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Protzen auf Pump

Gesellschaft|Psychologie

Protzen auf Pump
Das immer wieder suggerierte Bild vom völlig überschuldeten Nachwuchs ist nach einer neuen Studie nicht haltbar. Zwar gehen Kinder und Jugendliche recht locker mit Geld um. Sobald es sich jedoch um Selbstverdientes handelt, ändert sich ihre Einstellung.

Die gute Nachricht zuerst: Dass Schulden eine Frage der Ehre sind, ist für die meisten Jugendlichen selbstverständlich. Eine solide Finanzwirtschaft und die zuverlässige Rückzahlung von Schulden, so sie doch einmal nötig werden, sind Tugenden, die bei jungen Leuten nach wie vor hoch im Kurs stehen.

Und: Die überwiegende Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist schuldenfrei – allen Schreckensmeldungen in den Medien zum Trotz, die in monotoner Wiederkäuermanier verkünden, dass vor allem Handys, SMS und Klingeltöne die Jugend mehr und mehr in den finanziellen Ruin treiben würden.

Die schlechte Nachricht: Völlig aus der Luft gegriffen sind diese Meldungen nicht. Viele Schuldenberatungsstellen bestätigen, dass etliche ihrer jüngsten Klienten über das Mobiltelefon als Schuldenverursacher jammern. „Manche Jugendliche haben Handyrechnungen, die das Einkommen eines Erwachsenen voraussetzen“ , heißt es auf den Internetseiten eines Projekts der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein und des Vereins „Hilfe für Gefährdete“.

Auch das private Institut für Jugendforschung (IJF) in München bestätigt in seiner jüngsten Studie „Finanzkraft der 13- bis 24-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland“: Die mobilen Kommunikationsgeräte und die Telefonkosten zählen zu den Hauptgründen für erste Schulden junger Leute. Auf die Frage „Für was hast du Schulden gemacht?“ erklärten 18 Prozent der verschuldeten Jugendlichen „Für Handy und Telefonrechnung“. Nur Auto, Mofa und Roller bringen die Befragten noch häufiger ins Soll.

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Tatsächlich verschuldet ist aber nur ein kleiner Teil der jungen Generation: Jeder zehnte Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 13 und 24 Jahren lebt, so die IJF-Studie, über seine finanziellen Verhältnisse, steht dann allerdings gleich mit durchschnittlich 1550 Euro bei Banken, Freunden, Eltern oder Geschwistern in der Kreide.

Der Anteil der verschuldeten Jugendlichen steigt mit zunehmendem Alter: Während sich von den 13- bis 17-Jährigen 6 Prozent bei Mama, Papa oder Oma und Opa Geld leihen, kommen von den 18- bis 20-Jährigen bereits 13 Prozent mit den eigenen Einkünften nicht aus. In der Gruppe der 21- bis 24-Jährigen haben gar 16 Prozent Erfahrungen mit Krediten bei Verwandten oder Banken.

Dass Verschuldung zwar kein Massenproblem der jungen Generation, aber ein ernst zu nehmendes Thema ist, bestätigt Armin Lewald: „Alarmierend ist vor allem die ausgeprägte Bereitschaft unter jungen Leuten, sich auf Schulden einzulassen, statt Verzicht zu üben oder auf eine Anschaffung zu sparen.“ Schuld an den Schulden könnte, so der Oldenburger Professor für Haushalts- und Ernährungswissenschaften, ein Wertewandel sein. Tugenden wie Solidität und Zuverlässigkeit hätten offenbar in der heutigen Gesellschaft keinen so hohen Stellenwert mehr wie noch in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Lewald hat seine Thesen in einer Studie für die Schufa – so etwas wie die Flensburger Verkehrssünderkartei für unzuverlässige Bankkunden – überprüft. Der Wissenschaftler befragte an 19 Berufsschulen Azubis und forschte die angehenden Friseurinnen, Maurer, Bankkauffrauen oder Fachverkäufer nach ihrem Verhältnis zu Geld, Schulden und Konsum aus.

Das Ergebnis: Acht von zehn Lehrlinge sind des Haushaltens mächtig. Ihr Konto steht am Monatsende im Plus oder zumindest bei plus/minus null. Die übrigen zwei Auszubildenden kommen mit ihrem Budget nicht aus. Einer davon ist ziemlich tief in die Schuldenfalle getappt und hat mehr als 1000 Euro an Verbindlichkeiten angehäuft.

Die Mehrheit der Befragten zeigte sich in dieser noch unveröffentlichten Schufa-Studie durchaus kauffreudig oder sogar stark konsumorientiert. Das Azubi-Gehalt allein reicht oft nicht aus, um die Wünsche zu befriedigen. Etwa ein Drittel der Lehrlinge geht deshalb für Mofa, Kleidung, Handy oder Zigaretten nebenbei jobben. Dass rund 70 Prozent noch im „Hotel Mama“ wohnen, sorgt für einen größeren finanziellen Spielraum – und bewahrt die jungen Menschen möglicherweise vor Schulden.

Wirklich selbstständiges Haushalten mit den finanziellen Möglichkeiten beginnt erst mit der Lösung vom Elternhaus und dem Einzug in die eigenen vier Wände, so Lewald. Prompt übernehmen sich dann bis zu 40 Prozent der Auszubildenden mit der Wohnung: Kredit-Möbeln, Miete und Kaution.

Größter Risiko-Faktor für rote Zahlen aber ist nach wie vor das Auto oder das Mofa. Nach der Anschaffung müssen die laufenden Kosten für Benzin, Versicherung oder Reparaturen geschultert werden – da ist die relativ knapp bemessene Azubi-Börse schnell überfordert.

Verzicht aber ist gerade in diesem Punkt nicht angesagt. „ Motorisierung halten viele Azubis für notwendig, obwohl sie für den Beruf nicht zwingend erforderlich ist“, sagt Lewald. „Sie ist meist dem Selbstwertgefühl und dem Lebensstil geschuldet.“

Aufschlussreicher als die tatsächlich angehäuften „Miesen“ sind die Einstellungen, die junge Erwachsene generell zum Thema Verschuldung haben. Den meisten Azubis ist es „sehr unangenehm“ oder „zumindest ein bisschen unangenehm“, bei Verwandten oder Banken in der Kreide zu stehen, so die Schufa-Studie. Nur etwa 14 Prozent der befragten jungen Leute stufen Schulden als zeitgemäß ein.

Seine Erfahrungen aus der aktuellen Schufa-Studie haben bei Armin Lewald den Glauben an die Jugend wieder ein wenig gestärkt. Denn den hatte der Wissenschaftler vor ein paar Jahren fast verloren. Damals hatte er 1000 Dritt- bis Zehntklässler – also 9- bis 16-Jährige – gefragt: Wie hältst du es mit Schulden?

Die Antworten, die Lewald vor fünf Jahren bekam, hatten ihn in ihrer Deutlichkeit schockiert: Statt auf Spielzeug und Klamotten zu verzichten, wenn das Taschengeld nicht reicht, erklärte mehr als die Hälfte der Neunjährigen, dann seien eben Schulden fällig. Mit steigendem Alter sank bei den Jugendlichen die Bereitschaft noch weiter, Konsumwünschen zu entsagen oder auf sie zu sparen. Von den Siebt- bis Zehntklässlern – 13- bis 16-Jährigen – waren gar zwei Drittel bereit, Papa oder Oma anzupumpen.

Auch in punkto Zuverlässigkeit bei der Rückzahlung von Schulden zeigten die Mädchen und Jungen wenig Hemmungen. Und: Fast jedem Zweiten war von vornherein klar, dass er seine Schulden nicht zurückzahlen könnte.

Lewald resümierte vor fünf Jahren: „Gewissensbisse und eine moralische Bremse sind unter Kindern und Jugendlichen kaum noch vorhanden“. Dass sein Urteil heute nicht mehr so niederschmetternd ausfällt, hängt mit der Schufa-Studie zusammen. Die hat dem Oldenburger Professor gezeigt, dass sich vieles relativiert, sobald am Euro-Schein der Schweiß klebt. Wenn die Jugendlichen den Zusammenhang zwischen Leistung und Geld aus eigener Erfahrung nachvollziehen können, so sein Fazit im Jahr 2004, gehen sie wesentlich verantwortlicher und vorsichtiger mit ihren Geld um.

Das sei aber kein Plädoyer für die Abschaffung des Taschengeldes, betont Lewald. Das so genannte pädagogische Geld zeichnet sich nach heutigem Pädagogik-Verständnis gerade dadurch aus, dass es weder Arbeitslohn noch Entschädigung für Hilfsdienste, sondern Anspruch des Kindes auf einen Teil des Familienbudgets ist.

„Im pädagogischen Idealfall wird es den Kindern regelmäßig und bedingungslos zu ihrer exklusiven Verwendung überlassen“, sagt Christine Feil, Soziologin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. Mit ihm sollen die Heranwachsenden den Umgang mit Geld überhaupt erst lernen. „Statt Sparen um des Sparens Willen ist – im Zuge der Bildungsreform Ende der sechziger Jahre – das gekonnte Geldausgeben zur Erziehungsmaxime geworden“, so Feil.

Die Wissenschaftlerin hat ihre Dissertation über die Kommerzialisierung der Kindheit verfasst. Darin betrachtet sie die Erziehung junger Menschen zum autonomen Wirtschaftsbürger aus unterschiedlichen Blickwinkeln – sowohl aus soziologischer und historischer Sicht, aus Marketing- und Wirtschaftsperspektive als auch unter juristischen Aspekten.

Die Expertin in Sachen Taschengeld, Kaufkraft und Geschäftsfähigkeit von Kindern warnt davor, gleich von Schulden zu sprechen, wenn Kinder oder Jugendliche sich ein paar Euro leihen. Richtige Schulden seien ohnehin erst mit Erreichen der Volljährigkeit möglich, bis dahin bekommen die Heranwachsenden weder einen Dispo-Kredit noch können sie rechtskräftig den begehrten Handy-Vertrag unterschreiben.

Auch wenn das Taschengeld nicht reicht, ist nicht zwangsläufig der Nachwuchs dafür verantwortlich, so die Münchner Soziologin. Von vielen Eltern nämlich wird das Taschengeld gerade bei den älteren Töchtern und Söhnen bewusst zur Gelderziehung eingesetzt. Davon sollen die Teenager, so der Elternwille, oftmals nicht nur Süßigkeiten, Hamburger oder Zeitschriften bestreiten, sondern auch solche Dinge, die sie für ihren Lebensalltag benötigen: Schulhefte ebenso wie das eigene Deospray, den Gang zum Haarstylisten oder auch einen neuen Pullover.

Reicht das Taschengeld für die Finanzierung solcher Dinge nicht aus, pumpen viele Jugendliche ihre Eltern schnell an oder bitten um einen Vorschuss auf das nächste Taschengeld. „Wenn Jugendliche für solche Dinge ‚Schulden machen‘, müssen sich zuerst einmal ihre Eltern fragen, ob sie ihren Kindern tatsächlich genügend Taschengeld gewähren“, meint Christine Feil. „Ist das nicht der Fall, würde ich auf keinen Fall von Schulden sprechen.“

Von Verschuldung Jugendlicher will die Wissenschaftlerin vom DJI erst reden, wenn die Heranwachsenden wiederholt mit ihrem Etat nicht haushalten können und immer wieder bei Eltern, Großeltern oder auch Freunden die Hand aufhalten, um sich ein Leben zu ermöglichen, das über dem Standard der Familie liegt. Wer ein solches Verhalten bei Sohn oder Tochter beobachtet, der sollte keinen Handyvertrag für das Kind abschließen, meint Feil. Ein Mobiltelefon mit limitierter Prepaid-Karte sei da die vernünftigere Alternative.

Viele Jugendliche sehen das allerdings anders, berichtet der Oldenburger Wirtschaftsexperte Armin Lewald. Ein Telefon mit Geldkarte ist in den meisten jugendlichen Cliquen nur ein Handy zweiter Klasse. Turnschuhe, Markenklamotten oder eben das Handy sind – auch wenn sie aus dem eigenen Geldbeutel kaum zu bezahlen sind – für manches junge Ego wichtiger als gute Noten in Mathematik, Deutsch, Englisch oder Geschichte.

Da das Selbstwertgefühl gerade in der Pubertät maßgeblich vom Ansehen bei den Gleichaltrigen und der Zugehörigkeit zur so genannten Peergroup bestimmt wird, lastet auf dem Teeny-Portmonnaie oft ein schwerer Konsumdruck. Fehlt zudem noch die moralische Schranke, die den Kauf auf Pump hemmt, ist der Weg in die Verschuldung geebnet.

Die Vermittlung von verbindlichen Werten wie Solidität und Zuverlässigkeit auch in Geldfragen hält Lewald deshalb für ein probates Mittel im Kampf gegen den Einstieg in eine Schuldenkarriere. Um den zu gewinnen, will er hauptsächlich das Selbstwertgefühl des Heranwachsenden stärken: „Wer begreift, dass der eigene Wert nicht vom neuesten Klingelton auf dem nagelneuen Vertragshandy abhängt, der ist weniger anfällig für den Konsum um den Preis der Verschuldung“, meint Lewald. „Aber“, so räumt er selbst ein, „das ist gerade bei den Problemfällen meist leichter gesagt als vermittelt.“ ■

Kathryn Kortmann

COMMUNITY INTERNET

Informationsseite der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein und des Vereins „Hilfe für Gefährdete“ mit Tipps für einen sinnvollen Umgang mit Geld: www.schuldenpraevention-s-h.de

Institut für Jugendforschung in München:

www.institut-fuer-jugendforschung.de

Informationen zu den Studien von Prof. Armin Lewald:

armin.lewald@uni-oldenburg.de

LESEN

Christine Feil

KINDER, GELD UND KONSUM

Die Kommerzialisierung der Kindheit Juventa Verlag Weinheim, München 2003, € 23,–

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