Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

DER SCHATZ VON ULUBURUN

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

DER SCHATZ VON ULUBURUN
Vor 3300 Jahren sank vor der türkischen Südküste ein reich beladenes Handelsschiff – Pech für die Seeleute, aber eine Sternstunde für die Archäologen.

Abends gab’s Bier an Bord. Der ägyptische Handelsherr schob sein Trinkrohr in die Amphore und nuckelte genüsslich den vergorenen Körnersaft. Den trüben Bodensatz hielt ein Sieb im Saugrohr zurück. Um gesittet, also im Sitzen, genießen zu können, nutzte der Geschäftsreisende einen bleiernen „Strohhalm“ mit einem rechtwinkligen Knick – ganz so wie moderne Plastiktrinkröhrchen. Bier war im zweiten Jahrtausend vor Christus, neben Brot, Grundnahrungsmittel für Menschen und Götter in den Ländern rund ums östliche Mittelmeer. Schlürfen mit geknicktem Trinkrohr aber zeugte von Lebensart. Das Fragment eines solchen Utensils – zunächst nur ein elf Zentimeter langes, unscheinbares, völlig korrodiertes Bleibruchstück – begeistert die Archäologen. Geborgen wurde der Alltagsgegenstand aus einem antiken Wrack in 50 Meter Tiefe vor der türkischen Südküste bei Uluburun. An der felsigen Landzunge war das Schiff vor etwa 3300 Jahren havariert und gesunken.

Das „Schiff von Uluburun“ avancierte während seiner elfjährigen Bergung zum Kronzeugen für den internationalen Handel in der Spätbronzezeit. Denn der alte Trinkhalm war nur eine Petitesse unter den nassen Funden. Insgesamt bargen die Archäologen aus dem ehemals 15 Meter langen und 5 Meter breiten bronzezeitlichen Lastensegler: zehn Tonnen Kupfer und eine Tonne Zinn, Pistazienharz und mykenische Keramik, Bernstein und Öllampen, Elfenbein und Schwerter, Straußeneier und die Überreste von Öl und Oliven. Altmetall aus zerhacktem Gold- und Silberschmuck diente offenbar als Zahlungsmittel für unterwegs. Ein goldener Skarabäus trägt die Namenskartusche der Nofretete.

Eine Uralte Keksschachtel

Kobaltblaue und türkisfarbene Glasbarren gehörten damals zu den ganz großen Kostbarkeiten. Das Ebenholz kam aus Afrika, die Gewürze aus Mesopotamien. Nie zuvor haben Archäologen einen so reichhaltigen Unterwasserfund gemacht. Nach 22 500 Tauchgängen in elf Jahren ist das Wrack „ausgegraben“, die wissenschaftliche Auswertung dauert an. Ein türkischer Schwammtaucher hatte 1982 den Tipp gegeben. Er berichtete von einem „Metallkeks mit Ohren“, den er in 45 Meter Tiefe südöstlich vom Küstenort Kas gesehen hatte. Der Keks entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als „ Ochsenhautbarren“. In die Form gespannter Rinderhäute wurden die Metalle für Handel und Transport gegossen, wie zahllose zeichnerische und malerische Zeugnisse in Ägypten und Mesopotamien belegen.

Die beiden Unterwasser-Archäologen von der Texas A & M University George Bass und Cemal Pulak, der jetzige Leiter des Uluburun-Projekts, fanden nach dem einzelnen Stück eine ganze „ Keksschachtel“ auf dem Meeresgrund und holten mit ihrer systematischen Ausgrabung zum ersten Mal ein bronzezeitliches Handelsschiff ans wissenschaftliche Licht. Bis dahin kannte man den Seehandel des zweiten Jahrtausends vor Christus nur aus schriftlichen Quellen und den Grabmalereien in Ägypten. Nun konnten die Forscher die darin geschilderten Güter anfassen und analysieren. „Vor Uluburun hatte kein Archäologe jemals einen intakten Zinn- oder Glasbarren gesehen“, betont Cemal Pulak die Besonderheit. „Wir wussten nicht einmal, ob Zinn in Barren oder als Erz verhandelt wurde.“ Das Schiff von Uluburun war irgendwann in den Jahren zwischen 1332 und 1323 vor Christus in einem Sturm vor der türkischen Südküste gesunken. Mit dem einfachen Rahsegel konnte die Mannschaft nicht kreuzen, das Boot ohne Schwert und Kiel war mit seinem flachen Boden anfällig fürs Kentern.

