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Das rollende Genlabor

Allgemein

Das rollende Genlabor
Kinder und Teens von heute sind potenzielle Forscher von morgen. Deshalb fördert die Landesstiftung die natürliche Neugier der Jugendlichen mit großen Projekten.

Text: Cornelia Varwig

Es ist fast, als beträte man ein UFO. Man steigt ein paar Stufen einer stählernen Treppe hinauf, eine gläserne Schiebetür teilt sich wie von selbst und schließt sich lautlos hinter dem Eintretenden. Im klimatisierten Innenraum wandert der Blick über merkwürdige Geräte, die nur vage an Vertrautes erinnern: eine Tischzentrifuge, die aussieht wie ein Fahrradhelm, ein Fermenter, der äußerlich einer Kaffeemaschine gleicht, ein Wasserbad, das an eine Fritteuse erinnert.

Doch statt von grünen Aliens wird man von zwei sympathischen jungen Wissenschaftlern empfangen. Das Fahrzeug ist ja auch kein außerirdisches Raumschiff, sondern ein Truck, der zum topmodernen Genlabor umgebaut wurde. Sein Name ist Programm: „BioLab on Tour“ ist bereits seit April 2003 in Baden-Württemberg von Schule zu Schule unterwegs – und begeistert viele Jugendliche für Berufe in der Biotechnologie und Gentechnik. Immer mit an Bord sind zwei der drei promovierten Wissenschaftler, die das Projekt betreuen: der Biologe Andreas Fehrenbacher, die Biologin Beate Mannschreck und der Biochemiker Tobias Pacher.

Lokaltermin in Ulm: Eine Gruppe Zwölftklässler hat sich dank weißer Kittel, grüner und blauer Gummihandschuhe und Schutzbrillen zumindest äußerlich in Laborpersonal verwandelt. Jetzt zeigt sich, wer im Bio-Unterricht aufgepasst hat, denn im besten Fall können die Jugendlichen direkt an ihr Schulwissen anknüpfen. Woraus setzt sich doch gleich die Desoxyribonukleinsäure (DNA) zusammen? Und was war noch mal die Polymerase-Kettenreaktion?

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„Wenn die Lehrer die Schüler richtig heiß darauf gemacht haben, laufen die Praktika hervorragend“, weiß Pacher mittlerweile aus Erfahrung. Zum Vorteil der Schüler: Denn die molekularbiologischen Experimente, die sie hier im rund 55 Quadratmeter großen Hightech-Labor machen, könnten die Schulen mit ihren begrenzten Mitteln und Kapazitäten gar nicht leisten.

Mit offenen Mündern entnehmen die Schüler einander mit Wattestäbchen Speichel, um aus den darin enthaltenen Mundschleimhautzellen die DNA zu isolieren. „Das Verfahren ist bei DNA-Tests mittlerweile Routine und dauert nur etwa eine halbe Stunde“, lässt Pacher die Jugendlichen staunen. Nach 30 Minuten werden sie in einer wässrigen Lösung ihre eigene Erbinformation in Händen halten.

Der Weg dorthin ist für sie allerdings alles andere als Routine. Die Pipetten, mit denen die Schüler arbeiten, sind Präzisionsgeräte, die maximal einen Milliliter Flüssigkeit fassen. Üblicher sind hier allerdings sehr viel kleinere Größenordnungen – zwei Mikroliter. „Ein Regentropfen ist etwa 40-mal größer“, zieht Pacher einen anschaulichen Vergleich.

Sind die Zellen erst einmal in einer speziellen Lösung bei 72 Grad Celsius aufgelöst, kommt der Reaktionsansatz in die Tischzentrifuge. „Das Gerät geht in 15 Sekunden auf 3000 Umdrehungen hoch. Maximal schafft es 14 500 Umdrehungen pro Minute, dann wirkt auf die Lösungsbestandteile die 10 000-fache Erdbeschleunigung“, erklärt Beate Mannschreck.

In der nächsten Minute werden die DNA-Proben schon der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) unterworfen, zum millionenfachen Kopieren der isolierten Gensequenzen. Das graue, unscheinbare Gerät für diesen Arbeitsschritt trägt den fantastischen Namen Lightcycler, kostet runde 50 000 Euro und hat innerhalb von nur 15 Minuten seinen Job erledigt.

Letzter Schritt: die Agarose-Gel-Elektrophorese. Hier müssen die Jugendlichen ein ruhiges Händchen beweisen, denn ihr erwärmtes Gen-Süppchen muss per Präzisionspipette in winzigen Vertiefungen des glibberigen Agarose-Gels versenkt werden. Experiment geglückt! Mit einem fluoreszierenden Farbstoff versehen, wandern die geladenen Biomoleküle in einem elektrischen Feld durch das Gel und bilden die bekannten DNA-Banden, die man von Vaterschaftstests aus dem Fernsehen kennt.

Doch wozu Fernsehen? Im BioLab gibt es alles zum eingehenden Betrachten und sogar zum Anfassen. Denn wenn das Schülerpraktikum vorbei ist, fährt das rollende Labor nicht etwa nach Hause. Das BioLab verwandelt sich dann für einen Tag der offenen Tür in einen Ausstellungsraum. So ganz verliert das Labor dabei seine außerirdische Anmutung nicht: Es sind grün fluoreszierende Escherichia-coli-Bakterien (kurz: E.coli) zu sehen, denen der genetische Code für die Farbstoffproduktion von der Qualle Aequorea victoria übertragen wurde. Die Schüler erfahren auch, dass die Alleskönner E.coli – genetisch modifiziert – schon seit Jahren Insulinlieferanten für Diabetiker sind und, wenn sie den genetischen Befehl eingesetzt bekommen, auch Vitamin B2 produzieren können.

Das bringt die gastgebenden Wissenschaftler schließlich zur Erklärung der Anwendungsbereiche von Gentechnik und der entsprechenden Berufe. Schließlich wollen sie mit ihrer Arbeit manchen der Jugendlichen als wissenschaftlichen Nachwuchs gewinnen. Biotechnologie ist aus Medizin, Landwirtschaft, Ernährungswissenschaft, Umweltschutz und chemischer Industrie nicht mehr wegzudenken und bietet zahlreiche Berufschancen – vom Laboranten bis zum promovierten Biotechnologen.

So viel Public Relations für eine heiß diskutierte Technologie ruft freilich Kritiker und Gegner der Gentechnik auf den Plan. „ Vor allem zu Beginn des Projekts haben misstrauische Gruppen öfters angekündigt, parallel zu unseren BioLab-Besuchen Gegenaktionen durchzuführen und haben zu Protesten aufgerufen“, erzählt Mannschreck. Doch meist ohne Erfolg. Das BioLab dient schließlich erkennbar weder der Propaganda noch der Gehirnwäsche – es geht um Information und um das Kennenlernen dessen, wovon man sonst nur aus zweiter Hand hört oder liest. Bis Ende Juli 2006 haben bereits 15 240 Schüler im BioLab ein Praktikum gemacht.

Zusammen mit anderen Kooperationspartnern, vor allem Hochschulen, unterstützt die Landesstiftung weitere Projekte. Sie will auch die Jüngsten so früh wie nur möglich an die Naturwissenschaften heranführen. Unter dem Oberbegriff SCOUT (SCience OUTlined, „Wissenschaft im Umriss“) sind rund 15 Projekte zusammengefasst, die vom Kindergarten bis zur weiterführenden Schule den Wissensdurst der heranwachsenden Generation stillen.

Prof. Peter Menzel vom Institut für Didaktik der Naturwissenschaften und Informatik an der Universität Hohenheim ist mit dem SCOUT-Projekt T-NEX sehr erfolgreich. 11 000 Grundschüler haben bisher an seinen Experimentier-Nachmittagen teilgenommen. „Unser Angebot ist so begehrt, dass wir bereits fünf Jahre Wartezeit haben“, berichtet Menzel. In seinem Stuttgarter Experimentierlabor untersuchen die Kinder den grünen Pflanzenfarbstoff Chlorophyll, enttarnen mit Hilfe der Chromatographie den Täter eines Kriminalfalls und stellen im Riechlabor aus Lavendel Parfüm her.

An der Fachhochschule Aalen gibt es kindgerechte Vorlesungen zu Chemie, Physik, Augenoptik, Kunststofftechnik und Maschinenbau. In den Seminaren lösen die 10- bis 12-Jährigen mit Hilfe von Säure Eierschalen auf, entlocken Gummibärchen ihre Energie und lassen es bei der Knallgasreaktion krachen.

Wie nachhaltig die Früherziehung ist, lässt sich nur schwer einschätzen. „Wir hoffen natürlich, dass sich die frühe Begeisterung für spannende Experimente ins junge Erwachsenenalter fortsetzt“, betont die Koordinatorin der SCOUT-Projekte, Irene Purschke von der Landesstiftung. Vor allem die Eltern seien gefragt, die Neugier ihrer Kinder wach zu halten.

Gemessen an der Freude, die die Kinder bei der Sache haben, stehen die Chancen nicht schlecht. Einen besonderen Reiz hat „ Zoom into Science“ mit dem Radioprojekt Mikrowelle in Ulm. Nachdem sich die 11- bis 13-jährigen Schüler Fragen überlegt haben, besuchen sie als Reporter die so genannte Wissenschaftsstadt auf dem Eselsberg oberhalb der Donaustadt und führen Interviews mit den Forschern.

Einen richtigen Film in der Ulmer Wissenschaftsstadt zu drehen, war für viele das größte Vergnügen. „Flieg, flieg!“ hört man auf der Video-Aufzeichnung eine Kinderstimme aus dem Off. Dann sieht man einen Jungen mit flatternden Plastikflügeln wagemutig von einer Mauer springen. Das Experiment ist freilich nicht gelungen, doch verletzt hat er sich natürlich nicht. Und warum er die Erdanziehungskraft trotz Armewedeln nicht besiegen konnte – das wird unter den Jugendlichen noch lange für Diskussionsstoff sorgen. ■

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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