Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Das Nasca-Rätsel – unlösbar?

Allgemein

Das Nasca-Rätsel – unlösbar?
Neue wissenschaftliche Attacke auf die peruanischen Bodenzeichnungen. Ein deutscher Archäologe kommt den Herren der Linien näher, und ein amerikanischer Geologe hat eine neue Theorie über den Zweck der Scharrbilder.

Sie haben nicht einmal einen richtigen Namen – selbst Wissenschaftler reden nur von den Nasca-Leuten. Aber alle Welt kennt die Nasca-Linien. Das Wissen über die Menschen ist so gering wie die Bodengravuren gigantisch sind. Markus Reindel ist jetzt angetreten, das Geheimnis um die Bodenzeichnungen (Geoglyphen) in der südperuanischen Pampa zu lösen. Vor allem will der Archäologe von der Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie (KAVA) wissen: Wer waren die Macher der Linien? Er hat, so scheint es, nach einer ersten Grabungskampagne ein Ende des Ariadnefadens in der Hand. Einige strittige Lehrbuch-Weisheiten kann er bereits zurechtrücken: Die Linien sind tatsächlich in der Nasca-Zeit (200 v. Chr. bis 600 n. Chr.) entstanden. Die Nasca-Leute sind nicht eingewandert, sondern fußten auf einer örtlichen Vorgängerkultur. Und: Für die gigantomanischen Scharrbilder gab es ältere Vorbilder. Bislang konzentrierten sich alle Forscher, Abenteurer und Spinner auf die Bodengravuren in der Hochebene von Nasca. Die sind spektakulär, ein regionaler Wirtschaftsfaktor ersten Ranges und wurden in den Rang eines Weltkulturerbes erhoben. Reindel wählte einen anderen Ansatzpunkt: „Wenn wir die Bodenzeichnungen entschlüsseln wollen, müssen wir die Menschen finden, die sie schufen.“ Er suchte sich deshalb mit deutscher Archäologengründlichkeit und finanzieller Unterstützung der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für Archäologische Forschung im Ausland (SLSA) das von den Anden kommende Flußtal des Rio Grande aus. An dessen Hängen deuteten bombentrichtergleiche Areale auf heftige Attakken von Raubgräbern hin. „Grabräuber wissen, wo was zu holen ist“, dachte sich der Bonner Archäologe und wurde bei einer Oberflächenerkundung (Survey) in der Nähe des Ortes Palpa, rund 40 Kilometer von Nasca entfernt, selbst fündig: Schon 30 Zentimeter unter der Oberfläche legte er Mauerkronen frei – kein Gräberfeld, wie in der wissenschaftlichen Literatur behauptet, sondern eine Stadt sehr agiler Nasca-Leute. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft von Bodenbildern. Liegt hier der Schlüssel für den Zusammenhang von Nasca-Mensch und Pampa-Malerei? Nach seiner ersten Grabungskampagne kann Reindel ein detailliertes Bild zeichnen: Vor rund 1900 Jahren hatten Siedler in der Schwemmebene von Rio Grande, Rio Palpa und Rio Viscas das heutige „Los Molinos“ hingeklotzt – ein Zentrum, 400 Meter lang und 100 Meter breit, das mit einem Meter dicken Ziegelmauern und zwölf Meter großen Hallen Gediegenheit, Macht und Reichtum verkörperte. Luftgetrocknete Lehmziegel waren hier das noblere Baumaterial – die einfachen Leute stoppelten ihre Behausungen aus Steinen zusammen. Grundlage der Gemeinschaft war eine florierende Landwirtschaft, die durch systematische Bewässerung gesichert wurde. Der agrarische Überschuß ermöglichte eine sozial gestaffelte Gesellschaft, in der etliche „Mitglieder vom Nahrungserwerb freigestellt waren“, beschreibt Reindel eine solche Adels-ähnliche Schicht. All das hatten die bisher ebenso spärlichen wie oberflächlichen Untersuchungen den Nasca-Leuten nicht zugestehen wollen. Dabei bedingte schon die ausgeklügelte Bewässerungskanalisation eine vorausschauende Planung und Arbeitsteilung. Lagerung und Verteilung der Ressourcen sind bereits mit internen Machtstrukturen verbunden. Unabdingbar aber war ein übergeordneter Wille – ob Häuptling, Fürst oder König – bei Anlage und Ausführung der Bodenzeichnungen. In Reindels Palpa bedecken die Linien, Dreiecke und Spiralen zu Dutzenden die Bergflanken und -ebenen, und sie reichen bis in die Siedlungen hinein. Im touristisch noch unberührten Tal des Rio Grande ortete Markus Reindel auch die Ursprünge der Bodenzeichnungen. Zu Tausenden bevölkern dort Tiere und menschenähnliche Wesen die Felsen der Andenausläufer. Diese geritzten Petroglyphen stammen aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert. Waren diese Strichwesen und Ornamente noch die Kreationen von Einzeltätern aus einer nicht-strukturierten Gesellschaft, erforderte der nächste Schritt Planung: Die Felszeichnungen wurden, um ein Vielfaches vergrößert, auf die Berghänge übertragen. Mit 10 bis 20 Metern waren sie weithin sicht- und erkennbar. „Von da aus muß sich der Boom der Bodenbilder entwickelt haben“, mutmaßt Reindel. „Sie sind dann größer und abstrakter geworden und wurden in die Hochflächen verlagert.“ Dort erst beginnt für den KAVA-Archäologen das Rätsel: Warum diese Riesenzeichnungen an Stellen, wo sie nicht erkannt werden konnten? An der Nuß versuchen sich seit Jahrzehnten Scharen von Archäologen und Astronomen, Hobby-Forschern und Esoterikern, Abenteurern und Ingenieuren. Und da Homo sapiens nichts unerklärt lassen kann, werden die Deutungsversuche weitergehen. Hier ist der neueste: Im Auftrag der nordamerikanischen National Geographic Society (NGS) näherte sich der US-Amerikaner David Johnson dem Mirakel. Sein noch nicht im NGS-Zentralorgan National Geographic veröffentlichtes Fazit, nach mehrjährigen Erkundungen in den Flußtälern: „Die Nasca-Linien sind ein Text, der in die Landschaft eingekerbt wurde, um den Bewohnern der Region anzuzeigen, wo Wasser verfügbar ist.“ Johnson hatte zu Beginn seiner Arbeit die „Puquios“ untersucht. Mit diesem raffinierten Kanal- und Brunnen-System zapften die Nasca-Leute unterirdische Wasserreservoire in den Tälern an, um ihre Felder auch in den Trockenmonaten feucht zu halten. Das Kanalsystem mit minimalem Gefälle leitet das untergründige Wasser zu den Feldern; in Sichtabstand niedergebrachte Brunnen dienen zum Wasserschöpfen und der Wartung des ebenso kunstvollen wie anfälligen Systems. Mit Untersuchungen zur Chemie, Temperatur und Leitfähigkeit des Puquios-Wassers bewies die mit gestandenen Naturwissenschaftlern besetzte Johnson-Crew: Das lebensspendende Naß stammte nicht, wie bislang behauptet, aus den Andenflüssen. Vielmehr nutzten die Nasca-Bauern schon vor 2000 Jahren Grundwasserströme, die in den geologischen Bruchzonen der Andentäler zirkulieren. Johnson: „Ich verglich die Daten der Wasserläufe, der Verwerfungen und der archäologischen Stätten mit den verschiedenen Geoglyphen und stellte fest, daß sie konsequent aufeinander Bezug nehmen und miteinander übereinstimmen.“ Johnsons These: Die Trapeze liegen direkt über dem Grundwasserleiter und geben Breite und Fließrichtung an. Spiralen kennzeichnen Strömungsänderungen. Zickzacklinien signalisieren: Ab hier gibt es kein Wasser mehr. Johnson: „Die Nasca-Linien kartieren die Herkunft und den Verlauf der Grundwasserströme. Die Menschen damals konnten sie absolut genau lokalisieren.“ Womit? „Mit der Wünschelrute“ – dem gleichen Gerät, das auch Johnson bei seinen Untersuchungen einsetzte. Der nach eigenem Bekunden „erdverbundene“ Markus Reindel läßt die vor Erstaunen nach oben gewanderten Augenbrauen noch höher steigen: „ Da ist was dran. Der Mann ist zwar wild, aber seriös.“ Verglichen mit anderen Theorien zu den Scharrbildern „passen hier viele Dinge zusammen“. Reindel: „Wir haben jede Menge Hinweise, daß Wasser in der Nasca-Gesellschaft eine wichtige Rolle spielte.“ Kein Wunder in einer Weltgegend, die zu den trockensten Wüsten des Planeten gehört. Der Archäologe aus Bonn hatte „schon immer die Idee, daß die Bodenzeichnungen irgend etwas mit Wasser zu tun haben“. Zunächst sehr direkt, wie Johnson mutmaßt, in späterer Nasca-Zeit dann eher als Sinnbild im Kult. Auch schamanistische Riten passen für Reindel gut ins Bild: „Schamanen gehen ja nach eigenem Bekunden in bestimmten Trancezuständen aus ihrem Körper heraus, fliegen durch die Luft, bewirken etwas und kehren zurück.“ Solche Rituale sind immer wieder Thema von Keramikmalereien, in denen Halluzinogene und das Fliegen eine wichtige Rolle spielen und Tiere (Spinnen, Affen) als Helfer des schwirrenden Schamanen fungieren. Zurück auf den harten Pampa-Boden der archäologischen Tatsachen. Dort wartet weiterhin das Grundproblem auf Reindel und seinen peruanischen Kollegen Johny Isla Cuadrado. In Los Molinos fanden sie – unerwartet und archäologisch wertvoll – monumentale Architektur, Räume profaner und gehobener Zweckbestimmung, ausgeraubte Gräber und Skelette, sehr viel gut erhaltenes organisches Material wie Pflanzen und Textilien – aber sie fanden keine Spuren des Alltagsmenschen. Die Bewohner hatten um 200 n. Chr. ihre Stadt aufgegeben und waren mit Lama, Kind und Werkzeug fortgezogen. Reindel: „Die haben alles mitgenommen.“ Selbst die Baumstämmchen ihrer Dachkonstruktionen hatten sie abgeschleppt. Los Molinos ging unter, eventuell durch Hangrutsche, ausgelöst von sintflutartigen Regenfällen – ein frühes El Niño-Phänomen? Die Wassermassen stellten für die Wüstenanrainer offenbar eine nicht beherrschbare Naturkatastrophe dar. Vermutlich hieß das Ziel der Auswanderer La Muña. Wenige Kilometer von der einstigen Residenz entfernt, entstand am Talausgang diese noch größere Siedlung, die für die Zeit von 200 bis 400 n. Chr. das Zentrum der Palpa-Region war. Hier legten die Archäologen eine Nekropole frei, deren Prunkgräber für Reindel eindeutig Fürstenbestattungen sind. Es wären die ersten im Nasca-Gebiet, das größte Grab maß 20 mal 30 Meter. Auch hier keine Spur des Alltagsmenschen und seiner Beziehung zu den Linien. „Das ist der Knackpunkt“, räumt Reindel ein, „noch haben wir keinen direkten Befund.“ Grundsätzlich aber ist er überzeugt, daß „die Schöpfer der Bodenzeichnungen in Los Molinos und La Muña gewohnt haben. Aus Größe und Gleichartigkeit der Linien ergibt sich: Das war eine organisierte Kulthandlung.“ Seine nächste Hoffnung setzt der Archäologe in die Grabungskampagne dieses Jahres: Er will einige Einzelgebäude angehen, die abseits der Siedlungen direkt an den Linien liegen. Testschnitte zeigten, daß sie anders gebaut sind und ihre Keramik stärker mit religiösen Darstellungen verziert ist als in den Häusern der beiden Zentren Los Molinos und La Muña. In denen wird ebenfalls weitergegraben. Denn Reindel hat ein Nahziel: „Ich will dort den Tempel finden.“ Der nächste Punkt: die Schöpfer der Linien. Das Endziel: die Lösung des Rätsels. Die peruanischen Bodenzeichnungen in Zürich Simon Bär kennt jede Bodenfurche und Bergfalte bei Palpa, obwohl er nie dort gewesen ist. Der wissenschaftliche Mitarbeiter von Prof. Armin Grün verhilft den geheimnisumwitterten Erdzeichen zu virtuellem Leben in dreidimensionaler Anmutung – im Computer des Instituts für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich. Dazu werden einem photogrammetrisch erstellten 3-D-Geländemodell Luftbilder „ aufgepfropft“, so daß ein naturidentisches Dokument von Berg und Tal, Siedlung und Bodenzeichnung entsteht. Dieses Computerbild der Wirklichkeit kann um alle Achsen gedreht und gewendet werden, man kann es aus einem flachen oder steilen Winkel betrachten, auf die Rückseite eines Berges schauen oder Einzelheiten herauszoomen. Das ist anregend und verleitet zum Spielen, hat aber überdies für die Wissenschaftler unschätzbare Vorteile: In dieser Gesamtheit sehen sie die Zeichnungen bei Fußmärschen im Gelände nie. Durch die 3-D-Anmutung der Bilder bekommen sie mehr Informationen als durch die platten Luftbilder. Das kann durch eine stereoskopische Betrachtung noch verstärkt werden. Durch die Möglichkeit, das Computerbild beliebig zu drehen und zu wenden, können sie sonst nicht erkennbare Details erfassen. „Schließlich“ , so Prof. Grün, „ist das eine einzigartige Dokumentation, denn die Bodenzeichnungen sind ja alle in höchstem Maße gefährdet. Wer weiß, wie lange man sie überhaupt noch in natura betrachten kann.“

Michael Zick

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Off|beat  〈[–bi:t] m.; – od. –s; unz.; Mus.; bes. Jazz u. Rock〉 gegen den rhythmischen Grundschlag gesetzte freie Betonung [engl., eigtl. ”außerhalb des Schlages, weg vom Schlag“]

Un|ter|su|chung  〈f. 20〉 1 das Untersuchen 2 Arbeit, Studie, die auf (wissenschaftlichen, statistischen o. Ä.) Forschungen beruht … mehr

Hy|po|blast  〈n. 11〉 = Entoderm [<grch. hypo … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige