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Produzieren: Auf der Erfolgsspur

Technik|Digitales

Produzieren: Auf der Erfolgsspur
Der Energieverbrauch der Industrie pro gefertigter Ware sinkt stetig. Und es gibt noch reichlich Möglichkeiten, um zusätzlich Energie zu sparen.

Wenn Andreas Bönsch durch das Werk von DaimlerChrysler in Stuttgart-Untertürkheim geht, hat er Augen und Ohren weit offen. Der Ingenieur achtet auf alle Hinweise darauf, dass an den Fertigungsanlagen des Automobilwerks Energie vergeudet wird – zum Beispiel auf das leise Zischen von Druckluft, die aus lecken Leitungen entweicht. Die Aufgabe von Bönsch, der im Bereich Planung Energietechnik bei dem Automobilkonzern tätig ist, besteht darin, den Energieverbrauch zu reduzieren. Und nicht zuletzt bei scheinbar nebensächlichen Dingen wie falsch betriebenen Pumpen und Motoren oder undichten Druckluftanlagen bietet sich ein enormes Potenzial zum Energiesparen.

Dass Bönsch und seine Zunft schon sehr erfolgreich waren mit ihren Bemühungen, den Energieverbrauch in den Industriebetrieben zu senken, belegen die Zahlen aus den vergangenen Jahrzehnten. So betrug der Anteil der Industrie am gesamten Verbrauch von Endenergie Anfang der Siebzigerjahre noch rund 40 Prozent. Handel, Gewerbe, Verkehr und private Haushalte teilten sich die übrigen 60 Prozent. Heute werden nur noch 25 Prozent der Endenergie von industriellen Anwendungen aufgezehrt. Obwohl die deutsche Wirtschaft in den letzten drei Jahrzehnten kräftig gewachsen ist, sank der Energieverbrauch der Industrie in den alten Bundesländern um etwa 18 Prozent.

Der spezifische Energieverbrauch – der auf das erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt bezogene Bedarf an Energie – ging in Industriebetrieben nach Angaben von Esso seit 1970 sogar um etwa 60 Prozent zurück. Die produzierenden und verarbeitenden Unternehmen setzen Energie also immer effizienter ein. Und dieser Trend wird sich fortsetzen. Laut der aktuellen Energieprognose des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) der Universität Köln und der Baseler Marktforschungsagentur Prognos wird der Endenergieverbrauch der deutschen Industrie bis 2030 um etwa 7 Prozent zurückgehen – und das trotz eines angenommenen Wachstums der Wirtschaftsleistung um fast 50 Prozent.

Zu der wirkungsvolleren Nutzung von Energie trugen in der Vergangenheit vor allem der technische Fortschritt bei den Produktionsverfahren und der Austausch von alten, energiehungrigen gegen neue, sparsamere Maschinen und Anlagen bei. Doch auch der Strukturwandel in der Industrie schlägt sich in der verbesserten Energieeffizienz nieder. Branchen, deren Anlagen besonders viel Energie verschlingen, wie Metallhütten und Zementwerke, verloren stetig an Bedeutung. Gleichzeitig wuchs das Gewicht von weniger energieintensiven Branchen, etwa dem Automobil- und Maschinenbau sowie den Herstellern von Elektrogeräten. Nach einer Schätzung des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) trugen in den letzten 30 Jahren eine optimierte Produktionstechnik zu rund 60 Prozent und der Strukturwandel zu 40 Prozent zur Erhöhung der Energieeffizienz bei. Ähnlich dürfte es weitergehen: Laut Branchenprognosen werden auch in den nächsten Jahren vor allem weniger energieintensive Industriebereiche wachsen.

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Ein Musterknabe in Sachen Senkung des Energiebedarfs ist die Chemieindustrie – aus gutem Grund: Auf den Herstellern von chemischen Grundstoffen und Produkten lastet ein besonders großer Druck, der sie zum Drehen an der Energiesparschraube drängt. Denn der Energiekostenanteil an den Ausgaben für die Produktion beträgt in der Grundstoffchemie über 14 Prozent – das ist zehnmal so hoch wie der durchschnittliche Kostenbeitrag der Energie im verarbeitenden Gewerbe von 1,4 Prozent. Von diesem Kostendruck getrieben, schafften es die Unternehmen aus dem Chemiesektor, ihren Energieverbrauch zwischen 1990 und 2002 um über 20 Prozent zu senken – bezogen auf die produzierte Menge betrug der Rückgang sogar rund 35 Prozent.

Das gelang zum einen durch die Umstellung auf innovative Herstellungsverfahren, zum anderen durch eine verstärkte Nutzung von Abwärme in den Produktionsanlagen. Wärme, die in Reaktoren und Elektrolysebädern entsteht – und die früher meist ungenutzt in die Umgebung verpuffte –, trägt heute in vielen Unternehmen zum Beheizen der Anlagen bei.

Auch in anderen Branchen macht man sich die Möglichkeit zum Energiesparen durch Abwärmenutzung zu Eigen. So konnte der Automobilkonzern BMW in seinem Montagewerk in Dingolfing den Energieverbrauch pro gefertigtem Fahrzeug seit 1996 – unter anderem mithilfe eines konsequenten Einsatzes von Anlagen zur Wärmerückgewinnung – um über 20 Prozent senken. DaimlerChrysler senkte den Energieverbrauch je Fahrzeug seit 1992 um 46 Prozent. Ein weiteres Beispiel: die Brauerei Beck & Co in Bremen, seit 2002 eine Tochter des belgischen Konzerns Inbev.

