Über der gleißend weißen Fläche flimmert die Luft. Da tauchen am Horizont ein paar Gestalten auf. Sie wanken, wirken wie Betrunkene in einer Salzwüste. Dann zoomt die Kamera heran und zeigt: Es sind Kaiserpinguine, die größten Pinguine der Welt. Sie haben sich hier am Rand der Antarktis versammelt, um sich auf eine der härtesten Wanderungen im ganzen Tierreich zu begeben: Sie werden ins Innere des Eiskontinents ziehen und dort bei fast ständigem Sturm, teils mit Windgeschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern, den anarktischen Winter verbringen – ohne irgendetwas zu fressen.
Ein französisches Kamerateam um den Biologen und Regisseur Luc Jacquet hat die Tiere dabei begleitet und mit ihnen den Winter in der Eiswüste verbracht. Entstanden ist dabei ein faszinierender Film über das harte Leben der großen Vögel.
Der Marsch der Kaiserpinguine beginnt im März. Der Sommer ist dann im tiefen Süden zu Ende, aber noch ist das Meer nicht zugefroren. Wie Raketen schießen an den Sammelplätzen die schwarz-weißen Vögel aus dem Wasser. Mit ihrem schwankenden Gang wandern sie los, nur einen halben Stundenkilometer schnell. Wann immer es geht, werfen sie sich aufs Eis und schlittern vorwärts, mit den Flügeln rudernd. Bis zu acht Kilometer in der Stunde kommen sie auf diese Weise voran.
Von allen Seiten stoßen kleine Gruppen hinzu. Zum Schluss sind es etwa 1200 Tiere, die in einer langen Reihe durch die weiße Einöde ziehen. Ihr Ziel ist ihr Geburtsort, eine vereiste Granitfläche auf dem antarktischen Festland – ein stabiler Untergrund, dessen Eis nicht brechen kann und an dem niemand außer ihnen lebt. Sie sind die letzten Lebewesen vor dem Nichts.
Kaum hat sich die Gruppe versammelt, beginnt die Balz. Viele alte Paare finden wieder zueinander und Halbwüchsige treffen ihren ersten Partner. Umworben werden bei den Kaiserpinguinen die Männchen – kräftig und möglichst fett sollen sie sein. Um solche Prachtkerle schlagen sich die Junggesellinnen. Nach wiegenden Balztänzen und der Paarung verbringt das Paar etwa eineinhalb Monate nebeneinander, ohne irgendetwas zu tun. Energiesparen ist jetzt überlebenswichtig. 1200 Pinguine stehen dicht an dicht in täglich etwa 14 Stunden Dunkelheit. In den Weibchen reift ein Ei, und die Männchen warten auf ihren großen Einsatz. Die Kaiserpinguine nutzen als einzige Vögel des Polarraums nicht den Sommer für die Fortpflanzung. Er wäre zu kurz für die lange Entwicklung der Jungtiere. Der Nachwuchs müsste die ersten eigenständigen Schritte ohne die Eltern mitten im Winter machen.
Ende Mai legen die Weibchen ihre Eier. Für die noch ungeborenen Jungen kommt jetzt der erste gefährliche Balanceakt. Das Ei muss von den Füßen der Mutter auf die Füße des Vaters unter seine wärmende Bauchfalte gerollt werden. Für unerfahrene junge Paare ist das mitunter eine unlösbare Aufgabe: Immer wieder rollt das Ei weg. Manche bekommen es nicht unter Kontrolle und müssen es schließlich aufgeben, denn liegt das Ei zu lange auf dem Eis, stirbt es ab.
Die Weibchen haben während der Eiproduktion ein Drittel ihres Körpergewichts verloren. Sofort nach der Übergabe machen sie sich auf den Weg zum Meer. 200 Kilometer über zum Teil hoch aufgetürmtes Packeis sind es bis zu den ersten ständig offenen Löchern im Eis, wo sie sich wieder Speckreserven anfressen und Vorräte für den Nachwuchs sammeln können. Nicht alle überleben den Gewaltmarsch.
Für die Männchen beginnt nun der härteste Teil: Sie haben seit zwei Monaten nichts gefressen und werden noch zwei Monate mit einem Ei auf den Füßen weiterhungern müssen. Der Winter erreicht in dieser Zeit seinen Höhepunkt. Nur noch zwei Stunden scheint die Sonne pro Tag und fast ständig donnern Schneestürme aus den Gebirgen im Herzen der Antarktis heran. Die Pinguine stehen dicht an dicht. Jeder muss eine Zeit lang an die Außenseite und darf dann zurück in den wärmeren Innenteil. Doch manchmal sind die Stürme so heftig, dass sie den Vogelpulk auseinander treiben. Eier, die dabei zu Boden fallen, sind verloren.
Mitte Juli schlüpfen die Jungen. Nun ist alles eine Frage des richtigen Zeitpunkts: Kommt das Weibchen rechtzeitig zurück, bevor das Männchen das Junge aufgeben muss, um nicht selbst zu verhungern? Die Väter haben inzwischen bis zu 15 ihrer vorher etwa 30 Kilogramm Körpergewicht verloren. Noch haben sie etwas Fischbrei in ihrem Magen, um den ersten Hunger ihres Nachwuchs zu stillen. Doch dann müssen die Weibchen kommen – oder die ganze Qual war vergebens.
Jacquet und seine beiden Kameramänner Jerôme Maison und Laurent Chalet haben den Kampf dieser Tiere in eindrucksvollen Bildern festgehalten. Sie erzählen eine packende und gefühlvolle Geschichte über Leben und Tod. Sie auf der großen Kinoleinwand zu erleben, geht unter die Haut. Man hofft und leidet mit den Vögeln.
Um diesen Effekt noch zu verstärken, hat Jacquet keinen Sachtext zu den Bildern sprechen lassen, wie sonst üblich, sondern den Tieren eine Stimme gegeben. Sie schildern ihr Leben, ihre Gefühle, ihre Ängste und Hoffnungen. Das vermenschlicht die Tiere natürlich und führt zusammen mit der rührseligen Popmusik der französischen Sängerin Emilie Simon an die Grenze zum Kitsch – kein Film also für hart gesottene Biologen. Wen das aber nicht stört, der kann für 80 Minuten in die lebensfeindliche Antarktis reisen und das fesselnde Schicksal der Pinguine hautnah miterleben. ■
Thomas Willke
COMMUNITY Film
Die Reise der Pinguine
Regie: Luc Jacquet
Länge: 80 Minuten
Kinostart: 13. Oktober 2005
Internet: www.DieReiseDerPinguine.de
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Luc Jacquet
Die Reise der Pinguine
Gerstenberg Hildesheim 2005, 12,90 €