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POLITIKER SCHWIMMEN OBEN

Gesellschaft|Psychologie

POLITIKER SCHWIMMEN OBEN
Nicht nur profundes Wissen hat die Karriere von Barack Obama befördert, sondern auch sein politisches Geschick. Ganz ähnlich funktioniert das in Unternehmen.

Gerald Ferris kämpft gegen Klischees. „Vergessen Sie, dass politische Kompetenzen einen schlechten Ruf haben“, sagt der Psychologe von der Florida State University in Tallahassee. Klar, mitunter mauscheln Politiker hinter den Kulissen und verstören das Volk mit eigensüchtigen Aktionen, Lügen und Vetternwirtschaft. Doch jenseits solcher Auswüchse verweist Ferris auf den glänzenden Kern politischen Verhaltens: Soziale, emotionale und kognitive Kompetenzen, die jedem nützen. „Wer in Unternehmen erfolgreich sein will, braucht politische Fertigkeiten“, resümiert Ferris‘ Kollege Gerhard Blickle von der Universität Bonn die Ergebnisse jüngster Studien. Und Ferris setzt noch eins drauf: „Die Leistung eines Mitarbeiters wird in erster Linie durch seine politischen Kompetenzen bestimmt.“

Schon seit den 1980er-Jahren sinnieren Experten darüber, wie Macht und Einfluss von Mitarbeitern die Abläufe in Firmen und deren Erfolg bestimmen, vom Management bis zur kleinen Abteilung. Sie brachten Dutzende Einflusstaktiken aufs Tablett. Dazu zählen „ harte“ Mittel wie Anweisungen geben und Fristen setzen und auch „ weiche“ wie Schmeicheleien und motivierende Appelle. Nach zwei Jahrzehnten Forschung ist die Erkenntnis gereift: Bestimmte Einflusstaktiken sind in manchen Situationen erfolgreich, in anderen nicht – ein kaum überschaubares Feld. „Wir konnten das einfach nicht in ein System bringen“, bedauert der Bonner Professor.

Aus dem Fehlschlag heraus erneuerte er mit Ferris das Konzept der politischen Geschicklichkeit. Denn auch Unternehmen, so das Verdikt der Psychologen, sind politische Arenen. Da wird geschachert und gefeilscht, da werden Bündnisse geschlossen und Gefälligkeiten ausgetauscht. Da geht es um begrenzte Ressourcen wie Geld oder Mitarbeiter und um persönlichen Erfolg, der letztlich auch dem „großen Ganzen“ dient. Dieser Erfolg hängt nicht nur davon ab, „wie gut der Einzelne seinen Job macht“, sagt Blickle, „sondern auch von einem allgemeinen politischen Strategiewissen, einem Set sozialer Kompetenzen, das sich jederzeit situationsspezifisch anpassen lässt.“ Er hat vier Komponenten definiert:

· Kontaktfähigkeit: Den Menschen fällt es leicht, die eigenen Verhaltensweisen je nach Situation anzupassen. Sie wirken überzeugend und wecken Sympathie. Viele fühlen sich in ihrer Gegenwart wohl und ungezwungen. In Organisationen gelten sie oft als ehrliche, kompetente und produktive Führungspersönlichkeiten, die flexibel sind und sich dennoch auf ihre grundlegenden Ziele konzentrieren.

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· Sozialer Scharfsinn: Wer gut beobachten, seine eigene Wirkung beurteilen, die seelische Verfassung anderer „lesen“ und dementsprechend ihre wahren Absichten und Pläne erkennen kann, der entwickelt ein gutes Gespür dafür, welches Auftreten in einer Situation angemessen ist.

· Netzwerkfähigkeit: Ein Netz formaler und informeller Kontakte ist unschätzbar. So kann man eigene Anliegen mit Hilfe anderer leichter umsetzen und Zugang zu wichtigen Informationen bekommen. Gute Netzwerker sind in ihrem sozialen Geflecht oft ausgezeichnet positioniert und können gut Konflikte schlichten.

