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Einsteins Mond und Schrödingers Katze

Astronomie|Physik

Einsteins Mond und Schrödingers Katze
Trotz einer beispiellosen experimentellen Erfolgsgeschichte streiten Forscher noch immer darüber, was die Quantentheorie eigentlich bedeutet und ob sie wirklich richtig ist – eine Ehrenrettung für Einsteins Zweifel.

Melancholische Akkorde erfüllten den Raum. Schwingende Saiten und Wellenmechanik – aber nicht so, wie sie den Quantenphysikern die ganze Woche im Kopf herumschwirrten, sondern als echter, erdiger Blues. Zuletzt waren die beiden Gitarristen vor 30 Jahren miteinander aufgetreten. Der eine – mit dem passenden Namen Peter Finger – hat sich seither zu einem der besten und bekanntesten Gitarrenspieler im Land entwickelt. Der andere, Detlef Dürr, wurde Professor am Mathematischen Institut der Universität München und konzentriert sich seither mehr auf unhörbare Wellen, die gleichwohl alles regieren könnten – Blues-Noten eingeschlossen.

Gute Freunde sind beide geblieben. Und so war es ihnen ein großes Vergnügen, im frisch renovierten Hörsaal des Zentrums für Interdisziplinäre Forschung in Bielefeld einmal etwas anderes, nämlich Musik, erklingen zu lassen. Fast 100 Physiker und Mathematiker hatten sich im Februar für eine Woche in dem inspirierenden Forschungstempel am Rand des Teutoburger Walds eingefunden. In der von Dürr mitveranstalteten hochkarätigen internationalen Konferenz mit dem für Laien kryptischen, für Eingeweihte hingegen elektrisierenden Titel „Quantentheorie ohne Beobachter“ ging es um nichts weniger als die Fundamente der Wirklichkeit.

Eine der zentralen Streitfragen ist, wovon die Quantentheorie eigentlich handelt. Ist sie eine Theorie über die Realität oder über unsere Erfahrung der Realität oder nur über Regelmäßigkeiten in unserer Erfahrung?

Diese Frage wurde schon in den Gründerjahren der Quantentheorie heftig diskutiert. Quantenphysiker wie Louis de Broglie, Paul Ehrenfest, Albert Einstein, Max Planck und Erwin Schrödinger argumentierten, dass die Quantentheorie entweder realistisch oder falsch – das heißt unvollständig – sein müsse. „ Realistisch“ heißt, dass sie sich auf eine beobachterunabhängige Wirklichkeit beziehen müsse. Mit Einsteins Bonmot: Der Mond ist auch da, wenn keiner hinschaut. Dagegen bezweifelten andere prominente Wissenschaftler wie Niels Bohr, Max Born, Paul Dirac, Werner Heisenberg, Pascual Jordan und Wolfgang Pauli, dass die Quantentheorie von einer solchen Realität handelt – oder sie bezweifelten, dass diese überhaupt existiert.

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Es stellen sich mindestens drei zusammenhängende Fragen, wie der italienische Quantenphysiker Franco Selleri betont:

• Realität: Gibt es die fundamentalen Objekte der Quantentheorie – also insbesondere Photonen, Elektronen und Atomkerne – unabhängig von Beobachtern und Messungen?

• Verständlichkeit: Können wir die Eigenschaften und Veränderungen von Quantenobjekten überhaupt realistisch verstehen?

• Kausalität: Hat jede gemessene Wirkung eine Ursache, und können wir diese mit Hilfe von physikalischen Gesetzen beschreiben?

Selleri zufolge muss mindestens eine der folgenden Voraussetzungen aufgegeben werden:

• Realismus: Die (sub)atomaren Objekte existieren unabhängig von (menschlichen) Beobachtern.

• Lokalität: Räumlich getrennte Objekte sind voneinander unabhängig und können nicht überlichtschnell miteinander interagieren; es gibt keine augenblicklichen Fernwirkungen.

