Es geschah in einer schwülen Sommernacht des Jahres 1818. Edward, Herzog von Kent, vierter Sohn des britischen Königs Georg III., ging nur mit einem Nachthemd bekleidet in seiner Bibliothek auf und ab, als ein energiereiches Teilchen kosmischer Strahlung seine Hoden traf und ein Loch in das X-Chromosom einer Zelle stanzte. Unglücklicherweise ging aus eben dieser Zelle genau das Spermium hervor, das wenig später eine Eizelle von Edwards frisch angetrauter Ehefrau befruchtete. Im Mai des folgenden Jahres kam Edwards Tochter Victoria auf die Welt: die künftige Königin des britischen Empires.
Zugegeben: Eine gewagte Geschichte, mit der David Bainbridge das Auftauchen der Bluterkrankheit in der britischen Monarchie erklärt. Fest steht, dass das defekte Gen auf dem X-Chromosom, das Victoria von ihrem Vater erbte, zu zahlreichen frühen Todesfällen in mehreren europäischen Königshäusern führte.
Defekte auf einem X-Chromosom sind neben der Bluterkrankheit auch für eine lebensbedrohliche Form der Muskelschwäche und für die häufigste Art von Farbenblindheit verantwortlich – allesamt Krankheiten, an denen fast ausschließlich Männer leiden. Der Grund: Ihre Körperzellen sind mit einem X- und einem Y-Chromosom ausgestattet, während Frauen zwei X-Chromosomen besitzen. Ist eines davon defekt, so können Frauen das „reparieren”, denn sie verfügen ja über eine Kopie auf dem anderen X-Chromosom.
Was das X-Chromosom sonst noch alles im männlichen und weiblichen Körper anstellt, erzählt und erklärt der Zoologe und Veterinärmediziner anekdotenreich und trotzdem wissenschaftlich fundiert. Ute Schönfelder
David Bainbridge DAS X IN SEX Wagenbach, Berlin 2005 236 S., € 12,90 ISBN 3-8031-2507-3