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„Große Einfachheit und Schönheit“

Allgemein

„Große Einfachheit und Schönheit“
Niels Bohr erklärt, warum Atome stabil sind, und Werner Heisenberg entwirft eine neue Physik.

Pollen sind nicht nur wesentlich größer als Quanten, sondern auch ungleich lästiger – für alle, die darauf allergisch reagieren. Wie Werner Heisenberg: Er versuchte im Juni 1925 als damals 24- jähriger Assistent von Max Born an der Universität Göttingen seinen Heuschnupfen zu lindern, indem er nach Helgoland reiste. Und tatsächlich verschaffte ihm Deutschlands einzige Hochsee-Insel nicht nur gesundheitlich Erleichterung, sondern beim Schwimmen und Ausruhen auch eine gute Idee.

„Im ersten Augenblick war ich zutiefst erschrocken. Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen, und es wurde mir fast schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte“, beschrieb er seine Einsicht später in seiner Autobiografie „Der Teil und das Ganze“. Diese mathematischen Strukturen versprachen die Lösung eines hartnäckigen Problems, an dem sich viele der klügsten Physiker seit Jahren die Zähne ausgebissen hatten: Welche Eigenschaften besitzen die Atome, und wie lassen sie sich erklären?

Atome wie Planetensysteme

Dass Atome aus einem Kern und einer Elektronenhülle bestehen, hatte der Chemie-Nobelpreisträger Ernest Rutherford 1911 entdeckt, als er in seinem Labor in Manchester Alpha-Teilchen aus radioaktivem Radium auf eine dünne Goldfolie schoss. Nicht alle Alpha-Teilchen flogen geradeaus hindurch, sondern etwa eines von 100 000 wurde abgelenkt. Dies erklärte Rutherford mit einem neuen Atommodell, demzufolge Elektronen um den Kern wie Planeten um die Sonne kreisen. Und solche Gold-Atomkerne waren es, die die Alpha-Teilchen zuweilen reflektiert hatten.

Allerdings dürften nach Rutherfords Modell Atome gar nicht stabil sein. Weil elektrisch geladene Partikel, wenn sie beschleunigt werden, Strahlung abgeben und somit Energie verlieren, müssten die Elektronen innerhalb von wenigen Sekunden in den Kern stürzen. Doch das konnte so nicht stimmen, denn sonst gäbe es überhaupt keine Atome in der Welt – und damit auch keine Planeten oder Physiker.

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Den dänischen Physiker Niels Bohr, der im Sommer 1912 bei Rutherford in Manchester forschte, trieb dieses Problem um. Außerdem wollte er verstehen, wie das Linienspektrum zustande kam, das jedem chemischen Element einen charakteristischen „ Fingerabdruck“ aus Licht verlieh. Schon Isaac Newton hatte 1671 beobachtet: Licht, das auf ein Prisma fällt, wird darin gebrochen und abgelenkt, und zwar umso stärker, je kleiner seine Wellenlänge ist – es wird in die Farben des Regenbogens aufgefächert. Newton sprach von einem „Spektrum“.

Im Gegensatz zu einem solchen kontinuierlichen Spektrum zeigt das Licht, das beim Erhitzen von Gasen oder Dämpfen reiner chemischer Substanzen entsteht, nur eine begrenzte Zahl farbiger Linien definierter Wellenlänge. Wie es zu einem solchen Linienspektrum kommt, war rätselhaft. Zwar hatte Johann Jakob Balmer, ein Mathematiklehrer und Universitätsdozent in Bern, für das sichtbare Licht des Wasserstoffs 1885 eine Formel gefunden, die die Messungen gut beschrieb. Aber dahinter steckte keine Theorie oder Erklärung.

Im Frühjahr 1913 gelang es dann Niels Bohr innerhalb weniger Wochen, die Elektronenstruktur des Wasserstoff-Atoms und dessen Linienspektrum im Rahmen eines neuen Modells zu erklären. Demnach können sich die Elektronen nur auf bestimmten Kreisbahnen bewegen, nicht zwischen diesen. Wechseln sie ihre Bahn – auch Energieniveau, Zustand oder Schale genannt –, müssen sie Energie abgeben beziehungsweise aufnehmen. Das heißt, die Bahnen sind quantisiert und die Strahlungsenergien ebenfalls. Dies zeigte sich in Bohrs mathematischer Beschreibung daran, dass das Plancksche Wirkungsquantum in den Formeln vorkam.

Die drei Abhandlungen, die Bohr kurz hintereinander verfasste und publizierte, waren ein Durchbruch. Sie halfen nicht nur beim Verständnis des Atombaus, sondern sie beschrieben auch einen Mechanismus der Wechselwirkung von Licht und Materie. Plötzlich waren die Zahlen, mit denen Balmer und andere das Linienspektrum des Wasserstoffs charakterisiert hatten, keine „Zahlenmagie“ mehr. Außerdem wurde deutlich, worauf die chemischen Eigenschaften der Elemente beruhen – auf der Zahl ihrer Elektronen und deren Bahnen.

DIE ARCHITEKTUR DER ATOME

Bohr prägte auch das Konzept der Quantensprünge: Trifft ein Photon mit hinreichender Energie auf ein Elektron, springt dieses auf eine weiter außen liegende Bahn. Und wenn umgekehrt ein angeregtes Elektron auf ein tieferes Energieniveau näher zum Kern hin wechselt, strahlt es ein Lichtquant ab. Das Linienspektrum spiegelt somit die Architektur der Elektronenorbits wider (siehe Grafik oben „Quantensprünge im Atom“). Übertrifft die eingestrahlte Energie einen kritischen Schwellenwert, löst sich das Elektron vom Atomkern. Eine solche Ionisation steckt auch hinter dem von Albert Einstein 1905 erklärten Photoeffekt.

„Es war, wie wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre, ohne dass sich irgendwo fester Grund zeigte, auf dem man hätte bauen können“, beschrieb Einstein noch 1949 Bohrs Pionierleistung. „Dass diese schwankende und widerspruchsvolle Grundlage hinreichte, um einen Mann mit dem einzigartigen Instinkt und Feingefühl Bohrs in den Stand zu setzen, die hauptsächlichen Gesetze der Spektrallinien und der Elektronenhüllen der Atome nebst deren Bedeutung für die Chemie aufzufinden, erschien mir wie ein Wunder – und erscheint mir auch heute noch als ein Wunder. Das ist höchste Musikalität auf dem Gebiete des Gedankens.“

Nicht jeder war begeistert

Obwohl sich Bohrs Atommodell rasch durchsetzte, war nicht jeder davon begeistert. Otto Stern und Max von Laue beispielsweise schworen sich 1914 gegenseitig, mit der Physik aufzuhören, wenn an „diesem Bohrschen Unsinn etwas dran wäre“, wie Stern später erzählte. Aber das machten sie nicht wahr, sondern wurden sogar Physik- Nobelpreisträger – wie schon 1922 Niels Bohr, der sein Atom-Modell weiter verfeinert hatte.

Auch andere arbeiteten daran. So führte Arnold Sommerfeld, Physik-Professor an der Universität München, 1915 Ellipsenbahnen ein – gemäß der Tatsache, dass sich Planeten ja auch nicht auf Kreisen um ihre Sterne bewegen. Und er berücksichtigte relativistische Effekte: Je höher die Geschwindigkeit eines Elektrons ist, desto größer ist seine Masse, wie Albert Einsteins Spezielle Relativitätstheorie lehrt.

Dennoch ließ sich das Bohr-Sommerfeldsche Atommodell nur auf sehr wenige Elemente anwenden – exakt sogar nur auf Wasserstoff. Außerdem machte es weder das Postulat des strahlungsfreien Umlaufs der Elektronen verständlich noch deren gequantelten Drehimpuls. Immerhin erlaubte das Modell erstmals eine – wenn auch unvollständige – Erklärung der Spektrallinien und der Systematik des Periodensystems der chemischen Elemente. Es war nicht der Stein der Weisheit, aber eine Übergangslösung, wie Bohr stets einschränkend betonte.

„HoffNUNGSLOSE SCHWEINEREI“

Doch je mehr präzise Spektraldaten die Experimentalphysiker lieferten, desto deutlicher wurden die Schwächen des Modells. Bald sprachen Physiker von einer Krise. Nicht einmal die Messungen an Helium-Atomen passten zur Theorie. „Die Quanten sind doch eine hoffnungslose Schweinerei“, schrieb der Göttinger Physiker Max Born enttäuscht an Albert Einstein, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Eigenschaften des Helium-Atoms zu berechnen.

Auch Werner Heisenberg, der bei Sommerfeld promoviert hatte und dann Assistent von Born wurde, scheiterte daran, Bohrs Modell auf die Helium-Atome anzuwenden. „Von Sommerfeld hab ich den Optimismus gelernt, von den Göttingern die Mathematik, von Bohr die Physik“, sagte Heisenberg einmal. Er gehörte zu einem Kreis junger talentierter Physiker, die wie Bohr und Born schon früh die Auffassung teilten, man müsse nach einer neuen Mechanik suchen. Sie sollte im atomaren Bereich Newtons Mechanik ersetzen, in der Makrophysik, wo das Plancksche Wirkungsquantum vernachlässigbar ist, aber in diese übergehen. Bohr hatte das als „Korrespondenzprinzip“ bezeichnet.

Sommerfeld wollte die klassische Physik retten, Bohr war indessen auf der Suche nach einer Alternative – und Heisenberg fand sie im Mai 1925 auf Helgoland. Nicht der mutmaßliche physikalische Zustand von Teilchen sollte beschrieben werden, so Heisenbergs neuer Ansatz, sondern welche Beziehung zwischen zwei Zuständen herrscht.

NUR DAS MESSBARE GILT

Dabei beschränkte er sich, beeinflusst vom zeitgenössischen Positivismus, ganz auf messbare Größen. Dies machte er schon in der Zusammenfassung seiner Abhandlung „Über quantentheoretische Umdeutung kinematischer und mechanischer Beziehungen“ deutlich, die er am 28. Juli 1925 bei der Zeitschrift für Physik einreichte. Dort schrieb er: „In der Arbeit soll versucht werden, Grundlagen zu gewinnen für eine quantentheoretische Mechanik, die ausschließlich auf Beziehungen zwischen prinzipiell beobachtbaren Größen basiert ist.“

Diese Größen fasste Heisenberg als Zustandspaar auf – ähnlich wie die Position von Spielfiguren auf einem Schachbrett (also zum Beispiel „a2″ oder „d7″). Der mathematische Formalismus war für Physiker damals ziemlich ungewöhnlich. Denn ihm lagen neue Rechenregeln zugrunde: So hängt bei der Multiplikation von Zahlengruppen das Ergebnis davon ab, in welcher Reihenfolge multipliziert wird. Das heißt „a mal b“ ist nicht gleich „b mal a“ .

Max Born erinnerte dies an die Matrizenrechnung in der Mathematik, wo Ähnliches gilt. Daraufhin entwickelte er im September 1925 zusammen mit seinem Assistenten Pascual Jordan die Matrizenmechanik. Gemeinsam mit Werner Heisenberg wurde diese „ Dreimännerarbeit“ 1926 in der Zeitschrift für Physik publiziert. Damit war der Durchbruch zu einer neuen und bis heute gültigen Quantentheorie gelungen.

Ein erstes Indiz dafür, dass die seltsame Mathematik funktionierte, lieferte kurz darauf Wolfgang Pauli. Er hatte 1921 bei Sommerfeld über ionisierten Wasserstoff promoviert, dann mit Born und Bohr gearbeitet und ab 1923 an der Universität Hamburg gelehrt. Dort entdeckte er, noch im Kontext von Bohrs Modell, dass keine zwei Elektronen oder andere Teilchen mit halbzahli- gem Spin denselben Quantenzustand haben können. Für dieses Ausschlussprinzip – ein Grund für die Stabilität der Atome – erhielt Pauli auf Einsteins Vorschlag 1945 den Physik-Nobelpreis. 1926 gelang es ihm mithilfe der Matrizenmechanik, die Balmer-Serie des Wasserstoffs richtig zu berechnen – ein großer Erfolg für den Ansatz von Heisenberg, der dafür bereits sechs Jahre später selbst mit dem Physik- Nobelpreis geehrt wurde. ■

von Rüdiger Vaas

Quanten-Wissen Kompakt

· Im Bohrschen Atommodell bewegen sich Elektronen auf streng getrennten Bahnen um den Atomkern und springen durch Aufnahme oder Abgabe von Lichtquanten hin und her.

· Doch das erklärt die charakteristischen Emissionslinien im Spektrum der Atome nicht vollständig.

· Werner Heisenberg überwand mit der Matrizenmechanik die Grenzen des Bohrschen Modells.

· Er führte damit neue Rechenregeln in die Physik ein, wobei er sich auf die Beziehungen zwischen Messgrößen beschränkte.

Linien aus Licht

Erhitzt man ein chemisches Element, zum Beispiel Helium oder Natrium, und fächert die ausgesandte Strahlung mit einem Prisma zu einem Spektrum auf, entstehen charakteristische Emissionslinien. Sie verraten die Architektur der Atome.

Quantensprünge im Atom

Nach dem Atommodell von Niels Bohr, das er ab 1913 entwickelte, bewegen sich Elektronen auf streng getrennten Bahnen (oder „Schalen“) um den Atomkern. Falls sie Energie in Form eines Photons aufnehmen, springen sie auf eine unbesetzte Bahn weiter außen. Geben sie Energie ab, wechseln sie auf eine Bahn näher am Kern und emittieren ein Photon. Diese Strahlung besitzt spezifische Frequenzen. Viele solcher Spektrallinien sind bereits im 19. Jahrhundert gemessen und nach den Pionier-Wissenschaftlern benannt worden. Die von Johann J. Balmer charakterisierte Serie beschreibt das sichtbare Licht des Wasserstoffs. Die nach Theodore Lyman benannte Strahlung liegt im Ultraviolett-Bereich, die nach ihren Entdeckern Friedrich Paschen und Frederik Brackett benannten Serien im Infrarot.

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