Bei Beck & Co spart man Energie durch die so genannte Brüdenverdichtung. Dabei wird der Dampf genutzt, der beim Kochen der Bierwürze entsteht. Hat die Würze die Kochtemperatur von 100 Grad Celsius erreicht, werden die aus der siedenden Flüssigkeit aufsteigenden Schwaden, die Brüden, verdichtet und zum Beheizen der Sudpfanne verwendet. Positiver Nebeneffekt: Die für eine Bierbrauerei typischen Gerüche durch ins Freie geleitete Brüden werden so deutlich reduziert. Eine weitere Quelle für zurückgewonnene Wärme ist ein Wärmetauscher in der Würzkühlung. Er nutzt die Energie, die der heißen Bierwürze beim Kühlen entzogen wird, zum Vorwärmen des kalten Brauwassers.

Zur Stromversorgung betreibt die Bremer Brauerei ein eigenes kleines Kraftwerk, das rund die Hälfte des elektrischen Energiebedarfs der Brauerei deckt. Die erdgasbetriebene Anlage ist mit einer Kraft-Wärme-Kopplung ausgerüstet. Sie fängt die bei der Stromerzeugung anfallende Abwärme auf und stellt sie zum Heizen der Maschinen und Sudpfannen zur Verfügung.

Kraft-Wärme-Kopplung ist auch beim Maul-Belser-Medienverbund in Nürnberg der Schlüssel zum Energiesparen. In der größten Tiefdruckerei Europas werden zum Beispiel das ADAC-Magazin und der Quelle-Katalog gedruckt. Das Management des Unternehmens installierte Anfang der Neunzigerjahre ein Kleinkraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, damit die Druckeinrichtungen rund um die Uhr mit Wärme und elektrischem Strom versorgt werden können. Das Minikraftwerk erreicht einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent bei der Nutzung der im Brennstoff Erdgas enthaltenen Energie. Bei dem Hersteller von Kindernahrung, der Firma Hipp, hat man ganz auf regenerative Energiequellen umgestellt. Seit 2001 wird das Werk des Unternehmens in Pfaffenhofen von einem Biomasse-Heizkraftwerk mit Energie versorgt, das den Bedarf an Wärme, Warmwasser und Dampf abdeckt. Befeuert wird das Kraftwerk mit Holz.

Trotz der beeindruckenden Erfolge vieler Betriebe beim Energiesparen bleibt genug Raum für weitere Fortschritte. „Die Unternehmer in Deutschland haben da immer noch sehr viele Möglichkeiten“, sagte Norbert Hüttenhölscher, Leiter der Energieagentur Nordrhein-Westfalen, im März im Deutschlandradio. Oft fehlt den Firmenlenkern die Kenntnis über das Potenzial zum Senken des Energieverbrauchs. Oder das Thema wird vom Management nicht ernst genommen. Etliche kleinere oder mittlere Unternehmen können sich allerdings neue Heizungssysteme oder Anlagen zur Wärmerückgewinnung schlicht nicht leisten.

Dabei müssen auch diese Unternehmen nicht auf eine Modernisierung ihrer Anlagen verzichten. Dafür sorgen so genannte Contracting-Firmen – Dienstleistungsunternehmen, die darauf spezialisiert sind, die Energieversorgung von Gewerbebetrieben zu optimieren. Zum Beispiel Vattenfall Europe Contracting (VEC), eine Tochter des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall: VEC übernimmt für eine vertraglich festgelegte Zeit die Belieferung des Betriebs mit Ressourcen wie Wärme, Strom und Wasser. Der Contractor modernisiert die Anlagen auf eigene Kosten und sorgt so für eine effizientere – und preisgünstigere – Versorgung. Das Potenzial zum Reduzieren des Energieverbrauchs liegt, so die Erfahrung, meist bei rund 10 Prozent, mitunter aber auch deutlich höher. Durch die sinkenden Energiekosten profitieren über die Vertragslaufzeit – meist zwischen 5 und 15 Jahre – beide Seiten. Und vor allem: Kostbare Energie wird eingespart.

Würde die Industrie alle Möglichkeiten zum Energiesparen nutzen, ließe sich der Energieverbrauch – über den bestehenden Trend hinaus – gewaltig drosseln, haben Wissenschaftler des ISI und der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München ermittelt. So entfällt allein auf Pumpen etwa ein Drittel des gesamten industriellen Verbrauchs an elektrischem Strom. Rund 25 Prozent davon ließen sich einsparen, so die Erkenntnis der Forscher – beispielsweise durch eine optimierte Regelung oder eine bessere Anpassung des Motors an die damit betriebene Pumpe. Denn etliche Motoren in der industriellen Fertigung sind überdimensioniert – und verbrauchen daher mehr Energie als eigentlich nötig. Ein anderes Beispiel sind die etwa 62 000 in deutschen Fabriken installierten Druckluftanlagen, auf deren Konto rund sieben Prozent des Stromverbrauchs gehen. Das Energiesparpotenzial liegt bei diesen Anlagen nach Einschätzung der Forscher zwischen 25 und 40 Prozent. Der größte Teil ließe sich allein dadurch reduzieren, dass Leckagen geschlossen werden, durch die sich Unmengen an Energie buchstäblich in Luft auflösen. Für DaimlerChrysler-Ingenieur Andreas Bönsch und seine feinen Sinne gibt es also noch viel zu tun. ■

Ralf Butscher

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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