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Bio im Tank

Technik|Digitales

Bio im Tank
Mit Biotreibstoffen der zweiten Generation wird die Produktion von heimisch hergestelltem Dieselkraftstoff deutlich vergrößert. Ein Überblick.

Bodo Wolf kam als Erster auf die Idee. Der einstige Leiter des DDR-Brennstoff-Instituts im sächsischen Freiberg dachte darüber nach, wie sich aus Holz Treibstoff gewinnen lassen könnte. Mag sein, dass es der chronische Spritmangel in der DDR war, der ihn darauf brachte, Biomasse aller Art in Synthesegas umzuwandeln – ein Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid.

Vor rund zehn Jahren war die Herstellung von synthetischem Treibstoff aus Biomasse eine gewagte Idee. Rohöl war preiswert, Benzin kostete halb so viel wie heute. Die Produktion von Sprit aus Holz und Stroh schien von vorneherein ein wirtschaftlicher Flop zu werden. Um näher an die Konkurrenzfähigkeit zu kommen, entwickelte Wolf, der zu diesem Zweck das Unternehmen Choren Industries gründete, ein wirtschaftliches zweistufiges Verfahren zur Umwandlung von organischen Abfällen in Synthesegas mit Namen Carbo-V. Dabei wird der Rohstoff zunächst bei 450 Grad Celsius in Koks und ein teerhaltiges Gas zerlegt. Der Koks wird ausgeschleust und gemahlen, das Gas auf 1500 Grad Celsius erhitzt. Dabei zerbrechen die langkettigen Teermoleküle. In das heiße Gas wird der gemahlene Koks geblasen. Bei der dabei ablaufenden Reaktion entsteht Synthesegas, das noch gereinigt werden muss.

Derzeit entsteht in Freiberg eine Demonstrationsanlage für die Umwandlung von Biomasse in Synthesegas, die 2007 in Betrieb gehen wird. Eine Fischer-Tropsch-Synthese mit einer Jahreskapazität von 15 000 Tonnen soll kurz darauf folgen. Wolfs Nachfolger als Choren-Chef, Tom Blades, rechnet mit Literkosten von weniger als 70 Eurocent vor Steuern.

Shell, das die erste GTL-Anlage (Gas-to-Liquid) in Malaysia zur Umwandlung von Erdgas in Diesel betreibt und sich in Katar beim Aufbau weiterer Produktionsstätten engagiert, setzt zusätzlich auf BTL (Biomass-to-Liqid), also auf die Herstellung von synthetischem Diesel aus Biomasse. Gemeinsam mit Choren will der Ölkonzern bis 2009 in Lubmin an der Ostsee eine BTL-Anlage mit einer Jahreskapazität von 200 000 Tonnen Sun Fuel bauen, so die zugkräftige Bezeichnung für den Treibstoff aus der Choren/Shell-Produktion. Als Standorte für gleich große Fabriken sind Dormagen und Uelzen vorgesehen.

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Neben Choren befasst sich in Deutschland eine Reihe von weiteren Unternehmen und Forschern mit der Umwandlung von Biomasse in Treibstoff. Dabei mausert sich Freiberg zur BTL-Metropole. So entwickeln Forscher der Technischen Universität und Bergakademie Freiberg die ebenfalls aus Deutschland stammende Hochtemperatur-Winkler-Technik weiter, mit der ursprünglich Braunkohle in einer Wirbelschicht vergast wurde, um Chemierohstoffe zu gewinnen. Das aus dem Rohgas synthetisierte Methanol lässt sich – in modifizierten Motoren – direkt als Treibstoff verwenden oder in Benzin umwandeln.

Eckhard Dinjus, Leiter des Instituts für Technische Chemie des Forschungszentrums Karlsruhe, setzt auf ein anderes Verfahren, um Biomasse, vor allem Stroh, in Treibstoff umzuwandeln. Eine Versuchsanlage ist in Karlsruhe bereits in Betrieb. Ein Prototyp, der den kompletten Prozess demonstriert, ist im Bau. Die Investitionskosten liegen bei 23 Millionen Euro. Die Karlsruher haben ein Grundproblem der energetischen Nutzung von Biomasse gelöst. Deren geringe Energiedichte macht es unwirtschaftlich, die Rohstoffe über mehr als 25 Kilometer heranzutransportieren. Auf der anderen Seite sind die Herstellung von Synthesegas und die anschließende Umwandlung in Treibstoffe technisch so aufwendig, dass nur Großanlagen ökonomisch arbeiten.

Die Karlsruher spalten daher den Gesamtprozess in zwei räumlich voneinander getrennte Verfahren auf. Vor Ort wird die Biomasse durch Pyrolyse in ein Gemisch aus Koks und Wasser umgewandelt, Slurry genannt. Dessen Energiedichte ist 17-mal größer als die des Ausgangsstoffs – Stroh zum Beispiel. Damit lässt sich dieser Energieschlamm wirtschaftlich über längere Strecken zu zentralen Anlagen transportieren, in denen Synthesegas erzeugt wird. Daraus entstehen dann wiederum per Fischer-Tropsch-Verfahren Treibstoffe oder Basismaterialien für die chemische Industrie. Dinjus verspricht Kosten von höchstens 50 Eurocent pro Liter. Allein aus überschüssigem Stroh von deutschen Äckern ließen sich zehn Prozent des inländischen Treibstoffbedarfs decken. Überdies ist die Ausbeute pro Hektar fast dreimal größer, verglichen mit dem Anbau von Raps zur Gewinnung und Herstellung von Biodiesel (Rapsölmethylester) oder reinem Öl.

