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Der alltägliche Heizungswahn

Allgemein

Der alltägliche Heizungswahn
Wer friert, dreht die Heizung auf. Was vielen als selbstverständlich erscheint, empfindet der Essener Naturphilosoph Prof. Klaus Michael Meyer-Abich als Bedrohung für die Erde.

Nicht frieren zu müssen, ist eine wesentliche Errungenschaft unserer Kultur. Feuer machen, gezielt seine Kraft für unser Wohlbefinden nutzen, ist selbstverständlich. Gezähmt aber hatten unsere Vorfahren die Flammen schon einmal wesentlich besser als wir. „Des Feuers Macht“ ist nämlich nur dann gezähmt, wenn es unsere Bedürfnisse wohltätig erfüllt und keinen Schaden anrichtet. Davon sind wir heute weiter entfernt als vor 200 Jahren. Damals brannte das eigene Haus ab, wenn man mit Feuer nicht vorsichtig genug umging. Der Schaden war unmittelbar zu erkennen. Die Schäden, die wir jetzt anrichten, werden weitgehend erst in der Zukunft eintreten.

Unser Wohlstand hat generell den Preis, daß wir zu Lasten der Dritten Welt, der natürlichen Mitwelt und der Nachwelt leben. Der Dritten Welt schaden wir vor allem durch die absehbare Klima-änderung, die die armen Länder des Südens deutlich mehr benachteiligen wird: Ein Viertel der Menschheit – die Bevölkerung der Industrieländer – ist dafür zu drei Vierteln verantwortlich; durch den Energieverbrauch beim Autoverkehr und beim Heizen.

Der natürlichen Mitwelt schaden wir durch die Umweltvergiftung und durch das Artensterben. Für beides ist unser Energieverbrauch verantwortlich, der zu etwa 40 Prozent auf das Heizkonto geht. Dies alles wäre nicht nötig, ist allerdings bei den niedrigen Energiepreisen nur schwer zu verhindern. Sie bestimmen, ob es sich lohnt, über einen möglichst sorgfältigen und intelligenten Einsatz von Energie nachzudenken.

Da mit der Energie um so klüger und sparsamer umgegangen wird, je mehr sie kostet, brauchen höhere Preise im übrigen nicht mit erhöhten Kosten verbunden zu sein. Die meisten Menschen meinen, sie hätten es warm durch ihre Heizanlage. Das ist ein Irrtum: Energietechnisch gesehen ist ein Haus selbst bereits eine Einrichtung zum Ausgleich von Temperaturschwankungen, vor allem zwischen Tag und Nacht, aber auch zwischen Sommer und Winter. Eine Heizung wird in Wahrheit also nur dort gebraucht, wo die Bauweise des Hauses keine Temperaturverhältnisse herstellt, bei denen man nicht friert.

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Die Heizung ist also nur eine Zusatzheizung. Ihre Dimensionierung hängt davon ab, wie klug ein Haus gebaut ist. So lassen Südfenster mehr Energie herein als sie abgeben. Dieser Effekt kann durch beschichtete Scheiben verstärkt werden. Weiterhin kommt es darauf an, ob die Wände thermisch isoliert sind. Sind all diese Aspekte berücksichtigt, reichen für eine Wohnung 10 bis 20 Prozent des zusätzlichen Wärmeenergiebedarfs. Diese Sichtweise ist nicht nur energiewirtschaftlich vernünftiger als das rein heizungstechnische Denken, sondern verbindet sich mit einem neuen Naturgefühl: Richtig ansässig ist man erst, wenn ein Haus so in seine Umgebung eingebettet ist, wie es der Landschaft, der städtischen Umgebung, der Topographie des Geländes, den Himmelsrichtungen oder den Wasserverhältnissen entspricht.

Zur Behebung der Einbettungsmängel wird in Deutschland ein Drittel des Energiehaushalts verschwendet. Doch auch in Indien wird dafür bis zu einem Viertel aufgewandt – für den Betrieb von Klimaanlagen in wärmetechnisch miserabel gebauten modernen Häusern. Häuser traditioneller Bauweise sind dagegen meist dem Klima angepaßt. Wenn man sie richtig bewohnt, bedarf es oft nicht einmal in den Tropen einer Klimaanlage.

In der Schule lernen wir, unsere Vorfahren seien vor 6000 bis 8000 Jahren seßhaft geworden. Wären wir damals tatsächlich seßhaft geworden, so wären wir da, wo wir wohnen, wirklich ansässig und würden nicht ein Vielfaches der erforderlichen Energie verheizen und dadurch die Lebensbedingungen der natürlichen Mitwelt und der Dritten Welt zerstören. Tatsächlich waren wir früher schon weiter als heute. Das Verhalten der urtümlichen Nomaden war ein Muster für dauerhafte Wirtschaft. Sie ließen – verkürzt gesagt – ihre abgenagten Knochen liegen und zogen weiter, wenn ihr Vieh alles kahlgefressen hatte. Das Gras wuchs nach, und die Knochen waren unschädlich. Was die Industriegesellschaften hinter sich werfen, ist weder unschädlich noch leicht zu beseitigen. Der Spruch „Steinzeit – Nein, danke!“ mit dem Atomenergiefreunde für ihr Weltbild werben wollten, hat einen ungewollten Hintersinn: Eigentlich ist er die Absage an die Seßhaftigkeit. Wenn überall beliebig viel Energie billig zu haben wäre, brauchten wir uns mit Ansässigkeit im Naturzusammenhang keine Mühe zu geben. Der scheinbar so dümmliche Aufkleber war also klüger als mancher, der sich seiner bedient hat.

Klaus Michael Meyer-Abich

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