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tiefgefroren – neugeboren?

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tiefgefroren – neugeboren?
Forscher entschlüsseln immer mehr von der Erbinformation der archaischen Mammuts. Einige wollen sogar mit moderner Biologie die Ausgestorbenen wiederbeleben.

„JURASSIC PARK“ lässt grüßen. Japanische Reproduktionsbiologen und Genetiker verfolgen einen Plan, der mindestens so aberwitzig ist, wie er klingt. Es geht um ein Gehege voll geklonter – nein, nicht Dinos, aber ebenfalls längst ausgestorbener Wesen: Finanziert von einem spleenigen Unternehmer, wollen die Wissenschaftler Kazufumi Goto und Akira Iritani die Tiere für einen Eiszeit-Park („Pleistocene Park“) in Nordsibirien liefern. Das soll ein Freigelände sein, in dem sich Säbelzahntiger, Wollhaar-Nashörner und – was wäre schon eine Eiszeitlandschaft ohne sie – Wollhaar-Mammuts tummeln. Als Erstes haben die Japaner sich die Wiederauferstehung des Rüsseltiers vorgenommen. Goto ist Chefwissenschaftler des „Mammoth Creation Project“, sein Mitstreiter Iritani hauptberuflich Leiter der Abteilung Gentechnik an der Kinki-Universität in Osaka.

Immer wieder werden im Dauerfrostboden Nordsibiriens Mammutknochen entdeckt. Manchmal finden sich daran Gewebereste: Bindegewebe, Haut, ein Büschel Haare. Und alle paar Jahre kommt sogar ein fast komplettes mumifiziertes Tier ans Licht – zuletzt Mitte 2007, als ein Rentierhirte auf der Halbinsel Yamal das seit 37 000 Jahren tiefgefrorene Mammutkind „Lyuba“ entdeckte.

begehrt: eisgekühltes Mammut

Lyuba ist dem Augenschein nach in gutem Zustand, außer einem Stück Schwanz sowie den Fellhaaren ist das im Alter von sechs Monaten gestorbene Tier vollständig erhalten. Wenn solch ein Fund bekannt wird, schlägt die Stunde der Japaner: In einem gemieteten Kleinflugzeug hastet dann einer vom „Mammoth Creation Project“ in die sibirische Einöde, um die Mammutreste vor Ort in Augenschein zu nehmen und abtransportieren zu lassen, wenn es sich zu lohnen scheint. Denn mithilfe solcher Funde wollen Goto und Iritani ihr großes Ziel verwirklichen – auf einem von zwei alternativen Wegen. Weg Nummer eins beruht auf der Hoffnung, irgendwann ein gut erhaltenes männliches Tier anzutreffen, aus dessen Keimdrüsen sich Spermien mit unbeschädigter DNA in intakten Chromosomen entnehmen lassen. Mit dieser Spermien-Erbsubstanz wollen die Genetiker eine Asiatische Elefantenkuh durch Direktinjektion künstlich befruchten – Asiatische Elefanten sind die nächsten heute lebenden Verwandten des Mammuts. Ausschließlich Spermien-DNA mit einem X-Chromosom soll es freilich sein, damit im Erfolgsfall nach 87 Wochen Tragezeit ein weiblicher Elefanten-Mammut-Mischling zur Welt kommt. Dieser Mischling wird nach Erreichen der Geschlechtsreife ebenfalls mit Mammut-Spermien-DNA befruchtet, und so weiter. Schon innerhalb von 50 Jahren soll auf diese Weise ein 88-prozentiges Beinahe-Mammut zustande kommen.

Weg Nummer zwei: Wieder muss das Prinzip Hoffnung herhalten – diesmal für den Fund unzerstörter Chromosomen in Mammutgewebezellen, zum Beispiel in Bindegewebe. In diesem Fall würde Iritani – ein Spezialist für das Klonen von Säugetieren – eine Eizelle aus einer Asiatischen Elefantenkuh entkernen, dafür die Mammut-Erbsubstanz injizieren und die Eizelle danach durch elektrische Stimulation zur Teilung anregen. Sobald ein aus 8 oder 16 Zellen bestehender Embryo daraus geworden wäre, würde Iritani ihn in die Gebärmutter einer Elefantenkuh einpflanzen und das Baby von der Leihmutter austragen lassen.

