Gerhard Litscher ist Experte für biomedizinische Technik. Seine Welt sind Sensoren und Messgeräte, die feinste Veränderungen der Körperfunktionen erfassen. 1997 hatte sein Team an der Universitätsklinik in Graz ein Sensor-System entwickelt, mit dem sich die Hirnfunktion von Koma-Patienten genau analysieren lässt. „Dann hatte ein Kollege, der sich mit Akupunktur auskennt, plötzlich die Idee, dass sich mit dem System möglicherweise Effekte einer Akupunktur nachweisen lassen”, beschreibt Prof. Litscher den Beginn einer fruchtbaren Symbiose aus modernster High-tech-Medizin und traditioneller fernöstlicher Heilkunst. Die Grazer Untersuchungen legen nahe, dass ein möglicher Effekt der Akupunktur mit einer Veränderung der Hirndurchblutung einhergeht. Diese Ergebnisse konnte Litscher in vielen Versuchen reproduzieren.
Akupunktur-Therapeuten gehen davon aus, dass sie an den Akupunkturpunkten die Lebensenergie „Qi” beeinflussen können, die in speziellen „Leitbahnen” (Meridianen) durch den Körper flutet. Obwohl weder die Meridiane noch das Qi bekannten anatomischen Strukturen oder biochemischen Prozessen entsprechen, sind die positiven Effekte der Akupunktur, beispielsweise in der Schmerztherapie, mittlerweile von vielen Medizinern anerkannt. Unklar ist allerdings, worauf die Wirkung der Nadeltechnik beruht. Bisher galt vor allem die Freisetzung körpereigener Schmerzmittel, der Endorphine, als eine mögliche Erklärung. Die Grazer Forschungen liefern nun einen neuen Aspekt. Die an der Universitätsklinik dort entwickelten „Messhelme” haben computergestützte Sensoren, die mit Licht, Ultraschall und bioelektrischen Messverfahren arbeiten. So lässt sich unter anderem die Blutflussgeschwindigkeit in verschiedenen Hirnarealen gleichzeitig messen.
Mit einem Plastikband befestigt der Arzt zunächst den Messkomplex am Kopf des Probanden, der sich dadurch nicht eingeengt oder behindert fühlt. Das ist wichtig für die Analyse der Akupunktur, die in einer entspannenden Umgebung ablaufen sollte. Litscher und sein Team entdeckten, dass eine Behandlung von Akupunkturpunkten an Händen und Füßen, die nach traditionellen Vorstellungen die Sehkraft unterstützen soll, tatsächlich die Durchblutung – und damit die Sauerstoffversorgung – der Augenarterien steigert. Wurden denselben Probanden die Nadeln an anderen Stellen eingestochen, zeigte sich keinerlei Änderung der Augendurchblutung. Der Grazer Forscher interpretiert seine Ergebnisse vorsichtig: „Wir haben nicht gezeigt, wie Akupunktur funktioniert. Uns ist es lediglich gelungen, reproduzierbare Antworten des Gehirns auf die Stimulation mit Akupunkturnadeln sichtbar zu machen.” Derzeit testen die Grazer Ärzte noch, auf welche traditionellen Akupunktur-Schemata der Körper am stärksten reagiert.
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LEsenGerhard Litscher HIGH-TECH AKUPUNKTURPabst Science Publishers 2001 DM 50,–KonTaktProf. Dr. Gerhard LitscherBiomedizinische TechnikUniversitätsklinik für Anästhesiologie und IntensivmedizinAuenbruggerplatz 29A-8036 GrazTel. 0043 / 316 / 385-3907
Ulrich Fricke