• Vollständigkeit: Die Quantentheorie ist korrekt und komplett; es gibt keine verborgenen Variablen.

Diese Probleme sind alarmierend – und keineswegs eine Frage des persönlichen Weltbilds oder Geschmacks. Sie sind auch experimentell von Bedeutung. Zentral ist hier das so genannte EPR-Paradoxon, benannt nach den Anfangsbuchstaben der Autoren, die es 1935 in der Zeitschrift „Physical Review“ vorstellten: Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen. Vereinfacht gesagt erkannten sie, dass die Quantentheorie entweder unvollständig ist und somit durch „verborgene Variablen“ ergänzt werden muss, oder dass es so genannte verschränkte Zustände gibt. Bei diesen „spukhaften Fernwirkungen“, wie sich Einstein ausdrückte, würde die Messung einer Quanteneigenschaft, beispielsweise der Polarisation eines Photons, augenblicklich die Quanteneigenschaft eines damit verschränkten anderen Photons festlegen – unabhängig davon, wie weit die beiden Teilchen voneinander entfernt sind. Diese „EPR-Korrelation“ würde also in Nullzeit geschehen, ohne die Möglichkeit einer kausalen Wechselwirkung. Diese „Nichtlokalität“ widerspricht dem klassischen Realismus, der strikt lokal ist.

Dank des technischen Fortschritts konnten Einsteins Gedankenexperimente in den letzten 25 Jahren praktisch umgesetzt werden. Die Ergebnisse sind eindeutig: Quantensysteme existieren nicht isoliert voneinander und lassen sich streng genommen nicht unabhängig voneinander beschreiben. Das heißt: Es gibt die verschränkten Quantenzustände – die EPR-Korrelationen – wirklich. „Diese Nichtlokalität ist ein Stachel in Einsteins Fleisch“, sagt Dürr. Und sie ist heute nicht mehr umstritten. Im Gegenteil: Sie ist die Grundlage zahlreicher Experimente und künftiger Anwendungen, von der Quantenteleportation über die Quantenkryptographie bis zum Quantencomputer (bild der wissenschaft 9/2003, „Spuk in der Quantenwelt“) – und auch der Grund für Bohrs ominöse Komplementarität von Wellen und Teilchen (bild der wissenschaft 1/1999, „Schockierende Quantenwelt“).

Zentral in der Quantentheorie ist die Schrödinger-Gleichung mit ihrer Wellen- oder Psi-Funktion. Diese 1926 von Erwin Schrödinger formulierte Gleichung, die wohl am meisten zitierte in der gesamten Physik, kann zwar nur in den allereinfachsten Fällen exakt gelöst werden, etwa für das Wasserstoff-Atom. Doch es besteht kein Zweifel , dass sie im Prinzip für die gesamte Materie gilt – auch für eine Horde von Brüllaffen im Regenwald, wie es der Quantenphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker einmal ausgedrückt hat.

In der Standardformulierung – oder orthodoxen Interpretation – der Quantentheorie kommen zwei Arten von Gesetzen vor, die einander streng genommen widersprechen:

• Erstens die deterministische Dynamik der linearen, reversiblen Schrödinger-Gleichung. Sie gilt für ein unbeobachtetes Quantensystem. Es befindet sich in Superposition – in einem „verschmierten“ Überlagerungszustand aller möglichen Einzelzustände.

• Und zweitens der zufällige, nicht determinierte und diskontinuierliche so genannte Kollaps der Wellenfunktion zu einem „scharfen“ Eigenzustand der Observablen (der Messgröße), wenn das System gemessen wird. Daher können wir immer nur bestimmte, eindeutige Eigenschaften messen. Hier kommt es also zum Übergang vom Mikro- zum Makrokosmos und von der Reversibilität zur Irreversibilität, denn der Messprozess lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Das berüchtigte Messproblem in der Quantenphysik entsteht, weil diese beiden dynamischen Gesetze nicht miteinander kompatibel sind – und kein System gleichzeitig beiden gehorchen kann, wenn man Messgeräte (oder auch Beobachter mit Bewusstsein) als gewöhnliche physikalische Systeme versteht.

