Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Spritziger Spitzen-Sprit

Technik|Digitales

Spritziger Spitzen-Sprit
Mehr Leistung, weniger Verbrauch – so werben die Mineralölkonzerne für neuen Edelsprit. Mindestens genauso wichtig: Maßgeschneiderte Synthetik-Kraftstoffe sind Voraussetzung für umweltfreundlichere Motoren.

Bodo Wolf drückt mächtig auf die Tube. Die Mercedes-S-Klasse-Limousine lässt die Muskeln spielen und presst die Insassen in die Sitze. Befeuert werden die acht Zylinder des Dieselmotors mit einer wasserklaren, fast geruchlosen Flüssigkeit, die Wolf – Gründer der Firma Choren Industries – aus einem roten Tankbehälter auf dem Betriebsgelände im sächsischen Freiberg zapft. Hinter dem Gebäude unter einem großen Dach bunkert Choren das Ausgangsmaterial für den edlen Kraftstoff: Berge von Holzschnitzeln.

Erdölproduktion im Zeitraffer – so lautet die Vision, die der 65-Jährige in einer Pilotanlage bereits wahr gemacht hat. Wofür die Natur 100 Millionen Jahre braucht, dauert hier nur 20 Minuten. Dabei verdaut die Anlage nicht nur Holz, sondern jegliche Biomasse, sogar Gülle, Unkraut oder Wurzeln. Deshalb ist die Ausbeute des patentierten Carbo-V-Verfahrens auch so hoch: Einen Liter Sprit gewinnt Choren aus fünf Kilogramm Biomasse. Für einen Liter herkömmlichen Biodiesel – so genannten Rapsmethylester – ist die vierfache Menge an Raps nötig. Pro Tag träufelt die Anlage ein 200-Liter-Fass mit dem Wundersprit voll – macht im Jahr gut 70 000 Liter. Eine größere Anlage für 20 Millionen Liter pro Jahr wird gerade gebaut und soll im Lauf des Jahres 2006 in Betrieb gehen.

Richtig in Fahrt kommt Wolf, der sich in der DDR mit Kohleveredelung beschäftigt hatte, wenn er die Reaktionsgleichungen des Carbo-V-Verfahrens an die Tafel schreibt. Alles klingt simpel, doch in den Reaktionsbehältern laufen komplizierte Prozesse ab (siehe Grafik „Holz zu Öl – in 20 Minuten“). Bei DaimlerChrysler und Volkswagen, die mit Choren Entwicklungsverträge haben, wurde errechnet, dass der Kohlendioxid-Kreislauf beim Carbo-V-Verfahren dennoch nahezu geschlossen ist. Rund 90 Prozent der Menge an CO2, das bei der Spritherstellung und beim Verbrennen im Motor in die Luft gepustet wird, haben zuvor Pflanzen über die Photosynthese aufgenommen. Volkswagen preist den Sachsensprit unter dem Namen „ Sunfuel“ auch aus diesem Grund als Treibstoff der Zukunft.

Ein weiterer Vorteil: Der Sprit kann herkömmliches Benzin und Diesel vollständig ersetzen, während andere Biotreibstoffe immer nur in geringen Dosen zugesetzt werden dürfen, um den Motoren nicht zu schaden. Konventioneller Diesel aus Rohöl enthält bis zu 500 verschiedene Komponenten. Sundiesel dagegen besteht nur aus wenigen geradlinigen Kohlenwasserstoffketten, so genannten Paraffinen, und enthält weder Schwefel, das den Katalysator ruiniert, noch ringförmige aromatische Kohlenwasserstoffe, die die Rußbildung fördern. Laut Choren soll Sundiesel etwa 60 Cent pro Liter kosten und wäre damit dank der Steuerbefreiung für Biokraftstoffe konkurrenzfähig zu konventionellem Sprit aus Erdöl.

Anzeige

Wolf konnte das Land Sachsen überzeugen, die Pilotanlage mit sechs Millionen Euro und einer Bürgschaft zu fördern. Seit auch DaimlerChrysler und VW eingestiegen sind, geben sich die Politiker die Klinke in die Hand. Kürzlich sei Bundesaußenminister Joschka Fischer da gewesen, erzählt Wolf. Der Außenminister habe geklagt, dass 85 Prozent seiner Arbeit sich mit Konflikten ums Öl beschäftigten – für Wolf vertane Zeit, denn der Bedarf an Rohöl könne in Zukunft nicht mehr gedeckt werden, egal wie groß die Vorräte sind.

Wie lange die Ölvorräte noch reichen, ist umstritten. Die Ölkonzerne gehen von mehreren Jahrzehnten aus. Selbst wenn das stimmt, wird der Kampf ums Öl zunehmen, weil der Energiehunger durch wirtschaftlich aufstrebende Länder wie China immer weiter wächst. Alternativen sind deshalb dringend nötig. „Biogene Kraftstoffe sind eine Ergänzung – mehr nicht“, glaubt Daniel Kammerer, Pressesprecher bei BMW. Bestenfalls 15 Prozent des Kraftstoffs ließen sich damit ersetzen, die meiste Biomasse sei ohnehin schon für die Verbrennung in Wärmekraftwerken verplant. BMW setzt deshalb langfristig weiter auf Wasserstoff als universellen Energieträger, der aus Ökostrom ebenso gewonnen werden kann wie übergangsweise aus fossilen Brennstoffen.

Auch die Mineralölkonzerne halten Biosprit für ein Nischenprodukt. Dort treibt man die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe voran, die von allen Automobilherstellern gefordert werden. Was die Autos aus dem Auspuff pusten, entscheidet sich heute vor allem im Tank, denn die Motorenentwickler sind auf saubere Kraftstoffe angewiesen. Die Ölmultis haben in der World Wide Fuel Charta eine Wunschliste aufgestellt, in der unter anderem weniger Schwefel und Aromaten (ringförmige Kohlenwasserstoffe) sowie beim Diesel eine höhere Cetanzahl und damit bessere Zündwilligkeit gefordert werden.

„In Zukunft werden wir Kraftstoffe noch stärker als konstruktives Element in der Motoren-Entwicklung einsetzen“, sagt Rudolf Maly, Leiter der Kraftstoff-Forschung bei DaimlerChrysler. Langfristig wird es nur noch eine Sorte Synthetiksprit geben, der bloß wenige Bestandteile enthält. Das ist wichtig für „Diesotto“ -Motoren, die in etwa zehn Jahren in Serie gehen sollen. Sie kombinieren das Selbstzünderprinzip des Diesels mit der Gemischaufbereitung des Ottomotors. Zündkerzen wird es dann nur noch für den Kaltstart geben.

Kraftstoffe wie Ultimate 100 von Aral oder V-Power von Shell, die es neuerdings auch als Diesel-Varianten gibt, erfüllen bereits die Forderungen der World Wide Fuel Charta und der strengeren EU-Bestimmungen, die 2005 in Kraft treten. „Ultimate enthält nur die Filetstücke des Rohöls“, sagt Dieter Walter, Leiter Produktqualität bei Aral. Das Rohöl ist eine Dreckbrühe, die in der Raffinerie in ihre Bestandteile gespalten wird. Herkömmliche Kraftstoffe haben ein „Siedeende“ von 210 Grad Celsius, bei Ultimate wird nur mit 190 Grad destilliert, so dass schwerflüchtige Bestandteile des Rohöls nicht in den Kraftstoff gelangen. Das erhöht die Motorleistung und schont die Umwelt, denn diese Anteile verbrennen schlechter und erhöhen die Emissionen im Abgas.

Je reiner der Kraftstoff ist, um so teurer ist er allerdings auch. Während die Mineralölkonzerne herkömmlichen Sprit untereinander tauschen, um Transportkosten zu sparen, stammt der Edelsprit ausschließlich aus den Raffinerien des jeweiligen Herstellers. „Auf die Gewürzmischung kommt es an“, sagt Aral-Mann Walter. Die Gewürze sind beim Kraftstoff die Additive, die ihm zum Beispiel die Schmierfähigkeit oder den Korrosionsschutz verleihen. Herkömmlicher Biodiesel, der heute schon normalem Diesel zugemischt werden kann, ist beim Ultimate verpönt. Der Sprit muss wasserklar sein, immer die gleiche Qualität haben und darf nicht nach Frittieröl riechen. Das sei mit Biodiesel aus Rapsöl nicht zu schaffen, sagt Walter.

Laut Aral soll der ultimative Saft die Motorleistung um vier Prozent steigern und den Verbrauch um drei Prozent senken. Langzeittests des ADAC kommen auf ähnliche Werte. Was allerdings ebenfalls deutlich steigt, ist der Preis: Der Edelsprit ist sechs bis acht Cent pro Liter teurer als das alte Super-Plus. Gleiches gilt für die neuen V-Power-Kraftstoffe von Shell. „Damit wollen die Mineralölkonzerne vor allem zusätzliches Geld verdienen“, vermutet Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Marketing und Unternehmensführung in der Automobilwirtschaft an der Fachhochschule Gelsenkirchen.

Dudenhöffer sieht aber auch interessante Entwicklungen, zum Beispiel bei V-Power von Shell. Im Gegensatz zu Aral, das allein auf Rohöl als Basis für den Ultimate-Kraftstoff setzt, vermischen die Hamburger einen Basiskraftstoff aus Rohöl mit einem synthetischen Kraftstoff, der aus verflüssigtem Erdgas gewonnen wird. Die „Gas-to-Liquid“-Anlage dazu steht in Bintulu, Malaysia, und liefert seit 1993 pro Tag knapp 2000 Kubikmeter Treibstoff sowie weitere chemische Grundstoffe.

Mit dem Wechsel zu Erdgas soll das Spektrum der für die Kraftstoffherstellung genutzten Energiequellen erweitert werden. Zudem lassen sich Erdgasvorkommen rentabel nutzen, die bislang noch unwirtschaftlich waren – und die häufig in anderen Regionen der Erde zu finden sind als die meisten großen Erdölfördergebiete. Das verringert die Abhängigkeit von Rohölimporten zum Beispiel aus den arabischen Ländern.

Ferdinand Dudenhöffer hält viel von „Synfuel“, wie der Synthetiksprit bei Volkswagen genannt wird. „Verflüssigtes Erdgas ist für mobile Anwendungen besser geeignet als Gas in Drucktanks“ , ist Dudenhöffer überzeugt. „Biomass-to-Liquid“, wie es bei Choren praktiziert wird oder bei der Herstellung von Biodiesel aus Rapsöl, hält der Gelsenkirchener Automobil-Experte nur für „ Farbtupfer“. Langfristig führt laut Dudenhöffer kein Weg an Wasserstoff als universellem Energieträger vorbei – erzeugt mit Strom aus Kernenergie.

Was die meisten Autofahrer nicht wissen: Schon heute tanken sie zum Teil Kraftstoff, der mit Biosprit vermischt wurde. Eine EU-Richtlinie fordert, dass ab 2005 zwei Prozent des Kraftstoffs aus Biomasse gewonnen werden müssen – was allerdings noch nicht erreicht ist. Bis 2010 sollen es 5,75 Prozent sein, 2020 dann 20 Prozent. Bei Otto-Kraftstoff kommt Ethanol in Frage, der aus Getreide, Zuckerrüben oder Kartoffeln gewonnen wird. Bis zu 9 Prozent Bio-Ethanol können zugemischt werden, ohne dass der Motor Schaden nimmt. Ethanol erhöht sogar die Oktanzahl und wertet so Normalbenzin zu Super auf.

Nach einigen kleineren freien Tankstellenbesitzern starten jetzt auch BP und Shell mit der Beimischung. Die Südzucker AG baut gerade im sächsischen Zeitz eine Anlage, die ab dem Frühjahr jährlich 260 000 Kubikmeter Alkohol aus Biomasse produzieren soll. Der Biosprit ist noch ein Drittel teurer als Kraftstoff aus Erdöl, allerdings ist der Bio-Anteil steuerfrei. Tradition hat der Bio-Kraftstoff beim Diesel. Diesel aus Rapsöl, den es bisher schon in reiner Form an einigen Tankstellen gab, wird seit vergangenem Jahr von BP, Shell und Aral herkömmlichem Diesel beigemischt.

„Biomasse sollte nicht im Auto vergeudet werden“, fordert jedoch Klaus Picard, Hauptgeschäftsführer des deutschen Mineralölwirtschaftsverbandes. Er erhält Unterstützung von unerwarteter Seite: „Rapsmethylester und Bioethanol sind keine Lösung“, sagt Andreas Ostermeier, Experte für Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr beim Umweltbundesamt. Ökologisch vertretbar ließen sich bis 2010 nur 0,3 Prozent des Dieselbedarfs mit Rapsmethylester ersetzen, auch bei Bioethanol aus Zuckerrüben für Ottomotoren wären es weniger als ein Prozent. Nur beim Sundiesel sähe die Sache günstiger aus: 12 bis 17 Prozent des europäischen Dieselbedarfs könnte damit ersetzt werden, hat der European Council for Automotive Research and Development errechnet.

Ob die Landwirte die Ölscheichs von morgen werden, wie es Verbraucherschutzministerin Renate Künast vorschwebt, ist also ungewiss. Choren-Gründer Bodo Wolf sieht vor allem Chancen für die Bauern in der Dritten Welt. Eines Tages, so Wolfs Vision, werden allerdings auch die überflüssig sein, wenn man die Photosynthese technisch nachahmen kann. Dann wäre der Anspruch, der im Unternehmensnamen steckt, erfüllt: C, H und O stehen für die chemischen Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, „ ren“ kommt vom englischen Wort „renewable“ – erneuerbar. Auf seine Tafel kritzelt Wolf eine simple Reaktionsgleichung, bei der Kohlendioxid mit Wasser zu Methan und Sauerstoff reagiert, die Energie stammt aus Sonnen- oder Windkraftparks. Wolfs Kommentar: „ Wir fahren mit Kohlendioxid hin und kommen mit Sprit zurück.“ ■

BERND MÜLLER, ehemaliger bdw-Redakteur, fährt schon heute mit seinem Erdgas- Auto sparsam und umweltfreundlich.

Bernd Müller

COMMUNITY internet

Homepage der Firma Choren: www.choren.de

Fakten zu Straßenverkehr, Kraftstoffen und Fahrzeug-Emissionen vom Umweltbundesamt:

www.umweltbundesamt.de/verkehr

Ohne Titel

• Wie sauber ein Auto ist, entscheidet künftig der Kraftstoff. • Synthetische Kraftstoffe enthalten weniger Aromaten und Schwefel. • Synthetiksprit wird künftig vermehrt aus Biomasse und aus Erdgas gewonnen.

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Off|roa|der  〈[–rd(r)] m. 3〉 1 〈umg.〉 Besitzer bzw. Fahrer eines Offroadfahrzeugs 2 = Offroadfahrzeug … mehr

♦ Re|tro|fle|xi|on  〈f. 20; Med.〉 Knickung [<spätlat. retroflexio … mehr

Kon|so|le  〈f. 19〉 1 〈Arch.〉 stützender Mauervorsprung (für Gesimse, Bögen, Statuen); Sy Kragstein … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige