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Eine heikle Entscheidung

Gesundheit|Medizin

Eine heikle Entscheidung
Die Krebsvorsorge wird von Ärzten und Organisationen als großer Lebensretter angepriesen. Forschungsergebnisse zeigen allerdings kein so eindeutiges Bild. Vor allem die Früherkennung von Prostatakrebs ist ein zweischneidiges Schwert.

Das Symbol könnte kaum deutlicher ausfallen: Ein elf Meter hoher Obelisk ist seit knapp zwei Jahren Wahrzeichen für die Früherkennung von Prostatakrebs. Das „Urolisk“ genannte, über vier Tonnen schwere Phallussymbol reist als Blickfang durch Städte wie Aachen, Hamburg, Berlin und Bremen. Wo der Urolisk auftaucht, können Männer in der Nähe gleich einen Test zur Suche nach dem Männerkrebs machen lassen.

Die Kampagne ist Symbol für die Ausweitung der Krebsfrüherkennung, die derzeit stattfindet. Die Suche nach Krebs ist ohnehin in kaum einem Land so tief verankert wie in Deutschland. Seit 1971 gibt es hier ein „Vorsorge“-Programm, in dem Ärzte auf Kosten der Krankenkassen nach fünf Krebsarten suchen sollen: Gebärmutterhals- und Brustkrebs bei Frauen, Prostatakrebs bei Männern, Darm- und Hautkrebs bei beiden Geschlechtern. Doch während man über 30 Jahre lang auf eher einfache Untersuchungen wie Abtasten, Anschauen und Abstriche gesetzt hat, werden die Methoden mittlerweile intensiver: 2002 wurde die Spiegelung mit einem Endoskop zur Suche nach Darmkrebs eingeführt, ab nächstem Jahr soll allen Frauen im Alter zwischen 50 und 69 die Röntgen-Mammographie zur Früherkennung von Brustkrebs angeboten werden.

Derzeit beraten Experten des Gemeinsamen Bundesausschusses außerdem über eine Reform der Suche nach Haut- und Gebärmutterhalskrebs. Und auch beim Aufspüren von Prostatakrebs sind Urologen mit dem Abtasten der Vorsteherdrüse durch den After längst nicht mehr zufrieden: Viele Experten fordern, dass die Krankenkassen zusätzlich einen Bluttest bezahlen sollen.

Allerdings ändert sich parallel mit der Einführung neuer Methoden auch die Bewertung der Früherkennung. Während die Suche nach Krebs bislang den Ruf hatte, zwar etwas lästig, ansonsten aber sinnvoll oder zumindest harmlos zu sein, zweifeln Epidemiologen und Krebsforscher am Nutzen vieler Vorsorge-Untersuchungen. Nun beginnen auch Verbraucherschützer wie die Stiftung Warentest, sich um das Thema zu kümmern. Denn viele der neueren Tests sind keineswegs völlig harmlos. Hinzu kommt, dass immer mehr Ärzte die Suche nach Krebs als Geschäftsfeld entdeckt haben. Nach Recherchen der Stiftung Warentest bieten deutsche Ärzte mindestens 50 verschiedene Methoden zur Krebsfrüherkennung an, von denen die meisten als „ Individuelle Gesundheitsleistung“ (Igel) auf Privatrechnung bezahlt werden müssen. Und während Ärzte diese Tests anpreisen, fällt die Bewertung der Stiftung sehr durchwachsen aus. Ihr Fazit: „Es gibt nur wenige Tests, die ihr Geld oder den Zeitaufwand wert sind. Viele sind schlicht nutzlos, andere richten sogar mehr Schaden als Nutzen an.“ Und der Urologe Fritz Schröder, der sich an der Universität Rotterdam auf die Früherkennung von Prostatakrebs konzentriert, sagt: „ Grundsätzlich gilt, dass die Entscheidung, sich einem Test zu unterziehen, wohlüberlegt sein will. Niemand sollte sich zur Früherkennung drängen lassen.“

