundesland. Außerdem haben wir bedeutende außeruniversitäre Institute: das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, das Forschungszentrum Karlsruhe, Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Max-Planck-Institute …

bdw-plus: Wie finden Sie unter den Antragstellern die Besten heraus?

Moser: Durch anerkannte Fachgutachter. Wir berufen Experten, die wir weltweit ansprechen und die zu den allerbesten ihres Fachs gehören, in eine Jury. Die Auslese unter den Antragstellern ist streng. Nur 10 bis 15 Prozent der Anträge erhalten eine Bewertung, die zur Förderung durch die Landesstiftung berechtigt.

Oettinger: Die Geschäftsführung der Landesstiftung oder der Aufsichtsrat entscheiden nie über die Vergabe. Wir legen zwar die Themenbündel fest, definieren die Leitbilder und geben ein Budget dafür frei. Doch wer welchen Betrag für welche Zeitdauer erhält, ist allein Aufgabe der Jury.

bdw-plus: Woher beziehen Geschäftsführung und Aufsichtsrat der Landesstiftung ihre Expertise, welche Themen wirklich von Bedeutung sind?

Moser: Wir orientieren uns an Gutachten, die für uns erstellt wurden. Im ersten Gutachten des Beraters Roland Berger wurden beispielsweise die Cluster erarbeitet, in denen die Wissenschaft in Baden-Württemberg stark ist. Hier verfahren wir nach der Philosophie: die Stärken stärken.

Oettinger: Bei diesem Gutachten aus dem Jahr 2000 ging es einmal darum, was getan werden muss, um die Schwerpunkte Baden-Württembergs zu stärken – also Maschinenbau, Fahrzeugbau, Elektrotechnik, Feinmechanik, Optik. Zweitens sollte die Studie künftige Technologiebereiche herausarbeiten, die für das Land wichtig werden. Dabei wurden genannt: Bio-Tech, Mikrosystemtechnik, Nanotechnologie, Optische Technologien, Informations- und Kommunikationstechnologien, Energietechnik und erneuerbare Energien. An der Aktualität dieser Disziplinen hat sich nichts geändert. Dies zeigt die 2005 im Auftrag der Landesstiftung durchgeführte Studie zur strategischen Forschung, welche die Themenfelder identifiziert hat, in die mittelfristig mit besonderem Erfolg investiert werden soll.

bdw-plus: Die Landesstiftung verfügt derzeit über ein Stiftungskapital von 2,75 Milliarden Euro und ist damit die zweitgrößte Stiftung Deutschlands. Wie hoch sind die jährlichen Fördersummen?

Oettinger: Die generelle Vorgabe lautet: keine Auszehrung des Stiftungskapitals. Ehe wir Projekte fördern, bilden wir von den Jahreseinkünften der Stiftungsmittel zuallererst eine Rücklage als Inflationsausgleich. Auf diese Weise bleibt die Stiftung werthaltig und ist damit auch noch in zehn Jahren so potent wie heute. Die jährliche Förderung in Höhe von derzeit etwa 50 Millionen Euro untergliedern wir in drei große Themenblöcke: Wissenschaft und Forschung, Bildung sowie soziale Verantwortung und Kunst und Kultur.

bdw-plus: Wie viel von diesen Fördermitteln entfällt auf wissenschaftliche Projekte?

Moser: Etwa 35 Prozent der jährlichen Projektsumme, also etwa 17 bis 18 Millionen Euro pro Jahr.

bdw-plus: Wie läuft die Finanzierung im Detail ab?

Oettinger: Gleich zu Projektbeginn stellen wir die gesamte Fördersumme für ein bewilligtes Vorhaben im Haushaltsjahr ein. Konkret heißt das: Wenn ein Projekt über drei Jahre laufen soll und zwei Millionen Euro pro Jahr erhält, setzen wir im ersten Programmjahr bereits die vollen sechs Millionen an. Auf diese Weise kann der nächste Haushalt ohne Vorbelastung angegangen werden.

Moser: Wir gehen davon aus, dass wir im Schnitt pro Forschungsthema eine kritische Masse von etwa 3 bis 4 Millionen Euro brauchen, um zu vorzeigbaren Ergebnissen zu kommen. Ähnlich wie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden die Projekte für drei, vier, maximal fünf Jahre bewilligt. Zusammen mit den Antragstellern und der Jury formulieren wir enge Arbeits- und Zeitpläne. Wir haben auch Zwischenbewertungen vorgesehen, aufgrund derer entschieden werden kann, ob man aus einem Projekt wieder aussteigt oder durch welche Vorgaben man ein aus der Spur gelaufenes Projekt wieder aufs richtige Gleis setzt.

bdw-plus: Wie setzen Sie Grenzen?

Moser: Im Regelfall schauen wir uns nach drei Jahren das Ergebnis an. Meistens stellen wir fest, dass zwar wichtige Antworten auf offene Fragen gegeben wurden, aber noch immer viele andere Fragen einer intensiven wissenschaftlichen Befassung bedürfen. Wir stehen dann vor der Entscheidung, welche Themen wir nochmals für eine begrenzte Zeit durch eine neue Ausschreibung bearbeiten. Länger als fünf bis sechs Jahre fördern wir allerdings ganz selten. Mit entscheidend für weitere Ausschreibungen ist die Verwertungsmöglichkeit der Ergebnisse.

bdw-plus: Geht das konkreter?

Moser: Die Resultate aller von uns finanzierten Forschungsprojekte gehören der Landesstiftung. Wir haben schon acht Patente angemeldet. Im Fall eines Laser-Patents sieht es so aus, dass wir demnächst vorzeigbare Lizenzgebühren erhalten. Die würden wir dann wieder in die Stiftung einbringen.

bdw-plus: Was kann die Landesstiftung wirklich bewegen? Angesichts der 3000 Millionen Euro, die Baden-Württemberg jährlich für Hochschulen ausgibt, sind 17 Millionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Oettinger: Ein Teil dieser Landesmittel geht schon einmal für den Unterhalt der Gebäude weg. Zweitens geben wir enorm viel Geld für die Lehre aus. Wir haben im Land 260 000 Studierende. Weiterhin haben wir aus strukturpolitischen Gründen die Verpflichtung, überall im Land Hochschulen vorzuhalten, also manche Themen doppelt und dreifach zu besetzen. Dann müssen wir die oft über Jahrhunderte gewachsenen Hochschulen in ihrer Bandbreite bewahren, egal, ob das betriebs- oder volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Die Landesmittel sind also fest verplant. Die Mittel der Landesstiftung können dagegen völlig frei vergeben werden, hier kann ich Cluster bilden und muss nicht darauf Rücksicht nehmen, alle Landesteile ausgewogen zu unterstützen. Bei diesen Mitteln ist die wissenschaftliche Exzellenz das entscheidende Kriterium.

Moser: Betrachtet man die Aktivität der Landesstiftung über die Jahre, so sind es inzwischen mehr als 120 Millionen Euro, die wir nur zur Förderung exzellenter Wissenschaft ausgegeben haben. Vielleicht ist es ja etwas vermessen, aber unserer Vorbild ist das Weizmann-Institut in Israel. Wir arbeiten nach ähnlichen Prinzipien. Auch dort macht man anwendungsorientierte Grundlagenforschung und Auftragsforschung, und man verwertet die Ergebnisse selbst. Die Wissenschaftler, die uns beim Prozess der Begutachtung begleiten, bestätigen immer wieder, dass das Exzellenzsystem der Landesstiftung in Deutschland, vielleicht sogar in Europa, einzigartig ist.

bdw-plus: Können die geförderten Wissenschaftler selbst bestimmen, ob sie damit Geräte einkaufen, Mitarbeiter einstellen oder besonders gute Leute besser bezahlen?

Oettinger: Es kann nicht Aufgabe der Landesstiftung sein, für eine international wettbewerbsfähige Bezahlung der Forscher zu sorgen. Das ist Aufgabe des Dienstherrn.

Moser: Interessant ist es, dass es uns gelingt, weltweit erfolgreiche Wissenschaftler zu motivieren, sich mit den Projekten zu beschäftigen und sich darum zu bewerben.

bdw-plus: Wie nehmen Sie selbst die Forscher wahr?

Moser: Hierarchiefrei und Grenzen überschreitend. Ob jung oder alt, die Wissenschaftler gehen heute ohne Attitüden aufeinander zu. Und was ebenfalls sehr erfreulich ist: Zu einem guten Forscher gehört inzwischen, sein Fachgebiet so zu präsentieren, dass ein Außenstehender einigermaßen nachvollziehen kann, um was es geht.

bdw-plus: Ähnlich wie Baden-Württemberg mit der Landesstiftung hat der Freistaat Bayern mit den Mitteln aus Privatisierungserlösen eine Hightech-Offensive gestartet. Wer ist damit erfolgreicher?

Oettinger: Die Bayern konnten etwas mehr veräußern und ihre Offensive mit rund vier Milliarden Euro besser ausstatten. In manchen Bereichen sind wir erfolgreicher, in anderen die Bayern. Im Bereich Bio-Tech haben wir nicht ganz die Clusterstärke wie Bayern im Norden Münchens. Andererseits haben wir gleich mehrere Cluster: die Achse Ulm-Biberach sowie die Regionen Heidelberg, Tübingen und Freiburg. Unterm Strich dürften wir damit sogar gleich stark sein. Bei der Materialbearbeitung, im Maschinenbau, bei der Photonik liegen wir sicherlich vorne.

bdw-plus: Nach den Schwächen des Standorts Deutschland wird oft gefragt. Sie sind hinreichend bekannt. Wo sieht der Ministerpräsident Günther Oettinger Stärken?

Oettinger: Mit unseren forschungsstarken Universitäten, mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer Gesellschaft haben wir wissenschaftliche Organisation von Weltruf. Unabhängig von der Frage, wer regiert, haben wir damit ein tragfähiges Fundament der Wissenschaft. Weiterhin haben bei uns die Wissenschaftler ein hohes Maß an Freiraum. Ohne Lenkung und Zensur forschen zu können, ist ein attraktives Angebot und eine der Lehren, die wir aus dem Dritten Reich gezogen haben. Schließlich haben sich auch die Berührungsängste zwischen Wirtschaft und Wissenschaft so weit verringert, dass wir gute Perspektiven haben, die Wissenschaft voran zu bringen – gerade auch durch Drittmittel aus der Industrie oder durch Stiftungsprofessuren, die von der Wirtschaft ins Leben gerufen wurden. Im Übrigen gehört Deutschland, wenn es um Grundlagenforschung in Natur- und Ingenieurwissenschaften geht, schon jetzt zu den zehn attraktivsten Ländern der Erde.

bdw-plus: Die Landesstiftung gibt es seit 2001. Welchen Stellenwert soll sie 2011 in der Wissenschaft einnehmen?

Moser: Ganz einfach. Dann soll niemand mehr über Grundlagenforschung schreiben können, ohne die Projekte der Landesstiftung Baden-Württemberg zu berücksichtigen.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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