· Vertrauensbildung: Wer aufrichtig und frei von Hintergedanken zu sein scheint, gewinnt schneller das Vertrauen anderer Menschen. Je stärker diese Eigenschaft ausgeprägt ist, desto größer sind die Chancen, andere zu beeinflussen. Gleichzeitig schrumpft die Gefahr, dass andere dahinter Manipulation und obskure Beweggründe vermuten – selbst wenn das so sein sollte.

16 PROZENT MEHR GELD

Diese Eigenschaften unterscheiden sich von den „Soft Skills“ – einer großen, nicht genau definierten Ansammlung von Eigenschaften wie Disziplin und Höflichkeit, deren Nutzen kaum wissenschaftlich geprüft ist. Die „Political Skills“ sind dagegen klar definiert. Zudem hat das transatlantische Forschungsbündnis Ferris/Blickle das Konzept in etlichen Studien mit Tausenden Probanden aus verschiedenen Unternehmen geprüft. Beteiligt waren Manager eines Automobilunternehmens, Fachkräfte aus der IT-Branche, Verkäufer, höhere Verwaltungsangehörige und Schuldirektoren. In den Studien beurteilten Vorgesetzte und Kollegen die Leistungen und die Eigenschaften anderer Mitarbeiter. Wo es möglich war, wurden auch harte Fakten wie etwa Verkaufszahlen in die Studien einbezogen. Ein Resultat: „ Menschen, die politisch geschickt agieren, bringen gewöhnlich bessere Leistungen als solche, die das nicht so drauf haben“, sagt Blickle. Diese Personen werden von ihren Vorgesetzten als tüchtiger bewertet. „Die schwimmen nicht nur oben“, erklärt der Bonner Organisationspsychologe, „die können auch was.“ Und sie verdienen durchschnittlich 16 Prozent mehr Geld als ihre weniger politisch versierten Kollegen.

Intelligenz, so die Erkenntnis, bestimmt nicht so sehr den Erfolg eines Mitarbeiters wie sein politisches Geschick. Zudem hängt die Arbeitsleistung eines Teams von den politischen Fertigkeiten der Akteure ab. Je stärker sie sind, desto zufriedener sind die Mitarbeiter mit sich und der Firma, desto größer ist das Vertrauen in den Arbeitsplatz und desto geringer ist auch der Zynismus gegenüber dem Unternehmen. Zudem zeigen die Studien, dass politische Könner von Kollegen positiv bewertet werden, was sich wiederum auf ihren Ruf auswirkt.

TAKTIKER LEBEN GESÜNDEr

Mehr noch: Politisch versierte Mitarbeiter sind weniger gestresst, wenn sie Drucksituationen erleben. Oder: Sie empfinden Situationen, die andere als Druck erleben, als moderate Belastung. „Das lässt sich anhand physiologischer Faktoren wie dem Blutdruck messen“, freut sich Ferris. Er glaubt, dass politische Fertigkeiten negative Effekte auf den Körper förmlich „ neutralisieren“. Das mag am Selbstvertrauen dieser Menschen liegen oder aber am Wissen, dass sie mit ihrem sozialen Gespür und Netzwerk gut durch stressige Phasen kommen. „Die können sich an vielen Stellen ausweinen oder Hilfe kriegen“, bringt es Blickle auf den Punkt.

Allerdings sind nur wenige Menschen von Natur aus mit politischen Fertigkeiten ausgestattet. Die meisten müssen sie sich mühsam aneignen. Dabei kann ein persönlicher Mentor helfen – ein erfahrener Kollege mit gutem politischen Geschick, der einen unter die Fittiche nimmt, das Verhalten beäugt und Kontakte verschafft. Politische Fähigkeiten lassen sich durch soziales Lernen vermitteln. Das genügt Blickle nicht: Er plant eine Studie, die zeigen soll, inwieweit sich politisches Geschick durch gezieltes Training lernen lässt. ■

von Klaus Wilhelm

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