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Venus – Planet im Höllendunst

Astronomie|Physik

Venus – Planet im Höllendunst
Die Sonde Venus Express nimmt unsere kosmische Nachbarwelt ins Visier. Vor allem ihre Gashülle gibt Rätsel auf: Wieso verwandelte sich die Venus in einen heißen Höllenplaneten?

Jahrelang war es totenstill – doch inzwischen herrscht wieder reger Funkverkehr zwischen Erde und Venus. Die Menschheit hat nach vielen Jahren Pause einen neuen Außenposten im Orbit unseres Schwesterplaneten. Dabei künden die ständig eintreffenden Radiosignale von Venus Express (VEX) von einer neuen Ära der Venus-Forschung. Mit dem Start der Raumsonde am 9. November 2005 begann ein neues Kapitel der Planetenerkundung – und der europäischen Raumfahrt-Missionen. Nach zwei Kometen-Sonden, der Huygens-Sonde zum Saturnmond Titan und Mars Express ist VEX die fünfte Planeten-Mission der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Die am 11. April 2006 bei unserem Nachbarplaneten angekommene Sonde, die nach mehreren Manövern am 7. Mai die Zielumlaufbahn erreicht hat, ist dabei, unser Wissen über diesen bizarren Himmelskörper beträchtlich zu erweitern – vor allem, was seine Atmosphäre und Entwicklungsgeschichte angeht.

In nüchternen Zahlen betrachtet, ist die Venus eine Art Zwillingsschwester der Erde. Sowohl ihr Durchmesser (95 Prozent der Erde), als auch ihre Masse (82 Prozent) und ihre mittlere Dichte (94 Prozent) ähneln frappierend den irdischen Werten. Doch als innerer Nachbarplanet kommt sie der Sonne erheblich näher als wir: Im Mittel hat sie weniger als 73 Prozent unseres Abstands – ein Unterschied mit Folgen.

Jahrhundertelang konnten Astronomen durch ihre Fernrohre nichts auf der Venus sehen. Eine dicke Wolkenhülle versperrte ihnen den Blick zur Oberfläche. Fantasie statt Fakten war gefragt. Verbargen sich auf dem Planeten Wüsten – ähnlich der Sahara – oder vielmehr tropische Regenwälder?

Schon die ersten Raumsonden räumten mit solchen Spekulationen auf. Einen überraschenden Wetterbericht meldete die sowjetische Venera 4 im Jahr 1967 direkt aus der glutheißen Gashülle: Venera fand eine stark kohlendioxidhaltige Atmosphäre mit mörderischen atmosphärischen Druckwerten. Die These vom Venus-Dschungel war passé. Ab den 1970er-Jahren sandten mehrere gelandete Sonden der UdSSR Panoramabilder vom Boden und präzisierten die Wetterdaten: Sie maßen einen Umgebungsdruck von 90 Bar – auf der Erde muss man dafür 900 Meter tief ins Meer tauchen. Auf der steinigen Venus-Oberfläche lastet eine Hitze von 465 Grad Celsius, genug um Blei zu schmelzen. Zudem ist der Himmel ständig von dicken Wolken aus schwefliger Säure verhangen. So könnte man sich die Hölle vorstellen.

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Doch Planetologen schreckt das nicht, im Gegenteil: Mit einem Satz von sieben Messinstrumenten (siehe Kasten „Mit sieben Sensoren zur Venus“) mischt auch die europäische Weltraumbehörde ESA im Club der Venusforscher mit. Die technische Qualität der Instrumente hat seit den letzten Venus-Missionen der Achtziger- und Neunzigerjahre große Fortschritte gemacht, betont Manfred Warhaupt von der ESA-Kontrollwarte in Darmstadt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an Venus Express, der im vergangenen Mai seine Zielumlaufbahn erreichte. Denn viele Fragen sind offen: Was treibt die stürmische Venus-Atmosphäre an, und warum rotiert sie 60-mal schneller als der Planet selbst? Verbergen sich unter dem dichten Wolkenschleier aktive Vulkane? Das größte Rätsel aber ist: Was brachte die Venus dazu, sich zur Hitzehölle zu entwickeln? Denn einst, davon gehen die Forscher aus, waren Erde und Venus recht ähnliche Planeten.

Im inneren Sonnensystem existieren Welten mit extrem unterschiedlicher Geologie. Unsere Erde ist dynamisch und verändert sich ständig. Den Gegensatz bilden geologisch tote Himmelskörper wie Merkur und der Erdmond. „Das ist in erster Näherung auf die Größe dieser Körper zurückzuführen“, erklärt Planetengeologe Ralf Jaumann. Der Mars nimmt in diesem Vergleich eine Zwischenstellung ein. Und die Venus? „Obwohl sie ähnlich groß ist wie die Erde, lief hier etwas fundamental anders ab als bei uns. Das hat mit der kleineren Distanz der Venus zur Sonne zu tun, also der größeren Hitze, der dieser Planet ausgesetzt ist“, meint der Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Berlin.

Denn die Venus habe alles Wasser, das sie anfangs noch besaß, längst ins Weltall abgegeben. Somit fehle das „Schmiermittel“, vermutet Jaumann, da Wasser zahlreiche geochemische Prozesse begünstigt. Sie sorgen auf der Erde dafür, dass sich die tektonischen Platten verschieben, und sie halten den Vulkanismus in Gang. Im Gegensatz zur Erde besteht die Venus nur aus einer einzelnen Krustenplatte. „Darunter scheint sich die Wärme zu stauen – und es kommt alle paar Hundert Millionen Jahre zur vulkanischen Katastrophe. Der innere Wärmehaushalt ist bei diesen beiden ursprünglich fast baugleichen Planeten fundamental anders“ , sagt Jaumann.

Vulkanismus in großem Stil ist ein Kennzeichen der Venus. Rund 1000 Vulkane zählten die Forscher auf den Bildern der US-Sonde Magellan, die in den 1990er-Jahren die Venus-Atmosphäre mit Radar durchleuchtete und so 98 Prozent ihrer Oberfläche kartografierte. Die heutige Venus-Oberfläche taxieren die Forscher auf höchstens 500 bis 600 Millionen Jahre und halten sie damit für geologisch relativ jung. Oberflächenstrukturen – etwa alte Einschlagsbecken wie auf dem Mars oder dem Erdmond – müssen auf der Venus einer „ vulkanischen Umgestaltung“ gewichen sein. Ob heute noch Vulkane Feuer spucken, soll VIRTIS klären – das Visible and Infrared Thermal Imaging Spectrometer von VEX. Die Forscher wollen damit in bestimmten infraroten Wellenlängen durch die Wolken spähen und dabei eventuell größere Hitzequellen, etwa Vulkane, am Boden aufspüren.

Mittlerweile können auch erdgebundene Messungen die Venus-Atmosphäre erkunden. So stellte im September ein Team um Thomas Widemann auf der Berliner EuroPlanet-Konferenz Windmessungen in der Venus-Atmosphäre vor. Rund 70 Kilometer über der Venus-Oberfläche wird das Sonnenlicht an den Wolken reflektiert. Die Astronomen maßen kleine Wellenlängenverschiebungen typischer solarer Spektrallinien, die aus der Wolkenbewegung resultieren – eine Folge des Doppler-Effekts. Daraus lassen sich die lokalen Windverhältnisse ermitteln. „Der Wind variiert stark von Tag zu Tag, im Mittel bläst er mit 270 Kilometern pro Stunde“, sagt Widemann. Mit solchen Stürmen rast die obere Gashülle in wenigen Tagen um den Planeten. Doch was treibt sie an? Die Messungen sind ein Mosaikstein – zu einem kompletten Bild fehlt noch viel.

Das gilt auch für die Frage nach dem Verbleib des Venus-Wassers. Einen Hinweis auf eine feuchte Venus-Jugend – manche Forscher vermuten sogar einen Ozean – fand die amerikanische Pioneer-Venus-Sonde, die zwischen 1978 und 1992 immer wieder die Höllenwelt umrundete. „Ihr Massenspektrometer registrierte 120-mal höhere Deuterium-Werte als auf der Erde“, sagt Helmut Lammer vom Grazer Institut für Weltraumforschung.

