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Der feinste Finger des Arztes

Gesundheit|Medizin Technik|Digitales

Der feinste Finger des Arztes
Rastermikroskope haben sich zu einem vielseitigen Werkzeug für Mediziner entwickelt: Sie können winzige Mengen von Viren aufspüren, versteckte Vorboten eines Herzinfarkts wahrnehmen und im Knorpel erste Anzeichen von Arthrose erkennen.

Mit klopfenden Herzen schauen Raphaël Imer und Urs Staufer, die beiden Assistenten des Baseler Kniechirurgen Niklaus Friederich, auf den Bildschirm. Es ist die Probe aufs Exempel: Sie verfolgen, wie der Prototyp des ersten mobilen Rasterkraftmikroskops – das sie entwickelt haben – durch eine Kanüle zwischen den Seitenbändern des Kniegelenkes zum Knorpel geführt wird. Sobald der Mikroskop-Kopf richtig über dem Knorpel liegt, stabilisiert Imer das fünf Millimeter dünne Rohr mit dem sensiblen Federbalken im Gelenk. Acht längliche, in zwei Reihen rund um das Rohr angeordnete Ballone pumpt er dazu – computergesteuert – mit einer körperverträglichen schwachen Salzwasserlösung auf, bis das Rohr fest zwischen Binde- und Knochengewebe verkeilt ist. Der Federbalken mit der Abtastnadel ist nun bereit für die Messung.

Raphaël Imer drückt die Nadel sanft in den Knorpel, dessen Gegendruck als Kraftkurve auf einem Bildschirm aufgezeichnet wird. Die Kurve ermöglicht eine genaue Aussage über die Elastizität des Knorpels. Sie zeigt den Baseler Forschern, dass sie etwas geschafft haben, was bisher als unmöglich galt: Erstmals kann ein Rasterkraftmikroskop direkt im menschlichen Körper Messungen mit einer Genauigkeit von Bruchteilen eines Mikrometers vornehmen.

Das Kernstück des Rasterkraftmikroskops, der Federbalken aus Silizium, ist nur einen halben Millimeter lang, etwa einen Hundertstel Millimeter breit und ein paar Tausendstel Millimeter dünn. An seinem Ende sitzt die feine Abtastnadel. Der komplette Federbalken ragt kaum sichtbar aus einem Siliziumblock heraus, aus dem er mit einem lithographischen Verfahren herausgearbeitet wurde – einer Technologie, die auch zur Herstellung von Mikrochips genutzt wird. Mit seinem empfindlichen Tastsinn zeichnet der Balken ein Bild von atomaren Strukturen auf: Seine Nadel streicht über die zu untersuchende Oberfläche – ähnlich wie sich die Abtastnadel eines Schallplattenspielers über einen Tonträger aus Vinyl bewegt. Dabei ertastet sie zeilenweise die Kraft, die zwischen ihrer Spitze und der Oberfläche wirkt, und überträgt sie auf den Federbalken. Der bewegt sich dadurch, der atomaren Rauigkeit der Oberfläche folgend, geringfügig auf und ab. Ein Laserstrahl, der auf den Sensor gerichtet wird und den der Balken auf eine Photodiode reflektiert, registriert diese Auslenkung. Die Photodiode verwandelt das Lasersignal in eine elektrische Spannung, die von einem Computer aufgezeichnet wird. Zeile um Zeile entsteht so ein Bild auf dem Monitor, das eine Nano-Landschaft aus Atomen und Molekülen wiedergibt.

Das Rasterkraftmikroskop (kurz AFM, Atomic Force Microscope, oder SFM, Scanning Force Microscope) ist eine Weiterentwicklung des vor 25 Jahren von den beiden Physikern Gerd Binnig und Heinrich Rohrer am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon bei Zürich entwickelten Rastertunnelmikroskops (STM, Scanning Tunneling Microscope). Beide Mikroskope brechen mit der jahrhundertealten Tradition der Forscher, den Mikrokosmos mit Lichtstrahlen zu durchleuchten, um Details über seinen Aufbau herauszufinden. Stattdessen wird das untersuchte Objekt unter einem Rastermikroskop abgetastet. Der Federbalken des Mikroskops fungiert dabei als eine Art Wahrnehmungsorgan, ähnlich dem menschlichen Tastsinn. Die hohe Empfindlichkeit des Tastsinns von Rasterkraftmikroskopen macht sie auch für Mediziner zu einem sehr nützlichen Werkzeug – zum Beispiel für die Untersuchung von Knorpel.