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Das alles ist harter Tobak. Kazufumi Goto beteuert zwar: „Kein wissenschaftliches Faktum spricht gegen unseren Plan.“ Doch das kann Michael Hofreiter nicht unterschreiben. Der 34-jährige Genetiker, Leiter der Nachwuchsgruppe „Molekulare Ökologie“ am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig, moniert vor allem den Punkt „Erhaltungszustand“. Hofreiter ist ein ausgewiesener Experte für Jahrtausende alte DNA – speziell für die von Riesenfaultier, Höhlenbär und Mammut. Und er weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, wie Mammut-Erbsubstanz nach vielen Tausend Jahren Liegezeit im Boden auszusehen pflegt. „ Die DNA, die man mit Glück aus einer geschützten Stelle des Mammutskeletts extrahieren kann, beispielsweise aus einer Zahnwurzel, ist immer stark fragmentiert“, erklärt er. „Man findet winzige Stückchen mit einigen Dutzend bis einigen Hundert Basenpaaren. Die Chromosomen sind selbstverständlich total zerstört. Und wenn da jemand ernsthaft nach gefrorenen Spermien mit intakten Zellkernen und Chromosomen sucht, kann ich nur sagen: Das ist Unsinn!“

ANGRIFF AUF DIE MAMMUT-DNA

Die Rekonstruktion des Mammut-Genoms, an der auch Hofreiter und seine Kollegen arbeiten, ist Kunststück genug. Die gesamte Erbsubstanz des Rüsseltiers, erläutert der Max-Planck-Forscher, umfasst etwa drei Milliarden Basenpaare, dieselbe Größenordnung wie beim Menschen (ungefähr 3,5 Milliarden). „Findet man also das komplette Mammut-Genom in einer Probe vor, dann steht man vor einem Puzzle aus schätzungsweise fünf Millionen Teilen.“ Sie in der richtigen Reihenfolge zusammenzufügen, ist trotz des wachsenden Geräteparks der Genetiker eine teure, zeit- und kraftraubende Materialschlacht.

Und sie hat bereits begonnen: Ende 2005 rekonstruierte und sequenzierte eine US-amerikanisch-kanadische Arbeitsgruppe um den Genetiker Stephan C. Schuster und den Paläontologen Hendrik N. Poinar erstmals ein größeres Fragment der Mammut-DNA. Es ist 13 Millionen Basenpaare lang, rund 0,4 Prozent des gesamten Genoms. Die Wissenschaftler werden seitdem nicht müde zu betonen, die Wiederherstellung des kompletten Mammut-Zellkerngenoms sei technisch möglich und bloß eine Frage verfügbarer Forschungsmittel. Ebenfalls Ende 2005 meldeten auch die Leipziger in Sachen Mammut einen Erfolg: Eine Arbeitsgruppe des MPI-EVA um Michael Hofreiter und Svante Pääbo gab die vollständige Sequenzierung der 16 770 Basenpaare langen mitochondrialen DNA (mt-DNA) des Mammuts bekannt. Das sind separate ringförmige Erbsubstanzfäden außerhalb des Zellkerns. Sie befinden sich in den Mitochondrien – zylindrischen Einschlüssen („Organellen“) in Säugetierzellen, die für die Energieversorgung zuständig sind.

Im Juli 2006 rekonstruierte eine andere Arbeitsgruppe um Hofreiter aus einer Vielzahl kleiner Bruchstücke erstmals das Gen für den Melanocortin-1-Rezeptor des Mammuts, und dies gleich von mehreren Individuen. Der Vergleich mit der Erbsubstanz von heute lebenden Elefanten ergab: Neben Mammuts mit dunklem Fell haben auch Träger mit einer Mutation in besagtem Gen existiert, die heller behaart gewesen sein müssen – möglicherweise so flammend rot wie die Häupter von Bilderbuch-Iren. Im August 2007 schlug eine Gruppe um Michael Hofreiter, Nadin Rohland und Anna-Sapfo Malaspinas am Leipziger MPI-EVA erneut zu: Aus einem 50 000 Jahre alten Mastodon-Zahn, gefunden im Permafrostboden Alaskas, extrahierten und analysierten die Wissenschaftler die vollständige mt-DNA dieses nordamerikanischen Mammutvetters. Erst der Vergleich dieser Mastodon-mt-DNA mit der von Mammut, Afrikanischem und Asiatischem Elefanten machte etwas schon lange Gewünschtes möglich: die sichere Rekonstruktion des Stammbaums der Elefanten-Familie (siehe Kasten „Verblüffende Parallelen“) und den Platz des Wollhaar-Mammuts (Mammuthus primigenius) darin.

