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Wohnen: Standby frisst die Arbeit von zwei KKW

Technik|Digitales

Wohnen: Standby frisst die Arbeit von zwei KKW
Die privaten Haushalte haben ein großes Energiesparpotenzial – doch ohne ordnungspolitische Maßnahmen wird es nicht ausgeschöpft.

Ernst Ulrich von Weizsäcker und Friedrich Schmidt-Bleek begründeten in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre den Ruf des Wuppertal-Instituts – nicht zuletzt aufgrund ihrer eindrucksvollen Formulierungskunst. Um Faktor 4 (so der erste), um Faktor 10 (so der zweite) ließe sich der Verbrauch von Ressour-cen über wenige Jahrzehnte hinweg verringern, wenn man Rohstoffe intelligent einsetzte und Produkte sowie Dienstleistungen unter ökologisch verträg-lichen Gesichtspunkten anböte. So lautet die Theorie.

Und dies ist die Praxis:

• 1991 verbrauchte der deutsche Durchschnittshaushalt fast 20 000 Kilowattstunden Energie für Heizen, Warmwasser und Elektrogeräte, 2003 waren es laut Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen annähernd so viel.

• Der durchschnittliche Stromverbrauch, der in diesen Zahlen bereits enthalten ist, lag 1991 bei 2890 Kilowattstunden, 2003 registrierten die Zähler dagegen 3350 Kilowattstunden.

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• Im selben Zeitraum ist die Zahl der Haushalte um 3,6 Millionen gestiegen (auf 38,9 Millionen), was den Energieverbrauch in der Summe der Haushalte weiter anwachsen lässt.

Keine Trendwende in Sicht? Doch, durchaus. Vor allem die energiesparende Beheizung der Wohnungen hat deutliche Fortschritte gemacht. Pro Quadratmeter wurden 2003 statistisch immerhin 37 Kilowattstunden weniger verbraucht als 1991. Bezogen auf die 3369 Quadratkilometer Wohnfläche in Deutschland kommt da einiges zusammen.

Die seit 2002 gültige Energieeinsparverordnung führt bei neu gebauten Wohnungen zu einer drastischen weiteren Reduktion. Denn bei ihnen müssen rund 70 Kilowattstunden übers Jahr gerechnet ausreichen, um einen Quadratmeter Wohnfläche zu be-heizen. So genannte 3-Liter-Häuser kommen sogar mit 30 Kilowattstunden aus. Sie verbrennen damit – umgerechnet – nicht mehr als 3 Liter Öl (oder etwa 3 Kubikmeter Erdgas) pro Quadratme-ter. „Das ist Stand der Technik”, sagt Johann Reiß, Diplom-Ingenieur am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart und Hauptautor des Buchs „Energetisch sanierte Wohngebäude”.

Freilich: Die Baukonjunktur liegt darnieder. Gegenwärtig werden pro Jahr knapp 250 000 neue Wohnungen fertig gestellt. Das sind lediglich gut 0,6 Prozent des Gesamtwohnungsbestands in Deutschland. Wer darauf vertraut, dass sich der Heizenergiebedarf bei Wohnungen über die Energieeinsparverordnung rasch verringert, ist auf dem Holzweg. Dazu müsste auch bei Altbauten kräftig investiert werden. Doch hier scheuen sich die Eigentümer oft, die erforderliche fünfstellige Summe für einen besseren Wärme-schutz auszugeben. Dabei ist in Altbauten ein gewaltiges Energiesparvermögen versteckt: Die vor 1983 erstellten Gebäude verbrauchen nämlich etwa 95 Prozent der gesamten Heizenergie Deutschlands.

Um auch beim Altbestand etwas zu bewegen, soll auf europäischer Ebene ab 2006 für alle Gebäude, die verkauft oder neu vermietet werden, zur Vertragsunterzeichnung ein Energiepass vorgelegt werden. „Der Pass outet die Energieverbrauchsmonster”, sagt Reiß. Er hofft, dass die schlimmsten Energievernichter unter den Wohnungen dann links liegen bleiben, und freut sich, dass jetzt endlich das umgesetzt wird, was sein Institutsleiter Gerd Hauser bereits vor 14 Jahren gefordert hat.

Der Beweis, dass auch Altbauten zu Wärme isolierenden 3-Liter-Häusern verwandelt werden können, ist mehrfach erbracht. So sanierte die Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft vor Kurzem ein zweigeschossiges Gebäude aus dem Jahr 1931, das 24 Wohnungen umfasst. Zu Beginn dieses Jahres konnten die ersten Mieter dort wieder einziehen. Aus einer Energieschleuder wurde ein sparsames Haus, dessen den Primärenergiebedarf für Heizung und Brauchwassererwärmung von 389 auf 37 Kilowattstunden je Quadratmeter verringert wurde. Bei dem derzeitigen Heizölpreis von 55 Cent je Liter spart der Mieter pro Quadratmeter Wohnfläche pro Jahr knapp 20 Euro laufende Kosten.

Dieses Gebäude in der Mannheimer Freyastraße müsste eine Genugtuung für Friedrich Schmidt-Bleek sein: Sein Faktor 10 der Reduktion des Ressourcenverbrauchs ist dort erreicht.

Doch aus solchen Beispielen einen gesellschaftlichen Trend abzuleiten, wäre wagemutig. Zunächst einmal bilden die immensen Investitionskosten und die darüber hinaus anfallenden Zinsen eine hohe Hürde für Privatleute. Dann gibt es gegenläufige Entwicklungen, die einen Teil der Reduktion auffressen. So steigt die Wohnfläche je Einwohner von Jahr zu Jahr und hat sich von 1991 bis 2004 um 6 auf fast 41 Quadratmeter erhöht. Weiterhin werden künftig auch Wohngebäude immer mehr klimatisierte Räume haben und so einen energieintensiven Trend aufgreifen, der sich inzwischen auch in Deutschland – und längst in den USA – in Büroräumen, Hotels sowie im Verkehr deutlich bemerkbar macht.

Die demografische Entwicklung Deutschlands wird auch ihr Gutes haben: beim Energieverbrauch nämlich. Ab 2015 wird die Zahl der Haushalte deutlich zurückgehen. Das in diesem Frühjahr der Bundesregierung vorgelegte Gutachten „Die Entwicklung der Energiemärkte bis zum Jahr 2030″ – eine Gemeinschaftsarbeit vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln und der Baseler Prognos AG – geht davon aus, dass in 25 Jahren der Endenergieverbrauch aller privaten Haushalte zusammen um 14 Prozent unter dem von 2002 liegen wird. „Trotz der Ausweitung der Wohnflächen um knapp ein Drittel wird im Jahr 2030 rund 17 Prozent weniger Heizenergie benötigt.” Eingerechnet sind da bereits die Folgen der Einsparverordnungen.

Weniger positiv prognostiziert dieselbe Studie den Stromverbrauch der Haushalte, der bis 2015 weiter wachsen soll und erst ab 2020 rückläufig sein werde: Erst dann machen sich die kleineren Haushalte sowie stromsparende Geräte beim Stromab-satz bemerkbar.

Der noch lange Zeit zunehmende Stromverbrauch in privaten Haushalten ist ein Lehrbeispiel für die Schwierigkeit, die von allen akzeptierte Leitidee der Ressourcenschonung im täglichen Leben einer Gesellschaft umzusetzen: Durch die Ausstattung der Haushalte mit elektronischen Geräten der Informations- und Kommunikationstechnologie entstanden beispielsweise innerhalb weniger Jahre neue Energieverbraucher, die von Weizsäcker und Schmidt-Bleek zu Beginn der Neunzigerjahre überhaupt noch nicht im Blickfeld haben konnten. Ganz gleich, ob Computer, Drucker, DVD-Player, Hausüberwachungs-Systeme – sie alle verbrauchen nicht nur Strom, wenn sie wirklich im Einsatz sind, sondern auch dann, wenn scheinbar nichts läuft. Was da allein durch Bereitschaftsbetrieb oder das so genannte Schein-Aus an wertvollem Strom vernichtet wird, hat eine im Juli veröffentlichte Arbeit unter der Projektleitung von Barbara Schlomann am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) ermittelt: 2004 waren es gut 14 Terawattstunden, die dadurch vernichtet wurden – 29-mal mehr als durch die boomende Photovoltaik im selben Jahr an Strom erzeugt wurde.

Oder anders ausgedrückt: Der Strom, den zwei 900 MW-Kernkraftwerke zusammen produzieren, landet vollständig im Standby-Modus der privaten Haushalte. Zählt man den in Büros durch Standby verlorengehenden Strom hinzu, kommt man auf fast 18 Terawattstunden.

Neue Geräte, die Strom verbrauchen, stehen vor der Tür:

• So ist die elektrische Leistungsaufnahme für UMTS-Stationen nach Herstellerangaben mehr als doppelt so hoch wie für die gängigen Stationen.

• Die Zahl der Set-Top-Boxen für einen modernen Fernsehempfang soll von derzeit 23 Millionen bis 2015 auf über 60 Millionen steigen.

• Die Zahl von Computern und Notebooks soll von 32 auf 45 Millionen steigen.

Machen wir uns also nichts vor: Die Installa-tion von Energiesparlampen, von denen es pro Haushalt nach einer Umfrage des ISI derzeit im Schnitt drei oder vier gibt, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Haushalte in Deutschland, wie auch anderswo auf der Welt, tendieren dazu, von Jahr zu Jahr mehr Strom zu verbrauchen. Die Geräte für sich genommen werden im Lauf der Zeit zwar durchaus energieeffizienter. Doch das Angebot an neuen Stromnachfragern – vor allem bei Geräten der Information und Kommunikation – macht die Fortschritte bei Waschmaschinen, oder Kochstellen wieder zunichte.

Faktor 4 oder gar Faktor 10: Im Bereich der Elektrizität sind sie die Herausforderung schlechthin. Ohne eine Kennzeichnungspflicht des Stromverbrauchs, die Kunden motiviert, energiesparende Geräte zu kaufen, wird man hier nicht vorankommen. Just dies empfiehlt auch die von Barbara Schlomann und Kollegen vorgelegte Studie. ■

Wolfgang Hess

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