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Superwaage für Leichtgewichte

Allgemein

Superwaage für Leichtgewichte
Chemnitzer Physiker haben ein Verfahren entwickelt, mit dem die Masse von winzigen Teilchen auf ein tausendstel Prozent genau bestimmt werden kann.

Das Maß aller Dinge ist ein silbrig glänzender Metallzylinder mit einer Höhe und einem Durchmesser von 39 Millimetern. Er wird in Sèvres bei Paris aufbewahrt, besteht aus einer Platin-Iridium-Legierung und wiegt exakt ein Kilogramm – so wurde es 1889 auf einer Konferenz definiert.

Seither hält sich die ganze Welt an diesen Standard. Im Gegensatz zu allen anderen Basiseinheiten wie Meter, Sekunde oder Ampere, die über Naturkonstanten definiert sind, ist das Urkilogramm ein Ding.

„Wenn wir mit einer außerirdischen Zivilisation über die Natur sprechen wollten, könnten wir alles mit Hilfe von Zahlen ausdrücken, nur nicht das Kilogramm – das müßten wir werfen“, sagt Richard Deslattes vom National Institute of Standards and Technology in Gaithersburg, Maryland. Das Problem betrifft jedoch nicht nur eine mögliche extraterrestrische Kommunikation. Auch auf der Erde ist die Verständigung über den Masse-Standard schwierig, weil er nur über Urkilogramm-Kopien weitergegeben werden kann. Deshalb suchen Forscher nach Möglichkeiten, das Kilogramm neu zu definieren (bild der wissenschaft 3/1999, „Das Maß der Masse“). Deslattes will dies mit dem Abzählen von Atomen versuchen.

Doch die riesige Zahl von Atomen in einem Kilogramm zu zählen, ist bislang technisch ein Ding der Unmöglichkeit. Helfen könnte eine hochgenaue Präzisionswaage, die Prof. Dieter Gerlich und seine Mitarbeiter Dr. Stephan Schlemmer, Jens Illemann und Stefan Wellert an der Technischen Universität Chemnitz entwickelt haben. Sie ist in der Lage, Teilchen mit einer Masse von rund 100 billiardstel Gramm auf ein tausendstel Prozent genau zu wiegen.

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Herzstück der Superwaage ist ein Speicher, in dem elektrisch geladene Teilchen von einigen tausendstel Millimetern Größe tagelang eingesperrt werden können. Er besteht aus zwei schalenförmigen Elektroden, die sich gegenüberstehen, sowie einer Ringelektrode. An diese Elektroden, die nur wenige Millimeter Abstand voneinander haben, wird eine Wechselspannung angelegt. Das so erzeugte elektrische Feld kann die Teilchen festhalten. Für Ionen hatte der Bonner Physiker und spätere Nobelpreisträger Wolfgang Paul schon in den fünfziger Jahren eine solche Falle entwickelt.

Die Chemnitzer Forscher haben das Prinzip aufgegriffen und für ihre Zwecke modifiziert. Sie richten permanent einen Laserstrahl auf das gefangene Teilchen. Über eine Linse sammeln sie das schwache Streulicht und messen es mit einem hochempfindlichen Detektor. Aus den Frequenzänderungen dieses Lichtes läßt sich das Verhältnis von der Ladung zur Masse des Teilchens ermitteln. Dann beschießen die Forscher das Teilchen mit Elektronen. Aus der Zahl der verschluckten Elektronen erhalten sie die absolute Ladung des Teilchens – und so auch dessen absolute Masse.

Die Probe wird bei der Messung nicht zerstört. So können die Chemnitzer Physiker mit der Teilchenfalle tagelang messen und beispielsweise anhand der Masse verfolgen, wie sich einzelne Moleküle auf einen Partikel setzen. Eines ihrer Ziele ist es zu verstehen, wie sich Staubkörner im Weltraum entwickeln und wie sich darauf Eisschichten bilden können. In anderen Experimenten geht es um die optischen Eigenschaften von genau gewogenen Nanoobjekten.

„Mit unseren Speicherexperimenten wollen wir Massenänderungen mit extremer Präzision messen, und wir sind zuversichtlich, unsere Meßgenauigkeit künftig um das Tausendfache zu steigern“, sagt Teamleiter Gerlich. „Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, uns mit der Abschaffung des Urkilogramms zu beschäftigen.“ Doch es sei vorstellbar, daß das Speicherverfahren schließlich in die Reihe der Konzepte aufgenommen wird, mit denen das Maß der Masse neu definiert werden soll.

Die Physikalisch Technische Bundesanstalt in Braunschweig, die dafür in Deutschland verantwortlich ist, hat an der Superwaage aus Chemnitz jedenfalls schon Interesse gezeigt. Vielleicht wird Deslattes seinen außerirdischen Kollegen bald funken können, daß ein Kilogramm der Masse von beispielsweise 5,01844725 Ÿ 1025 Atomen des Kohlenstoff-12 entspricht. Eine solche Zahl müßte aber zuvor auf einer Konferenz festgelegt werden.

Rüdiger Vaas

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