Deuterium ist schwerer Wasserstoff, weil er neben einem Proton auch ein Neutron besitzt. Er macht im Wasser unserer Weltmeere nur 0,015 Prozent des dort gebundenen Wasserstoffs aus. Auf der Venus ist dieses Isotopen-Verhältnis jedoch anders. Lammer erklärt: „Man kann davon ausgehen, dass die Venus seit ihrer Entstehung relativ mehr von den leichten Wasserstoff-Atomen ins Weltall verloren hat. Das schwerere Deuterium reicherte sich so nach und nach in der Atmosphäre an.“

Leichtere Gase können ein planetares Schwerefeld durch Zufuhr äußerer Energie – Hitze oder Sonnenwind – leichter verlassen als schwerere Gase. Deshalb wird auch das Verhältnis von leichtem (H) zu schwerem Wasserstoff (D) durch die Flucht des leichteren Gases nach und nach zugunsten des schwereren Deuteriums verschoben. Dass die Venus ein 120-fach erhöhtes D/H-Verhältnis im Vergleich zur Erde hat, bedeutet also nicht, dass es auf der Venus 120-mal mehr D als auf der Erde gibt, sondern dass pro H-Atom dort 120-mal mehr D vorhanden ist. Der Überschuss des schweren Wasserstoffs ist ein Indiz für die Existenz von Wasser auf der jungen Venus. Vorsichtig geschätzt war damals mindestens 0,3 Prozent der Wassermenge unserer Ozeane vorhanden. „Moderne Planeten-Entstehungsmodelle schließen jedoch auch deutlich höhere Wassermengen in dieser Zeit nicht aus“, erklärt Lammer.

Auch VEX-Projektwissenschaftler Hakan Svedhem geht von reichlich Wasserdampf in den Uratmosphären von Erde und Venus aus. „Ein gewaltiges Treibhauspotenzial“, meint der Forscher vom ESA-Zentrum im niederländischen Noordwijk.

Heute macht gasförmiges Wasser auf der Erde rund 70 Prozent des Treibhauseffekts in der Luft aus, Kohlendioxid spielt eine kleinere Rolle. Auf der Erde konnte der Dampf kondensieren, herabregnen und die großen Ozeane bilden. Dabei wurde Kohlendioxid aus der Luft gewaschen und der Kohlenstoff chemisch nach und nach in Karbonat-Gestein gebunden.

Anders auf der Venus: Hier war es auf die Dauer zu heiß für die Existenz von flüssigem Wasser. Es stieg mehr Wasserdampf in die Atmosphäre auf, wo die energiereiche Sonnenstrahlung den Dampf in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegte. Ohne schützendes globales Magnetfeld, wie auf der Erde, wurden die Gase eine leichte Beute des Sonnenwinds, der die ionisierten Moleküle mit ins Weltall riss. Zurück blieb die heutige extrem trockene Wüstenei. Die dichte Kohlendioxid-Atmosphäre beherbergt deshalb einen guten Teil des planetaren Kohlenstoff-Inventars der Venus.

Aktuelle Simulationsrechnungen des Russen Yuri Kulikov könnten diese Hypothese stützen. Der Wissenschaftler vom Polaren Geophysikalischen Institut in Murmansk wollte wissen, wie die vermuteten aktiven Perioden der jungen Sonne auf die Uratmosphäre der Venus gewirkt hätten. In dieser extrem unruhigen Zeit soll unser Zentralstern große Mengen Röntgen- und UV-Strahlung ausgestoßen haben. Kulikov studierte junge sonnenähnliche Sterne, die solche Phasen durchlaufen, und fütterte diese Daten in ein Computermodell. Die Resultate erscheinen demnächst im Fachjournal „Planetary and Space Science“. Kulikov und seine Kollegen erkannten, dass die ungestüme Jungsonne der Urgashülle heftig zusetzt haben muss. Ihre oberste Schicht, die so genannte Exosphäre, blähte sich mächtig auf und könnte bis zu 8000 Grad heiß geworden sein. Große Mengen Wasserstoff verflüchtigten sich dabei ins All. Ob der viel schwerere Sauerstoff auch in vergleichbaren Mengen vom Sonnenwind mitgerissen wurde, soll Venus Express mit den Daten der Experimente ASPERA und MAG klären. „Nach ersten vorläufigen Resultaten könnten durchaus 5 bis 20 Prozent der Wassermenge aller irdischen Meere ins All verschwunden sein“, schätzt Helmut Lammer aus Graz, Ko-Autor der Studie. Das ist wesentlich mehr als die ursprünglich vorsichtig geschätzten 0,3 Prozent.

