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„Auch Verrückte sind willkommen“

Gesellschaft|Psychologie

„Auch Verrückte sind willkommen”
Jesco von Puttkamer, Programmleiter bei der NASA, über die Mars-Pläne der USA und die neue Zusammenarbeit im All.

bild der wissenschaft: Im Januar 2004 hat Präsident Bush ein Programm vorgestellt, das die Rückkehr zum Mond und einen bemannten Flug zum Mars vorsieht. Warum müssen überhaupt Menschen zum Mars, Herr von Puttkamer? Man könnte ja auch Roboter schicken.

Puttkamer: Im Mittelalter gab es fahrende Ritter, daher kommt auch das Wort „erfahren”. Der Mensch erfährt nur etwas, wenn er reist und unbekannte Orte aufsucht. Ein Roboter kann tagelang auf der Marsoberfläche herumfahren und irgendwelche Felsbrocken inspizieren in der Hoffnung, dort etwas Interessantes zu entdecken. Ein Geologe dagegen würde unter tausend Steinen sofort den erkennen, der interessant ist. Ein weiterer Grund ist, dass wir künftigen Generationen die Möglichkeit eröffnen sollten, auf anderen Planeten eine weitere Lebensbasis aufzubauen. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir die Erde wieder mehr schätzen lernen, wenn wir vom Mars zurück blicken.

bdw: Was ändert sich mit dem Mars-Programm für die NASA?

Puttkamer: Es ist eine große Umorganisation im Gang, viele Kolleginnen und Kollegen müssen ihre angestammte Tätigkeit aufgeben und Neues machen. Es wird in Zukunft mehr entwickelt und weniger geforscht. Wir sind aber völlig offen für neue Ideen. Deshalb haben wir für 21 Millionen Dollar elf Studien in Auftrag gegeben, die innovative Vorschläge sammeln sollen. Auch Verrückte mit Science-Fiction-Ideen sind willkommen – und vor allem Jugendliche. Die haben schon lange auf so ein Projekt gewartet.

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bdw: Wo liegen die Unterschiede zum Mond-Programm von Präsident Kennedy aus den sechziger Jahren?

Puttkamer: Der Hauptunterschied ist, dass die Mission damals allein aus dem Konkurrenzdenken des Kalten Krieges entsprungen ist und das Ziel hatte, die Sowjetunion zu übertrumpfen. Diesmal sind andere Nationen ausdrücklich eingeladen, an den kommenden Missionen teilzunehmen. Ein weiterer Unterschied ist, dass Präsident Kennedy eine klare Zeitvorgabe für die erste Mondlandung gesetzt hatte, während Präsident Bushs Plan ein offenes Ende hat. Wir müssen auch nicht sofort zum Mars, sondern können den Mond als Testfeld nutzen. Das Mars-Programm ist übrigens nicht das Programm eines Präsidenten, sondern ein nationales Programm, das von allen Politikern getragen wird. Ein anderer Ausgang der Präsidentenwahl hätte also nichts daran geändert.

bdw: Die NASA hat zurzeit kein Transportvehikel ins All, weil nach dem Columbia-Unglück die Shuttle-Flotte am Boden bleiben muss. Wird jemals wieder ein Shuttle fliegen?

Puttkamer: Ja, und zwar voraussichtlich im Mai. Wir haben zwei Milliarden Dollar ausgegeben, um das Shuttle sicherer zu machen. Wir haben zum Beispiel eine Kanone gebaut, die Schaumstoffteile gegen den Flügel schießt, und Sensoren angebracht, die die Flügel überwachen. Außerdem bekommt jedes Shuttle einen längeren Roboterarm, mit dem man es von allen Seiten inspizieren kann. Falls Schäden sichtbar werden, können die Astronauten mit einer Paste Hitzeschutzkacheln ankleben, die sie künftig mit an Bord haben. Wir haben zudem entschieden, dass immer ein zweites Shuttle startbereit sein muss. So können wir die Crew in Sicherheit bringen, wenn es beim Start einen Schaden gab, der eine sichere Rückkehr zur Erde verhindert.

bdw: Ist das Shuttle nicht veraltet? Es wurde ja in den Siebzigern entwickelt.

Puttkamer: Das ist eine dieser Legenden, die im Umlauf sind. Richtig ist, dass man in der Raumfahrt sicherheitshalber lieber auf bewährte Technologie setzt. Aber das Shuttle wurde immer weiter entwickelt und hat heute eine Technik wie ein modernes Verkehrsflugzeug, zum Beispiel Projektionsdisplays. Eine andere Legende betrifft die angeblich nicht mehr vorhandenen Konstruktionspläne für die Saturn-V-Rakete. Selbstverständlich existieren die auf Mikrofilm, und man könnte die Mondrakete wieder bauen, was aber keiner machen würde.

bdw: Heißt das, Sie setzen in Zukunft eher auf Bewährtes?

Puttkamer: In der Raumfahrt geht’s in den nächsten Jahren gemütlicher weiter. Statt immer alles neu zu entwickeln, wie das der Mentalität der Amerikaner entspricht, werden wir neue Projekte auf der Basis von früheren Erfahrungen entwickeln. Evolution statt Revolution also, wie es die Russen schon immer gemacht haben.

bdw: Kürzlich hat mit dem „Spaceship One” erstmals ein kommerzielles Raumschiff den Weltraum erreicht. Fürchten Sie die private Konkurrenz?

Puttkamer: Ich war immer überzeugt, dass eines Tages Privatleute in die Raumfahrt einsteigen. Das wird zunehmen, auch bei militärischen Aufträgen. Eine mit Steuergeldern finanzierte Behörde wie die NASA darf schon per Gesetz keine Passagiere mitnehmen, wie das die Russen bereits gemacht haben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit den kommerziellen Anbietern kooperieren, weil diese auf neue Technologien schneller reagieren können als so ein großer Laden wie die NASA.

bdw: Sie sind bei der Internationalen Raumstation unter anderem für die Zusammenarbeit mit Russland zuständig. Wird diese Kooperation auf das Mars-Programm ausgedehnt?

Puttkamer: Ich dachte immer, dass es in der Raumfahrt ohne Konkurrenz keinen Fortschritt geben kann. Das war ein Irrtum. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten wir zunächst nicht vor, mit den Russen zusammenzuarbeiten, aber die US-Regierung wollte verhindern, dass die Technologie, vor allem die der Raketen, an Länder wie den Iran verkauft wird. Die NASA wurde aufgefordert, sich Kooperationen auszudenken, die Russland eine Entschädigung von rund 400 Millionen Dollar einbringen sollten. Am Ende wurden es dann 600 Millionen. Dafür durften wir als Gäste auf die Raumstation Mir. Als ich zum ersten Mal bei einem Raketenstart in Baikonur war, kam es bei mir zur Trendwende. Seither weiß ich, dass Kooperation stärker sein kann als Konkurrenz. Wenn man zum Mars will, muss man das mit den Russen machen, denn die wissen, wie es geht – schließlich hatten sie schon sieben Raumstationen und über 1000 Flüge der Sojus-Rakete. Auch unsere chinesischen Kollegen wollen der Welt zeigen, dass sie ein ebenbürtiger Partner am Pokertisch sind. Deshalb gibt es schon Pläne, China zu künftigen Projekten einzuladen, zum Beispiel auf die ISS.

bdw: In Deutschland hat die bemannte Raumfahrt keine guten Ruf, weil sie viel Geld verschlingt.

Puttkamer: Das Apollo-Mondprogramm hat damals 22 bis 24 Milliarden Dollar gekostet, inflationsbereinigt wären das heute 150 Milliarden Dollar. Von dem Geld, das Deutschland für die neuen Bundesländer ausgibt, könnte man sich viele Mond-Programme leisten. Verglichen damit ist das Mars-Programm relativ bescheiden, denn es gibt für die ersten fünf Jahre nur elf Milliarden Dollar. Das ist schon deshalb gut angelegtes Geld, weil jeder Euro, der in die Raumfahrt gesteckt wird, zwölf Euro für die Wirtschaft bringt. Zu Zeiten des Apollo-Mondprogramms waren es nur sieben Dollar, und da war es auch eher Zufall, was dabei herauskam. Das hängt damit zusammen, dass heute gezielter für die spätere Nutzung auf der Erde entwickelt wird, zum Beispiel neue Materialien zur Gewichtsersparnis oder Stromspartechnologien. Leider hat man das in Deutschland nicht begriffen. Viel wichtiger als der wirtschaftliche Aspekt ist aber, dass die Raumfahrt Visionen ermöglicht. Und ein Land wie Deutschland ohne Visionen hat eine Jugend ohne Perspektiven. Deshalb appelliere ich an die Politiker, ihr Handeln in der Raumfahrt nicht am eigenen Interesse oder Desinteresse zu orientieren, sondern einige Jahrzehnte weiterzudenken und der Jugend alle Möglichkeiten zu eröffnen, die es gibt.

Prof. Dr. h.c. Jesco Freiherr von Puttkamer

arbeitete in den sechziger Jahren unter Wernher von Braun am Apollo-Mondlandeprogramm. Der unermüdliche Werber für die bemannte Raumfahrt (Jahrgang 1933) ist in den Headquarters der NASA in Washington Programmleiter für den Bordbetrieb der internationalen Raumstation ISS und den russischen Anteil an der Station. Er ist beteiligt an der Entwicklung der neuen Langfriststrategie von Präsident George W. Bush, die im Januar 2004 vorgestellt wurde und die Rück- kehr zum Mond und den Flug zum Mars vorsieht.

Das Gespräch führte Bernd Müller ■

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