Obwohl sich die Quantentheorie für alle praktischen Zwecke bewährt hat, lässt die orthodoxe Lehrbuch-Interpretation der Quantenmechanik von Bohr und Heisenberg – die so genannte Kopenhagener Deutung – offen, was eigentlich eine Messung konstituiert und wie es folglich zum Kollaps der Wellenfunktion kommt. Auch ist deren Bedeutung bis heute nicht klar. Schrödingers Kollege Erich Hückel brachte die Verwirrung schon früh poetisch auf den Punkt: „Gar manches rechnet Erwin schon/ Mit seiner Wellenfunktion./Nur wissen möcht man gerne wohl/ Was man sich dabei vorstell’n soll.“

Erwin Schrödinger hat die irritierende und unbefriedigende Situation selbst erkannt. 1935 versuchte der Nobelpreisträger sie mit einem Gedankenexperiment zu illustrieren, das Furore machte: „ Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss): In einem Geiger’schen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Lauf einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, dass in ihr die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind.“

Diese Parabel ist nicht nur ein Beispiel, wie unangemessen eine Übertragung mikrophysikalischer Phänomene (beispielsweise der verschmierten Zwitterzustände) auf makroskopische Objekte der Alltagswelt (etwa auf Katzen) ist. Sie verdeutlicht auch die Dringlichkeit der Frage, wie die klassischen makroskopischen Eigenschaften aus der bizarren mikroskopischen Dynamik entstehen und was von dem berüchtigten „Kollaps der Wellenfunktion“ eigentlich zu halten ist. Schrödinger jedenfalls glaubte nicht an die Realität dieses Kollaps, sondern sah dahinter „nur einen bequemen Rechentrick“. Er hielt seine Gleichung für „ein abstraktes, nicht intuitives mathematisches Konstrukt; es ist schwer zu glauben, dass sie die Realität repräsentiert“ – und rief einmal vor lauter Verärgerung: „Wenn die verdammte Quantenspringerei doch wieder anfangen soll, dann tut es mir Leid, die ganze Theorie gemacht zu haben.“

Viele Physiker und Philosophen haben Schrödingers Katze freilich ernst und wörtlich genommen – und sich damit einer subjektivistischen Deutung der Quantentheorie verschrieben, wie sie letztlich auch die Kopenhagener Interpretation ist. Hier spielt der Beobachter eine entscheidende Rolle (siehe Kasten unten „Geistiges Baumaterial der Welt“). Demnach würde die Physik letztlich vom Bewusstsein und nicht von der Materie handeln – ein klassischer Fall von Antirealismus oder Idealismus. Einsteins Mond wäre ein mentales Geschöpf und kein selbstständiges Objekt am Himmel. So verwundert es nicht, dass der britische Physiker Stephen Hawking einmal scherzte: „Wenn ich jemanden von Schrödingers Katze sprechen höre, greife ich nach meinem Gewehr.“

Ist es wirklich sinnvoll anzunehmen, dass die Katze in der Kiste zugleich tot und lebendig ist – oder eben keines von beidem –, solange sie niemand beobachtet? Und lässt sich ein Idealismus tatsächlich durchhalten? Er mag vielleicht philosophisch unwiderlegbar sein, doch erscheint er pragmatisch vollkommen bizarr und selbstwidersprüchlich. Dies zeigt sich, wie der Schriftsteller Robert Musil pointierte, schon daran, „dass man mit einigen Löffeln Rhizinusöl, die man einem Idealisten einflößt, die unbeugsamsten Überzeugungen lächerlich machen kann“ . Der nordirische Physiker John Bell hat es etwas charmanter ausgedrückt: „Es ist immer interessant zu sehen, dass Solipsisten und Positivisten, wenn sie Kinder haben, Lebensversicherungen besitzen.“ Viele Physiker sind deshalb nicht länger gewillt, die orthodoxe Kopenhagener Deutung und andere subjektivistische Tendenzen zu akzeptieren und suchen nach neuen, objektivistischen Lösungen. „Die Tatsache, dass eine angemessene philosophische Darstellung so lange dauert, ist zweifelsohne von der Tatsache verursacht, dass Niels Bohr eine ganze Generation von Theoretikern einer Hirnwäsche unterzog, sodass sie dachten, die Arbeit sei doch schon vor 50 Jahren erledigt worden“, hat Murray Gell-Mann in seiner Nobelpreis-Rede bereits 1976 sarkastisch beklagt.

„Inzwischen ist man davon abgekommen, sich das Messproblem ausreden zu lassen“, sagt Detlef Dürr. Die Quantentheorie müsse von der Natur handeln und nicht von subjektiven Beobachtungen. „ Viele Physiker machen Lippenbekenntnisse zur Kopenhagen-Interpretation, wonach die Quantenmechanik fundamental von Beobachtungen und Messergebnissen handelt. Aber es wird immer schwieriger, jemanden zu finden, der diese Interpretation verteidigt, wenn man ihn angreift“, schlägt Sheldon Goldstein von der State University of New Jersey in Rutgers in dieselbe Kerbe. „ Es wird deutlich, dass die Quantenmechanik fundamental von Atomen und Elektronen handelt und nicht von den makroskopischen Regularitäten, die mit dem verbunden sind, was wir Messungen nennen.“

Auf der Quantenphysik-Konferenz in Bielefeld ist einmal mehr deutlich geworden, wie berechtigt Einsteins Widerstand war und immer noch ist. Bezüglich seines Beharrens auf einer realistischen, objektivistischen Interpretation kann man inzwischen von seiner Rehabilitierung sprechen, auch wenn offen ist, welche Form die Quantentheorie künftig einnehmen wird.

Fest steht zwar, dass sich die Nichtlokalität – entgegen Einsteins Überzeugung – wohl nicht mehr aus der Theorie verbannen lässt. Doch das bedeutet nicht, mit der Lokalitäts-Prämisse auch den Realismus oder die Kausalität über Bord zu kippen. Tatsächlich gibt es gut ausgearbeitete nichtlokale realistische Theorien. Und manche davon enthalten nicht einmal einen unhintergehbaren quantenphysikalischen Zufall, wie ihn Einstein mit seinem berühmten Ausspruch „Gott würfelt nicht“ auch nicht wahrhaben wollte. „Der Gedanke, dass ein einem Strahl ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluss den Augenblick und die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir unerträglich. Wenn schon, dann möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter einer Spielbank sein als Physiker“, beklagte sich Einstein bei Max Born. „Die Welt als großes Roulette“ war ihm einfach „eine deprimierende Vorstellung“.

Die Entwicklungen der letzten Jahre bestärken Einsteins Skepsis. „Vielleicht wird sich noch herausstellen, dass Einstein doch schließlich Recht hatte und die heutige Form der Quantenmechanik nicht als endgültig betrachtet werden sollte“, orakelte Paul Dirac vor 30 Jahren – und ist damit heute aktueller denn je. „Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, dass wir irgendwann in der Zukunft eine verbesserte Quantenmechanik haben werden, die eine Rückkehr zum Determinismus bedeuten wird und damit Einsteins Ansichten rechtfertigen wird.“ Inzwischen gibt es mehrere Erfolg versprechende Kandidaten für eine solche „ verbesserte Quantenmechanik“ (siehe Beitrag ab Seite 48). Einstein hätte also Grund zur Freude. Rüdiger Vaas■

COMMUNITY Lesen

Sehr lesenswerte aktuelle Einführungen:

Jürgen Audretsch (Hrsg.):

VERSCHRÄNKTE WELT

Wiley-VCH, Berlin 2002, € 24,90

Claus Kiefer

QUANTENTHEORIE

Fischer, Frankfurt am Main 2002, € 8,90

Geschichte und Philosophie der Quantenphysik, letztere mit Vorsicht zu genießen:

Shimon Malin

DR. BERTLMANNS SOCKEN

Reclam, Leipzig 2003, € 29,90

Objektivistische Quantentheorien:

Sheldon Goldstein

QUANTUM THEORY WITHOUT OBSERVERS

Physics Today (1998), Bd. 51, Nr. 3 und 4, S. 42–46 und 38–4 2

Ein Kapitel zur Viele-Historien-Interpretation enthält:

Murray Gell-Mann

DAS QUARK UND DER JAGUAR

Piper, München 1994 (vergriffen)

Übersichtsartikel zur Spontanen Lokalisation:

Angelo Bassi, GianCarlo Ghirardi

DYNAMICAL REDUCTION MODELS

Physics Reports (2003), Bd. 379, S. 257–427

Internet

Informationen zur Konferenz „Quantenphysik ohne Beobachter“ :

www.qtwo-symposium.de

Mechanismus und Bedeutung der Dekohärenz:

www.decoherence.de

Webseiten zur Bohm’schen Mechanik:

plato.stanford.edu/entries/qm-bohm/

bohm-c705.uibk.ac.at/www.mathematik.uni- muenchen.de/~bohmmech/ BohmHome/bmhome.htm

Artikel über Quantenphysik und Bewusstsein:

www.marilia.unesp.br/ atividades/extensao/ revista/v3/artigo4.html

Ohne Titel

„Niemand versteht die Quantentheorie“, war Richard Feynman überzeugt – obwohl seine eigenen Arbeiten zur Quantenphysik 1965 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Das liegt vor allem am Doppelspalt-Experiment. Es birgt, mit den Worten Feynmans, „das Herz der Quantenmechanik in sich“ und ist „unmöglich, absolut unmöglich auf klassische Weise zu erklären“. Es „enthält das gesamte Rätsel der Quantenmechanik“, schrieb er 1967. „Welcher Mechanismus steckt dahinter? Niemand weiß es. Niemand kann eine tiefere Erklärung dieses Phänomens geben.“

Und so sieht das Rätsel aus: Tritt Licht durch einen Spalt, wird auf einer Leinwand oder einer Fotoplatte dahinter ein leuchtender Strich abgebildet (A und B in der Grafik). Sind zwei parallele Spalten zugleich geöffnet, sollten sich der klassischen Physik zufolge entsprechend zwei Leuchtspuren dahinter ausbilden (C). Doch in der Quantenphysik ist das Ganze mehr als die Summe der Teile: Anstelle von zwei Leuchtspuren entsteht ein komplexes Interferenzmuster (D). Demnach verhalten sich die Photonen – deren Teilchennatur sich in Experimenten wie dem Photo- und Compton-Effekt oder in elektronischen Photonenzählern offenbart – wie Wellen, die einander überlagern. Dasselbe gilt für Materie, beispielsweise für Elektronen oder Neutronen. Sogar komplexe Moleküle wie Fullerene (C60 und C70) konnten inzwischen zur Interferenz gebracht werden. Das Überlagerungsbild entsteht auch dann, wenn man einzelne Partikel mit großen Zeitabständen nacheinander auf den Doppelspalt „tröpfeln“ lässt. Es ist, als „ wüssten“ sie, ob beide Spalten offen sind oder nicht – obwohl nach klassischem Verständnis ein Teilchen doch nur entweder durch den einen oder durch den anderen Spalt gelangen sollte, aber schwerlich mit sich selbst interferierend durch beide. Wird das Teilchen dagegen zwischen Spalt und Schirm beobachtet, so dass sich sein Weg rekonstruieren lässt, verschwindet das Interferenzmuster.

Das Superpositionsprinzip ist auch der Grund dafür, dass Quantensysteme – ganz im Gegensatz zur klassischen Physik – miteinander „verschränkt“ sind. Dadurch entsteht die Nichtlokalität und das Messproblem, das der Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger mit seiner bedauernswerten Katze illustriert hat, die aufgrund der quantenmechanischen Verschränkung lebendig und tot zugleich sein müsste. Durch die Dekohärenz – die Wechselwirkung mit der Umwelt – vergrößert sich die Superposition, so dass wir einen eindeutigen Katzen-Zustand wahrnehmen. Aber das verschiebt das Messproblem nur, denn letztlich müsste sich dann das ganze Universum in einem gespenstischen Überlagerungszustand aus allen Möglichkeiten befinden: in einer Art universeller Interferenz. RV

Ohne Titel

· Immer mehr Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass das bisherige Verständnis der Quantenwelt unzureichend ist.

· Im Gegensatz zur subjektivistischen Lehrbuch-Meinung soll sich die künftige Quantentheorie auf eine objektive Wirklichkeit beziehen, die unabhängig von Beobachtungen und Messungen existiert.

Ohne Titel

John von Neumann, einem der Gründerväter der Quantentheorie, zufolge „sind empirische Aussagen immer von dieser Art: Ein Beobachter hat eine bestimmte (subjektive) Beobachtung gemacht; und niemals dieser Art: Eine physikalische Größe hat einen bestimmten Wert.“ Niels Bohr beharrte auf der „Unmöglichkeit einer scharfen Trennung zwischen dem Verhalten atomarer Objekte und der Wechselwirkung mit den Messgeräten, die dazu dienen, die Bedingungen zu definieren, unter denen die Phänomene erscheinen.“ Und weiter: „Es ist falsch zu denken, dass es die Aufgabe der Physik sei herauszufinden, wie die Natur beschaffen ist. Physik handelt davon, was wir über die Natur sagen können.“ Bohr glaubte, der Quantenphysik zufolge sei es „unmöglich, den Beobachter (oder das beobachtende Instrument) vom System zu trennen“. Werner Heisenberg wurde noch deutlicher: „Die Idee einer objektiven realen Welt, deren kleinste Teile objektiv im selben Sinn existieren wie Steine und Bäume, unabhängig davon, ob wir sie beobachten oder nicht, ist unmöglich.“ Und weiter: „Wir können nicht länger von dem Verhalten von Teilchen unabhängig vom Vorgang der Beobachtung sprechen. Auch ist es nicht länger möglich zu fragen, ob diese Teilchen objektiv in Raum und Zeit existieren.“ Auch für Anton Zeilinger, Physik-Professor an der Universität Wien, bleibt „die Kopenhagener Interpretation eine der signifikantesten intellektuellen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Ihre Grundeinstellung zur fundamentalen Rolle der Beobachtung bedeutet einen großen intellektuellen Schritt über den naiven klassischen Realismus hinaus. In der klassischen Physik wird die Beobachtung häufig als sekundär betrachtet, während die Elemente der realen Welt primär sind. Es ist jedoch offensichtlich, dass jede Aussage über die Natur auf Beobachtungen gegründet sein muss. Was also könnte natürlicher sein als eine Theorie, in der die Beobachtung eine fundamentalere Rolle spielt als im klassischen Weltbild?“

Über die Natur der Beobachtung sind sich die Anhänger einer subjektivistischen Deutung freilich nicht einig (bild der wissenschaft 9/2000, „Quantenspuk“). Die radikalste und vielleicht sogar unvermeidliche Konsequenz – schon 1939 von Fritz London und Edmond Bauer favorisiert, später auch von dem Physik-Nobelpreisträger Eugene Wigner – ist der Idealismus, wonach der Geist die Wellenfunktion zum Kollaps bringt. „Das Baumaterial der Welt ist geistiges Material“, folgerte denn auch der britische Physiker Arthur Eddington schon 1928. RV

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