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Gerade die Suche nach Prostatakrebs zeigt, dass man sich bei der Abwägung Zeit lassen sollte. Denn die Bilanz ist zweischneidig: Auf der einen Seite besteht die Hoffnung, dass die Früherkennung tatsächlich „Männer vor einem vorzeitigen Tod durch Prostatakrebs bewahren kann“, sagt der Urologe Paolo Fornara von der Universität Halle, der vom Nutzen überzeugt ist. Doch auf der anderen Seite stehen Männer, die nur deshalb ihre Gesundheit verloren haben, weil sie nach Krebsherden suchen ließen.

Solche Nachteile liegen nicht so offen auf der Hand wie die Vorteile: Die Begründung für die Suche ist leicht nachzuvollziehen. Im Jahr 2003 starben in Deutschland etwa 12 000 Männer an Prostatakrebs. „Wären diese Tumore früher entdeckt worden, hätte man viele heilen können“, sagt Fornara.

Mittlerweile haben die Urologen die Hoffnung aufgegeben, durch Abtasten der bei einem gesunden Mann etwa walnussgroßen Vorsteherdrüse – die unterhalb der Blase die Einmündung der Samenleiter in die Harnröhre umschließt – Tumore früh genug finden zu können. Sie setzen auf den Nachweis des „ Prostata-spezifischen Antigens“ in einer Blutprobe. Solch ein PSA-Test kostet etwa 25 Euro, die von den Kassen nicht übernommen werden, wenn der Test zur Früherkennung eingesetzt wird.

PSA ist ein körpereigenes Enzym, das beim Samenerguss den Spermien beigemischt wird und für ihre Beweglichkeit sorgt. Normalerweise gelangen nur Spuren davon ins Blut. Doch wenn die Gewebestruktur der Vorsteherdrüse gestört ist, tritt ein wenig mehr PSA ins Blut über. Allerdings kann die Gewebestörung viele Gründe haben: Der PSA-Spiegel kann nicht nur durch ein Prostatakarzinom steigen, sondern auch durch eine gutartige Prostatavergrößerung, durch eine Entzündung der Drüse oder durch stärkeren Druck auf die Prostata, etwa nach einer längeren Radtour.

„Ein erhöhter PSA-Wert ist noch kein Beweis für Krebs“, sagt Fornara. Darin liegt das erste Problem des Tests. Wenn ein erhöhter Wert gefunden wird, sind weitere Untersuchungen nötig, um die Ursache herauszufinden. Manche Ärzte warten erst einmal ab und wiederholen den Test nach einigen Monaten. Andere raten direkt zur „Biopsie“. Bei dieser unangenehmen Prozedur werden durch den After mindestens sechs Hohlnadeln in die Vorsteherdrüse eingestochen, um Gewebeproben auszustanzen, die dann nach Krebszellen abgesucht werden. Internationale Experten sind sich bislang nicht einig, ab welcher Konzentration ein PSA-Wert als so stark erhöht anzusehen ist, dass eine Biopsie folgen sollte. Nach der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie haben sich die meisten deutschen Ärzte auf vier Nanogramm – also vier Milliardstel Gramm – pro Milliliter als Schwellenwert für einen Krebsverdacht geeinigt.

Dieser Schwellenwert ist ein Kompromiss, der für das erste Problem des PSA-Tests sorgt. „Der Test beinhaltet relativ viele Fehlerquellen“, sagt der Urologe Fritz Schröder, der derzeit an der Universität Rotterdam den PSA-Test in einer großen Studie erprobt. Auf der einen Seite liefert er so genannte falsch-negative Ergebnisse: Immerhin einer von fünf gefährlichen Tumoren wird durch den PSA-Test übersehen, weil der Krebs nur wenig PSA ins Blut freisetzt. Die Konsequenz: Ein Mann kann auch bei einem „normalen“ Wert nicht sicher sein, dass nicht doch ein Tumor heranwächst.

