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„Sphärenmusik des Atoms“

Allgemein

„Sphärenmusik des Atoms”
Erwin Schrödinger entdeckt die Wellenmechanik der Materie und Werner Heisenberg den Zufall im Mikrokosmos.

„Was ist denn das Licht?”, fragte 1889 Heinrich Hertz, der nachgewiesen hatte, dass es sich dabei um elektromagnetische Strahlung handelt. Die Frage war rhetorisch gemeint, denn die Beobachtungen von Beugung, Polarisation und Interferenz zeigte längst, „dass es eine Wellenbewegung ist”, wie Hertz betonte. „ Eine Widerlegung dieser Anschauung ist für den Physiker undenkbar. Die Wellentheorie des Lichtes ist, menschlich gesprochen, Gewissheit.”

Allerdings lehrt die Geschichte der Naturwissenschaft, dass die Gewissheiten von heute oft die Irrtümer von morgen sind. Und als Albert Einstein 1905 den Photoeffekt mithilfe der Quantennatur des Lichts erklärte, war das nicht mit der Wellentheorie vereinbar.

Dass Licht als eine Ansammlung von Teilchen (Photonen) betrachtet werden kann – eine Idee, die schon Isaac Newton im 17. Jahrhundert hatte –, zeigte wenig später auch der Compton-Effekt. Der amerikanische Physiker Arthur H. Compton maß 1923 die Streuung von Röntgen- und Gammaquanten an Elektronen und eine damit verbundene charakteristische Frequenzänderung. Auch diese Entdeckung, 1927 mit dem Nobelpreis belohnt, ließ sich mit der Wellentheorie des Lichts nicht vereinbaren.

widersprüchliche Theorien

In den 1920er-Jahren konkurrierten also zwei sich widersprechende Theorien der elektromagnetischen Strahlung. Aber es kam noch schlimmer. In seiner Dissertation entwickelte der französische Physiker Louis de Broglie 1924 eine kühne Hypothese. Aus der Annahme, dass die Überlegungen von Max Planck und Albert Einstein zum gequantelten Licht korrekt sind, leitete er ab, dass nicht nur Strahlung sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften hat, sondern auch Materie. Mit anderen Worten: Partikel mit einer Ruhemasse, etwa Elektronen und Protonen, sollten eine Materie- Wellenlänge besitzen, abgekürzt mit dem griechischen Buchstaben Lambda ( λ). De Broglie zufolge ist sie der Quotient aus dem Planckschen Wirkungsquantum h und dem Impuls p, der sich aus dem Produkt der relativistischen Masse m und der Geschwindigkeit v eines Teilchens errechnet: λ= h/p = h/mv. Diese Beziehung gilt auch für mechanische Wellen, etwa für Gitterschwingungen in einem Festkörper.

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Jedes Objekt kann demnach als eine Materiewelle aufgefasst werden – auch makroskopische Körper wie Maden, Menschen und Mammutbäume. Dass wir sie nicht sehen können, liegt nur an der Winzigkeit ihrer Wellenlänge. Mit zunehmender Masse tritt der Wellencharakter immer weiter zurück. So beträgt die Wellenlänge eines Elektrons etwa ein Millionstel Zentimeter, die eines Bakteriums nur die Größe eines Atomdurchmessers und die eines Fußballs praktisch unmessbare 10–32 Zentimeter.

Albert Einstein war de Broglies Hypothese nicht geheuer, aber er empfahl die Dissertation seinen Kollegen. In einem Brief vom November 1925 machte er auch den Österreicher Erwin Schrödinger auf den neuen Ansatz aufmerksam. Dieser war, wie Einstein zuvor, Physik-Professor in Zürich. Er begann sofort mit der mathematischen Ausarbeitung. „Im Augenblick plagt mich eine neue Atomtheorie”, schrieb er in einem Brief vom 27. Dezember 1925. „ Wenn ich nur mehr Mathematik könnte! Ich bin bei dieser Sache sehr optimistisch und hoffe, wenn ich es nur rechnerisch bewältigen kann, so wird es sehr schön.” Und tatsächlich eröffneten seine 1926 publizierten vier „Abhandlungen über Wellenmechanik” eine neue Ära im Verständnis der Materie.

Die Harmonie des Pythagoras

Die Psi-Funktion (nach dem griechischen Buchstaben c), auch Schrödinger-Gleichung genannt, wurde zur wohl meist verwendeten und zitierten Formel in der Physik. Ihre zeitunabhängige Form – eine Differentialgleichung für stehende Materiewellen – konnte Schrödinger im Hinblick auf die klassische Mechanik herleiten. Die zeitabhängige Form musste er mehr oder weniger erraten. Doch die Voraussagen der Gleichung stimmten mit den experimentellen Ergebnissen exzellent überein.

Erwin Schrödinger beschrieb Elektronen also nicht als Teilchen, die um den Atomkern flitzen, sondern als stehende Wellen oder stationäre Schwingungen (siehe Grafik auf S. 56, „ Harmonie oder Auslöschung”). Das Phänomen ist anschaulich schwer zu fassen. Am ehesten lässt es sich mit einer vibrierenden Saite vergleichen, denn wie dort gibt es eine Art Grundton und verschiedene Obertöne. Damit griff Schrödinger eine Idee von Pythagoras auf: Der griechische Philosoph und Mathematiker hatte in den Harmonien der schwingenden Saiten und den damit verbundenen Zahlen die wesentlichen Eigenschaften der Welt erblickt.

„Was wir heutzutage aus der Sprache der Spektren heraushören, ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms, ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse, eine bei aller Mannigfaltigkeit zunehmende Ordnung und Harmonie”, schrieb Arnold Sommerfeld dazu später im Vorwort seines Buchs „Atombau und Spektrallinien” sehr poetisch. „Alle ganzzahligen Gesetze der Spektrallinien und der Atomistik fließen letzten Endes aus der Quantentheorie. Sie ist das geheimnisvolle Organon, auf dem die Natur die Spektralmusik spielt und nach dessen Rhythmus sie den Bau der Atome und der Kerne regelt.”

Tatsächlich ließen sich mit der Schrödinger-Gleichung die willkürlich erscheinenden Quantenzahlen in Niels Bohrs Atommodell erklären und ableiten. Sie entsprachen gewissermaßen den Knotenpunkten der Schwingungen. Das war eine erstaunliche Erkenntnis: Eine kontinuierliche Gleichung hatte diskrete Lösungen, die die quantisierte Materie beschrieben.

Einsteins Gespensterfeld

Dennoch blieb die Bedeutung der Schrödinger-Gleichung unklar. Einstein sprach von einem „Gespensterfeld”. Fast wie Kinder, die ein neues Spielzeug gefunden haben, rechneten die Physiker wild herum. Aber niemand verstand zunächst, was die Gleichung eigentlich meinte. Schrödingers Kollege Erich Hückel charakterisierte die Situation treffend mit einem Vierzeiler: „ Gar manches rechnet Erwin schon / Mit seiner Wellenfunktion. / Nur wissen möcht man gerne wohl / Was man sich dabei vorstell’n soll.”

Indessen beschäftigte sich Max Born in Göttingen mit der Streuung von Elektronen-Wellen. Er registrierte sie mit Geiger-Zählern, was sie als Teilchen kennzeichnete. Dabei entwickelte er die statistische Deutung der Wellenfunktion: Die Intensität der Welle gibt gleichsam die Wahrscheinlichkeit an, Teilchen an einem bestimmten Ort (genauer: Volumenelement) vorzufinden. Auch wenn die Psi-Funktion selbst keine physikalisch messbare Größe ist – dagegen spricht schon, dass sie imaginäre Zahlen enthält –, kann das Quadrat ihres Betrags so interpretiert werden. |c|2 gibt laut Born also die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte eines Teilchens an. Borns Erkenntnis setzte sich rasch durch und brachte ihm 1954 den Physik-Nobelpreis ein. Mit seiner Deutung waren auch die fast mystisch anmutenden Gebote geklärt, die Bohr den Atomen auferlegt hatte. Die „erlaubten” Elektronenbahnen waren nicht länger willkürliche Postulate, sondern entsprachen den Eigenschwingungen der Elektronenwelle.

Schrödingers Psi-Funktion und Borns Deutung kamen für viele Physiker wie eine Erlösung, da sie an bekannte Konzepte der klassischen Physik anknüpften und nicht den wilden Formalismus der Matrizenmechanik von Werner Heisenberg erforderten. Doch sie basierten nicht nur auf der seltsamen Hypothese der Materiewellen, sondern brachten auch ein fundamentales Zufallsprinzip in die Physik hinein: einen grundlegenden Indeterminismus, für den es in der klassischen Mechanik keinen Platz gab.

Max Born kommentierte diese Unbestimmtheit folgendermaßen: „ Die Bewegung der Partikel folgt Wahrscheinlichkeitsgesetzen, die Wahrscheinlichkeit aber breitet sich im Einklang mit dem Kausalgesetz aus.” Aber das gilt nur, solange keine Messung vorgenommen wird. Denn diese führt in der vorherrschenden Interpretation der Quantenphysik zu einem „Kollaps der Wellenfunktion” – einem extrem schwierigen und kontroversen Vorgang (siehe Beitrag „Die verdammte Quantenspringerei” ab S. 58). Auch dieser Kollaps wurde zunächst als nicht verursacht (akausal) beschrieben.

DER ZUFALL IM PALAST DER PHYSIK

Der Zufall brach noch auf andere Weise in den neuen Palast der Physiker ein: Im Rahmen seiner Matrizenmechanik entdeckte Werner Heisenberg 1927 die Unschärfe- oder Unbestimmtheitsrelation. Dieser fundamentalen physikalischen Beziehung zufolge können zwei Größen wie Ort und Impuls oder Energie und Zeit prinzipiell nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden. Sie sind quasi von Natur aus unbestimmt. „An der scharfen Formulierung des Kausalgesetzes ,Wenn wir die Gegenwart genau kennen, können wir die Zukunft berechnen‘ ist nicht der Nachsatz, sondern die Voraussetzung falsch”, betonte Heisenberg am Ende seines 1927 in der Zeitschrift für Physik veröffentlichten Artikels „Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik”. „Wir können die Gegenwart in allen Bestimmungsstücken prinzipiell nicht kennenlernen.”

Allerdings lässt sich die Unschärfe- relation nicht als Ausrede verwenden, wenn man laut Radarkontrolle zu schnell unterwegs war – nach dem Motto: Die Messung hat die Geschwindigkeit verändert! Denn die Unschärfe ist zunächst nur in der Mikrowelt von Bedeutung (siehe Grafik oben „Unvermeidliche Unschärfe”). So folgt aus einer Ortsgenauigkeit von 10–10 Meter eine Geschwindigkeitsunbestimmtheit von rund 1000 Kilometern pro Sekunde. Das entspricht einer Energie von 3 Elektronenvolt, was bereits in der Größenordnung der Bindungsenergie eines Außenelektrons liegt (etwa 10 Elektronenvolt). Bei einer Erbse von einem Gramm Gewicht ist die Ortsunschärfe von nur 10–21 Meter dagegen völlig vernachlässigbar.

Im Reich der Atome kann die Unbestimmtheit drastische Auswirkungen haben. Sie ermöglicht nämlich einen sogenannten Quantentunneleffekt. Dieser ist für den radioaktiven Zerfall von Atomen verantwortlich, wie zuerst der deutsche Physiker Friedrich Hund und der aus Russland stammende Physiker George Gamow an Borns Institut in Göttingen zeigten. Weil es auch eine Unschärfebeziehung von Energie und Zeit gibt, kann sich ein Teilchen kurzfristig Energie „borgen”, um eine Barriere zu überspringen beziehungsweise zu durchtunneln. In den Alltag übersetzt hieße das, dass man durch Wände gehen kann. Im Reich der Atome findet dieser unglaubliche Vorgang tatsächlich häufig statt. Und deshalb emittieren radioaktive Atome beispielsweise Alpha- oder Beta-Strahlung, das heißt Helium-Kerne oder Elektronen.