Angesichts der steigenden Flut an genetischer Information über das zottelige Rüsseltier ist abzusehen, dass eines nahen Tages das gesamte Genom des Wollhaar-Mammuts bekannt sein wird. Doch selbst dann wird den japanischen Elefantenkuhbesamern keiner die ersehnten 56 Mammut-Chromosomen basteln können: Auch wenn man die Sequenz, die Abfolge der Basenpaare, genau kennt – derartig lange DNA-Moleküle lassen sich in den Genetik-Labors nicht stabil herstellen. Sie gar zu Chromosomen zu verpacken, schafft kein Molekularbiologe auf diesem Planeten.

der einzige weg zum mammut

„Trotzdem wird es eine Möglichkeit zur Rückzüchtung des Mammuts geben“, sagt Hofreiter und beschreibt, sichtlich belustigt, wie das aussehen müsste – eine Ochsentour, auch wenn es dabei um Elefanten geht. „Die einzige theoretische Chance“, erklärt der Leipziger, „besteht darin, die DNA in Zellen vom Asiatischen Elefanten auf gentechnischem Weg in Mammut-DNA umzuwandeln. Das müsste allerdings schrittweise geschehen, Stück für Stück.“

Schritt Nummer eins: Man schneidet aus einem Chromosom des Asiatischen Elefanten ein DNA-Stück heraus und klebt dort das entsprechende Stück Mammut-DNA ein. Das Ergebnis bringt man in eine Eizelle, die man nach den ersten paar Zellteilungen in eine Elefantin einsetzt, in der Hoffnung auf einen lebenden Nachkommen. Den zieht man auf und entnimmt ihm – Schritt Nummer zwei – nach Eintritt der Geschlechtsreife seinerseits eine Zelle, in deren Erbsubstanz man ein weiteres Stück gegen Mammut-DNA austauscht. Und so weiter, und so weiter. „Die DNA des Mammuts und die des Asiatischen Elefanten unterscheiden sich an ungefähr 40 Millionen Stellen“, klärt Hofreiter auf und lächelt fröhlich. „ Für den gesamten Austausch bis zur – theoretischen – Produktion eines echten Wollhaar-Mammuts bräuchte man zirka 1000 Elefanten-Generationen.“ Und er macht nicht den Eindruck, dass er Lust hat, in dieses Projekt einzusteigen. ■

Thorwald Ewe

kompakt

· Stück für Stück rekonstruieren Genetiker die DNA des Wollhaar-Mammuts.

· Die japanischen Wissenschaftler Kazufumi Goto und Akira Iritani versuchen, aus Mammutfunden in Sibirien intaktes Zellmaterial zu isolieren. Es soll als Ausgangspunkt zur Rückzüchtung von „Beinahe-Mammuts“ dienen.

VERBLÜFFENDE PARALLELEN

Wann genau haben sich die Entwicklungslinien der diversen Arten im Stammbaum der Elephantidae voneinander getrennt? Diese Frage können bloß Genetiker beantworten. Doch die benötigen dafür mehr als nur die DNA von heute lebenden Elefanten und von ausgestorbenen Wollhaar-Mammuts. Unverzichtbar ist auch die Kenntnis von DNA einer sogenannten Fremdgruppe – von Verwandten, die sich noch früher abgespalten haben: Durch Zählen der Mutationen in ihr kann man die genetische Uhr des Stammbaums eichen.

Für die Elefanten kann das Mastodon als perfekte Fremdgruppe dienen, ein vor 10 000 Jahren ausgestorbener nordamerikanischer Elefant. Doch von dem gab es keine DNA-Daten – bis Michael Hofreiter und Nadin Rohland vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie und eine Kollegin aus Berkeley 2007 in einem fossilen Mastodon-Zahn aus Alaska fündig wurden. Jetzt ist der Elefanten-Stammbaum geklärt. Das Forscherteam findet auffäl- lige Parallelen in der „Speziation“, der Bildung neuer Arten, bei Elefanten und Menschen: In die Zeit vor sechs bis sieben Millionen Jahren – eine Epoche mit trockenem, kühlem Klima – fällt parallel sowohl die Aufspaltung der Linien von Mammut und Asiatischem Elefanten als auch die zwischen Schimpansen und Gorillas einerseits sowie den frühesten Vormenschen andererseits. Vor vier Millionen Jahren verzweigte sich die Linie des Afrikanischen Elefanten in Steppen- und Waldelefant – gleich- zeitig erschien die neue Vormenschenart der Australopithecinen (zu ihnen gehört das berühmte Individuum „Lucy“) auf der Bühne der Vormenschen.

Purer Zufall? Hofreiter vermutet: Großräumige klimatische Umschwünge führen zu Selektionsdruck – sie könnten bei vielen Lebewesen die Bildung neuer Arten gestartet haben.

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Die offizielle Website von Roland Emmerichs Spielfilm „10 000 BC“: www.10000bcmovie.com/

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Ein fundierter Museumskatalog: Ulrich Joger, Claudia Kamcke (Hrsg.) MAMMUT Elefanten der Eiszeit Cargo, Schwülper 2005, € 14,80

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