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Das Konzert des Lebens

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Das Konzert des Lebens
Die Aktivität der Gene wird wie in einem Orchester dirigiert.

Wir hatten die DNA. Wir hatten Gene, Promotoren und Enhancer. Wir hatten Transkription und Translation. Wir haben einige ausgewählte Proteine besucht. Und dennoch fehlt etwas Wichtiges, um das Gesamtkunstwerk erfassen zu können: Wie regelt die Zelle das Zusammenspiel der einzelnen Teile?

Um das zu verstehen, tauchen wir in die feine Dynamik eines Orchesters ein – genauer gesagt: des DNA-Orchesters. Dort ist Disziplin alles. Auf ein Zeichen spielen bestimmte Gene hingebungsvoll ihren Part, während andere brav Pause machen. Manche tragen die leisen Töne bei, für andere ist fortissimo angesagt. Fehler passieren selten. Denn der Dirigent hat das Konzert des Lebens im Griff und kann ihm je nach Bedarf einen besonderen Charakter verleihen – sei es Jazz, Zwölftonmusik, Klassik oder Pop.

Worum es hier geht, ist die feine Abstimmung von Gen-Aktivitäten – die Frage also, wann wie viel von welchem Protein in der Zelle produziert wird. Dieser Vorgang ist elementar wichtig, denn: Die Instrumentation, die Ausstattung an Genen, ist in einer Nervenzelle genauso wie in einer Zelle der Darmschleimhaut oder einer Leberzelle. Der Klang des genetischen Zusammenspiels – und damit Erscheinungsbild und Funktion der Zellen – könnten aber kaum unterschiedlicher sein. Denn in einem Neuron – einer Nervenzelle – wird nur ein Teil der verfügbaren Instrumente gespielt, und zwar ein völlig anderer als in einer Schleimhautzelle. Sprich: Es werden andere Gene abgelesen und in Proteine übersetzt.

Allerdings: Während dem Dirigenten eines Sinfonieorchesters sein Taktstock reicht, braucht es in der Zelle schon etwas mehr, um die vielen verschiedenen Mitspieler zu koordinieren. Da sind vor allem die Transkriptionsfaktoren, eine große Gruppe von Proteinen, die sich von außen an die DNA-Doppelspirale schmiegen können. Manche davon wirken wie einfache Ein-Aus-Schalter, andere haben eine Art Dimmer-Funktion und können die Gen-Aktivität stufenlos herauf- oder herunterfahren. Wieder andere arbeiten zusammen, um sehr komplexe Regelungen zu realisieren – fast wie kleine Mikroprozessoren.

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Bleiben wir der Einfachheit halber bei den Ein-und-Aus-Schaltern. Sie konzentrieren sich auf spezielle Kontrollregionen auf der DNA, wie die in Folge 3 unserer Serie „ Basiswissen Zelle“ erwähnten Promotoren oder Enhancer. Ein Beispiel: Ein Transkriptionsfaktor hat es sich auf dem Promotor eines Gens dauerhaft gemütlich gemacht. Dadurch kann die für die Transkription benötigte Protein-Crew nicht mit ihrer Arbeit anfangen, weil sie schlicht nicht an den Promotor herankommt. Die Folge: Das Gen ist ausgeschaltet, das Regulator-Protein wirkt hier als sogenannter Repressor.

Wird das Gen im Laufe des Konzerts dann doch benötigt, kann der Dirigent ihm ein Zeichen geben – etwa indem er ein anderes Protein losschickt, das den Transkriptionsfaktor sehr attraktiv findet. In dem Moment, in dem die zwei ein Paar bilden, verändert der Repressor seine Form und passt nicht mehr in die Furche der DNA. Er löst sich von ihr, und das Transkriptions-Team erhält endlich Zugang zum Gen.

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall – dann nämlich, wenn der Dirigent qua Transkriptionsfaktor einem zuvor stillen Gen den Einsatz gibt. Das kann der Eiweiß-Helfer beispielsweise dadurch erreichen, dass er die Transkriptions-Crew gezielt zusammentrommelt oder sich an eines ihrer Mitglieder heftet und damit die Transkription auslöst. Einen solchen Einheizer nennt man Aktivator.

Hilfestellung bekommen die Transkriptionsfaktoren häufig von den „DNA-Lockenwicklern“, den Histonen (siehe Folge 2). Normalerweise ist die Erbsubstanz fest um diese ganz speziellen Proteine herumgewickelt – an vielen Stellen sogar so fest, dass die Transkriptions-Crew die DNA nicht einmal sehen kann. Doch der Dirigent kann bei Bedarf für Abhilfe sorgen: Er arrangiert die Sitzordnung der Histone ein bisschen um, indem er ihnen kleine Etiketten anheftet, und schon gibt es eine Gasse für die Transkriptionshelfer. Manchmal sind es sogar die Aktivatoren selbst, die den enggeschnürten Zustand unhaltbar finden und sich ihrerseits an die Histone kleben.

Einsätze geben, Crescendi und Decrescendi anzeigen, Pausen befehlen – bis hierhin ist das für Orchester und Dirigent ein alltägliches Geschäft und hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Doch manchmal passieren Dinge, die den Dirigenten veranlassen, den Charakter des Konzerts zu verändern – und zwar so nachhaltig, dass auch bei jeder folgenden Aufführung die neue Variante gespielt wird. Meist vermerkt der Kapellmeister das in der Partitur beziehungsweise auf der DNA: Er befiehlt, dass an bestimmten Stellen kleine Marker angebracht werden, die die Gen- Aktivität dauerhaft unterdrücken. Die Zelle nutzt dazu winzige chemische Schalter aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoff-Atomen, sogenannte Methylgruppen. Deren Muster wird vererbt, sodass die DNA der folgenden Zellgenerationen an den gleichen Stellen mit den Schaltern ausgestattet sind.

Diese zweite Vererbungsebene, die völlig ohne Mutationen in der DNA- Sequenz auskommt, heißt Epigenetik. Sie ist entscheidend dafür, dass eine Leberzelle wieder eine Leberzelle hervorbringt – und nicht etwa eine unspezialisierte Stammzelle. Außerdem zeichnet sie den Einfluss der Umwelt auf den Körper dauerhaft auf.

Sehr gut zu sehen ist das bei eineiigen Zwillingen, die ja nichts anderes sind als natürliche Klone mit exakt der gleichen DNA-Ausstattung: Je älter sie werden, desto unterschiedlicher ist ihr Aussehen – weil die Lebenserfahrungen ihren Genen individuelle epigenetische Stempel aufdrücken.

Im Prinzip ist das genauso, wie wenn zwei Stardirigenten das gleiche Stück einstudieren: Bei jeder Aufführung verändern sie es ein kleines bisschen – bis sich die beiden Varianten beim Anhören deutlich unterscheiden lassen. ■

Und während das Orchester leise die Coda spielt, verlassen wir den Konzertsaal Zelle und begeben uns ins bio- technologische Labor. Dort werden wir Zeugen, wie die DNA erst eine Art Wellnessbehandlung erfährt – und anschließend brutal zerstückelt wird.

von Ilka Lehnen-Beyel (Text) und Friederike Groß (Illustrationen)

Orchesterbeschreibung

Mitglieder: etwa 25 000 Instrumentalisten

Unterabteilungen: kleinere Kammerorchester, die auf bestimmte Stile spezialisiert sind

Dirigent: Zelle

Assistenten: Transkriptionsfaktoren, Histone, kleine RNAs, verschiedene Enzyme

Zurufe aus dem Publikum: erwünscht (Spielweise wird häufig auf Signale von außen verändert)

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