Materiewellen im Experiment

Dass nicht nur Licht, sondern auch Materie Welleneigenschaften hat, wie de Broglie behauptete und Schrödingers Wellenmechanik voraussetzte, blieb keine bloße Spekulation. Bereits 1927 wurde das in den USA spektakulär bestätigt: Clinton Davisson – zehn Jahre später dafür mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet – und Lester Germer wiesen nach, dass Elektronen genau wie Röntgenstrahlen gebeugt werden, wenn sie Nickel-Kristalle durchdringen. Das ist eine klare Wellen-Eigenschaft. Bald darauf, 1929 und 1933, erhielten auch de Broglie und Schrödinger für ihre Pionierleistungen Nobelpreis-Ehren.

Die Kehrseite der bahnbrechenden Erkenntnisse ist freilich, dass Licht und Materie ominöser erscheinen als jemals zuvor. Dem menschlichen Alltagsverstand sperrt sich der rätselhafte Welle-Teilchen-Dualismus bis heute hartnäckig. Auch Albert Einstein, der so intensiv über die Natur des Lichts nachgedacht hat wie kaum ein anderer, schrieb noch 1951 resigniert in einem Brief an seinen Freund Michele Besso: „Die ganzen 50 Jahre bewusster Grübelei haben mich der Antwort der Frage ‚Was sind Lichtquanten‘ nicht näher gebracht. Heute glaubt zwar jeder Lump, er wisse es, aber er täuscht sich …” ■

von Rüdiger Vaas

Unvermeidliche Unschärfe

Gemäß der von Werner Heisenberg entdeckten Unschärferelation lassen sich manche physikalischen Eigenschaften in der Quantenwelt nicht beliebig genau messen – und sind auch in der Natur nicht exakt festgelegt. Das gilt zum Beispiel für den Ort eines Teilchens und seine Geschwindigkeit, das heißt seinen Impuls, also das Produkt von Masse und Geschwindigkeit.

Harmonie oder Auslöschung

Beißt sich eine Schlange selbst in den Schwanz, so kann sie unentwegt im Kreis schwingen. Schnappt sie daneben, ist die „ Harmonie” gestört. Ähnlich ist es in der Wellenmechanik: Stehende Wellen sind stabil (links), während solche mit nichtharmonischen Frequenzen miteinander interferieren und sich dadurch auslöschen. Die Wellenmechanik erklärt die „klassischen Elektronenbahnen” um den Atomkern so: Nur solche Bahnen sind möglich, die einer bestimmten Wellenlänge entsprechen. Aus etwas Kontinuierlichem (Welle) wird damit etwas Diskretes (Bahn) – Physiker sprechen von „Quantisierung”.

Wahrnehmung und Wirklichkeit

Je nach Experiment erscheint Licht als Welle oder Teilchen. Und bei Elektronen oder Molekülen ist es ebenso. Was sie „ wirklich” sind – Welle, Teilchen oder etwas Drittes – lässt sich daher schwer sagen. Dieser ominöse Welle-Teilchen-Dualismus ist nicht nur eine Seltsamkeit der Quantenphysik, sondern wirft auch Fragen nach der Realität und deren Erkennbarkeit auf.

Quanten-Wissen Kompakt

· Bizarr, aber messbar: Licht und Materie haben sowohl die Eigenschaften von Teilchen als auch die von Wellen.

· Die Schrödinger-Gleichung beschreibt die Welt der Atome – und im Prinzip das ganze Universum. Mit dieser Psi-Funktion lässt sich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein Teilchen an welcher Stelle aufhält.

· Gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation sind Ort und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmt und messbar. Ebenso verhält es sich mit Energie und Zeit.

· Der radioaktive Zerfall beruht auf dem Quantentunneleffekt: Teilchen können sich kurzfristig Energie „borgen” und so eine Barriere überwinden, die in der klassischen Physik undurchdringlich ist.

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