Die Alphakat GmbH im bayrischen Buttenheim will Syn Fuel aus Biomasse bereits für 30 Eurocent pro Liter herstellen. Das Geheimnis dieser Technik ist ein Katalysator, den Alphakat-Chef Christian Koch entwickelt hat. Er sorgt dafür, dass Kohlenwasserstoffe bei moderaten Temperaturen von allenfalls 350 Grad Celsius rasch zerlegt werden. Die erste Anlage läuft in Mexiko. Dort werden vor allem leichter umwandelbare Kunststoffe verarbeitet. Bei dieser „Katalytischen Drucklosen Verölung“ entsteht direkt synthetischer Diesel. Für einen kanadischen Kunden baut Alphakat derzeit eine Anlage, die 500 Liter Diesel pro Stunde erzeugt. Insgesamt sind 13 Bioraffinerien fest bestellt, sagt Koch, 5 allein in Deutschland.

Eckard Siekmann vom Engineeringunternehmen Lübbecker Maschinenhandel setzt auf Dezentralität. An den Anlagen, die pro Stunde bis zu zwei Tonnen Stroh schlucken und Diesel spenden, sollen die Landwirte, die für den Rohstoffnachschub sorgen, mit bis zu 49 Prozent beteiligt werden. Jede Einheit, die maximal 1000 Liter Diesel pro Stunde produziert, kostet drei Millionen Euro. Nach der Versuchsanlage im westfälischen Bünde bauen die Lübbecker jetzt zwei kommerzielle Einheiten in Ostdeutschland.

Je niedriger die Prozesstemperaturen sind, desto günstiger werden die Herstellungskosten: Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, hat gezeigt, dass sich Biomasse mit Hilfe eines Katalysators bei nur 180 Grad Celsius unter Luftabschluss in Kohlepartikel und Wasser verwandeln lässt – vorerst nur im Labor. Dabei geht kein Kohlenstoff verloren, anders als bei allen anderen Umwandlungsverfahren.

Neben den vorgestellten Verfahren gibt es eine Reihe weiterer Ansätze, um aus heimischen Rohstoffen und Abfällen Diesel herzustellen. Die derzeitige Kapazität aller deutschen Biodieselproduzenten liegt bei 2,7 Millionen Tonnen. Weitere 1,9 Millionen sind im Auf- und Ausbau. Bis 2020, schätzt die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, könnten allein in Deutschland 11 Millionen Tonnen Kraftstoff – vor allem Diesel und Ethanol – aus Biomasse produziert werden. Mit anderen Worten: Ein Viertel des dann im Straßenverkehr noch nötigen Treibstoffs kann durch Bioprodukte substituiert werden. Das senkt unsere Abhängigkeit von den erdölproduzierenden Staaten und entlastet die Kohlendioxid-Bilanz: Sprit aus Biomasse setzt kaum zusätzliches Kohlendioxid frei. ■

Wolfgang Kempkens

COMMUNITY internet

Umfassend über das Thema Biotreibstoffe informiert die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe:

www. fnr.de

Ohne Titel

Produktionskapazität der Top-12-Anlagen in Tonnen pro Jahr

1. ADM Oelmühle Hamburg 500 000

2. ADM Soya Mainz 275 000

3. Cargill Frankfurt am Main 250 000

4. Deutsche Biodiesel Eberswalde 250 000

5. Natur Energie West Marl 240 000

6. Campa-Biodiesel Straubing 200 000

7. Neckermann Renewables Lutherstadt Wittenberg 200 000

8. Mitteldeutsche Umesterungswerke Greppin 150 000

9. Biopetrol Industries Schwarzheide 150 000

10. Biopetrol Industries Rostock 150 000

11. Marina Biodiesel Brunsbüttel 150 000

12. Mitteldeutsche Umesterungswerke Zörbig 150 000

Die Kapazität der Biodieselanlagen soll in den kommenden Jahren stark erweitert werden. Zurzeit beträgt die Produktionskapazität 2,7 Millionen Tonnen. Nach Fertigstellung der gerade gebauten oder geplanten Anlagen, die vorwiegend Raps verarbeiten, können in Deutschland pro Jahr 4,6 Millionen Tonnen Biodiesel erzeugt werden. Zum Vergleich: 2005 wurden auf Deutschlands Straßen 28,5 Millionen Tonnen Diesel verbraucht, erzeugt aus Mineralöl.

Ohne Titel

Produktionskapazität in Kubikmeter pro Jahr

1. Südzucker Bioethanol Zeitz 260 000

2. Neubrandenburger Bioenergie Schwedt 225 000

3. Nordzucker Klein Wanzleben 130 000

4. Nawaro Chemie Rostock 125 000

5. Mitteldeutsche Bioenergie Zörbig 100 000

6. Prokon Nord Stade 100 000

7. Kraul & Wilkening und Stelling Hannover 20 000

8. Wabio Bioenergie Bad Köstritz 8 400

9. Bernhard Icking Seyda 7 500

Bioethanol wird in Deutschland bisher nur in geringen Mengen dem Benzin beigemischt. Die meisten Anlagen produzieren den Treibstoff aus Getreide. In Brasilien, wo Zuckerrohr der Ausgangsstoff ist, sind inzwischen mehr als ein Drittel der neu zugelassenen Automobile so ausgerüstet, dass sie sowohl mit Benzin als auch mit Bioethanol angetrieben werden können.

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