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Die Knorpel in den Gelenken nutzen sich mit der Zeit ab und verursachen dadurch bei vielen Menschen Arthrose: schmerzhafte Entzündungen und Wucherungen. Der Physiker und Strukturbiologe Ueli Aebi und sein Mitarbeiter Martin Stolz an der Universität Basel suchen eine Antwort auf die Frage, was den krankhaften Abbau des Knorpels auslöst und wie er gestoppt oder gar rückgängig gemacht werden kann. Im Gegensatz zu Knochen, die nach einem Bruch meist wieder zusammenwachsen, ist der Knorpelabbau bisher irreversibel.

Lange Zeit nahmen die Mediziner an, Arthrose begänne, wenn sich die im Knorpel-Gel eingelagerten harten Fasern, die Kollagenfasern, aus ihrer Vernetzung lösen und parallel zur Gelenkbewegung ausrichten. Doch Aebi und Stolz haben festgestellt, dass das nicht stimmt: „Der Abbau fängt schon viel früher an, nämlich dann, wenn sich das aus Zucker- und Eiweiß-Molekülen bestehende Knorpel-Gel auflöst und der Knorpel sich dadurch verhärtet“, erklärt Aebi. Erst das Rasterkraftmikroskop mit seiner feinen Spitze hat es ermöglicht, die veränderte Elastizität des im Vergleich zu den Kollagenfasern weichen Knorpel-Gels festzustellen. Druckmessungen mithilfe herkömmlicher Mikroprüfgeräte sind dafür schlicht zu grob. Die Tastnadel des Rastermikroskops ist nicht nur hundertmal sensitiver, sie ist auch dünn genug, um die Messungen direkt an einzelnen Kollagenfasern vorzunehmen. Dadurch lassen sich geringste Änderungen der Elastizität des Knorpel-Gels feststellen.

Die exakte Diagnose ist der erste Schritt zu einer angestrebten Therapie. „Leider wissen wir noch nicht, was die Initialzündung zur Veränderung des Knorpel-Gels gibt“, räumt Aebi ein. „Doch mit unserem empfindlichen Instrument können wir feststellen, welche Gegenmaßnahmen sich positiv auf die Grundsubstanz auswirken.“ Das Rasterkraftmikroskop ist für Aebi heute schon standardmäßig im Einsatz. Immer wenn Kniespezialist Friederich bei einem Patienten eine Knorpelverpflanzung in Betracht zieht, landet eine kleine Knorpelprobe zur Überprüfung unter dem Mikroskop von Aebi und Stolz. Mit diesem Test sorgt Friederich dafür, dass seine Patienten nur einwandfreien Knorpel als Ersatz erhalten. Das Manko des Tests: Er muss bisher im Labor stattfinden und macht die Entnahme einer Gewebeprobe nötig, eine Biopsie. Niklaus Friederich ist aber überzeugt, in ein paar Jahren, wenn die Forscher – hoffentlich – auch Medikamente gegen den Knorpelabbau parat haben, die Untersuchungen mit einem mobilen Rasterkraftmikroskop routinemäßig direkt am Patienten vornehmen zu können: „Die Wirkung von Medikamenten wäre mit diesem Gerät am lebenden Organismus gut festzustellen und der Erfolg einer Implantation von gezüchteten Knorpelstücken ließe sich objektiv überprüfen“, sagt Friederich. Der Prototyp eines tragbaren Rasterkraftmikroskops ist ein Meilenstein bei der Entwicklung hin zum klinischen Einsatz dieser Technologie.

Rückblende: Vor der Entwicklung des Rastertunnelmikroskops hatte sich Heinrich Rohrer im IBM-Forschungslabor mit physikalischen Phasenübergängen befasst und sich danach auf den Tunneleffekt konzentriert. Dank dieses quantenphysikalischen Phänomens kann ein Elektron auf die andere Seite eines so genannten Potenzialbergs – einer Energiebarriere – gelangen, selbst wenn seine Energie eigentlich nicht reicht, den Berg zu überwinden. Daher sagen die Physiker, das Elektron „tunnele“ durch den Potenzialberg hindurch.

Rohrer wollte zusammen mit seinem Mitarbeiter Gerd Binnig dünne Metallschichten auf diesen Tunneleffekt hin untersuchen. Als Messgerät sollte eine dünne Nadelspitze dienen, die die beiden Forscher möglichst dicht an die Metalloberfläche heranführen wollten. Bei einer zwischen Oberfläche und Nadelspitze angelegten elektrischen Spannung würde zwar kein regulärer elektrischer Strom fließen, doch Binnig und Rohrer nahmen an, dass das Atom am Ende der Nadelspitze immer wieder ein einzelnes Elektron abgeben würde, das das Energiepotenzial überwinden und zur Oberfläche des Metalls tunneln könnte.

Die Konstruktion eines Rastertunnelmikroskops erwies sich als überaus knifflig. Der Physiker Christoph Gerber, der an der Entwicklung beteiligt war, erinnert sich: „Weil die Nadel nur etwa einen halben Nanometer von der Oberfläche entfernt sein durfte, genügten kleinste mechanische Schwingungen – und die Nadel bohrte sich in die Oberfläche. Wir mussten also ein System entwickeln, das alle mechanischen Vibrationen unter Kontrolle hält.“ Damit die Luftmoleküle nicht stören, steckten die IBM-Forscher die Vorrichtung in ein Hochvakuum. Um die thermischen Eigenschwingungen der Atome zu dämpfen, wurde das Material auf unter minus 250 Grad Celsius gekühlt.

Doch bald stellten die Forscher fest, dass Messungen mit dem Rastertunnelmikroskop auch bei Zimmertemperatur funktionierten und dass der Einfluss der Luftbewegung viel kleiner war als erwartet. „Was zwischen Nadelspitze und Oberfläche abläuft, findet auf so minimal kleinem Raum statt, dass der Tunnelstrom auch ohne Vakuum fließt“, erklärt Gerber. Die extrem hohe Empfindlichkeit des Instruments – beim Annähern der Nadelspitze um einen Atomdurchmesser steigt der Strom um das Tausendfache – nutzt man beim Rastern einer Oberfläche aus.

Der Tunnelstrom, der durch die Nadelspitze fließt, bleibt – dank Rückkopplung – konstant: Der schwache Strom zwischen der Nadelspitze und den Oberflächen-Atomen wird ständig gemessen. Nimmt er ab, weil sich die Nadel von der Oberfläche entfernt, führt eine mikromechanische Vorrichtung die Nadel automatisch wieder so dicht an die Oberfläche heran, dass die Stromstärke ihren ursprünglichen Wert annimmt. Dadurch bewegt sich die Nadel stets in der gleichen Distanz über die Oberfläche – und bildet durch ihre vertikale Bewegung die Höhen und Tiefen der atomaren Struktur ab.

Das Interesse an den spektakulären dreidimensionalen Aufnahmen mit atomarer Auflösung war riesig. Rasch wurde die Technologie zum Rasterkraftmikroskop weiterentwickelt. Die Forscher fanden heraus, dass zwischen Nadel und Oberfläche atomare Kräfte selbst dann wirken, wenn kein Strom fließt. Deshalb eignen sich auch elektrisch nichtleitende Oberflächen für Untersuchungen mit einem Raster. 1985 bauten Gerd Binnig, Christoph Gerber und ihr Forscherkollege Calvin Quate an der Stanford University und am IBM Research Center im kalifornischen Almaden das erste Rasterkraftmikroskop. Die zwischen Nadelspitze und Oberfläche wirkenden schwachen Kräfte übertrugen sie auf einen dünnen Federbalken. Um selbst sehr kleine Auslenkungen des Federbalkens registrieren zu können, verwendeten die Forscher dafür die Nadel des Mikroskops. Die beiden Rastermikroskope verschmolzen so zu einer Einheit.

Für die Entwicklung der Rastermikroskopie mit ihrer extrem hohen Auflösung erhielten Rohrer und Binnig 1986 den Nobelpreis für Physik. Sie teilten sich die Auszeichnung mit Ernst Friedrich Ruska, der für das Elektronenmikroskop geehrt wurde, das er bereits in den Dreißigerjahren entworfen hatte.

Breite Anwendung findet heute vor allem das universell einsetzbare Rasterkraftmikroskop, dessen Technik in den letzten Jahren immer weiter vereinfacht und verfeinert wurde. Der Auslenkung des Federbalkens spürt heute meist ein Laserstrahl nach. Eine bedienerfreundliche Software sorgt für eine einfache Handhabung des Instruments, das aus einem unscheinbaren Tischmikroskop, einem Computer und einem Bildschirm besteht. 1991 waren die ersten Geräte kommerziell erhältlich. Heute werden Rasterkraftmikroskope von rund 40 Herstellern angeboten – zu Preisen ab 15 000 Euro pro Stück. Der Umsatz mit ihnen beläuft sich auf rund 600 Millionen Euro pro Jahr. Etwa 6000 wissenschaftliche Publikationen jährlich basieren auf Arbeiten, bei denen dieses Mikroskop Pate stand. Für die Verbreitung des Rasterkraftmikroskops sorgte vor allem die Computerindustrie, die sehr leistungsfähige Rechner und anspruchsvolle Grafikprogramme auf den Markt brachte.

In den letzten Jahren sind beide Arten von Rastermikroskopen zu wichtigen Diagnoseinstrumenten weiterentwickelt worden. An der EMPA, der ETH-Forschungsinstitution für Materialwissenschaften im schweizerischen Thun, haben Louis Schlapbach und Oliver Gröning für den Elektronikkonzern Sony das Rastertunnelmikroskop zu einem „Rasteranodenmikroskop“ umgebaut. Damit lassen sich mehrere Millionen Nanoröhrchen aus Kohlenstoff überprüfen, die in einer neuen Generation von Displays als Minikathoden dienen sollen. Diese winzigen Kathoden können ein Bild erzeugen, das bei Auflösung und Schärfe die bisherigen Bildröhren und Flachbildschirme weit übertrifft. Im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts Nanowissenschaften der Schweiz hat die Forschungsgruppe von Martin Hegner und Hans Peter Lang am Institut für Physik der Universität Basel das Rasterkraftmikroskop dafür fit gemacht, im Blut kleinste Mengen von Viren, Genen oder Proteinen aufzuspüren.

Den ersten mikroskopischen Nanosensor mit acht Federbalken entwickelte Christoph Gerber zusammen mit seinen Forscherkollegen Jim Gimzewski und Ernst Meyer am IBM-Labor in Rüschlikon. Während sich die beiden Erfinder der Rastermikroskopie inzwischen aus diesem Forschungsgebiet zurückgezogen haben – Rohrer lebt im Ruhestand, Binnig bietet über seine eigene Softwarefirma Definiens Computerprogramme für Naturwissenschaftler an –, ist Gerber weiterhin in der Forschung aktiv. Er sieht sich als „ Nanomechaniker“: Das Rastertunnelmikroskop war für ihn nur die Startrampe für weitere Entwicklungen. „Wenn der Federbalken einzelne Moleküle und Atome abbilden kann, müsste er auch empfindlich genug sein, um chemische Reaktionen zu messen“, schloss er und funktionierte den Federbalken kurzerhand zu einem Träger um, auf dem solche Reaktionen ablaufen können. Nicht die Nadel sorgt nun für die Auslenkung, sondern die chemischen Prozesse auf dem Balken. Dessen Oberfläche wird etwa mit kleinen DNA-Strängen oder mit Eiweiß-Molekülen beladen, die gewöhnlich die Zellmembran schützen.

Was sich im natürlichen Mikrokosmos abspielt, wenn komplementäre DNA-Stränge auf der Zellmembran andocken oder Viren durch sie in die Zelle eindringen, wird so im Labor nachvollzogen. Den als Zellmembran präparierten Federbalken tauchen die Forscher dazu in die Lösung mit den komplementären DNA-Strängen oder gierigen Viren ein. Die lassen sich auf der präparierten Oberfläche nieder und gehen eine Verbindung mit den Molekülen auf dem Federbalken ein. Genauer gesagt: Sie drängen sich zwischen die Eiweiß-Moleküle beziehungsweise DNA-Stränge. Dabei wirken winzige Kräfte in der Größenordnung einiger Pikonewton – das entspricht der Gewichtskraft von weniger als einem Milliardstel Gramm Masse. Doch es reicht aus, um den Federbalken messbar zu verbiegen.

Den Nanosensor entwickelte das Team um Gerber sehr pragmatisch: Die Physiker bestückten den Siliziumträger mit acht Federbalken, weil er damit gut in ein Rasterkraftmikroskop hineinpasst. Die Auslenkung der acht Plättchen kann außerdem von einem Mikrolaser gemessen werden, der von der Telekommunikationsindustrie bereits entwickelt wurde – für den Datentransfer in Glasfaserkabeln. Ein so genannter Inkjet-Spotter, der ähnlich wie ein Tintenstrahldrucker funktioniert und sehr feine Tröpfchen von Material versprüht, belädt die Balken einzeln mit verschiedenen Molekülen, bevor der Sensor in die Analysekammer gesteckt wird. Innerhalb weniger Minuten registriert der Laser die Auslenkung der Balken, die von den angelagerten Molekülen unterschiedlich stark gebogen werden. Einer der acht Balken dient dabei als Referenzsensor, der keine Testmoleküle enthält und daher nicht verbogen wird.

Hinsichtlich seiner Empfindlichkeit ist das zum Nanosensor weiterentwickelte Rasterkraftmikroskop der konventionellen Technik der Oberflächenplasmonresonanz ebenbürtig. Bei dieser etablierten Technik versetzen freie Elektronen der untersuchten Substanz Atome auf der Oberfläche eines Sensors in Schwingung. Dadurch senden die Oberflächen-Atome Licht aus, das gemessen wird. Bislang haben die Baseler Forscher ihr Potenzial nicht voll ausgeschöpft. „Wir könnten unsere Nanosensoren noch sehr viel empfindlicher machen, wenn wir entsprechend dünnere Federbalken einsetzen würden“, ist Martin Hegner überzeugt. Neben den von Hegner bislang benutzten Sensoren mit 0,5 Mikrometer dicken Balken werden – etwa von Forschern am IBM-Labor in Rüschlikon – auch bereits solche produziert, die nur 0,1 Mikrometer dünn sind.

Ein weiterer Vorteil des Nanosensors auf Basis eines Rasterkraftmikroskops: Er kann die Untersuchung von sehr vielen Genen und Proteinen auf einmal vornehmen. Während bei der Oberflächenplasmonresonanz optische Signale für die Tests eingesetzt werden und man deshalb mit parallel laufenden Messungen bald an Grenzen stößt, erlaubt der Rasterkraftsensor eine fast beliebig große Zahl an gleichzeitigen Messungen. Der koreanische Chiphersteller Samsung hat bereits einen Chip mit 800 000 Federbalken entwickelt, die alle parallel arbeiten können.

Doch die enorme Vielseitigkeit ist zurzeit gar nicht entscheidend. Vielmehr müssen Biochemiker, Physiologen, Mikrobiologen und Mediziner erst einmal die richtigen Aufgaben liefern, die sich mit dem neuartigen Sensor lösen lassen. Immerhin soll das hochempfindliche Messgerät bald fähig sein, geringste Mengen von Aids-Viren (HIV) im Blut festzustellen, was auf neue Testmethoden und die Entwicklung wirksamerer Medikamente gegen HIV hoffen lässt. Das dazu erforderliche Membranprotein für den Nanosensor wird zurzeit am Universitätsspital in Zürich entwickelt. Bereits einsatzbereit ist eine Testanlage, an der man mithilfe eines Rasterkraftmikroskops winzige Mengen zweier Eiweiß-Moleküle identifizieren kann, die bei einem Herzinfarkt ausgeschüttet werden. Ein großer Fortschritt – denn so müssten sich künftig auch kleine „Infarkt-Streifungen“ erkennen lassen: Vorboten eines baldigen Herzinfarkts, die bisher meist unentdeckt blieben.

Das Rastertunnel- und das Rasterkraftmikroskop haben das Tor zu Erkenntnissen geöffnet, die Wissenschaftler und Mediziner noch lange beschäftigen werden. So wie erst die leistungsfähigen Fernrohre des Weltraumteleskops Hubble die Entdeckung von Milliarden zuvor unbekannter Galaxien ermöglichten, so werden diese beiden Mikroskope den Blick in den Nanokosmos entscheidend schärfen. ■

Christian Bernhart lebt als freier Wissenschaftsjournalist in Bern. Als Fan alter Schallplatten ist er fasziniert von der Rastermikroskopie.

Christian Bernhart

Ohne Titel

• 25 Jahre nach ihrer Erfindung dienen Rastermikroskope als hochsensible chemische und biologische Sensoren.

• Schweizer Mediziner testen den Prototypen eines mobilen Rasterkraftmikroskops für den Einsatz in Kliniken.

Ohne Titel

Die feine Nadel am Federbalken eines Rasterkraftmikroskops tastet die untersuchte Oberfläche Zeile für Zeile ab. Dabei wird die Nadel auf und ab bewegt, sodass die Kraft zwischen ihrer Spitze und den Oberflächen-Atomen stets gleich bleibt. Ein Laserstrahl misst diese Bewegung, und ein Computer rekonstruiert daraus ein dreidimensionales Bild der atomaren Struktur der Probenoberfläche.

Ohne Titel

COMMUNITY Fernsehen

Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskope haben sich zu einem wertvollen Werkzeug für Forschung und Medizin entwickelt. In Zusammenarbeit mit bild der wissenschaft hat das TV-Wissensmagazin „nano“ einen Film über die Anwendungen der Rastermikroskopie produziert. Der Film wird am Donnerstag, den 30. November um 18.30 Uhr das erste Mal in 3Sat ausgestrahlt. Weitere Infos und Sendetermine finden Sie auf: www.3sat.de/nano

Internet

Homepage des IBM-Forschungslabors in Rüschlikon bei Zürich: www.zurich.ibm.com

Biozentrum an der Universität Basel: www.biozentrum.unibas.ch

Website des Materialforschungszentrums EMPA der ETH Zürich: www.empa.chcom

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