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Das Erbe von ROSAT

Allgemein

Das Erbe von ROSAT
Astronomen auf Spurensuche im Datenberg. Fast acht Jahre lang hat der bundesdeutsche Röntgensatellit ROSAT den unsichtbaren Himmel erforscht, ehe ein Ausfall der Lageregelung die Mission abrupt beendete. Jetzt blicken die Astronomen gespannt auf das Erbe von ROSAT: Was schlummert noch in der Datenflut?

Natürlich muß man immer mal damit rechnen, daß irgendein für den Betrieb extrem wichtiges Bauteil ausfällt – erst recht bei einem Satelliten, der ursprünglich auf anderthalb bis zwei Jahre Lebensdauer ausgelegt war und nach acht Jahren immer noch in der Erdumlaufbahn war.“ So kommentiert Dr. Bernd Aschenbach vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching, maßgeblich an Bau und Nutzung des Röntgensatelliten beteiligt, das jähe Ende von ROSAT ohne Wehmut. Kein Wunder, denn die Bilanz seiner Beobachtungen ist beachtlich.

Kannten die Astronomen vor ROSAT etwa 5000 Röntgenquellen am Himmel, so sind es mittlerweile 150000, die nun alle anhand der gesammelten Daten individuell untersucht werden können. Die Liste der Objekte reicht von den Kometen innerhalb des Sonnensystems über die verschiedenen Phasen aus dem Leben eines Sterns bis hin zu fernen, sehr aktiven Galaxienkernen. Schon jetzt sind mehrere tausend Forschungsberichte zu ROSAT-Quellen veröffentlicht worden, jeden Tag kommt ein neuer hinzu, und doch reicht das Erbe von ROSAT noch für viele Jahre.

Ausgelöst wurde das jähe Ende des bislang wohl erfolgreichsten deutschen Forschungssatelliten durch den endgültigen Verlust des Lagekontrollsystems, das für die Orientierung des Satelliten im Raum verantwortlich ist. Bereits im April 1998 war der letzte Sternsensor ausgefallen, was eine direkte Kontrolle der Blickrichtung des Satelliten unmöglich machte.

Während der nächsten Monate versuchten Wissenschaftler und Ingenieure im Deutschen Satellitenkontrollzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen, die Lageregelung auf die Sternkamera des kleinen UV-Teleskops umzubauen. Ende August, nach mehreren Versuchen, konnte tatsächlich eine neue, mehrwöchige Meßkampagne begonnen werden, in deren Verlauf der Satellit allerdings während eines Schwenks am Himmel zu sehr in Richtung Sonne gedreht wurde. Grelles Sonnenlicht gelangte so über die hochreflektierenden Röntgenspiegel in die Brennebene und machte dort das letzte verwendbare Meßgerät unbrauchbar, den High Resolution Imager (HRI, eine amerikanische Röntgenkamera mit hoher Auflösung) .

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Im Dezember 1998 wurde der deutsche Röntgendetektor reaktiviert, der schon vor Jahren abgeschaltet worden war, um Restmeßzeit für unerwartete Ereignisse am Röntgenhimmel zu behalten. Über die Weihnachtstage und den Jahreswechsel wurde der Satellit dann in einen Tiefschlaf versetzt, aus dem er nicht mehr aufwachte. Dank ROSAT wissen die Astronomen heute, daß der Kosmos angefüllt ist mit Röntgenquellen aller Art. Besonders auffällig – schon allein wegen ihrer Größe am Himmel – sind die sogenannten Supernova-Überreste. Sie entstehen, wenn massereiche Sterne am Ende ihres kurzen Lebens haltlos in sich zusammenstürzen und dabei ihre äußeren Schichten explosionsartig wegschleudern.

Hunderte solcher Explosionswolken sind mit ROSAT beobachtet und untersucht worden – die Liste reicht von der Supernova 1987 A in der Großen Magellanschen Wolke, einer kleinen Nachbargalaxie unserer Milchstraße, über den Krabbennebel im Sternbild Stier, der auf eine Sternexplosion aus dem Jahre 1054 zurückgeht, bis hin zur jüngst gemeldeten Entdeckung der Überreste einer vergleichsweise nahen Supernova, die vor rund 500 bis 700 Jahren weitgehend unbeobachtet am irdischen Himmel aufgeleuchtet sein muß.

Obwohl der Stern damals vorübergehend hell genug gewesen sein dürfte, um selbst am Taghimmel aufzufallen, gibt keine Chronik weltweit einen Hinweis auf dieses spektakuläre Ereignis, nicht einmal chinesische Chroniken, die sonst eine wahre Fundgrube für die Identifizierung himmlischer Erscheinungen sind. Allerdings sind diese im 13. Jahrhundert, als China unter dem Joch der Mongolen litt, sehr lückenhaft.

Erste Hinweise auf eine mögliche Explosionswolke hatte Bernd Aschenbach bereits 1996 bei der Auswertung von ROSAT-Daten entdeckt: Bei dem Versuch, die Röntgenstrahlung des seit langem bekannten Supernova-Überrestes im südlichen Sternbild Vela (Segel) nach ihrer Energie zu sortieren, stieß er im oberen Energiefenster auf einen nahezu kreisförmigen Strahlungsbereich.

