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Der Reha-Beat

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Der Reha-Beat
Schlagzeuger sind fit – körperlich und geistig. Eine Erkenntnis, die Wissenschaftler durch eine Kombination von Musik- und Sporttherapie nutzen wollen.

Seine Drumsticks hat er nicht im Gepäck. Aufs Trommeln aber verzichtet der britische Soldat Peter Wright auch während seiner Auslandseinsätze nicht. Er nimmt einfach Kugelschreiber anstelle hölzerner Schlägel. Und wenn die im Einsatz einmal nicht griffbereit sind, benutzt er seine Zeigefinger, um rhythmisch Stress abzubauen. Trommeln hat eine therapeutische Wirkung, davon ist Wright überzeugt.

In seinem zivilen Leben ist der Soldat wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Sportmedizin an der Technischen Universität Chemnitz. In dieser Rolle hat er Profi-Schlagzeuger und Amateure untersucht und festgestellt: „Sie vollbringen Höchstleistungen und sind meist fit, körperlich und mental.“ Bei Rock- und Heavy-Metal-Konzerten brachten es manche Drummer auf Spitzenwerte von über 190 Schlägen pro Minute. Die Beanspruchung ist mitunter höher als die von Profi-Fußballern. Außerdem ist Schlagzeugspielen „durch die Koordination beider Hände und Füße und das exakte Timing aller Aktionen ein höchst effektives Training für den Kopf“, erklärt Wright. „Beide Gehirnhälften sind gleichzeitig gefordert.“

Die Rundum-Fitness der Schlagzeuger brachte Wright und seinen Chef Henry Schulz auf die Idee, die positive Wirkung des Schlagzeugspiels genauer zu untersuchen. 2009 gründeten sie das Forschungsprojekt „The Drum Beat“. Experten unterschiedlicher Disziplinen erforschen seither, ob sportliches Trommeln als Reha oder Prävention helfen kann – und wem speziell. Bei dieser Mischform von Sport- und Musiktherapie denken sie vor allem an Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung), an Übergewichtige, Depressions- und Parkinson-Patienten sowie an Senioren, die ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten erhalten oder verbessern wollen.

Neu ist das Wissen um die Wirkung des Trommelns nicht. Afrikanische Schamanen praktizieren das „Heiltrommeln“ – eine Tradition, die bis in die Steinzeit zurückreichen könnte, wie Felszeichnungen vermuten lassen. Und noch heute versammeln sich Stammesangehörige mancher Naturvölker zum Trommeln gegen das Böse und gegen Krankheiten. Auch in der modernen Musiktherapie kommen Schlaginstrumente zum Einsatz.

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Gesteigertes Wohlbefinden

„Rhythmisches Trommeln in der Gruppe ist im Spielverhalten des Menschen angelegt“, erklärt Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Musikhochschule Hannover. Als Gruppenerlebnis ist Trommeln besonders effektiv. „ Ähnlich wie beim Tanzen steigert das Miteinander das Wohlbefinden und die Weltzufriedenheit, weil es uns symbolisiert, dass wir nicht allein sind“, meint Altenmüller.

Genau diese Motivation durch die Gruppe wollen Henry Schulz und Peter Wright nutzen. Da Schlagzeugspielen schwer zu lernen ist und man viel Übung braucht, ehe es gruppentauglich klingt, greifen die Chemnitzer auf einen Trend aus den USA zurück: „Drums Alive“ heißt die sportliche Variante des Schlagzeugspielens, bei der die Teilnehmer mit Drumsticks zu vorgegebenen Rhythmen auf große Gymnastikbälle („Pezzi-Bälle“) schlagen und ihr Tempo synchronisieren.

Das hat hervorragend bei Senioren funktioniert, die in zwei Chemnitzer Heimen einen Monat lang zweimal pro Woche in Kleingruppen auf die grünen, vor ihnen fixierten Gummibälle trommelten. Im Hintergrund gaben Udo Jürgens, Heintje oder Glenn Miller den Beat vor, dem die im Durchschnitt 82-jährigen Frauen und Männer nach Anleitung von Sporttherapeuten folgten. Vor Beginn und am Ende des Kurses absolvierten die Senioren verschiedene Tests, um Veränderungen zu dokumentieren. Das Ergebnis: Die älteren Herrschaften profitierten sowohl bei der Alltagsmotorik als auch bei Kondition, Blutdruck und Kurzzeitgedächtnis vom regelmäßigen Trommeltraining.

Besonders beeindruckt waren die Wissenschaftler von der Verbesserung der kognitiven Leistung: Nach dem vierwöchigen Training schnitten die Senioren um bis zu 20 Prozent besser ab als vorher. Die Heimbewohner, die im Alltag teils mit motorischen Handicaps zu kämpfen hatten und teils an Demenz litten, waren sehr motiviert. Sie bedauerten es sehr, als das Experiment vorbei war. „Ein solcher Gewinn an Lebensqualität spricht eindeutig für das Trommeln im Seniorenheim“, resümiert Sportmediziner Schulz.

Und nicht nur dort. Auch depressive Patienten empfanden Drums Alive als „sehr befreiend“, berichtet Wright, „obwohl wir gerade bei ihnen im Vorfeld Bedenken hatten, ob sie überhaupt für das Projekt zu motivieren sind“. In einer Chemnitzer Klinik für psychosomatische Erkrankungen hatten die Wissenschaftler die Wirksamkeit der Trommeltherapie im Vergleich zu einer konventionellen Sporttherapie getestet. Während die physiologischen Werte sich bei beiden Gruppen kaum unterschieden, lagen die Trommler im emotionalen Bereich vorne. Allerdings, räumt Wright ein, ist diese Studie mit nur elf Probanden nicht repräsentativ.

Plötzlich Aufmerksamer

Mehr Aussagekraft haben die Ergebnisse aus verschiedenen Schulen und Kindergärten in Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Kinder, die an Koordinationsproblemen litten, an einer Störung der Impulskontrolle oder unter Konzentrationsschwäche, zeigten nach nur vier Wochen Trommeln auf den Pezzi-Bällen deutlich schwächere Symptome, berichtet Schulz. Sie hatten ein besseres Selbstbewusstsein, konnten sich eher an Regeln halten und blieben konzentrierter bei der Sache.

Auch Lehrern, die nichts vom Drums-Alive-Projekt wussten, fiel auf, dass einige Kinder dem Unterricht plötzlich aufmerksamer folgten. Ob der Erfolg allerdings von Dauer ist, muss sich erst noch zeigen.

Eines ist in allen Pilotstudien zu beobachten: die hohe Motivation der Teilnehmer. Für die Experten ist das die Voraussetzung für einen dauerhaften Effekt. Denn das Schlagzeugspielen oder Trommeln auf Pezzi-Bälle allein führt nicht zu einem kognitiven Erfolg, betont Eckart Altenmüller. Wichtig sind auch die Freude und die Kreativität beim Spielen. ■

von Kathryn Kortmann

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