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NEUE STARS AM HIRNFORSCHERHIMMEL

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NEUE STARS AM HIRNFORSCHERHIMMEL
Seit dem 19. Jahrhundert hielt man sie für reinen Nervenkitt – die Gliazellen im Gehirn. Jetzt wird Forschern klar: Der Kitt denkt mit!

Als Thomas Harvey am 18. April 1955 in den Obduktionsraum des Krankenhauses von Princeton kommt, wartet auf ihn eine Leiche. Pathologenalltag. Nur ist es heute keine gewöhnliche Leiche. Vor ihm liegt Albert Einstein. Um 1.15 Uhr ist der Nobelpreisträger und Begründer der Relativitätstheorie verstorben. Einsteins letztem Willen entsprechend wird sein Körper noch am Todestag eingeäschert. Ein entscheidender Teil aber fehlt: das Gehirn. Thomas Harvey hat es entnommen und konserviert, zunächst heimlich, ohne Genehmigung. Als die Familie nachträglich ihr Einverständnis gibt, wiegt und fotografiert Harvey das prominente Denkorgan. Dann schneidet er es in 240 Würfelchen. Sie sollen von den Größen der Neuropathologie untersucht werden, um die biologischen Wurzeln von Albert Einsteins Genialität zu entschlüsseln.

Doch die Sache gerät in Vergessenheit. Bis 22 Jahre später, im Jahr 1978, das Wissenschaftsmagazin Science ein Interview mit Thomas Harvey druckt. Daneben ein Foto, das zeigt, was aus den Überresten von Einsteins Gehirn geworden ist: Sie schwimmen in einem Gefäß mit Formaldehyd. Harvey hat es in eine Schachtel gepackt, die er in einem Bierkühler in seinem Büro lagert. Marian C. Diamond liest die Geschichte, sie geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Alle paar Monate ruft die Neuroanatomin von der University of California den mittlerweile in Weston, Missouri, lebenden Thomas Harvey an. Nach fast drei Jahren erfüllt er endlich ihren Wunsch: Harvey schickt vier zuckerwürfelgroße Hirnschnitte nach Berkeley. Diamond legt sie unters Mikroskop. Sie ist enttäuscht: keinerlei Auffälligkeiten bezüglich Zahl und Größe der Neuronen. Dafür entdeckt die Forscherin in Einsteins assoziativem Kortex, der für höhere Denkprozesse zuständigen Region, ungewöhnlich viele sogenannte Gliazellen – signifikant mehr als im Gehirn eines Durchschnitts-Alberts zu erwarten wären.

DIE AMMEN EMANZIPIEREN SICH

Als Marian Diamond ihr Ergebnis 1985 veröffentlichte, übrigens gemeinsam mit Hirndieb Thomas Harvey, war damit kaum Staat zu machen. Obwohl der Zelltyp Glia mindestens zehnmal so häufig ist wie die Nervenzellen, galt er als vergleichsweise unwichtig und dementsprechend uninteressant. Schuld daran ist nicht zuletzt Rudolf Virchow. Der deutsche Mediziner hat den vom griechischen Wort „glia“ (Leim) abgeleiteten Begriff der Neuroglia geprägt. Damit schrieb er den Zellen bewusst eine sehr schlichte Funktion zu: Sie sollten nichts als Nervenkitt sein, der die Neuronen zusammenhält und mit Nährstoffen versorgt. Das war im 19. Jahrhundert. Zwar hat man inzwischen erkannt, dass die Mikroglia (siehe „Gut zu wissen: Gliazellen“) für die Immunabwehr arbeitet. Und dass die ebenfalls zu den Gliazellen gehörenden Oligodendrozyten isolierende Myelinhüllen um die Neuronenfortsätze bilden und so eine schnellere Erregungsleitung ermöglichen. Doch an Virchows Verdikt über die Glia als Ammen für die Nervenzellen änderte sich jahrzehntelang nichts.

SCHLÜSSELROLLE BEI ALZHEIMER

Doch jetzt ist es so weit. „Unser Bild hat sich drastisch gewandelt“, sagt Christian Steinhäuser, Leiter des Instituts für Zelluläre Neurowissenschaften an der Universität Bonn. „ Gliazellen sind keineswegs nur Statisten im Gehirn, sondern ganz zentrale Akteure.“ Immer klarer wird, dass die Glia bei verschiedenen Erkrankungen des Nervensystems eine Schlüsselrolle spielt – von neuropathischen Schmerzen über Epilepsie bis hin zu Alzheimer. Selbst zu psychiatrischen Störungen wie Phobien, Schizophrenie und Depressionen scheint sie beizutragen. Das allein erweckt reichlich Forschungsinteresse: Mediziner versprechen sich neue therapeutische Ansatzpunkte für diese weitverbreiteten Leiden. Darüber ist aber auch ein Dogma ins Wanken geraten. Nämlich dass unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln ausschließlich von den rund 100 Milliarden Neuronen in unserem Gehirn gelenkt wird.

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Inzwischen gibt es kaum noch Zweifel, dass die Gliazellen am Informationsaustausch nicht nur beteiligt sind, sondern sogar die Rolle des Dirigenten im Nervenzell-orchester übernehmen – auch bei so wichtigen höheren Hirnfunktionen wie Lernen und Erinnern. Die neuronenfixierten Modellvorstellungen zur Funktionsweise des Gehirns lassen sich nicht mehr aufrechterhalten, sagt Christian Steinhäuser. „Wir müssen ein Konzept der Informationsverarbeitung entwickeln, das die Gliazellen miteinbezieht – im kranken und im gesunden Nervensystem.“

BLICK INS LEBENDE GEHIRN

Auch Steinhäuser hatte sich zu Beginn seines Forscherlebens nur für die Nervenzellen interessiert. Bis er Anfang der 1990er- Jahre entdeckte, dass sich in der Membran von Astrozyten, dem dritten Gliazell-Subtyp, Ionenkanäle finden. Es sind dieselben Ionenkanäle, die die Neuronen dazu befähigen, Aktionspotenziale abzufeuern. Ein Wendepunkt, nicht nur in seiner Karriere. „ Plötzlich fanden viele Neurowissenschaftler, die bis dato nur an Nervenzellen geforscht hatten, den Kitt spannend“, erinnert sich der 52-Jährige. Befeuert wurde der Boom durch neue elektrophysiologische Methoden, mit denen sich die Glia nicht länger nur in Zellkulturen untersuchen ließ, sondern in frischen Hirnschnitten.

Heute ist man noch ein entscheidendes Stück weiter. Die sogenannte Zwei-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie erlaubt es, Blicke ins lebende Gehirn zu werfen. Während klassische Lichtmikroskopie-Techniken praktisch nicht ins Hirngewebe eindringen, liefert das am Heidelberger Max-Planck-Institut für medizinische Forschung maßgeblich mit entwickelte Verfahren hochauflösende Bilder aus bis zu einem Millimeter Tiefe. Nicht gerade viel im Verhältnis zum gesamten Denkorgan, aber genug, um in den Kortex zu sehen. Dort finden sich neben Neuronen auch alle Gliazelltypen.

„Mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie kann man die Aktivität der Zellen im intakten Gehirn beobachten“, erklärt Fritjof Helmchen, Neurophysiologe an der Uni Zürich. Live betrachtet hat der damals noch am MPI in Heidelberg arbeitende Forscher die mit einem Anteil von 80 Prozent häufigste Gliazellklasse: die Astrozyten. Ihr Name leitet sich vom typischerweise sternförmigen Äußeren her. Helmchen interessierte sich allerdings mehr für ihre inneren Werte, genauer: für den intrazellulären Kalziumspiegel. Kalzium gilt als das vielleicht wichtigste Signalmolekül im Innern von Zellen. Sein Spiegel erhöht sich, wenn bestimmte Botenstoffe an Rezeptoren auf der Zelloberfläche andocken.

In der Zwei-Photonen-Mikroskopie lassen sich solche Änderungen mit kalziumsensitiven Farbstoffen sichtbar machen. Helmchens Team betrachtete nicht nur eine einzelne Gliazelle, sondern gleich einen ganzen Verband. „Wir konnten sehen, dass es im Astrozyten-Netzwerk zu langsamen Oszillationen der intrazellulären Kalziumkonzentrationen kommt“, berichtet er.

LA-OLA-WELLE DER ZELLEN

Ähnlich der berühmten La-Ola-Welle im Fußballstadion breiten sich die Schwankungen von Zelle zu Zelle aus. Auch wenn die Kalziumwellen sich im Vergleich mit den Nervenimpulsen schneckengleich bewegen – die Erkenntnis bleibt: Astrozyten kommunizieren miteinander. „Nur benutzen sie dazu eben keine elektrischen Signale, sondern biochemische“, sagt Helmchen. Der Nervenkitt „spricht“ aber keineswegs nur mit seinesgleichen. Bereits 1994 fanden mehrere Forschergruppen fast gleichzeitig Hinweise, dass die Gliazellen sich auch direkt an ihre angeblich so dominanten Verwandten, die Neuronen, wenden. So konnte ein Team um Phil Haydon von der University of Pennsylvania zeigen, dass Astrozyten als Antwort auf einen Kalziumeinstrom Glutamat ausschütten. Glutamat ist nicht irgendein Botenstoff, sondern der wichtigste erregende Neurotransmitter im Gehirn. Damit stand fest, dass sich die Astrozyten einer Sprache bedienen, die den Neuronen geläufig ist. Der Kreis schloss sich, als man entdeckte, dass die Kommunikation in beide Richtungen läuft: Christian Steinhäusers Team fand heraus, dass es Astrozyten mit Glutamat-Rezeptoren gibt.

Virchow hätte es sich bestimmt nicht träumen lassen, aber wegen seines „Nervenleims“ muss sogar das Wissen über Synapsen umgeschrieben werden. Bisher hieß es: Aktionspotenziale wandern über die Nervenfaser zum Synapsen-Endknöpfchen und triggern dort die die Freisetzung von chemischen Botenstoffen (Transmittern). Diese diffundieren über den synaptischen Spalt zum benachbarten Neuron und docken dort an ihre Rezeptoren an. Auf diese Weise wird das Nervensignal von einem Neuron zum anderen übertragen, wie der Stab in einer Läuferstaffel.

So steht es in den Lehrbüchern. Doch in der Hirnforscherszene setzt sich immer mehr das Bild einer dreiteiligen Synapse durch (siehe Grafik vorige Seite), mit den Astrozyten als essenziellem Bestandteil. „Sie hören den Neuronen nicht nur zu“, sagt Phil Haydon. „Sie sprechen auch mit den Neuronen und erteilen ihnen Anweisungen.“ In drei bis fünf Jahren, erwartet der Hirnforscher, „werden wir in der Lage sein zu verstehen, was dieses Zuhören und Sprechen durch die Astrozyten bedeutet. Hinweise gibt es bereits. So führt die Freisetzung von Glutamat aus Astrozyten im Hippocampus, einer bei Gedächtnisprozessen zentralen Hirnregion, zu einer Art Gleichschaltung der neuronalen Aktivität. Unkoordiniert feuernde Nervenzellen geben dann für einen gewissen Zeitraum synchron Impulse ab. Christian Steinhäuser verweist darauf, dass Hippocampus-Astrozyten eine riesige Zahl fein verzweigter Fortsätze besitzen, die die Kontaktstellen zwischen den Neuronen umhüllen. Eine einzige dieser Gliazellen kann bis zu 140 000 Synapsen beeinflussen. „Wer sich dieses Schaltbild vor Augen hält, merkt schnell, dass das die idealen Voraussetzungen sind, um Synchronität zu triggern“, sagt Steinhäuser.

SCHAFFT GLIA BEWUSSTSEIN?

Er spricht damit eines der momentan heißesten Themen in der Neurowissenschaft an. Denn die Synchronisierung von Nervenzellverbänden gilt nicht nur als das neurophysiologische Gegenstück kognitiver Leistungen wie Lernvermögen und Merkfähigkeit. Auch das so rätselhafte und schwer zu fassende menschliche Bewusstsein wird damit erklärt. Angenommen, jemand sitzt im Restaurant und trinkt einen Kaffee. Seine Augen sehen die weiße Tasse, seine Finger fühlen die glatte Oberfläche, seine Nase riecht das verführerische Aroma, seine Zunge registriert den typischen bitteren Geschmack. All diese Sinnesempfindungen werden in unterschiedlichen Bereichen des Denkorgans verarbeitet.

Damit der Gesamteindruck entsteht, den wir beim Kaffeetrinken haben, müssen diese Einzelteile aber irgendwie zusammengeführt werden, inklusive der Erinnerungen und Gefühle, die der Kaffeegenuss weckt. Experimente zeigen, dass die Nervenzellnetze in den beteiligten Hirngebieten sich dabei synchronisieren. Aber wie schafft es das Gehirn, dass weit verstreute Areale, die nicht über direkte Neuronenverbindungen miteinander verschaltet sind, plötzlich das Gleiche tun? Mithilfe des Gliazellnetzes. Douglas R. Fields erklärt das mit einem Bild: Neuronen vergleicht der Neurowissenschaftler von den National Institutes of Health in Bethesda (Maryland) mit Telefonen, deren Kommunikation über feste Leitungen läuft. Astrozyten hingegen seien wie Handys, die ihre Informationen in den Raum senden, wo sie von anderen Teilnehmern empfangen werden. „Wenn Signale weiträumig durch Astrozyten-Schaltkreise reisen können“, so Fields, „dann könnte die Glia an einem Ort die Glia an einer weiter entfernten Stelle dazu anregen, das Feuern von neuronalen Netzwerken zu koordinieren – und zwar quer durch alle Regionen des Gehirns.“

Angesichts ihrer Macht über das Neuronenorchester liegt es fast auf der Hand, dass die Gliazellen mit einer Erkrankung etwas zu tun haben könnten, bei der die Signalübertragung außer Kontrolle gerät: der Epilepsie. Allein in Deutschland sind mehr als eine halbe Million Menschen betroffen. Epileptische Anfälle entstehen, weil die Nervenzellen eines Hirnbereichs urplötzlich synchron und übermäßig stark feuern. Zwar fahnden Wissenschaftler rund um den Globus intensiv nach den Ursachen der Erkrankung, doch die exakten Mechanismen liegen bis heute im Dunkeln. Christian Steinhäuser meint, den Grund zu kennen: „Trotz äußerst bescheidener Fortschritte in den letzten Jahren beschäftigt sich die Epilepsieforschung nach wie vor fast ausschließlich mit den Nervenzellen.“ Einen neuen Anlauf nehmen und die Gliazellen genauer studieren, lautet sein Appell an die Kollegen. In Bonn wurden dazu gerade die Voraussetzungen geschaffen. Steinhäusers Institut koordiniert seit Anfang des Jahres ein mit drei Millionen Euro dotiertes europäisches Verbundprojekt, das die Rolle des Nervenkitts bei verschiedenen Krankheiten des Gehirns untersuchen soll. Im Brennpunkt steht dabei die Ammonshornsklerose, eine besonders häufige Form der Schläfenlappen-Epilepsie.

Auch bei anderen Erkrankungen rückt der Nervenkitt zunehmend ins Zentrum. So fand ein Team um Grazyana Rajkowska von der University of Mississippi bei Untersuchungen verstorbener Depressionspatienten eine auffällig geringe Zahl von Astrozyten – und zwar in Regionen des Frontalhirns, die für Wahrnehmung, Stimmung und Motivation wichtig sind. Besonders niedrig war die Astrozytenzahl bei Depressiven, die in jungen Jahren starben – meist durch Selbstmord. „Ich glaube, dass alles mit einer Pathologie der Gliazellen anfängt“, sagt Rajkowska. Immer mehr Neurowissenschaftler denken in diese Richtung. „Wir fangen an zu verstehen, dass wir darauf achten müssen, was die Glia tut – nicht nur im Normalfall, sondern auch bei pathologischen Zuständen“, meint etwa Ben Barres, der an der Stanford University die Interaktion zwischen Gliazellen und Neuronen untersucht.

GLIAREICHE INTELLIGENZBESTIEN

Dass sie für Überraschungen immer gut sind, haben die angeblichen Dienstmädchen der Nervenzellen in den letzten Jahren bewiesen (siehe auch den anschließenden Beitrag „Magdalena Götz: Die Entdeckerin“). Die Astrozyten könnten gar zu den neuen Stars am Hirnforscherhimmel aufsteigen, sollte sich bestätigen, was Phil Haydon jetzt experimentell prüfen will. Der Gliazell-Spezialist aus Pennsylvania gehört zu einer wachsenden Schar von Experten, die meinen, dass die sternförmigen Zellen über Intelligenz und geistige Leistungsfähigkeit entscheiden. Fest steht: Je höher entwickelt ein Lebewesen ist, desto mehr Astrozyten kommen auf eine Nervenzelle. Bei Würmern liegt das Verhältnis bei 0,17 zu 1, bei Fröschen bei 0,5 zu 1, bei Katzen bei 1 zu 1. In der Großhirnrinde des Durchschnittsmenschen beträgt der Astrozyten-Neuronen-Index 2, in Einsteins Superhirn ist er – wie man seit Marian Diamonds Untersuchungen Mitte der 1980er weiß – noch ein gutes Stück höher. Sollte sich die Astrozyten-Konzentration tatsächlich als der Faktor entpuppen, der bestimmte Exemplare unserer Spezies zu Genies macht, würde das allerdings auch bedeuten, dass die schlauesten Bewohner der Erde sich in den Ozeanen tummeln: die Delfine. In deren Großhirn kommen auf eine Nervenzelle gleich drei Astrozyten. ■

ULRICH KRAFT, Wissenschaftsjournalist in Berlin, hat ein Faible für Außenseiter. Auch deshalb verfolgt er gespannt die Gliazellforschung.

von Ulrich Kraft

GUT ZU WISSEN: GLIAZELLEN

Obwohl sie im menschlichen Gehirn häufiger vorkommen als die gut erforschten Nervenzellen, die Neuronen, sind die Gliazellen nahezu unbekannte Wesen. Doch ein paar Dinge weiß man über sie. Es gibt drei Typen:

· Der erste Gliazelltyp ist mit Immunzellen verwandt und hat auch ähnliche Aufgaben. Heidelberger Forscher haben beobachtet, dass diese Mikrogliazellen als „aktive Wächter“ überall dort eingreifen, wo etwas schief geht: Kleine Blutungen werden abgedichtet, abgestorbenes Zellmaterial wird aufgesogen, verdaut und schließlich abtransportiert.

· Die Oligodendrozyten, der zweite Typ, bilden das Myelin: Wie eine Kabelhülle isolieren sie die langen Nervenfasern, die Axonen. Mehr noch: Nach neuesten Erkenntnissen halten sie die Nervenzellen sogar am Leben.

· Die dritte Gruppe der Gliazellen sind die Astrozyten. Einige davon sind den Neuronen ähnlich, manche können sich sogar in Nervenzellen verwandeln (siehe Beitrag „Magdalena Götz: Die Entdeckerin“) – ein Ansatz für die Therapie degenerativer Hirnerkrankungen wie Alzheimer. Deutsche Wissenschaftler haben nun festgestellt, dass Astrozyten miteinander kommunizieren – nicht elektrisch wie die Neuronen, sondern biochemisch: durch Schwankungen der Kalziumkonzentration.

KOMPAKT

· Astrozyten, ein Subtyp der Glia, bilden ein Kommunikationsnetz quer durchs menschliche Gehirn.

· Dieses Netz hilft vermutlich dabei, komplexe Sinneseindrücke bewusst zu machen.

· Der Hirnforscher Phil Haydon hat die These aufgestellt: Je mehr Astrozyten ein Tier hat, desto intelligenter ist es.

DIE DREITEILIGE SYNAPSE

Eine Synapse besteht nach klassischer Vorstellung nur aus zwei Teilen: dem präsynaptischen Neuron 1 (oben) und dem postsynaptischen Neuron 2 (unten). Über den synaptischen Spalt dazwischen werden Botenstoffe (Neurotransmitter) weitergegeben, die spezialisierte Rezeptoren auffangen. Seit Kurzem ist klar, dass Astrozyten als dritter Teil diesen Informationsaustausch modulieren: Als Botenstoffe schütten sie unter anderem D-Serin (grün) und Glutamat (rot) aus. Glutamat wirkt auf beide Neuronen und verstärkt das Signal. D-Serin reguliert die Plastizität der Synapse, was für Lernprozesse wichtig ist.

GLIA SIEHT SCHARF

Die neuen Stars im Gehirn werden auch am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) erforscht. James Schummers und zwei seiner Kollegen beobachteten dort mithilfe des Zwei-Photonen-Mikroskops live, wie sich Astrozyten in der Sehrinde eines Frettchens verhalten, wenn die kleinen Raubtiere bestimmten optischen Reizen ausgesetzt sind – etwa waagerechten und senkrechten Streifen. Das Forscher-Trio stellte fest, dass die Astrozyten nur auf ganz spezifische Reize mit einem Kalzium-signal reagieren – genau wie die mit ihnen verbundenen Neuronen, aber präziser als diese. Außerdem scheinen die Astrozyten dafür verantwortlich zu sein, dass die entsprechende Hirnregion besser durchblutet wird, wenn sie arbeiten muss. Die sternförmigen Gliazellen geben den Blutgefäßen entsprechende Signale. Die Schummers-Studie, die im Juni im Magazin Science erschien, hat Konsequenzen für die Aussagekraft der funktionellen Kernspintomographie. Bisher glaubte man damit die neuronale Aktivität im Gehirn zu messen. Jetzt ist klar, dass der Einfluss der Glia mindestens ebenso bedeutsam ist. JR

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