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Alzheimer: Frühe Warnsignale

Gesellschaft|Psychologie Gesundheit|Medizin

Alzheimer: Frühe Warnsignale
Mit Hilfe neuer Tests können Wissenschaftler bei Vergesslichkeit eine „leichte kognitive Störung“ diagnostizieren – und die ist häufiger, als Ärzte bislang meinten, die Vorbotin einer Demenz.

„Eure Oma wird aber alt!“, sagten die Nachbarn, als die frühere Lehrerin und engagierte Pfarrfrau im Laden nicht mehr wusste, was sie einkaufen wollte. „Mutter braucht eine neue Brille!“, glaubten die Kinder, als sie immer häufiger falsche Telefonnummern wählte.

An „Alzheimer“ dachte niemand in der Familie, auch nicht die Tochter Rose Götte, die später das Schicksal ihrer Mutter in einem Buch beschrieb. Die alte Frau meisterte ja noch immer ihren Haushalt und spielte wundervoll mit dem Enkel. Doch bald war die einstige Seele der Gemeinde nur noch ein Schatten ihrer selbst und fand nicht einmal mehr ihre eigene Wohnung.

Lange vor dem Greisenalter fürchten viele Menschen ein ähnliches Los, kaum, dass sie einen Namen vergessen oder die Schlüssel nicht mehr finden. „Sie sind dann ängstlich, und denken: Oh Gott, vielleicht habe ich Alzheimer“,berichtet Prof. Konrad Maurer. Der Psychiater betreut in der Frankfurter Universitätsklinik die „Gedächtnissprechstunde“ – eine ambulante Anlaufstelle, die es auch in vielen anderen Städten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gibt.

Die Patientin an diesem Morgen ist 86 und bemüht sich munter um Konversation. Doch sie hat große Probleme, als der Mediziner Tilman Kratzsch die international übliche Standarduntersuchung mit ihr macht, den Mini-Mental-Status-Test. Der Name des Regierungschefs fällt ihr nach einigem Grübeln noch ein: „Der Schröder, der die vielen Weiber hat.“ Doch sie weiß nicht, dass sie sich momentan in einer Klinik befindet, auch nicht, in welcher Stadt. 100 minus 7 kann sie nicht ausrechnen, und sie malt eine Uhr, bei der die Ziffern von eins bis fünf alle im ersten Viertel liegen. Die Diagnose steht praktisch fest, auch wenn sie noch von anderen Untersuchungen bestätigt werden muss: Demenz, vermutlich Alzheimer.

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Tilman Kratzsch wundert das nicht. Wer – wie seine heutige Patientin – von Angehörigen in die Klinik eskortiert wird, erhält meist diesen Befund. Umgekehrt gilt: „Bei Patienten, die hier eigenständig herkommen, da können Sie fast schon Pi mal Daumen sagen, die haben keine Demenz.“

Noch nicht. Vorletztes Jahr bewies der Alternsforscher Prof. Gary Small von der University of California in Los Angeles erstmals: Wenn über 50-Jährige ein nachlassendes Gedächtnis beklagen und immer mehr Zettel oder andere Erinnerungsstützen brauchen, zeigt sich zwei Jahre später in Gehirnscans eine überdurchschnittlich starke Abnahme der Aktivität in einer wichtigen Gedächtnisregion. Solche subtilen Probleme mit dem Gedächtnis und anderen Gehirnleistungen faszinieren seit kurzem immer mehr Forscher.

Das Phänomen hat einen Namen bekommen: Leichte kognitive Störung. Sie ist häufig, und sie bedeutet nichts Gutes. Die Betroffenen vergessen Termine, verlegen Dinge, können sich nicht mehr gut konzentrieren und werden – kein Wunder – reizbar. Anspruchsvollere Alltagsaufgaben klappen nicht mehr, etwa der Umgang mit Geld. Wechselgeld nachzählen, Kontoauszüge prüfen, Rechnungen bezahlen – überall gibt es kleine Schwierigkeiten.

Das liegt nicht am Alter, denn wenn keine Krankheit dazwischen kommt, lassen die geistigen Fähigkeiten erst ab dem 70. Geburtstag langsam nach. Das bewies die Berliner Altersstudie, für die in den neunziger Jahren über 500 hochbetagte Hauptstädter untersucht wurden. Leichte kognitive Störungen können deshalb nicht als „normal“ durchgehen. Seltenheitswert haben sie trotzdem nicht. Die Erkrankungen häufen sich im frühen Alter, etwa ab der 65-Jahre-Grenze. Alzheimer und andere Demenzen sind dann noch selten – die leichte kognitive Störung nicht.

Die Angaben zur Häufigkeit gehen weit auseinander, weil die Forschergruppen unterschiedliche Maßstäbe anlegen. In der ostfinnischen Stadt Kuopio stießen Wissenschaftler der örtlichen Universität um Tuomo Hänninen bei 5,3 Prozent von 806 repräsentativ ausgewählten Einwohnern im Alter zwischen 60 und 75 Jahren. auf leichte kognitive Störungen. Eine kanadische Studie kam bei den über 65-Jährigen auf 17 Prozent. Dieser Wert dürfte der verlässlichste sein, meint der Psychiater Alexander Kurz von der Technischen Universität München. Er entspricht in Deutschland fast 2,5 Millionen Menschen – so vielen, wie das Land Brandenburg Einwohner zählt.

Mit den Einschränkungen der leichten kognitiven Störung ließe sich einigermaßen leben. Doch oft ist sie nur der Vorbote von Schlimmerem: Alzheimer. Jedes Jahr verschlechtert sich für 10 bis 20 Prozent der Betroffenen die Diagnose dramatisch. Statt an der leichten kognitiven Störung leiden sie nun an einer Demenz.

Die wahrscheinliche Erklärung liegt auf der Hand: Die leichte kognitive Störung ist häufig die frühe Phase von Alzheimer, so lautet das Ergebnis einer vor drei Jahren veröffentlichten Langzeitstudie der Washington University School of Medicine in St. Louis. „Wir haben festgestellt, dass Gedächtnisprobleme, die derzeit ,leichte kognitive Störung‘ genannt werden, sich fast immer als früher Alzheimer herausstellen“, sagt der Neurologieprofessor und Studienleiter John Morris. 25 Untersuchte, denen ursprünglich eine leichte kognitive Störung bescheinigt worden war, starben während der Studiendauer und konnten obduziert werden. Nur so lässt sich Alzheimer sicher diagnostizieren. Ergebnis der Obduktion: 84 Prozent der Gehirne wiesen die typischen Alzheimer-Zeichen auf.

Andere Studien lassen etwas mehr Hoffnung. Kanadische Forscher um den Mediziner Howard Chertkow von der McGill University in Montreal verfolgten eine Gruppe von 90 Patienten mit leichter kognitiver Störung über zwölf Jahre lang. Bei immerhin 27 Prozent verschlechterte sich der geistige Zustand in dieser Zeit nicht.

Welche Symptome sind nur lästig, und welche kündigen den Verfall an? Die Psychologin Anja Busse und ihre Kollegen von der Universität Leipzig untersuchten im Rahmen der „Leipziger Langzeitstudie in der Altenbevölkerung“ 852 Leipziger Senioren, die zweieinhalb Jahre nach der ersten Untersuchung noch einmal begutachtet wurden.

Die treffsichersten Vorhersagen für eine beginnende Demenz ergaben sich, wenn die Forscher sich nicht auf die Klagen der Betroffenen über ein nachlassendes Gedächtnis verließen, sondern mehr Gewicht auf die Ergebnisse objektiver Tests legten. Mit diesen Untersuchungen werden Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Denken, Sprache und Raumwahrnehmung geprüft. Waren die Leistungen auch auf nur einem dieser Gebiete schlecht, bestand ein hohes Risiko: 36 Prozent der Betroffenen glitten innerhalb der zweieinhalb Jahre in die Demenz ab. Dieses Ergebnis heißt nicht, dass Ärger mit dem eigenen Gedächtnis keine Bedeutung hätte. Aber Tests sind verlässlicher.

Heilen kann man die Horrorkrankheit nicht. Doch ihr Fortschreiten lässt sich bremsen – mit Gymnastik für Körper und Geist, der richtigen Ernährung oder mit Medikamenten. Von den meisten Wundermitteln, die rezeptfrei geistige Fitness versprechen, halten Fachleute allerdings wenig. Die Wirkung von Ginkgo und Co wurde bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Dagegen scheint eine Ernährung, die natürlicherweise viel Vitamin E enthält, das Alzheimer-Risiko zu senken, wie zwei Studien zeigten, die 2002 im Mediziner-Fachblatt Journal of the American Medical Association präsentiert wurden. Vitamin E als Pillen genommen hatte dagegen keine Wirkung.

Die medizinische Standardwaffe sind Medikamente, die im Nervensystem ansetzen. Alzheimer zerstört früh Neuronen, die mit dem Botenstoff Acetylcholin arbeiten. Um dennoch möglichst viel Acetylcholin verfügbar zu halten, bremsen solche Medikamente den Abbau des verbliebenen Acetylcholins – sie hemmen den Stoff, der Acetylcholin abbaut, die Acetylcholinesterase. Auf dieses Prinzip setzen die Medikamente Donepezil, Galantamin und Rivastigmin.

Im Alltag bleibt ihre Wirksamkeit allerdings recht begrenzt, wie Hanna Kaduszkiewicz vom Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gerade festgestellt hat. Sie sichtete die Studien zu Donepezil: Die geistige Leistungsfähigkeit der behandelten Patienten war hinterher zwar größer als die der nicht behandelten, doch der Unterschied fiel gering aus. Auf einer Skala von 0 bis 70 Punkten lagen die Pillenkonsumenten maximal 3 Punkte besser. Nach der Expertenkommission der amerikanischen Arzneizulassungsbehörde FDA muss der Unterschied aber mindestens 4 Punkte betragen, um von einer medizinisch bedeutsamen Besserung zu sprechen.

Allerdings wird der durchschnittliche Erfolg möglicherweise von den vielen Patienten verdorben, die auf Donepezil und verwandte Mittel einfach nicht ansprechen. Eine Minderheit der Behandelten profitiere deutlich, argumentieren denn auch Verteidiger der Medikamente wie Prof. Johannes Kornhuber von der Psychiatrischen Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg.

Je früher die Gegenmaßnahmen einsetzen, desto mehr Chancen bieten sie. „Eine neuropsychologische Untersuchung beim Hausarzt könnte gefährdete Menschen aufspüren, auch wenn sie selbst noch nicht über Beschwerden berichten“, kommentiert das Leipziger Busse-Team.

Eine solche Routineuntersuchung funktioniert nur mit einem einfachen, schnellen Test. Einen der weltweit besten hat das Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln entwickelt: den „DemTect“. Er dauert zehn Minuten und ist so einfach, dass ihn Arzthelferinnen durchführen können. Der Kandidat muss beispielsweise so viele Supermarkt-Waren aufzählen, wie er in einer Minute schafft. Oder er muss 4054 als Wort schreiben wie auf einem Scheck. Der DemTect erkennt 80 Prozent der Erkrankten mit einer leichten kognitiven Störung. Weiter fortgeschrittener Alzheimer entgeht ihm praktisch nie.

Verblüffend gut funktionieren auch Riechtests, wie sie beispielsweise in der Frankfurter Universitätsklinik erforscht wurden. Die Kandidaten sollen dabei etwa das Aroma von Leder, Zimt und Terpentin erkennen. Demenzgefährdete scheitern an dieser simplen Aufgabe meistens. Denn das Geruchszentrum residiert in einer Gehirnregion, die zu den ersten Opfern von Alzheimer gehört.

Sind die Mediziner nach solchen Tests hellhörig geworden, lässt sich der Alzheimer-Verdacht heute schon sehr früh mit großer Verlässlichkeit erhärten. Denn durch Alzheimer schrumpfen bestimmte Hirnregionen so stark, dass moderne bildgebende Verfahren dies zeigen. Der Mediziner Johannes Pantel von der Universität Heidelberg demonstrierte dies 2003 mithilfe der Magnetresonanz- tomographie für die Region des Hippocampus. Diese Struktur tief im Gehirn ist für das Gedächtnis maßgeblich. Bei Alzheimer-Patienten war der Hippocampus etwa um ein Viertel verkleinert. Bei Menschen mit leichter kognitiver Störung zeigte sich ebenfalls eine leichte Schrumpfung.

Auch Mediziner, die nur kurz in die Methode eingewiesen wurden, können Gehirnbildern ansehen, ob die Patienten in absehbarer Zeit eine Demenz entwickeln werden. Bei einer Untersuchung der University of California in Los Angeles bekamen die Ärzte PET-Bilder, deren Farben verraten, welche Gehirnregionen aktiv sind. Wenn die ärztliche Prognose anhand der Fotos düster ausfiel, bestätigte sich der Verdacht in den folgenden Jahren für 94 Prozent der Betroffenen.

