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Und morgen Bioterrorismus?

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Und morgen Bioterrorismus?
So brutal die Terroranschläge des 11. September waren: Es gibt eine andere Bedrohung von apokalyptischem Ausmaß – den Bioterror. Jens Reich zeichnet ein düsteres Bild.

Die sinistre Rationalität des Kamikaze-Überfalls auf das World Trade Center erschreckt durch Raffinesse wie durch Plumpheit. Die Terroristen führten von der technischen Ausrüstung her eine minimalistische Strategie durch, um einen maximal demütigenden und Panik erzeugenden Schlag gegen die Supermacht USA und das Zentrum der Weltwirtschaft zu landen. Die Strategie hatte keine neuen Elemente – der ganze Plot war längst in Hollywood-Filmen und Kriminalromanen durchgespielt. In den USA war zudem vor einiger Zeit ein Mann arabischer Herkunft festgenommen worden, der genau diesen Anschlag mit zur Bombe gemachten Passagierflugzeugen auf den Symbol trächtigen Doppelturm in Downtown Manhattan beabsichtigt hatte.

Auf die gleiche Weise wird sich dieser Terrorakt wahrscheinlich nicht wiederholen. Die Drahtzieher werden andere Strategien suchen. Das zwingt uns, die Gefahr von Terrorangriffen mit Atom-, Chemie- oder Biowaffen erneut zu analysieren.

Chemie- und Biowaffen werden zu Recht in einem Kapitel abgehandelt. Unterschiedlich ist die Technologie ihrer Herstellung, nicht ihr Ziel. Das Giftgas Sarin etwa – 1995 von der Aum-Sekte für einen tödlichen Angriff auf die Tokioter U-Bahn benutzt – ist in den dreißiger Jahren in Deutschland erfunden worden und wird künstlich hergestellt. Doch auch die Natur bietet hinlänglich Potenzial: Botulinus- oder Tetanustoxin wurden vor Hunderten von Millionen Jahren erfunden. Ihre Herstellung erfolgt im „Bioreaktor“ derjenigen lebenden Einzeller, die im Genom die Erfindung als kodierte Bauvorschrift verankert haben. Alle drei Substanzen sind chemische Nervengifte, die in den fein abgestimmten Mechanismus der Nervenerregung zerstörend eingreifen und tödlich wirken.

In militärischen Feldzügen werden Chemie- und Biogifte schon lange eingesetzt. Einer der ersten Fälle ereignete sich im 14. Jahrhundert bei der Belagerung einer genuesischen Festung auf der Insel Krim: Die tatarischen Angreifer warfen Pestleichen über die Mauern und infizierten so die Gegner. Auch im 20. Jahrhundert wurden Pestbakterien von Japan im Krieg gegen China verwendet. Im Vietnamkrieg warfen die USA Entlaubungsgifte ab, die die Bevölkerung schädigten. Auch Irak kämpfte in den achtziger Jahren mit Chemiewaffen gegen Iran. Dennoch setzten Militärs das tödliche Potenzial solcher Waffen selten ein, weil sie im militärischen Sinne nicht hinreichend effektiv sind: Soldaten können Gasmasken tragen und gegen viele Mikroben geimpft werden. Die Freisetzung kann sich bei Wetterumschlag oder Unfällen gegen die eigenen Truppen wenden. Diese Begrenzungen haben zweifellos dazu beigetragen, dass sich etwa 150 Länder auf die Konvention gegen Biowaffen einigen konnten.

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Bei potenziellen Terrorangriffen sieht das freilich anders aus. Im Zeitalter abnehmender Impfbereitschaft könnten Pockenviren eine fulminante Epidemie erzeugen. Immerhin gäbe es hier eine gute Abwehrmaßnahme: In den Verbreitungsweg hinein impfen. Dadurch würde sich schnell wieder lebenslange Immunität herstellen lassen.

Eine wirksamere Biowaffe wären Milzbrandsporen. Sie lassen sich billig und in großen Mengen unter Lowtech-Bedingungen herstellen. Als Aerosoltröpfchen könnten sie über große Gebiete zerstäubt und so von sehr vielen Menschen eingeamtet werden. Wirksamer Impfschutz ist nur langwierig zu erreichen. Die Infektion verläuft zunächst als scheinbar harmloser Schnupfen. Erst nach Tagen entwickelt sich der tödliche Lungenbrand. Wird die Infektion rechtzeitig erkannt, kann sie mit Antibiotika wie Penizillin geheilt werden.

Im Zeitalter des Genetic Engineering muss man allerdings damit rechnen, dass es gelingen könnte, völlig Antibiotika resistente Stämme zu konstruieren. Denn Antibiotika-Resistenz ist eine Maßnahme, die von Wissenschaftlern für die Selektion von Bakterien- und Zellpopulationen oft eingesetzt wird.

In der Sowjetunion gab es 1979 einen Unfall, bei dem Milzbrandsporen aus einem Militärlabor in größerer Menge in die Luft gerieten und eine ganze Stadt verseuchten. Es kam zu unzähligen Erkrankungen und vielen Todesfällen. Das unfreiwillige Experiment zeigte die finsteren Möglichkeiten einer Milzbrandattacke. Gelänge es, eine Aerosolbombe von etwa 100 Kilogramm Gewicht in mäßiger Höhe aus einem Flugzeug über Manhattan zu zerstäuben, würden womöglich Millionen Tote zu beklagen sein. Manhattan wäre für Jahrzehnte unbewohnbar, denn Milzbrandsporen sind äußerst widerstandsfähig.

Aus einer entführten Passagiermaschine könnte man allerdings keine Aerosolbombe in Anschlag bringen, zünden und zielgerecht abwerfen. Terroristen würden ein Flugzeug benötigen, das auf Bombenabwurf eingerichtet ist. Ein solches Flugzeug ist nur schwer durch die Flugabwehr hindurch zu bringen. Das muss in die Überlegungen einbezogen werden, beruhigt aber letztlich nicht.

Ein anderer Angriffsweg könnte sich den spontanen Ansteckungsweg von Krankheiten zu Nutze machen. Die Ausbreitung von Virusepidemien zeigt, dass sich weltweite Epidemien leicht aus kleinen Herden entwickeln können, wenn das Virus hinreichend ansteckend ist und die exponentielle Verbreitung einsetzt, ehe man Quarantäne organisieren kann. Wissenschaftliche Computer-Simulationen zeigen, dass es bei der heutigen Dichte des Flugverkehrs ausreicht, Viren auf einem großen internationalen Flughafen mit geruchsfreien Aerosolen zu zerstäuben, um eine weltweite Epidemie zu erzeugen.

Glücklicherweise ließen sich bislang die spontan ausgebrochenen Virusepidemien durch energische Isolierung der Angesteckten und der Keimausscheider relativ schnell eindämmen. Selbst Epidemien von blitzartig ansteckenden tödlichen RNS-Viren wie Ebola oder Marburg lassen sich durch Abriegelung beherrschen. Das setzt bei Massenerkrankung allerdings voraus, dass der Angriff sofort erkannt wird und die seuchenhygienischen Maßnahmen sehr gut vorbereitet sind.

Die meisten krankheitserregenden Bakterien entfalten ihre Aktivität in der Darmflüssigkeit, in den Lungenbläschen oder auf Schleimhäuten. Manche gehen aber auch ins Blut und die Lymphe, ernähren sich und wachsen dort. Einige Mikroben siedeln nur in Körperzellen, etwa die Malariaparasiten, die in den roten Blutzellen heranwachsen und diese zum Zerfall und zur Besiedlung weiterer Zellen bringen. Viren hingegen sind sämtlich auf die Entwicklung innerhalb von Körperzellen angewiesen; einige schreiben sich sogar ins Genom des Trägers ein, beispielsweise das Aids-Virus (HIV) in das Genom bestimmter Immunzellen. Das Heimtückische an ihnen ist, dass sie zunächst still verharren und sich erst nach einer langen Pause wieder vermehren und ausbreiten. Mikroorganismen nutzen natürliche Rezeptoren als Eintrittspforten in Körperflüssigkeiten und Körperzellen. Das sind Eiweißmoleküle, die auf den Membranen jeder Zelle sitzen und als Kontrolleingänge für lebenswichtige Substanzen und Steuersignale fungieren.

Mit der zunehmenden Aufklärung des menschlichen Genoms und seiner Genprodukte (Eiweiße) werden solche Wechselwirkungen und Eintrittswege wohl bald hinreichend erforscht sein. Einerseits sind solche Arbeiten für die Entwicklung von neuen Heilmitteln größerer Wirksamkeit unabdingbar. Andererseits ermöglichen just diese Kenntnisse die Herstellung von genetisch modifizierten Mikroben, die gefährlicher sind als jene, die die Natur hervorgebracht hat. Zwar können solche Entwicklungen nur von sehr guten Spezialisten in modernen Labors vorangetrieben werden. Doch für kriminelle Sekten oder Terrorgruppen sind diese Anforderungen nach unserem jetzigen Wissen wohl kein entscheidendes Hindernis. Meine Schreckensvision: Von Terrorgruppen könnte ein Virus entworfen werden, das sich über Tröpfcheninfektion schnell verbreitet und in Zellen des Nervensystems eindringt, sich dort eine Weile still verhält und dann eine tödliche Krankheit auslöst. In der kalten Logik religiöser Fanatiker und ihrer Erwartung des Jüngsten Gerichts wäre es kein Hinderungsgrund, dass eine solche Pandemie die eigenen Völker betreffen könnte.

Noch ist die Herstellung solcher Killerviren kompliziert. Aber wir befinden uns erst am Anfang des Jahrhunderts der Biotechnik. Der perverse Angriff auf Manhattan sollte uns eine Lehre sein. Die Abwehr biologischer Attacken wird nur gelingen, wenn jedes Land einen hoch organisierten und schnell handlungsfähigen Seuchenschutz etabliert und wenn es Molekularbiologen und Immunologen beschäftigt, die ihr Handwerk besser beherrschen als die „Kollegen“ in den Geheimlabors von Fundamentalisten. Schnelle Entdeckung des Angriffs, schnelle Diagnose, schnelle Immunisierung, schnell einsetzende wirksame Therapie, auch bei Unerwartetem: Das sind Erfordernisse, die hohe Sachkenntnis voraussetzen. Die jüngsten Terrorattacken belegen aber auch, dass es für ein Land sehr leichtsinnig wäre, an der biotechnologischen Revolution nicht mitzuwirken. Dadurch wäre es besonders anfällig für solche Attacken. Bioterror-Angriffe sind eine reale Gefahr. Der einzelne Bürger kann sich kaum schützen. Analyse und Handeln sind hier eindeutig Aufgabe des Staates, und beides sollte energischer betrieben werden, als es gegen den im Prinzip voraussehbaren Kerosinanschlag auf das World Trade Center geschehen ist.

Prof. Dr. Jens Reich

(Jahrgang 1939) ist Forschungsgruppenleiter für Bioinformatik am Max-Delbrück-Centrum in Berlin. Davor arbeitete Reich als Arzt in Halberstadt, war Wissenschaftler an der Universität Jena und ab 1968 am Institut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. 1989 war er Mitbegründer der Bürgerbewegung „Neues Forum“. 1994 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten.

Jens Reich

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