Was bringt die Zukunft für die Venusforschung? In der Russischen Weltraumbehörde Roskosmos wird ein neuer Lander geplant: Venera-D. Er könnte in rund zehn Jahren starten. Die 1100-Kilogramm-Sonde soll den garstigen Bedingungen am Boden wochenlang trotzen – anders als bei den bisherigen Venera-Landern, die von der Atmosphäre zerdrückt wurden oder nur ein bis zwei Stunden funktionierten. Mit hitzebeständiger Elektronik und guter Isolierung sei das durchaus zu schaffen, versicherte in Berlin Ludmilla Zasova vom Moskauer Institut für Weltraumforschung, räumte jedoch ein: „Es wird eine teure Mission.“ Sie lud Europa ein, mitzumachen. Dort wird unter Leitung des Franzosen Eric Chassefiere ein eigener Projektvorschlag vorbereitet, mit neuen Orbitern, Ballonen und Eintauchsonden. Noch ambitionierter sind die Pläne einer Return-Mission, die einige Milligramm Venus-Luft zur Erde bringen soll. Schritt für Schritt wollen die Forscher den Höllengang unseres Nachbarplaneten verfolgen. ■

THORSTEN DAMBECK ist promovierter Physiker und Wissenschaftsautor. In bild der wissenschaft berichtet er regelmäßig über unser Sonnensystem. Zuletzt schrieb er im Septemberheft über die Entstehung der Saturnringe.

Thorsten Dambeck

Ohne Titel

• Auf der Venus gibt es heute kaum Wasser, anders als auf ihren sonnenferneren Nachbarplaneten Erde und Mars. Wahrscheinlich sind früh große Wassermengen von dort ins All entwichen.

• Die rasante Drehung der höheren Venus-Atmosphäre, die „ Superrotation“, dauert nur vier Erdtage. Die Rotation um die eigene Achse – also der Venus-Tag – braucht dagegen 243 Erdtage.

Ohne Titel

Venus Express (VEX) bringt 1270 Kilogramm auf die Waage, davon sind 570 Kilogramm Treibstoff. Die Firma EADS-Astrium übernahm die Federführung beim Bau. Die sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord wiegen 93 Kilogramm und stammen größtenteils aus vergangenen Missionen. Damit spart die ESA Kosten. Mit rund 220 Millionen Euro fällt VEX relativ preiswert aus. Die deutsche Weitwinkelkamera VMC (Venus Monitoring Camera) und das Magnetometer MAG aus Österreich sind Neuentwicklungen, der Rest dagegen Erbstücke. VIRTIS (Visible and Infrared Thermal Imaging Spectrometer) ist Spektrometer und Kamera zugleich und war bereits mit der Kometensonde Rosetta unterwegs. Die Venus-Oberfläche und die tiefen Atmosphärenschichten sollen damit studiert werden. Auch SPICAV (Spectroscopy for Investigation of Characteristics of the Atmosphere of Venus), von Mars Express bekannt, dient der Analyse der Gashülle. Das Planetare Fourier-Spektrometer (PFS) soll die Temperatur und Zirkulation der Venus-Atmosphäre messen. Am Mars konnte damit Methan aufgespürt werden. Doch bislang ließ sich das VEX-PFS nicht aktivieren. Mit ASPERA (Analyzer of Space Plasmas and Energetic Atoms) suchen die Planetologen nach Gas, das die Hochatmosphäre der Venus verlässt. Und schließlich das Radioexperiment VeRa (Venus Express Radio Science): Mit Radiowellen aus beiden Bordantennen sondieren Forscher der Bundeswehr-Hochschule München die Atmosphäre und die Oberfläche.

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