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Schutz vor dem Weltraumwetter

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Schutz vor dem Weltraumwetter
Satelliten stehen unter Dauerfeuer. Die Kosmische Strahlung gefährdet die empfindliche Technik und legt die künstlichen Erdtrabanten mitunter sogar lahm.

Marco Durante blickt gebannt auf den Ausgang des Experiments, bei dem gerade Gold-Ionen fast lichtschnell durch den Raum fliegen. Der Leiter der Abteilung Biophysik am Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt schießt mit einem Teilchenbeschleuniger Ionen auf einen Mikrochip. Dieser stammt von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA und wird auch im All eingesetzt. Mit seinem Experiment will Durante solche Chips nicht vergolden. Doch Gold ist ein schweres Element – und je schwerer der Kern ist, desto höher ist auch dessen mögliche Ionisierung. Und sie kann die Chips gefährden. Hohe Energien sind notwendig, um die Kosmische Strahlung zu simulieren, die fortwährend auf die Erde prasselt – und auf Satelliten, die sie umkreisen. Bevor die Gold-Teilchen auf den Chip treffen, müssen sie beschleunigt werden. Dies geschieht in einer 120 Meter langen Vakuumröhre, in der die Partikel eine Energie von einem Gigaelektronenvolt je Nukleon bekommen. Dies entspricht 99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. An einem Szintillationszähler verfolgt Durante, wie viele Schüsse er schon abgegeben hat.

Der Versuch ist so aufgebaut, dass die Ionen den Chip theoretisch an jeder Stelle treffen können – genau wie im Weltall. Während des gesamten Experiments steht der Mikrochip unter Strom und arbeitet. Anschließend wird er ausgelesen, um zu ermitteln, wie sehr er unter dem Beschuss gelitten hat. Anhand der so gewonnenen Daten hofft Durante, mehr über den Zusammenhang zwischen der Energie von Teilchen und deren Auswirkung auf die Mikroelektronik zu erfahren.

ANGRIFF AUS DEM ALL

Immer wieder bringen Kosmische Strahlung und Sonnenstürme einen der vielen Hundert Satelliten, die über unseren Köpfen kreisen, in Schwierigkeiten. Auf die Hightech-Geräte prasseln unentwegt Partikel aus den Tiefen des Weltraums ein und lösen mitunter unerwünschte Reaktionen aus. Beispielsweise werden die Mikrochips im Inneren von Satelliten in die Irre geführt oder sogar beschädigt. Diese Bauelemente sind das Herzstück der Geräte, ohne die weder Telekommunikation noch wissenschaftliche Erdbeobachtung möglich wären. Weltraumforscher arbeiten deshalb weltweit an Strategien, wie die teuren Satelliten „ weltraumwetterfest“ gemacht werden können. Im Blickpunkt der Wissenschaftler stehen etwa verbesserte Materialien für die Außenhüllen der Weltraumvehikel sowie Elektronik, die weniger anfällig für Störungen durch kosmische Einflüsse ist.

Dazu simulieren Wissenschaftler um Marco Durante am GSI die Kosmische Strahlung in einem weltweit einmaligen Experiment. Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Eignung verschiedener Mikrochips für den Einsatz im Weltraum zu testen. Darüber hinaus sollen Grundlagen erforscht werden, um in Zukunft strahlungsfeste Elektronik zu entwickeln. Das ist wichtig für künftige Missionen zum Mars oder die Errichtung einer dauerhaften Mondstation.

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Kosmische Strahlung gibt es überall im Weltraum. Das Hauptproblem besteht darin, dass es sehr schwer ist, die Strahlung abzuschirmen. Für den Menschen wesentlich bedenklicher sind die sogenannten Flares – hochenergetische Erscheinungen auf der Sonnenoberfläche. Sie kann man jedoch relativ leicht parieren. So bestehen die Schutzräume der Astronauten der Internationalen Raumstation ISS aus verstärkten Aluminiumwänden. Aluminium ist auch bei Satelliten das Material der Wahl. Es ist ein Kompromiss zwischen Gewicht und Abschirmfähigkeit. Auch Polyethylen wird als Wandmaterial gern eingesetzt, etwa bei den Schlafquartieren auf der Internationalen Raumstation. Vor der Ionen-Strahlung schützt das Plastikmaterial aber nicht effektiv. Mit ihm lasse sich lediglich die „Protonen-Dosis“ reduzieren, die für die Mikrochips jedoch keine große Gefahr bedeute, sagt Durante.

Beschuss in der Umlaufbahn

Im Gegensatz zu Flares oder Sonnenstürmen schlagen die Teilchen der Kosmischen Strahlung ohne jegliche Vorwarnung ein. Kollisionen mit solchen hochenergetischen Partikeln sind zwar selten, wenn sie jedoch auf einen Computerchip treffen, ist der Schaden groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Satellit von einem Teilchen getroffen wird, ist abhängig von seiner Position. Laut Durante prasseln etwa vier Protonen pro Sekunde auf einen Quadratzentimeter. Protonen sind indes unbedenklich – im Gegensatz zu den selteneren schweren Ionen. Je schwerer das geladene Teilchen, desto seltener kommt es zu einer Kollision: Pro Sekunde treffen etwa 0,6 Helium-Teilchen auf einen Quadratzentimeter, während statistisch nur noch 0,05 Teilchen der deutlich schwereren Elemente von Lithium bis Palladium in die Oberfläche eines Satelliten einschlagen. Bei Kalzium geht Durante nur von einem Wert von rund 0,003 Atomen pro Sekunde aus. Das bedeutet, dass etwa alle fünf Minuten ein Kalzium-Ion auf einen Satelliten trifft. Dabei kommt es aber nur sehr selten zu Ausfällen, selbst wenn ein Computerchip direkt betroffen ist. Doch die Summe macht’s. Und so gibt es einige Fälle, in denen die Kosmische Strahlung nachweislich zu Störungen geführt hat. Beim Weltraumteleskop Hubble etwa waren 1996 gleich mehrere Resets nötig. Auch bei der Saturn-Mission Cassini mussten Ingenieure 2006 die Systeme mehrmals neu starten. Die Kontrollmodule hatten wegen Strahlungsschäden ihren Dienst versagt. Sogar die Aufzeichnungsgeräte an Bord der Sonde wurden beschädigt. Als Folge erreichten viele Bilder die Erde nicht fehlerfrei. Und 1994 hatte das Weltraumwetter sogar zum Totalausfall des kanadischen Satelliten ANIK geführt, 1997 fiel ihm Telstar 401 zum Opfer. Laut Volker Bothmer, Professor für Astrophysik der Universität Göttingen, muss man zwischen zwei Effekten der Strahlung unterscheiden: Solchen, die sofort eintreten, und anderen, die sich erst langfristig bemerkbar machen. Auf lange Sicht leiden besonders die Materialien unter dem kosmischen Dauerfeuer. Aber es kann jederzeit plötzlich zu Systemstörungen und Fehlern in der Informationsverarbeitung kommen.

WIE SCHMUTZ AUF DEM AUTO-FENSTER

Bothmer erforscht seit 20 Jahren Sonnenstürme und berät die ESA in Sachen Weltraumwetter. Besonders die Außenhülle der Satelliten ist betroffen, da sie die meiste Strahlung abbekommt. „ Man muss verhindern, dass Strukturen lädiert werden und Materialien sich chemisch zersetzen“, erklärt der Physiker die Herausforderung bei der Materialauswahl. Auch die optischen Instrumente sind nicht gegen die Strahlung gefeit: Mit der Zeit lagern sich Partikel an und bilden Beläge auf der Linse. „Das ist wie bei einer Windschutzscheibe, die man nicht säubert“, verdeutlicht Bothmer. Das Bild trübt sich mehr und mehr ein. Noch problematischer sind die Folgen der Kosmischen Strahlung für das Innere eines Satelliten. „Bereits ein einzelnes Ion kann in mikroelektronischen Bauteilen Schäden verursachen“, erklärt Marco Durante. Denn die elektrische Ladung und die hohe Energie eines Ions können in den Halbleitermaterialien eines Mikrochips freie Ladungsträger erzeugen. Dadurch kommt es zu kleinen elektronischen Ladungsflüssen, die Funktionsfehler verursachen oder zum Versagen eines Chips führen können.

Mikrochips sind aus vielen kleinen Transistoren zusammengesetzt. Diese haben zwei Zustände: „Sperren“ (0) oder „ Stromdurchfluss“ (1). Gelangen durch Kosmische Strahlung ionisierte Teilchen in den Transistor, so schaltet er zum Beispiel auf Durchfluss, obwohl er zuvor auf Sperren gestellt war. Dies hat zur Folge, dass eine 1 anstelle einer 0 im Speicher des Satelliten erscheint – ein sogenannter Bit Flop. Solche Fehler treten umso häufiger auf, je mehr ein elektronisches Gerät der Strahlung ausgeliefert ist. Untersuchungen von IBM zeigten, dass bereits in 3100 Meter Höhe eine 13-fach so hohe Fehlerrate auftritt als auf Meeresspiegelniveau. Um solche Bitfehler zu minimieren, wendet man im All das Mehrheitsprinzip an: Informationen werden parallel in drei verschiedenen Speichern abgelegt. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass zweimal zufällig der gleiche Fehler auftritt, ist sehr gering. So kann die Abweichung erkannt und eliminiert werden.

Auch mathematische Verfahren helfen, Bitfehler zu bereinigen. Dazu gehören der Reed-Solomon- und Manchester-Code. Mit ihrer Hilfe können sogar multiple Fehler rückgängig gemacht werden. Der Reed- Solomon-Code ist ein Kodierungsverfahren, das es erlaubt, Fehler zu erkennen und direkt zu bereinigen. Der Manchester-Code ist ein sogenannter Leitungscode, der auch bei Euro-Geldscheinen als Sicherheitsmerkmal dient. Das Mehrheitsprinzip und die mathematischen Verfahren funktionieren in der Praxis recht gut. Allerdings kostet es das Dreifache, elektronische Bauteile gleich dreimal in den Weltraum zu befördern. Das Rückrechnen mit den Spezial-Codes ist dagegen zeitaufwendig und langwierig. Eine Lösung könnte die Arbeit der Darmstädter Wissenschaftler am GSI liefern – mit Computerchips, die weltraumwetterfest und gegen Strahlung immun sind. ■

Dominik Rösch studiert Wissenschaftsjournalismus an der TH Darmstadt. Der Text entstand bei seiner Hospitanz in der bdw-Redaktion.

von Dominik Rösch

Gut zu wissen: Weltraumwetter

Das Weltraumwetter entsteht durch die Kosmische Strahlung. Eine Quelle ist die Sonne. Sie emittiert elektromagnetische Strahlung und energiereiche Teilchen. Als sogenannter Sonnenwind gelangen Protonen, Elektronen und hochionisierte Atome zur Erde. Während die elektromagnetische Strahlung die Erde in etwa acht Minuten erreicht, treffen die Bestandteile des Sonnenwinds erst nach vier bis fünf Tagen ein.

Die zweite Quelle des Weltraumwetters ist die galaktische und intergalaktische Kosmische Strahlung. Sie stammt von verschiedenen hochenergetischen Prozessen außerhalb des Sonnensystems – von anderen Sternen, Sternenexplosionen und der Umgebung Schwarzer Löcher in der Milchstraße sowie in anderen Galaxien. Wie Sonnenwind besteht die Kosmische Strahlung ebenfalls aus Atomkernen, Protonen und Elektronen.

Das Weltraumwetter gefährdet Gesundheit und Leben aller irdischen Organismen, weil es Mutationen in der Erbsubstanz erzeugt, die beispielsweise Krebs auslösen können. Außerdem beeinträchtigt es die Funktionstüchtigkeit technischer Systeme im Weltraum und auf der Erde. Die Auswirkungen sind vielfältig: Sie reichen von Elektronikpannen, Unterbrechungen im Nachrichten- und Navigationsverkehr sowie Stromausfällen bis hin zu Störungen im Betriebsablauf der Bahn.

KOMPAKT

· Vor allem die Mikrochips der Satelliten sind durch energiereiche Teilchen aus dem Weltall bedroht.

· Forscher arbeiten an Materialien, die der Kosmischen Strahlung standhalten können.

Mehr zum Thema

Lesen

Das Weltraumwetter, seine Ursachen und Folgen: Volker Bothmer Space Weather: Physics and Effects Springer, Berlin 2006, € 181,85

Auswirkungen der Kosmischen Strahlung auf die Erde: Unwetterwarnung aus dem All bild der wissenschaft 2/2008

Internet

Die ESA erklärt das Weltraumwetter: www.esa.int/esaCP/ESAFM97708D_ Germany_0.html

Aktuelle Daten der Raumsonde SOHO: sohowww.nascom.nasa.gov/

Beschleunigeranlage des GSI in Darmstadt: www.gsi.de/beschleuniger/index.html

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