Da die Radioastronomen an dieser Stelle bislang keine auffällige Strahlung registriert hatten, blieb die Deutung als Supernova-Überrest zunächst recht vage. Dabei ließ die Kombination von Ausdehnung und Temperatur der mutmaßlichen Explosionswolke Spektakuläres vermuten: Die aus den Beobachtungen abgeleiteten 30 Millionen Grad deuteten auf ein vergleichsweise junges Objekt hin. Es schien sich um eine sehr nahe Explosionswolke zu handeln, sonst würde sie nicht viermal so groß wie der Vollmond erscheinen. Eine weiter entfernte Trümmerwolke hätte sich in so kurzer Zeit nicht zu der beobachteten Größe aufblähen können.

Für die Nähe sprach auch, daß eine in gleicher Richtung angesiedelte interstellare Gas- und Staubwolke im Spektrum der Röntgenquelle keine erkennbare Absorption verursachte, sie also eher hinter der Quelle liegen sollte. Die Entfernung dieser Molekülwolke aber wird auf rund 3300 Lichtjahre geschätzt.

Endgültige Gewißheit lieferten schließlich Daten des europäisch-amerikanischen Gammastrahlensatelliten COMPTON, die ebenfalls am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik ausgewertet wurden. Sie ließen den für solche Explosionswolken typischen Zerfall von radioaktivem Titan-44 erkennen.

Dieses mit einer Halbwertszeit von rund 100 Jahren recht langlebige Titan-Isotop entsteht ausschließlich beim sogenannten Silizium-Brennen in Supernova-Explosionen, wenn es für kurze Zeit zu so extrem hohen Dichten und Temperaturen kommt, daß sich die atomaren Kernbausteine neu formieren können. Titan-44 zerfällt unter Aussendung von Gammastrahlung zunächst in Scandium und dann weiter in Kalzium. Aus der Intensität der Gamma-Strahlung und einer typischen Produktionsrate für Titan-44 ergibt sich für das Alter der Explosionswolke im Sternbild Segel ein Wert zwischen etwa 500 und 1200 Jahren. Um sich in diesem Zeitraum mit der im Gamma- und Röntgenspektrum erkennbaren Expansionsgeschwindigkeit von rund 5000 Kilometer pro Sekunde auf die beobachtete Größe ausweiten zu können, kann das Objekt nicht weiter als 600 Lichtjahre entfernt sein. Damit wäre es der Überrest der erdnächsten Supernova in der jüngeren Geschichte der Menschheit. Andere ähnlich nahe gelegene Explosionswolken gehen auf Sternexplosionen zurück, die vor mehr als 10000 Jahren stattfanden.

Da die Aussendung von Röntgenstrahlung an extreme Umweltbedingungen – hohe Temperatur oder starke Magnetfelder – geknüpft ist, hatten die Astronomen als Quellen Supernova-Überreste, Neutronensterne oder aktive Galaxienkerne erwartet. Aber auch die heißen Koronagase normaler Sterne erwiesen sich – zumindest in der näheren Sonnenumgebung – als genügend helle Strahler. Überraschend kam im Frühjahr 1996 die Entdeckung, daß auch Kometen von Röntgenstrahlung begleitet werden.

Offenbar holen sich schwere Ionen des anströmenden Sonnenwindes fehlende Elektronen von den Atomen der abströmenden Kometengase. Bei diesem Ladungsaustausch entstehen zahlreiche Röntgenspektrallinien, die ROSAT zwar nur als Gesamtleuchten erkannte, die aber künftige Röntgensatelliten auch einzeln erfassen dürften.

Ähnlich überraschend wurde im Spätherbst 1998 gemeldet, daß selbst Braune Zwerge ungeachtet ihrer niedrigen Oberflächentemperatur im Röntgenlicht beobachtet werden können: Nachdem Dr. Ralph Neuhäuser vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik die Daten verschiedener Meßperioden so überlagert hatte, daß sie einer Belichtungszeit von insgesamt zehn Stunden entsprachen, fand er im Sternbild Chamäleon eine extrem schwache Quelle, die anhand optischer Vergleiche eindeutig als Brauner Zwerg mit einer Oberflächentemperatur von rund 2600 Grad zu identifizieren war. Dieser Winzling verfügt nur über vier Prozent der Sonnenmasse und dürfte gerade eine Million Jahre alt sein. Damit ist er der bislang jüngste nachgewiesene Vertreter seiner Art.

Bei zwei weiteren, noch schwächeren Röntgenquellen in der gleichen Gegend könnte es sich ebenfalls um Braune Zwerge handeln, zumal optische Beobachtungen an den entsprechenden Stellen nur eine sehr schwache Strahlung nachgewiesen haben. Drei andere optische Quellen bleiben dagegen ohne erkennbare Röntgen-Gegenstücke.

Noch ist nicht klar, wie die Röntgenstrahlung eines Braunen Zwerges entsteht. Denkbar wäre nach Ansicht der Astronomen, daß extrem junge Braune Zwerge sehr rasch rotieren und über einen Dynamoeffekt in ihrem Innern starke Magnetfelder produzieren, die eine vorhandene Korona so weit aufheizen, bis schließlich Röntgenstrahlung freigesetzt wird. Ralph Neuhäuser hofft, demnächst mit einem der 8,20-Meter-Spiegel des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO ein hochauflösendes Spektrum der Quelle aufnehmen zu können und darin Hinweise zu finden, ob es die schnelle Rotation tatsächlich gibt.

Hermann-Michael Hahn

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