Anzeige

Gier nach Luxus

Das besiegelte das Schicksal des Schiffes und bescherte der Archäologie eine Sternstunde. Die in langwierigen Tauchgängen geborgene Fracht war ein Querschnitt des Wichtigsten und Teuersten, was damals im östlichen Mittelmeer gehandelt wurde. Das Verhältnis zehn zu eins bei der Kupfer- und Zinnladung entspricht der perfekten Mischung für Bronze. Das afrikanische Ebenholz war nicht nur exotisch und deshalb prestigegeladen, sondern konnte nur von spezialisierten Handwerkern, etwa der mykenischen Paläste, verarbeitet werden. Farbiges Glas stand dem Gold an Wert nicht nach und wurde mit Edelmetall zu exzentrischen Schmuckstücken verarbeitet. Pistazienharz diente als Räucherstoff und Weinveredler. Ein Schminkkästchen aus Elfenbein hatte die Form einer Ente, unter deren ausschwenkbaren Flügeln sich die Schönheitsutensilien verbargen. Straußeneier, eins davon nach über 3000 Jahren noch intakt, und Elfenbein für Schmuck und Intarsienarbeiten befriedigten die Gier nach Luxus in den spätbronzezeitlichen Machtzentren: Wir sind wer! Man wusste sich darzustellen und hatte die Mittel dafür. Zur Überraschung der Ausgräber war der Frachtensegler kein griechisches Schiff. Die Mykener waren zu der Zeit zwar mit Booten mächtig, der Fernhandel aber befand sich offenbar in den Händen levantinischer Reeder. Irgendwo an der palästinensischen Küste wird denn auch der Ursprungshafen des Uluburun-Schiffs vermutet. In diesem Fall war es wohl keine Charterfahrt, sondern ein „Linienflug“ direkt zu einem Palast auf der Peloponnes. Die Kostbarkeit der Fracht, die Qualität der Beiladung und mykenische Waffen legen die Vermutung nahe, dass hier ein königliches Geschenk, eine fürstliche Bestellung, ein Brautpreis oder ähnliches von mindestens zwei mykenischen Edelleuten begleitet wurde. Die üblichen Routen des ostmediterranen Schiffsverkehrs wurden von privaten Hafen-Hoppern bedient, die Stückgut an den Küsten entlang transportierten.

Handwerker im Kreisverkehr

Es gibt auch Hinweise, dass Handwerker samt Material auf „ Werkstattschiffen“ unterwegs waren und vor Ort gewünschte Produkte fabrizierten. Sicher ist, dass der Seehandel in einem Kreisverkehr verlief: Die nahöstliche, kanaanäische Küste hinauf, westwärts über Zypern entlang der kleinasiatischen Südküste bis in die Südägäis und zur Peloponnes. Von dort über die offene See nach Kreta und direkt zurück nach Ägypten (siehe Karte links). Das östliche Mittelmeer zeichnete sich auch damals im Sommer durch relativ stabile Windverhältnisse aus, die solche Fahrten ermöglichten, dann aber ganz andere Rückrouten erforderten. Die Technik des „Gegen-den-Wind-Kreuzens“ beherrschten die damaligen Seefahrer noch nicht.

Zu Beginn des Warenaustauschs wurden schlicht Handelsstücke gegeneinander gesetzt, was mit zunehmender Variationsbreite der Waren schwierig wurde. Die Kaufleute suchten nach objektiven Kriterien für die Feststellung eines Wertes. „Der abstrakte Schritt zu einer Feststellung von Masseeinheiten mittels Gewichten wurde schon im dritten Jahrtausend vor Christus vollzogen“, schreibt Lorenz Rahmstorf. Diese „kognitive Leistung“ , so der Ur- und Frühgeschichtler an der Universität Mainz, habe ihren Ausgangspunkt in dem überbordenden Bedarf der syrischen Stadtstaaten an Rohstoffen gehabt. Er weist anhand neuer Funde und Bewertungen nach, dass ein vorderasiatisches metrisches System bereits in der Frühbronzezeit auch in der Ägäis und Griechenland etabliert war. Der ägäische Raum war somit bereits ab 2500 vor Christus voll „in den großen ostmediterranen Interaktionsraum“ eingegliedert.

schekel auf der Waage

Die Handelswelt – und damit das Ideenuniversum – erstreckte sich vor 4500 Jahren von der Peloponnes via Vorderen Orient bis an den Indus. Rahmstorf hat für seine Beweisführung Steinartefakte aus Troja und Stätten auf der Peloponnes als Gewichte bewertet und in die bestehenden Maßsysteme des dritten Jahrtausends vor Christus einklinken können. Denn es gab verschiedene Standards. Grundmaß war die Mine, die in Schekel unterteilt wurde. Eine Mine wiegt im Schnitt 470 Gramm. Da sie jedoch überall anders unterteilt wurde, entstanden abweichende Schekel-Einheiten: In Syrien ergaben 50 Schekel zu 9,4 Gramm eine Mine. Es konnten aber auch 60 Schekel zu 7,8 Gramm sein. In Anatolien lieferten 40 Schekel zu 11,75 Gramm eine Mine. Im Schiff von Uluburun wurden über 100 Gewichte mit einer Maßeinheit von 9,4 Gramm gefunden. Die anatolischen Messgrößen sind, laut Rahmstorf, noch nicht befriedigend einzuordnen, da es zu wenige exakt dokumentierte Stücke gebe. Funde im kilikischen Tarsus und schriftliche Quellen legen jedoch eine Übernahme des Maßsystems aus Syrien und Weiterleitung über Zentralanatolien in die Ägäis nahe. Dies wird gestärkt durch den Fund einer frühbronzezeitlichen Waage in Küllüoba im fernen Landesinneren.

Die Bedeutung des Seehandels im ausgehenden Bronzezeitalter hat das Schiff von Uluburun in schönster Weise belegt. Und das Bleiröhrchen mit dem Knick zeigt, dass die frühe Globalisierung nicht auf Staat und Wirtschaft beschränkt war, sondern auch Lebensstil und Privatsphäre des Einzelnen erreicht hatte. ■

Michael Zick

KOMPAKT

· In 22 500 Tauchgängen wurde der Schatz aus dem gesunkenen Schiff von Uluburun geborgen.

· Der Fund gibt Aufschluss über die Handelsbeziehungen in der Bronzezeit.

Ohne Titel

MICHAEL ZICK, langjähriger Redakteur für Archäologie bei bild der wissenschaft, liefert mit seinem Buch „Türkei – Wiege der Zivilisation“ die erste zusammenfassende Darstellung der Früh- und Vorgeschichte Anatoliens. Der Text ist ein Auszug aus dem Buch, das im März 2008 im Theiss-Verlag erscheint (Einführungspreis bis 31.12.08: € 32,–).

Reger Handel im vorderen orient

Der Austausch wertvoller Güter wie Gold und Gewürze funktionierte in der Bronzezeit auf dem See- und dem Landweg. Im Sommer waren die Windverhältnisse im östlichen Mittelmeer stabil und erlaubten meist ein sicheres Segeln im Kreisverkehr.

Ohne Titel

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Kie|fer|ge|lenk  〈n. 11; Anat.〉 gelenkige Verbindung der Kiefer am Schädel der Wirbeltiere u. des Menschen

Funk|tech|nik  〈f. 20; unz.; Sammelbegriff für〉 alle Maßnahmen u. Einrichtungen zur drahtlosen Übermittlung von Signalen

Nor|men|aus|schuss  〈m. 1u〉 Ausschuss zur Festlegung von Normen in Technik u. Wissenschaft, z. B. das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN)

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige