Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Schlappe für Gen-Kost

Allgemein

Schlappe für Gen-Kost
Die grüne Gentechnik sieht auch in den USA die rote Karte. Nicht nur hierzulande – selbst im sonst so High-Tech-freundlichen Amerika geht die Skepsis um: Produkte von gentechnisch veränderten Pflanzen stoßen immer mehr auf Ablehnung.

Tony der Tiger sieht gar nicht mehr ansteckend fröhlich aus. Die populäre Comic-Figur der amerikanischen Firma Kellogg’s mutierte innerhalb weniger Monate vom freundlich-orangenen Energiebündel zum grün-gruseligen Frankenstein-Monster: Auf Plakaten von Greenpeace USA lächelt „Franken-Tony” müde von seiner Cornflakes-Packung, und die einst so triumphierend in die Luft gereckte Faust umklammert ein Reagenzglas mit Maiskolben. Die Anspielung auf Frankenstein, das künstlich zusammengesetzte Wesen aus dem Labor, hat einen realen Hintergrund. Im letzten Jahr hat das Markenzeichen amerikanischer Zerealien-Kultur dem US-Verbraucher auf dramatische Weise vermittelt, daß gentechnisch veränderte Lebensmittel bereits auf seinem Frühstückstisch sind. Und nicht nur dort: In 60 bis 70 Prozent aller industriell hergestellten Nahrungsmittel schlummern heute Anteile transgener Pflanzen – ohne Kennzeichnung.

Den Managern bei Kellogg’s ergeht es inzwischen wie Tony dem Tiger: Fröhliche Gesichter gibt es bei dem in Battle Creek, Michigan, ansässigen Unternehmen schon lange nicht mehr – eher Zähneknirschen. Denn der Glaube an die Zukunftschancen einer auf Gentechnik basierenden Lebensmittelproduktion weicht der Erkenntnis: Nicht nur die zickigen Europäer sträuben sich dagegen – auch die amerikanischen Konsumenten wollen kein „Biotech” im Essen und sprechen abschätzig von „Frankenfood”. Die schon seit Jahren schwelende Angst der Europäer vor Gen-Food hat die Vereinigten Staaten infiziert. Auslöser war ein Tiefschlag, der die amerikanische Öffentlichkeit im Frühjahr 1999 traf: Wissenschaftler der Cornell University im Bundesstaat New York fanden heraus, daß der Pollen von gentechnisch verändertem Mais die Larven des landesweit beliebten Monarch-Schmetterlings tötet. Die US-Medien griffen das Thema auf, und die Debatte kam rasch in Schwung. 1999 erschienen in der amerikanischen Presse rund 125000 Artikel über Gen-Food, sechsmal mehr als im Jahr davor. Besorgte Bürger, Öko- und Verbraucherverbände initiierten 90 Aktionen: Schulkinder gingen als sterbende Schmetterlinge verkleidet auf die Straße. Bei der „Schlacht von Seattle” brachten Demonstranten vor laufenden Fernsehkameras die Tagung der Welthandelsorganisation WTO zum Platzen. Es brannten sogar Versuchsfelder. Selbst einige Politiker wurden aktiv und wollen des Volkes Unmut mit einem neuen Gesetz zur Kennzeichnung von Gen-Food besänftigen. „Solch eine Stimmung hatten wir hier noch nie”, resümiert Ronnie Cummins von der Verbraucherorganisation BioDemocracy in Little Marais, Minnesota: „Offensichtlich hatten die Amerikaner keine Ahnung, was seit Jahren hinter ihrem Rücken gelaufen ist.”

In der Tat ist die Gentechnik heute im amerikanischen Lebensmittel- und Agrarbereich fest etabliert. Schon 1992 gab die Lebensmittelüberwachungsbehörde FDA grünes Licht für „transgene” Pflanzen, wie die Wissenschaftler sie nennen. Öffentliche Anhörungen zu diesem Thema gab es damals keine – die finden erst jetzt statt, nachdem die Debatte hochgekocht ist. Die ersten Soja-, Mais- und Baumwollsamen aus dem Genlabor waren 1996 auf den Saatgutlisten der Bauern vertreten. Damals bauten die US-Farmer auf rund 1,5 Millionen Hektar transgene Pflanzen an. 1999 waren es bereits 28,7 Millionen Hektar – eine Fläche so groß wie die alte Bundesrepublik. „Es ist eine der am schnellsten umgesetzten Technologien”, sagt Clive James von der ISAAA, einer gemeinnützigen Agrarorganisation. Drei Viertel der Felder, auf denen weltweit transgener Mais und Soja angebaut werden, liegen auf amerikanischem Boden, so James. Die neue Techno-Saat ist überwiegend mit Herbizid-Resistenzen ausgestattet. Unkrautvernichtungsmittel blokkieren ein für das Überleben der Pflanzen wichtiges Enzym – auch in Nutzpflanzen. In der Natur gibt es jedoch ein fast identisches Enzym, das von den Herbiziden nicht gebremst wird. Die Bauanleitung für diese Enzym-Variante wurde von Gentechnikern in das Erbgut von Getreidesorten eingebaut – mittels Bakterien oder Viren als Gen-Taxis oder mit Gen-Kanonen, die die nackte Erbsubstanz in die Zielzellen schossen. Sprüht der Bauer nun seine Herbizide aufs Feld, krepieren die Unkräuter – aber nicht sein Gen-Getreide.

Fast zwei Drittel aller transgenen Pflanzen sind mit dieser Eigenschaft ausgestattet und – so lauteten jedenfalls die Versprechungen der Firmen – verhelfen dem Pflanzer zu höheren Erträgen. Marktbeherrschend für diese Technologie ist der Life-Science-Riese Monsanto. Schätzungsweise 85 Prozent der in den USA angebauten Nutzpflanzen enthalten das „Monsanto-Gen”. Das lohnt sich für das Unternehmen doppelt: Monsantos Saatgut funktioniert nur zusammen mit dem hauseigenen Herbizid „Round-up” . Ein Bauer, der Round-up-resistente Sojabohnen anbaut, ist daher gezwungen, das Monsanto-Herbizid auf den Acker zu sprühen. Außerdem wurde den Kulturpflanzen eine Waffe gegen Insekten verpaßt. Vor allem transgener Mais und Baumwolle enthalten ein Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis (Bt). Mit diesem neuen Gen produzieren die Pflanzen ein Gift, das „Bt-Toxin”. Es soll Schädlinge wie den Mais-Zünsler töten, sobald er die Pflanze anknabbert. Der Vorteil für den Farmer: Er muß weniger Pestizide ausbringen und – so jedenfalls die Erwartungen – erhält auch höhere Erträge und mehr Einkommen. In der Pipeline von Monsanto und Co. steckt noch mehr: Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums wurden von 1995 bis heute rund 4500 gentechnisch veränderte Pflanzensorten getestet. Für den kommerziellen, unbegrenzten Anbau sind erst 50 transgene Arten zugelassen, darunter 13 verschiedene Mais-Varietäten, 11 Tomaten-, 4 Sojabohnen-, 2 Kürbis-Sorten und eine Radicchio-Varietät.

Anzeige

Volldampf voraus”, hieß bis vor wenigen Monaten die Devise für die grüne Gentechnik. Da genoß sie noch die Unterstützung der amerikanischen Bauern. „Unsere Farmer waren mit dem Saatgut relativ zufrieden”, bestätigt Gary Goldberg, Sprecher der American Corn Grower Association. Seine Maiszüchter hatten zwar nicht immer die von Monsanto versprochenen höheren Erträge geerntet – dafür mußten sie aber tatsächlich seltener auf die Felder, um Pestizide zu sprühen. Das sparte Zeit. Auch ließen sich die Schädlingsbekämpfungsmittel sparsamer einsetzen: 15 bis 25 Dollar weniger Pestizid-Kosten pro Acre (0,4 Hektar) nennt Goldberg. „Jetzt sind die Farmer allerdings verärgert”, sagt er – denn 1999 blieben sie erstmals auf ihrer Gen-Saat sitzen. In Europa herrschte Importverbot, und der bisherige Hauptabnehmer Japan – der fernöstliche Staat bezieht Dreiviertel seines Soja-Bedarfs aus US-Importen – pochte aufgrund ähnlicher Verbraucherrevolten auf Waren ohne Biotech. Wirklich katastrophal war jedoch, daß es Hiobsbotschaften aus dem eigenen Land hagelte. Archer Daniels Midland, einer der größten US-Abnehmer für Agrarprodukte, bestand auf Saatgut ohne gentechnische Veränderung. Mehrere große Sojaeinkäufer zahlten 8 bis 15 Cents Aufschlag pro genfreiem Bushel (36,35 Liter). Auch die amerikanische Lebensmittelindustrie verweigerte sich: Der Babynahrungs-Hersteller Gerber und sein Konkurrent Heinz verzichteten auf Gen im Brei. Doch damit nicht genug: Die Supermarktkette Whole-Foods will keine Produkte mit transgenen Anteilen mehr verkaufen, auch Schokoladenfabrikant Hershey und Tierfutterfabrikant Iams winken ab. Sogar McDonald’s hält nach Lieferanten Ausschau, die „genfrei” garantieren. Und zum Schrecken der Bauern, die überwiegend die heimische Futtermittelindustrie beliefern, verkündete Amerikas zweitgrößter Hersteller von Geflügelfleisch, Purdue Farms: Fortan werde man Truthähne nur noch mit nicht-genverändertem Mais füttern.

Agrar-Experten schätzen die Verluste der Bauern 1999 auf etwa eine Milliarde Dollar. Die Bauernverbände vermuten, daß im Jahr 2000 bis zu 25 Prozent weniger transgene Pflanzen angebaut werden. „Der Kunde ist König”, meint Goldberg. „Warum auch immer die Konsumenten unsere Produkte ablehnen, sollte uns egal sein.” Goldberg spielt darauf an, daß sich die Antipathie der Verbraucher auf erstaunlich wenige wissenschaftliche Argumente stützt. Tatsächlich ist bisher eine Gesundheitsgefahr für den Menschen durch transgene Pflanzen oder durch aus ihnen gefertigte Nahrungsbestandteile nicht bewiesen. Durch das Einschleusen artfremden Erbgutes wird jedoch ein neues Eiweiß in den Pflanzen erzeugt, auf das Menschen möglicherweise allergisch reagieren. Ein solcher Fall kam erst einmal vor, und zwar bei Sojabohnen mit einem Paranuß-Gen. Diese Bohnen wurden aber nie auf den Markt gebracht.

Wesentlich bedenklicher sind die ökologischen Auswirkungen transgener Pflanzen. „Es ist unvermeidbar, daß diese eingebauten Gene wieder ihren Wirt verlassen”, sagt Joy Bergelson vom Department Ökologie der University of Chicago. „Das muß nicht unbedingt negative Folgen haben, aber es ist möglich. Wir wissen einfach noch zu wenig darüber.” 1998 machte die gelernte Biologin Schlagzeilen durch Versuche an einer Senfpflanzen-Art (Arabidopsis thaliana), die sie im Fachblatt Nature beschrieb. Normalerweise ist dieser Senf ein „Selbstbestäuber”. Das heißt: via Biotechnologie eingeschleuste neue Gene sollten sich eigentlich nicht durch Kreuzung mit wildwachsenden Senfarten unkontrolliert verbreiten können. Doch Bergelson bewies, daß sich transgener, herbizid-resistenter Senf 20mal häufiger mit Wildarten kreuzt als eine natürlich vorkommende, herbizid-resistente Senfpflanze. Gentechnik-Kritiker befürchten daher, daß die in Mais und Soja angezüchtete Herbizid-Resistenz am Ende Super-Unkräuter schafft, gegen die jedes „Round-up” machtlos ist. Bedenkenswert sind auch die Ergebnisse von Wissenschaftlern der University of Idaho. Ihre Erkenntnis: Einige Getreidepflanzen überspringen verblüffend leicht biologische Barrieren. So kann beispielsweise Weizen mit Ziegengras stabile Nachkommen hervorbringen. Ziegengras ist ein in den USA weit verbreitetes Unkraut, das in der Natur durch Insekten in Schach gehalten wird. Beklemmende Vision: Insekten-resistentes Gen-Getreide könnte sein Bt-Toxin an Unkräuter wie Ziegengras abgeben, die sich dann hemmungslos – weil von ihren natürlichen Fraßfeinden unangreifbar – auf den Äckern ausbreiten.

Wissenschaftler und Umweltverbände bemängeln, daß zuwenig für die Erforschung transgener Pflanzen getan wird. Gegenwärtig sind in den Fonds des Agrar-Ministeriums weniger als zwei Millionen Dollar für Arbeiten über „biotechnology risks” vorgesehen. Für manche Kritiker sind die negativen Auswirkungen der grünen Gentechnik bereits klar – so klar, daß sie ihr einen Riegel vorschieben wollen: Bereits seit Februar 1999 steht die FDA vor Gericht. Eine Koalition aus 70 Gruppen und Einzelpersonen fordert, daß wegen „immanenter” Umweltgefahr mindestens ein Dutzend bereits zugelassener transgener Pflanzen von den Feldern verschwinden sollen. Auch Monsanto steht vor dem Kadi. Biotech-Gegner verklagten im Dezember 1999 die Firma. Monsanto wird unter anderem vorgeworfen, die Produktsicherheit nicht ausreichend getestet zu haben. Initiator Jeremy Rifkin, Amerikas Gen-Kritiker Nummer eins, ist siegesgewiß: „Die US-Biotech-Industrie wird zwar nicht den Bach hinuntergehen, aber sie nimmt Schaden.” Ungeachtet dessen setzen die großen Life-Science-Firmen auf die zweite Generation transgener Pflanzen: In den Labors schlummern Bananen mit eßbaren Impfstoffen, Tomaten mit Abwehrkraft gegen Hepatitis B und sogar Maiskörner mit empfängnisverhütender Wirkung. „Wer braucht so etwas?” fragt Ronnie Cummins, Sprecher des Verbandes BioDemocracy. „Unsere Konsumenten wollen sichere Lebensmittel, nicht so einen Firlefanz.” Er und seine Kollegen orakeln, in spätestens zwei Jahren sei das Thema in den USA abgehakt. Sollte sich Volkes Meinung nicht ändern, wird Biotech sich wohl vom Acker machen.

Désirée Karge

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

No|mo|gramm  〈n. 11; Math.〉 graf. Darstellung funktionaler Zusammenhänge zwischen mehreren veränderlichen Größen [<grch. nomos … mehr

Pro|to|phyt  〈m. 16; Bot.〉 einzellige Pflanze [<grch. protos … mehr

Ok|ta|chord  〈[–krd] n. 11; Mus.〉 Instrument mit acht Saiten [<lat. octo … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige