Einen Nationalatlas braucht das Land. Denn „mehr als 80 Länder dieser Erde leisten sich einen Nationalatlas, also ein Werk, in dem naturräumliche Grundlagen sowie Aussagen über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Kartenüberblick vermittelt werden” , erklärte Prof. Alois Mayr im bdw-Interview im Juni 1998. Gesagt, getan: 1999 kam der Erste von zwölf geplanten Bänden auf den Markt – versehen mit einem Vorwort von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Unter Mayrs Regie – er war bis zu seiner Pensionierung 2003 Chef des Instituts für Länderkunde in Leipzig, das den Nationalatlas herausgibt – wurden sieben Bände ausgeliefert. Zwei weiterere erschienen unter seinem Nachfolger Prof. Sebastian Lentz. Jeder Band dokumentiert auf rund 150 Seiten mittels einer Fülle sehr instruktiver Karten räumliche Unterschiede von Bevölkerung, Bildung, Wirtschaft, Verkehr, Tierwelt oder Tourismus und erklärt, wie es zu diesen Unterschieden gekommen ist.
Doch während in einwohnerschwächeren Ländern wie der Schweiz oder Schweden rund 30 000 Exemplare des gedruckten Nationalatlasses verkauft wurden, fand Spektrum Akademischer Verlag für den deutschen Nationalatlas bislang nur etwa 2500 Abnehmer, bedauert Alois Mayr. „Offensichtlich fehlt es hierzulande an Patriotismus, sich so ein Werk zuzulegen.” Dabei haben mehrere Hundert Wissenschaftler zum Gelingen des Nationalatlasses beigetragen, der, wie Mayr vor sieben Jahren sagte, „unorthodox” finanziert worden ist – indem Fördermittel mit großem Aufwand eingeworben und Autoren keine Honorare angeboten wurden.
Nun scheint es, als ob die Mitarbeiter nicht nur das Honorar in den Wind schreiben müssen, sondern auch die Meriten. Denn außer in Bibliotheken von Hochschulen und anderen öffentlichen Einrichtungen sucht man die bisher erschienenen Bände vergeblich. „Der Direktverkauf des Verlags an die Kunden hat offensichtlich nicht gut funktioniert – und im Buchhandel wird der Atlas so gut wie nirgends angeboten”, sagt Mayr heute. Als weiteren Grund für den schlechten Absatz nennt er dem mit 99 Euro pro Band sehr hohen Preis.
Hier hat der Verlag inzwischen reagiert. Seit Herbst 2004 werden die ersten sechs Bände des „Nationalatlas der Bundesrepublik Deutschland” als Sixpack verkauft. Statt 594 Euro kosten sie bei Gesamtabnahme nur noch 198 Euro (ISBN 3-8274-1523-3). Inhaltlich entsprechen sie den Einzelbänden. Der Umschlag ist allerdings lediglich kartoniert.
Noch nie konnte man das halbe Deutschland zu einem solchen Schnäppchenpreis ergattern. Doch nicht mal das wollen die deutschen Bildungsbürger. Denn wie Mayr weiß, verkauft sich auch diese Version bisher mühsam. Das Werk soll dennoch abgeschlossen werden. In diesem Frühjahr erscheint der zehnte Band „Deutschland in der Welt”, dessen Produktion von der Mercator-Stiftung in Essen finanziert wird. Ihm soll Ende des Jahres der elfte Band „ Arbeit und Lebensstandard” folgen. Den Schlusspunkt setzen wird „ Leben im deutschen Alltag”, ein Band, der sich laut Projektleiterin Dr. Sabine Tzschaschel „in Stil und Aufmachung vom bisherigen Erscheinungsbild unterscheiden wird”.
Ob es auch die zweite Hälfte des Deutschland-Nationalatlasses im Sixpack geben wird, steht in den Sternen. „Der Verlag wartet sicher die Verkaufsergebnisse des jetzigen Angebots ab”, meint Tzschaschel. Noch unwahrscheinlicher ist denn auch, dass es je zu einer überarbeiteten Neuauflage der veraltenden Bände kommen wird. Gedruckt würde diese Version nach Einschätzung von Sabine Tzschaschel ohnehin nicht mehr. „Die elektronische Ausgabe ist einfacher zu korrigieren und zu verteilen.” Auch sie gibt es bereits. Der Atlas wird parallel als CD verkauft. Doch auch hier liegt der Preis mit 99 Euro pro „Band” für Alois Mayr viel zu hoch.
Dass eine Nachfrage tatsächlich existiert, hat er vor wenigen Monaten beim internationalen Geographentag in Schottland gesehen. Die dort angebotene englischsprachige CD-ROM, die 16 Themen aus dem Nationalatlas enthält, war bereits nach wenigen Stunden vergriffen. Allerdings gab es die 500 Discs umsonst. Wolfgang Hess ■