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Singende Hunde sind unsensibel

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

Singende Hunde sind unsensibel
Wie ein Forscher bis nach Papua-Neuguinea ging, um herauszufinden, warum der Mensch auf den Hund gekommen ist.

„Dass mir der Hund viel lieber sei, sagst du – oh Mensch – sei Sünde; der Hund bleibt mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.” So reimte sich Friedrich Hebbel zusammen, warum Hunde die besten Freunde vieler Menschen sind. In der Tat teilen wir mit den beliebten Vierbeinern seit Hunderten von Jahren den Tisch – und manchmal auch das Bett. Doch warum sind es gerade die Hunde, zu denen wir eine besondere Beziehung haben? Schließlich sind auch Pferde treu, Schafe liebenswert und Papageien gelehrig.

Der Anthropologe Brian Hare fand darauf eine Antwort – zufällig, bei einem Verhaltensexperiment mit Schimpansen an der Emory University in Atlanta. „Mein Hund kann das alles viel besser”, brach es aus dem Forscher heraus, der sich über das Versagen seiner Primaten ärgerte. Anlass dazu gab ihm ein Experiment, bei dem es um die Deutung von Gesten ging: Hare zeigte den Affen zunächst zwei leere Becher. Dann versteckte er bei vorgehaltenem Paravent unter einem der Becher ein Leckerli und gab anschließend via Körpersprache Hinweise auf den Becher mit der Belohnung: Er zeigte oder klopfte auf das Gefäß. Doch diese Signale ließen die Schimpansen unbeeindruckt. Ihre Trefferquote lag nur gering über der Zufallswahrscheinlichkeit von 50 Prozent, unabhängig davon, wie oft Hare das Experiment wiederholte.

„Noch am gleichen Abend machte ich diesen Versuch mit meinen Labradoren zu Hause in meiner Garage”, erinnert sich der Wissenschaftler. Dabei bestätigte sich sein Verdacht: Die Hunde irrten sich nicht ein einziges Mal. Sie wählten den richtigen Becher selbst dann, wenn Hare bloß in die entsprechende Richtung starrte.

„Mit dieser Wahrnehmungsgabe für menschliche Gestik ähneln Hunde kleinen Kindern, und das bereits von klein auf”, so der Wissenschaftler, der nach jenem Garagenexperiment die Spezies wechselte und fortan mit über 300 Hunden arbeitete. Kein anderes Tier könne den Menschen so gut interpretieren, fand Hare, und darin läge das Erfolgsrezept des beliebten Vierbeiners. Diese Sensibilität verleihe dem Hund die notwendige Anpassungsfähigkeit für den komplexen Alltag des Menschen und seine Stimmungen und mache ihn somit zum idealen Haustier.

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Doch woher stammt diese Feinfühligkeit? Hare formulierte drei Hypothesen. Zunächst prüfte der Forscher, ob sich die Eigenschaft direkt von den Vorfahren der Hunde ableiten ließ und machte das Becherexperiment mit Wölfen. Das war allerdings schwieriger als die Garagenexperimente. „Wölfe sind sehr menschenscheu. Wenn jemand bei den Tests Angst hat, dann die Wölfe”, erklärt Hare. Der Forscher besuchte deswegen einen Wolfspark und überließ den dortigen Tierpflegern die Durchführung der Experimente. Ergebnis: Die Graupelze reagierten genauso unsensibel wie die Schimpansen.

Hares zweite Idee basierte darauf, dass jenes Feingefühl anerlernt ist und sich durch Kontakt mit Menschen einstellt. Aber auch diese Hypothese erwies sich als falsch: Hare ging in Tierheime und ließ Welpen mit minimalem menschlichen Kontakt auf die Becher los. In gleicher Weise testete er in liebevollen Familien aufgewachsene Hunde. Es gab keine Unterschiede.

„Die Fähigkeit ist offensichtlich genetischen Ursprungs”, schlussfolgerte Hare. Allerdings muss die Veränderung des Erbgutes stammesgeschichtlich erst kürzlich eingetreten sein, also vor wenigen tausend Jahren, mit der Domestizierung der Hunde durch den Menschen. Wahrscheinlich begann unsere Freundschaft zu den Kaniden – wie die Familie der Hunde wissenschaftlich heißt – vor gut 15 000 Jahren in Ostasien. In dieser Region fanden schwedische Molekularbiologen bei DNA-Sequenzanalysen an über 600 Hunden die größte Vielfalt im Erbmaterial. Ein Hinweis darauf, dass dort ihre Urheimat ist.

Andere Wissenschaftler datieren die Liaison gut 40 000 Jahre zurück. Demnach hätte sie mit vom Rudel verstoßenen Wölfen begonnen, die sich um menschliche Siedlungen scharrten und von Abfällen ernährten, ähnlich wie es verwilderte Hunde heute noch tun. „Das Verhalten der Menschen hatte dabei einen wesentlichen Einfluss darauf, welche Tiere in den Genuss ihrer Nähe kamen”, erklärt der Forscher.

Wer überleben wollte, musste die Gepflogenheiten der Zweibeiner genau beobachten. „In den Anfängen war es vielleicht so, wie es heute teilweise noch in afrikanischen Dörfern der Fall ist”, spekuliert Hare, der eine Zeit lang in Uganda lebte. „Hunde sind dort alles andere als beliebte Tiere. Liegen sie im Weg, bekommen sie einen Tritt.” Nur derjenige Hund hat langfristig Erfolg, der rechtzeitig die Anzeichen für kritische Situationen deutet und sich schnell aus dem Staub macht.

Um diese dritte Hypothese zu testen, also den Einfluss des menschlichen Verhaltens auf das Erbgut der Hunde, reiste Hare nach Papua-Neuguinea. In den Hochebenen dieser Südseeinsel leben in freier Wildbahn so genannte singende Hunde, Vorfahren des in Australien lebenden Dingos. Ihr Gebell ähnelt eher menschlichem „ Geheul” als hündischen Lauten, daher der Name. Äußerlich gleichen die „Singer” mehr unseren Haushunden als den Wölfen – ein Indiz dafür, dass sie vor Urzeiten einmal intensiven Kontakt mit Menschen hatten, denn Tiere verändern meist ihre Aussehen, wenn sie über Generationen von Menschen gehalten werden. „Dass eine Gestaltänderung bei der Domestizierung eintritt, wurde sogar bei Füchsen auf Pelzfarmen beobachtet”, ergänzt der Forscher.

Die singenden Hunde von Papua-Neuguinea sind jedoch archäologischen Funden zufolge bereits seit mehreren Tausend Jahren verwildert. Das ist Zeit genug, um Fähigkeiten zu verlieren, die für das Tier nicht mehr von Nutzen sind. Und so zückte Hare wieder seine Becher. Tatsächlich: Singende Hunde, selbst wenn sie von Menschen aufgezogen wurden, schnitten im Experiment genauso schlecht ab wie Schimpansen und Wölfe. Durch den fehlenden menschlichen Umgang haben die singenden Hunde eine Gabe verloren, die einst ihren Vorfahren von Nutzen war: die Fähigkeit, den Menschen fast genauso gut zu verstehen wie ihre Artgenossen.

Nur eines ließ Hare immer noch keine Ruhe: Warum nur hatten seine Schimpansen in jenem Becherversuch so gnadenlos versagt? Mittlerweile fand er eine Antwort. „Das Experiment war für die Primaten schlecht konzipiert”, sagt Hare, der inzwischen am Max-Planck-Institut in Leipzig arbeitet. Für in Freiheit lebende Affen ist es nämlich nicht wichtig, aus der Körpersprache Hinweise auf einen kleinen Bissen versteckter Nahrung zu deuten. Unter Wettbewerbssituationen lernen Schimpansen dagegen schnell: Wenn Hare wütend wird, sobald der Affe den richtigen Becher hoch hebt, oder bei einem Misserfolg des Affen das Leckerli einfach sich selbst in den Mund steckt, dann passen die Schimpansen besser auf und lernen rasch, die Signale des Menschen richtig zu deuten.

Désirée Karge

Ohne Titel

Singende Hunde leben auf Neuguinea an der Vegetationsgrenze in Höhen von 1000 bis 3000 Metern, so dass die vom Ackerbau lebenden Einheimischen die Tiere selten zu Gesicht bekommen. „Wie viele es hier gibt und wie genau sie in der Wildnis leben, ist unbekannt”, sagt die Biologin Janice Koler-Matznick von der New Guinea Singing Dog Conservation Society. Aus ihrer Arbeit mit Tieren in Gefangenschaft vermutet sie jedoch, dass die „Singer” ähnlich wie Coyoten und Füchse als Paare zusammenleben und kleinere Territorien in den Bergen bejagen. Die Papuas erzählen sich Mythen über die rotbraunen Tiere mit der weißen Brust und halten sie für Wesen, die den Menschen die Sprache brachten, und für wieder geborene Vorfahren. Nur vereinzelt gibt es Menschen, die sich einen singenden Hund als Haustier halten, um mit ihm auf die Jagd zu gehen. Singende Hunde besitzen ein für Kaniden ungewöhnlich elastisches Rückgrat und ebensolche Gelenke, was sie zu guten Jägern in steilem Gelände macht. Sie klettern und springen wie Katzen, so dass Jagdfreunde auf Papua-Neuguinea ihre singenden Spürhunde nur angeleint im Garten halten können.

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