PERSPEKTIVE
„Ui“, sagte mein Neffe Leon, acht Jahre alt, als er das Buch auf meinem Schreibtisch entdeckte. In der Tat: Dieses Buch ist rundum „Ui“, ungewöhnlich und inspirierend. Ein goldener Einband mit einem geprägten Horusfalken und eingelassenen flammend roten Glassteinen – ein absoluter Hingucker. Und innen geht es dann nicht minder prächtig weiter. Das Reisetagebuch der Emily Sands, die sich im November 1926 mit einer Reisegruppe auf die Suche nach dem Grab des Osiris in Ägypten begibt – und dort geheimnisvoll verschwindet –, ist wegen seiner liebevollen Machart selbst eine Abenteuerreise ins Reich der Pharaonen. Auf jeder Doppelseite wartet mindestens eine Überraschung. Zwischen Illustrationen, Skizzen und kurzen erklärenden Texten kleben Postkarten und Briefe, Faksimiles, ein kleines Stück Mumienband, Anleitungen zum Verstehen von Hieroglyphen und Auszüge aus dem ägyptischen Totenbuch. Da muss man herausziehen, entfalten, aufklappen, auswickeln – und reist so zusammen mit Sands nicht nur von Kairo nach Abu Simbel und zur Insel Biga, sondern auch durch die Geschichte des alten Ägyptens. Einzige Kritik von Neffe Leon: Ein Teil der Schriften ist für 8-Jährige schwer zu lesen. Aber man sollte das Buch ohnehin mit Mama, Papa oder der Tante anschauen und die Texte gemeinsam entziffern. Denn nicht nur Kinder werden von diesem Buch fasziniert sein. Barbara Ritzert, freie Wissenschaftsjournalistin
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DER WETTBEWERB
Bereits zum 14. Mal werden sechs Bücher preisgekrönt, die über Wissenschaft genauso kompetent, verständlich und unterhaltsam berichten wie unser Magazin.
DIE 6 KATEGORIEN
ÜBERBLICK – das informativste Buch
ZÜNDSTOFF – das brisanteste Buch
ÜBERRASCHUNG – das originellste Buch
UNTERHALTUNG – das spannendste Buch
PERSPEKTIVE – das sachkundigste Jugendbuch
ÄSTHETIK – das schönste Buch
DIE WAHL
Ein Jahr lang war die Jury aus 10 Journalisten und Presseverantwortlichen auf der Suche nach außergewöhnlichen Büchern. Dabei entstand eine Liste mit insgesamt 57 Titeln. Dann kam die Wahl: 10 Punkte konnte jedes Jury-Mitglied pro Kategorie vergeben, verteilt auf verschiedene Titel oder gesammelt auf einen einzigen. Sieger war jeweils das Buch mit den meisten Punkten.
DIE JURY
URS WILLMANN, Die Zeit
Dr. Dr. JENS SIMON, Physikalisch-Technische Bundesanstalt
RETO SCHNEIDER, Neue Zürcher Zeitung
BARBARA RITZERT, freie Wissenschaftsjournalistin
JOACHIM MÜLLER-JUNG, Frankfurter Allgemeine Zeitung
PETER EHMER, Westdeutscher Rundfunk
Dr. JOACHIM BUBLATH, Zweites Deutsches Fernsehen
Dr. REINHARD BREUER, Spektrum der Wissenschaft
Dr. MARKUS BOHN, Südwestrundfunk
Dr. UTA ALTMANN, bild der wissenschaft
ÜBERBLICK
Die Hauptdarstellerin dieses Buchs heißt Aplysia und lebt vor der kalifornischen Küste. Doch ihren großen Auftritt hat sie am 8. Dezember des Jahres 2000 in Stockholm. Dort steht der frisch gekürte Nobelpreisträger für Medizin, Eric Kandel, und wirft ein Bild der Aplysia an die Wand. Fotografisch montiert baumelt an ihrem Hals: die Nobelpreismedaille. Wenn Sie jetzt neugierig geworden sind und wissen wollen, wie eine riesige Meeresschnecke, die bloß rund 20 000 Gehirnzellen besitzt, einem Wissenschaftler bei der Suche nach dem Gedächtnis behilflich sein konnte, dann empfehle ich Ihnen Eric Kandels Buch. Es ist eine fesselnde Autobiografie des Autors und ein spannendes Basislehrbuch der Neurowissenschaften gleichermaßen. Die Autobiografie führt Sie vom Wien der Nazizeit über verschiedene Forschungsinstitute der Vereinigten Staaten eben bis nach Stockholm. Das Lehrbuch lässt Sie teilhaben an dem verschlungenen Weg einer Wissenschaft, die eine so komplexe Leistung des Gehirns, wie es das Gedächtnis ist, auf molekularbiologische Mechanismen zurückführen will. Wer über ein paar allzu fachwissenschaftlich daherkommende Passagen wegliest, wird am Ende des Weges reich belohnt – mit einer ganz neuen Sicht der Dinge, die in seinem Kopf geschehen. Jens Simon, Physikalisch-Technische Bundesanstalt
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ZÜNDSTOFF
„Nicht schon wieder!“ – war mein erster Gedanke. Bücher über den Treibhauseffekt gibt’s wahrlich mehr als genug! Kenntnisreiche Langweiler ebenso wie hysterische Schocker – und das gesamte Spektrum dazwischen. Doch nach dem Lesen war klar: Genau so ein Report wie der von Tim Flannery hat wirklich gefehlt. Tim Flannery ist kein Experte fürs Klima, sondern für Lebewesen – ein Zoologe –, außerdem Dokumentarfilmer und Museumsdirektor. Einer, der vernetzt denkt, ohne sich in den eigenen Maschen zu verheddern. Einer, der Details exemplarisch in Szene setzt und dadurch ein überzeugendes Gesamtbild entstehen lässt. Und einer, der sein didaktisches Kalkül hinter einer flotten Schreibe zu verbergen versteht. Die Einzelgeschichten verschmelzen so zu einem Kompendium im besten Sinn, das die naturwissenschaftlichen Aspekte der Klimageschichte ebenso einschließt wie die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe. Flannery ist überzeugt: Wir müssen handeln, und zwar jetzt! Und wir können es, jeder Einzelne! Die Fakten und Schlussfolgerungen dieses Buchs sind nicht wirklich neu. Aber in dieser Zusammenschau stecken einige „Aha-Effekte“. Noch eine Anmerkung für Hardcore-Naturwissenschaftler: Davon, dass in Überschriften und im Text gelegentlich der Begriff „Gaia“ auftaucht, der sonst oft esoterisch interpretiert wird, sollte man sich nicht abschrecken lassen. Markus Bohn, Südwestrundfunk
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ÜBERRASCHUNG
Die Kunde, dass die Menschheit unverzüglich die unübersehbaren Umwelt- und Ressourcenkrisen bewältigen und die sozialen Fehlentwicklungen stoppen muss, ist in den vergangenen 20 Jahren zuhauf verbreitet worden. Nur eben nicht in der amerikanischen Gesellschaft, in Diamonds Heimat. Der angesehene Geograf und Biologe der University of California in Los Angeles ist mittlerweile zu einer ökologischen Leitfigur neuen Zuschnitts geworden. Diesen Durchbruch hat er eben auch seiner amerikanischen Herkunft zu verdanken. Denn man liest dieses Buch über den selbstverschuldeten Untergang der Mayas, der Wikinger auf Normannisch-Grönland oder über das triste Ende der Osterinselkultur und die dräuenden soziokulturellen Bruchlandungen neueren Datums unweigerlich als Manifest gegen die US-Regierung. Den Europäer, dem die eingeforderte ökologische und ökonomische Sensibilität und die Forderung nach vernunftgeleiteter Machtausübung nicht fremd sind, überrascht vor allem die empirische Fülle. Diamonds Forschungen über die vielschichtigen Hintergründe kollabierender Menschengesellschaften und sein vorsichtiger Optimismus sind eine Fundgrube für Bausteine eines großen politischen Gebäudes, an dessen Fundament freilich – vorzugsweise außerhalb des politischen Amerikas – schon seit den „Grenzen des Wachstums“ gebaut wird. Joachim Müller-Jung, Frankfurter Allgemeine Zeitung
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ÄSTHETIK
Stirnrunzeln: Auf dem Foto ist angeblich eine Giraffe zu sehen. Dann finde ich sie: Ihre Füße stehen fast auf dem unteren Bildrand, ihre Knochenzapfen berühren fast die obere Kante – und trotzdem ist das Tier kaum zu erkennen. Der Grund: Sandfarbenes Gestrüpp, bräunlicher Boden, und mitten in diesem Farben- und Formenwirrwarr steht ockerig und braunbeige das gemusterte Riesentier und schaut einem direkt in die Augen. Es ist fast perfekt getarnt. Ähnlich gründlich haben sich die übrigen Tiere in diesem Bildband fast unsichtbar gemacht. Der Bengaltiger zwischen Blättern und Lianen, der Gecko, der über die gleichfarbene Baumrinde kriecht, die Sattelrobbe im Eis. Das Weißschwanz-Schneehuhn hockt fast unkenntlich zwischen Steinen und Moosen. Und der Gabelbock streckt uns sein Hinterteil zu – es ist so weiß wie der Schnee, weshalb das ansonsten braune Tier nur schwer zu sichten ist. Der Fotograf Art Wolfe hat in diesem Buch virtuos zwei Dinge verknüpft: Inszenierung und Versteck. Es sind tierische Kunstwerke entstanden, die wortlos eine Grundregel der Evolution vor Augen führen: Wer sich vor Fressfeind und Beute zu tarnen versteht, hat im Kampf ums Überleben die besseren Karten. Urs Willmann, Die Zeit
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UNTERHALTUNG
Wer „Der Schwarm“ gelesen hat, weiß, mit welcher Begeisterung Schätzing recherchiert, welch grandioser Geschichtenerzähler er ist und wie wohltuend respektlos er mit Wissenschaft umgeht. Ein Rezept, das auch sein neues Buch unwiderstehlich macht. Dabei ist es kein Thriller oder Roman, sondern ein Sachbuch. Aber was für eines: Es beginnt mit der Entstehung der Welt und endet mit einem mutigen Ausblick auf die Zukunft der Meere. Dazwischen erzählt Schätzing von allem, was ihm zum Thema Meer einfällt: was Plankton ist, wie es in der Tiefsee zugeht, von Gezeitenkraftwerken, Wohnen unter Wasser… sogar, wie der Mond entstand. Doch keine Angst – das Buch ist so spannend geschrieben, dass nie das Gefühl aufkommt, man könnte sich beim Lesen verzetteln. Sicher spielt dabei eine Rolle, dass Schätzing stets lebendig aus der Sicht seiner „Helden“ berichtet: von Fischsauriern, Bakterien oder von „Miss Evolution“. Ein Buch übers Meer, das hervorragend dafür geeignet ist, Laien einen Überblick über das heutige Wissen vom Meer zu verschaffen. Thomas Willke, bild der wissenschaft