„Wer populärwissenschaftliche Behauptungen über die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen untersucht, tut seinem Blutdruck nichts Gutes“, schreibt Cordelia Fine. „Die Unverfrorenheit, mit der Daten überinterpretiert und Fehlinformationen verbreitet werden, ist schlicht erschütternd.“
Nachdem die Neurowissenschaftlerin angefangen hatte, den Neuro-Nonsens populärer Bestseller zu demontieren, stellte sie fest, dass sie sich auch mit einigen Fachkollegen anlegen musste. Selbst bei großen Namen wie Steven Pinker, Simon Baron-Cohen und Louann Brizendine fand sie grobe Vereinfachungen, Überinterpretationen und teils schlimme Fehler in der Argumentation. So werden Mythen wie die vom mathematisch unterbelichteten Mädchen und vom Emotionskrüppel Mann angeblich durch die Hirnforschung „belegt“.
Harmlos ist das nicht. Als Fine sah, dass eine Erzieherin im Kindergarten ihres Sohnes ein Buch las, in dem Jungengehirnen die Fähigkeit abgesprochen wird, zwischen Gefühlen und Sprache eine Verbindung zu knüpfen, beschloss sie zurückzufeuern.
Auch irritierte Eltern, die hinter dem Rosa-Prinzessinnen-Fimmel der Tochter etwas „Biologisches“ vermuten, finden hier Aufklärung: Unsere Gesellschaft steckt so voller subtiler Rollenbotschaften an kleine Kinder, dass es nahezu unmöglich ist, geschlechtsneutral zu erziehen.
Judith Rauch
Cordelia Fine DIE GESCHLECHTERLÜGE Klett-Cotta, Stuttgart 2012 476 S., € 21,95 ISBN 978–3–608–94735–9 E-Book für € 16,99 978–3–6 08–10274–1