Die zweite Fehlerquelle liegt darin, dass bei vielen Männern der PSA-Wert erhöht ist, auch wenn kein Tumor der Grund ist. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit stark, dass der Test „positiv“ ausfällt, also einen erhöhten Wert liefert. Ab 50 muss jeder fünfte bis zehnte Mann mit einem verdächtigen Ergebnis rechnen. Nach weiteren Untersuchungen stellen sich letztlich aber vier von fünf auffälligen Werten als Fehlalarm heraus. Die Botschaft „Ihr PSA-Wert ist zu hoch“ ist für die betroffenen Männer durchaus ein Schaden: Viele leben unnötig einige Tage oder Wochen in Angst vor Krebs, außerdem müssen sie die Biopsie über sich ergehen lassen.

Doch das größte Problem des PSA-Tests ergibt sich für die Männer, bei denen dann tatsächlich durch die Biopsie ein Krebs entdeckt wird. Solche Tumore sind meist sehr klein und haben hohe Heilungschancen – ein Hauptargument für den Einsatz des Tests. Tatsächlich gehen viele Betroffene davon aus, dass der entdeckte Tumor irgendwann eine gefährliche Größe erreichen würde und nicht mehr heilbar wäre.

Forscher wissen aber längst, dass bei Weitem nicht alle Prostatatumore ein Gesundheitsrisiko darstellen. Beim Prostatakrebs gibt es zumindest drei weitere Typen: Manche kleine Tumore sind bereits unheilbar, obwohl sie in einem frühen Stadium entdeckt wurden. Gegen solche aggressiven Tumore kann auch Früherkennung nichts ausrichten. Ein zweiter Typ fällt dadurch auf, dass er auf die Harnröhre drückt und den Harnfluss behindert. Diese Tumore bereiten zwar Beschwerden, werden aber nicht unbedingt lebensgefährlich, wenn sie bei älteren Männern auftreten. „Die meisten Männer mit Prostatakrebs sterben mit dem Krebs, nicht an ihm“, resumiert Schröder.

Der häufigste Prostatakrebstyp verhält sich völlig anders. Diese Variante kennen die Ärzte aus Untersuchungen von Männern, die etwa bei Unfällen ums Leben gekommen sind und zu Lebzeiten keinerlei Beschwerden mit der Prostata hatten. Wenn man die Vorsteherdrüse dieser Männer genau untersucht, findet man bei etwa jedem dritten Mann um die 50 bereits ein oder mehrere nur wenige Millimeter große Krebsnester, bei 80-Jährigen gibt es bei jedem zweiten Mann einen solchen Befund.

Die Besonderheit: Die weitaus meisten dieser kleinen Prostatakarzinome haben keinerlei gesundheitliche Bedeutung. Sie sehen zwar aus wie Krebs, wachsen aber so langsam, dass sie nie zu Beschwerden führen, und die meisten Männer sterben, ohne jemals etwas von der Existenz des Tumors gespürt zu haben. Den Beweis für die Ungefährlichkeit liefert ein einfacher Blick auf die Todesursachenstatistik. Von 100 Männern über 60 haben etwa 50 einen unerkannten Prostatakrebs, aber nur 3 dieser 50 sterben an dem Tumor. Das bedeutet, dass längst nicht jeder Krebs gefunden und behandelt werden muss.

„Das Problem des PSA-Tests ist, dass er nicht zwischen diesen verschiedenen Tumoren unterscheiden kann“, sagt Schröder. Wenn durch den Test aber ein Tumor entdeckt wurde, stehen Arzt und Patient vor dem Problem, entscheiden zu müssen, was weiter geschehen soll. Ein gefährlicher Tumor müsste radikal und aggressiv behandelt werden, bevor er unheilbar wird. Einen harmlosen Tumor könnte man dagegen einfach in Ruhe lassen.

Mittlerweile haben Mediziner zwar Merkmale gefunden, die eine gewisse Abschätzung erlauben, ob ein Tumor eher in die erste oder in die zweite Gruppe gehört – vor allem die Größe des Tumors und das Aussehen der Krebszellen geben Hinweise –, doch die Prognose ist oft unsicher.

Diese Unsicherheit hat für viele Männer ernsthafte Konsequenzen. Denn auch bei kleinen Tumoren bleibt immer die Sorge, eine Heilungschance zu verspielen, wenn man nicht aggressiv behandelt. Das führt dazu, dass die meisten durch Früherkennung gefundenen Tumore so therapiert werden, als wären sie lebensbedrohlich.

In der Regel bedeutet das eine Entfernung der Prostata, die radikale Prostataektomie, die kein leichter Eingriff ist. Ein Teil der Männer wird durch die Operation impotent und hat Schwierigkeiten, das Wasser zu halten. „Diesen Preis nehmen viele Männer in Kauf, wenn sie dadurch den Krebs heilen können“, sagt Schröder.

Doch was geschieht, wenn ein Krebs operiert wird, der nie aufgefallen wäre? Dann haben die Untersuchten von der Therapie keinen Vorteil und bezahlen trotzdem mit den Nebenwirkungen.

Mediziner nennen die Entdeckung einer Veränderung, die zwar wie eine Krankheit aussieht, aber nie zu Beschwerden geführt hätte, „Überdiagnose“. „Überdiagnosen sind der wichtigste Grund, weshalb man den PSA-Test derzeit nicht allgemein empfehlen sollte“ , sagt Schröder.

Exakte Zahlen, wie viele harmlose Tumore durch den PSA-Test aufgespürt und dann unnötig behandelt werden, gibt es jedoch nicht. Verschiedene internationale Forscher schätzen, dass zwischen einem und zwei Drittel der durch den PSA-Test entdeckten Tumore Überdiagnosen sein könnten.

Genauere Auskunft sollen zwei derzeit in den USA und Europa laufende Studien geben, in denen der PSA-Test an über 250 000 Freiwilligen erprobt wird. Vor allem sollen diese Studien die Frage beantworten, ob Männer, die einen PSA-Test machen, wirklich ihr Risiko verringern können, an dem Tumor zu sterben. Denn obwohl viele Männer und Ärzte eben wegen dieser Hoffnung auf den Test setzen, ist der Nutzen bislang nicht erwiesen. Schröder rechnet bis 2008 mit ersten Ergebnissen.

Schon die erforderliche große Zahl der Teilnehmer zeigt, dass der Nachweis keineswegs einfach ist. Denn selbst wenn die Gesamtzahl der Prostatakrebstoten hoch erscheint, ist das Risiko aus der Sicht eines einzelnen Mannes begrenzt. Denn Abschätzungen zeigen, dass von 1000 Männern im Alter um die 65 etwa 8 in den nächsten zehn Jahren an Prostatakrebs sterben werden. Das bedeutet: 992 von 1000 Männern können von vornherein nicht von einem PSA-Test profitieren.

Solche Zahlen machen deutlich, warum die Entscheidung für oder gegen den Krebstest eine sehr individuelle Abwägung ist: Gehe ich davon aus, dass ich eines der acht Opfer sein könnte – und nehme deshalb Nachteile des Tests in Kauf? Oder schreckt mich die Gefahr einer Überdiagnose, auch wenn ich womöglich die Chance einer rechtzeitigen Diagnose vergebe? „Die Entscheidung muss jeder Mann selbst treffen“, meint Schröder. ■

Der Biologe und freie Wissenschaftsjournalist KLAUS KOCH berichtete in bdw 7/2004 über Fortschritte in der Krebsdiagnostik.

Klaus Koch

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Die Stiftung Warentest beauftragte medizinische Gutachter mit der Bewertung fast aller Krebs-Früherkennungsmethoden, die heute routinemäßig von Ärzten angeboten werden. bdw-Autor Klaus Koch hat die Ergebnisse in einem allgemeinverständlichen Ratgeber zusammengefasst:

Klaus Koch

Untersuchungen zur Früherkennung – Krebs

Stiftung Wartentest

Berlin, Oktober 2005

€ 19,90

Ohne Titel

• Nachdem sich das Abtasten der Prostata als nutzlos erwiesen hat, soll jetzt der PSA-Test Krebs erkennen.

• Doch der PSA-Test ist ungenau und kann zu einer „ Überdiagnose“ mit sinnlosen Folgebehandlungen führen.

• Patienten sollten sich über Vor- und Nachteile von Früherkennungsmethoden informieren, bevor sie einen Test vornehmen lassen.

Ohne Titel

Wenn ein prostatakrebs entdeckt wurde, haben Männer die Wahl zwischen zwei Optionen: Sie können den Tumor durch Operation oder Bestrahlung behandeln lassen – oder erst einmal abwarten und ihn regelmäßig kontrollieren. Im Sommer dieses Jahres haben schwedische Ärzte einen Vergleich der beiden Strategien veröffentlicht. Das Ergebnis löste bei Operateuren Erleichterung aus. „Wir wissen jetzt, dass die Prostataentfernung grundsätzlich eine sinnvolle Alternative ist“, sagt der Urologe Lothar Weißbach von der Euromed Klinik in Fürth.

Um festzustellen, wie sinnvoll eine radikale Prostataentfernung ist, haben die Ärzte um Lars Holmberg von der Universität Uppsala seit 1989 fast 700 Männer mit einer Tumor-Diagnose per Los in zwei Gruppen aufgeteilt: Der einen Hälfte der im Durchschnitt etwa 65 Jahre alten Freiwilligen wurde die Vorsteherdrüse entfernt. Die andere Hälfte wurde lediglich alle sechs bis zwölf Monate untersucht. Erst wenn der Tumor erkennbar gewachsen war, wurden weitere Therapien begonnen. Nach zehn Jahren stellte sich die Operation als leicht überlegen heraus: In dem Zeitraum waren von 100 operierten Männern insgesamt 27 gestorben, davon 10 an Prostatakrebs. Von 100 Männern, die sich nicht hatten operieren lassen, waren 32 gestorben, davon 15 an Prostatakrebs. „Die Verringerung des Sterberisikos fällt absolut gesehen klein aus“, folgern die Autoren. Bei der Bilanz müsse aber berücksichtigt werden, dass die Operation zusätzlich einem von zehn Männern das spätere Wachstum von Metastasen erspart habe, die erhebliche Leiden bedeuten können. Und zwei von zehn Männern erübrigte sie spätere Behandlungen wegen einer krebsbedingten Vergrößerung der Prostata.

Allerdings müssen operierte Männer dafür andere Komplikationen in Kauf nehmen. Eine vorläufige Auswertung der Studie vor drei Jahren hatte ergeben, dass etwa die Hälfte der operierten Männer durch den Eingriff impotent geworden war und unter Blasenschwäche bis hin zur Inkontinenz litt. Gleichzeitig bestätigt die skandinavische Studie, dass Abwarten für viele Männer eine vernünftige Strategie sein kann. Ein überraschender Befund ist nämlich, dass die Operation offenbar nur bei Männern unter 65 das Risiko verringert hatte, an Prostatakrebs zu sterben. Bei Männern über 65 lag das Risiko, an dem Krebs zu sterben, ohnehin nur halb so hoch wie bei jüngeren Männern und ließ sich durch die Operation nicht weiter absenken. „Das ist ein Hinweis, vor allem bei älteren Männern die Entscheidung zur Operation sehr sorgfältig abzuwägen“, sagt Weißbach. Er empfiehlt als Alternative „aktives Beobachten“ mit einer regelmäßigen Kontrolle des PSA-Wertes. Wenn der Wert ansteige, sei immer noch Zeit für weitere Therapien.

Noch ein paar Fakten: Prostatakrebs steht zwar bei den Todesursachen auf Platz 2, aber bei den geraubten Lebensjahren erst auf Platz 21. Prostatakrebs-Kranke starben 1999 in Deutschland mit durchschnittlich 77,6 Jahren an ihrem Tumor – und wurden damit knapp 7 Jahre älter als der Durchschnitt aller Männer.

Ohne Titel

Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen, ist ein Anhänger der Früherkennung von Prostatakrebs. „Es ist sehr wichtig, dass auf die Notwendigkeit der Krebsvorsorge in der Öffentlichkeit hingewiesen wird“, rät der 45-jährige Politiker seinen Geschlechtsgenossen: „Die Zahl von jährlich 40 000 neu an Prostatakrebs erkrankten Männern ist doch sehr erschreckend.“

Was Wulff offenbar nicht weiß: Sein Plädoyer könnte dazu beitragen, dass die Zahl der Prostatakrebs-Kranken sich weiter erhöht statt verringert. Tatsächlich steigt die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland seit über zwei Jahrzehnten stetig an, seit 1980 hat sie sich auf fast 43 000 verdoppelt. Mittlerweile entfällt ein Fünftel der Krebsdiagnosen bei Männern allein auf diesen Tumor.

Solche Statistiken sind gut geeignet, Sorgen zu wecken. Denn wenn die Zahl der Tumorkranken so schnell zunimmt, dann scheint jeder Mann gefährdet zu sein. Beim Prostatakrebs ist gerade diese Sorge der Grund, warum der Tumor so häufig geworden ist. „In den letzten Jahren hat die Zahl der Früherkennungsuntersuchungen deutlich zugenommen“, sagt der Epidemiologe Nikolaus Becker vom deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg: „Und durch die Suche werden heute viele kleine Tumore entdeckt, die vor 20 Jahren nie aufgefallen wären.“

Die Folge ist, dass Früherkennung eine Spirale der Krebsangst antreiben kann: Der PSA-Test hat zur Folge, dass bei immer mehr Männern Krebs gefunden wird. Und weil Prostatakrebs häufiger zu werden scheint, lassen immer mehr Männer aus Sorge einen Test machen.

Ohne Titel

Krebs-Früherkennung ist ein Tausch von Risiken: Auf der einen Seite soll sie das Risiko verringern, an Krebs zu sterben. Doch da kein Test perfekt ist, geht man auf der anderen Seite das Risiko ein, von einer Fehl- oder einer Überdiagnose betroffen zu sein. Welche dieser beiden Waagschalen schwerer ist, das ist eine ganz individuelle Entscheidung. Bei der Abwägung kann es helfen, sich über folgende Fragen klar zu werden:

1. Warum mache ich mir ernsthafte Sorgen um Krebs? Gibt es dafür objektive Gründe:

• Ist ein Verwandter ersten Grades erkrankt? In welchem Alter?

• Habe ich besondere Risikofaktoren? Bin ich im gefährdeten Alter oder führe ich einen gefährlichen Lebenswandel?

• Wie groß ist mein Risiko, in den nächsten 10 Jahren an Krebs zu sterben?

2. Welche Tests stehen zur Verfügung? Gibt es Beweise, dass diese Tests überhaupt mein Risiko verringern können, an Krebs zu sterben?

3. Wie treffsicher sind diese Tests? Wie oft übersehen sie Krebs? Wie oft führen sie zu Fehldiagnosen? Wie groß ist das Risiko einer Überdiagnose?

4. Was kosten die Tests? Finanziert sie die Krankenkasse, oder muss ich sie privat bezahlen?

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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