Ob solche Vorhersagen ein Segen sind, bleibt die Frage. Möglicherweise verschiebt das Wissen nur jene schreckliche Zeit nach vorne, in der die Kranken ihren allmählichen geistigen Verfall bewusst miterleben. Der Neurologe Antonio Damasio beschreibt das Schicksal eines Freundes, der ein brillanter Philosoph gewesen war. Später, „als er noch wusste, dass ihm etwas fehlte“, entfaltete und betrachtete er regelmäßig ein großes Foto seiner Frau, „vielleicht in dem verzweifelten Versuch, sich an die Gewissheit dessen zu klammern, was einst war“ .

Im Endstadium entfaltete der Freund das Bild immer noch, doch das war nur noch ein leeres Ritual. Er erkannte die Gattin nicht und zeigte auch sonst keinerlei Gefühle mehr. „Überwältigt von der Traurigkeit des Augenblicks“, erinnert sich Damasio, „war ich froh, dass er nicht mehr wusste, was er tat.“ ■

Jochen Paulus

Ohne Titel

• Hinter einer Gedächtnisschwäche steckt in vielen Fällen eine Krankheit. • Hohe Intelligenz und eine gesunde Lebensführung schützen vor Alzheimer. • Es gibt immer noch keine medizinische Hilfe gegen das große Vergessen.

COMMUNITY Internet

Informationen zu Diagnostik, Früherkennung und Therapie der Alzheimer-Krankheit:

www.alois.de

Liste der Gedächtnis-Sprechstunden, Gedächtnisambulanzen und Memory- Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz

www.alzheimerforum.de/2/8/1/1/sprechst.html

LESEN

Alexander Kurz

LEICHTE KOGNITIVE STÖRUNG

Der Nervenarzt 1/2004

Rose Götte, Edtih Lackmann

ALZHEIMER – WAS TUN?

Eine Familie lernt, mit der Krankheit zu leben

Beltz, 1999, € 11,–

Ohne Titel

„Ist das Alter gütiger zu den von Anfang an Fähigeren?“ Gleich vier Fachartikel der letzten 50 Jahre trugen diese Frage als Titel. Und in der Tat erkranken Menschen mit hohem IQ seltener an Alzheimer als andere.

Das belegen viele Untersuchungen, doch die Gründe sind unklar. Sicherlich wird Demenz bei überdurchschnittlich Begabten lange übersehen, denn die Gedächtnisleistungen von Hochbegabten liegen in guten Jahren so weit über der Norm, dass die so Bevorzugten eine Menge an geistiger Potenz verlieren können, bevor sie bei einem Test durchfallen.

Das Bild ändert sich, wenn helle Köpfe an ihrem eigenen Niveau gemessen werden. Die Psychologieprofessorin Dorene Rentz von der Harvard Medical School testete 42 hochintelligente Senioren. Laut Standardauswertung versagte keiner. Doch als der Maßstab der hohen Intelligenz angepasst wurde, kam nur die Hälfte glatt durch. Bei elf Teilnehmern lagen die Gedächtnisleistungen unter ihrem Niveau. Dreieinhalb Jahre später zeigten neun der alten Menschen eine verminderte geistige Leistungsfähigkeit, sechs eine leichte kognitive Störung.

Verkehrte Maßstäbe sind jedoch nicht die ganze Erklärung. Intelligenz scheint tatsächlich in gewissem Umfang vor geistigem Niedergang zu bewahren. Das zeigte ein englisches Team um den Psychologen Dr. Marcus Richards vom University College London: Die Forscher analysierten Daten von über 2000 Briten, die im Jahr 1946 geboren waren und später mehrmals untersucht wurden. Resultat: Je mehr Grips die Menschen mit 15 Jahren hatten, desto weniger ging ihre geistige Leistungsfähigkeit im fünften Lebensjahrzehnt zurück. Dies galt unabhängig von Bildung, Schicht und Gesundheit.

Vielleicht suchen sich intelligentere Menschen eher geistig anspruchsvolle Tätigkeiten und bleiben dadurch mental fit. Doch, so Richards, hohe Intelligenz „könnte auch einen Schutz vor dem Niedergang des Verstands mit sich bringen.“ Nur welchen, das weiß bislang niemand.

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