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Die Schnüffler vom Dienst

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Die Schnüffler vom Dienst
Mit ihren feinen Nasen erschnüffeln Ratten den Erreger der Tuberkulose. Auch Sprengstoff spüren sie auf. In Afrika sind die Tiere schon im Einsatz.

Die erste Kuhle interessiert die Riesenhamsterratte nicht besonders. Nur kurz steckt das kaninchengroße Tier seine Nase in die Vertiefung im Käfigboden und läuft weiter zur nächsten. Auch nicht spannend. Aber als die Ratte ihre Nase in der dritten Vertiefung hat, scharrt sie sekundenlang mit den Vorderpfoten. Dann eilt sie zu einem kleinen Loch an der Seitenwand des Käfigs, um sich ihre Belohnung abzuholen – ein bisschen Bananenbrei.

Vielleicht hat sie eben einem ahnungslosen Erkrankten das Leben gerettet. Denn das Tier und seine Kollegen sind darauf dressiert, Tuberkulose-Erreger aufzuspüren. Unter jeder der zehn Vertiefungen des zwei Meter langen Käfigs befindet sich eine Probe des Auswurfs eines Menschen. In Tansania, wo die Ratten arbeiten, sind besonders viele Menschen an Tuberkulose erkrankt – wie auch sonst in Afrika südlich der Sahara und in Südost-Asien.

Tuberkulose ist immer noch die „am häufigsten zum Tode führende behandelbare Infektionskrankheit“, bilanziert das Berliner Robert-Koch-Institut. Nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation starben 2009 rund 1,7 Millionen Menschen an Tuberkulose, die meisten davon in Afrika. Weltweit erkranken jährlich fast zehn Millionen neu an der Lungenseuche. Jeder, der nicht behandelt wird, steckt im Schnitt ein Dutzend andere an – jedes Jahr. Nicht bei allen Infizierten bricht die Krankheit aus. Doch fünf bis zehn Prozent haben nicht genügend Abwehrkräfte und werden neue Opfer – und Überträger.

So wichtig es wäre, die Kranken zu erkennen und zu behandeln, so schlecht gelingt dies in Afrika. Eigentlich wäre es mit den heutigen Mitteln kein großes Kunststück, Tuberkulose zu diagnostizieren. Man kann den Auswurf des Patienten in ein Nährmedium geben und beobachten, ob sich Bakterienkulturen bilden. Man kann die Proben mit speziellen Antikörpern untersuchen oder eine DNA-Analyse vornehmen. Doch all diese Methoden sind für den großflächigen Einsatz in Afrika zu teuer. Stattdessen wird dort ein Abstrich des Auswurfs der Tuberkulose-Verdächtigen unter dem Mikroskop untersucht. Eventuell vorhandene Bakterien macht man dabei mit einem Farbstoff sichtbar. Das Verfahren wurde von zwei deutschen Forschern entwickelt – anno 1883. Die Ergebnisse sind entsprechend. Weltweit werden mit der Methode lediglich 60 Prozent der Erkrankungen erkannt, in Afrika sogar nur 20 bis 40 Prozent. „Abstrich-Mikroskopie ist wirklich grauenhaft“, sagt Alan Poling von der Western Michigan University in Kalamazoo.

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TRAINING MIT VIER WOCHEN

Der Psychologie-Professor ist Experte in der Kunst des „ operanten Konditionierens“, das auf den berühmten Psychologen Burrhus Frederic Skinner zurückgeht. Poling hat das Trainingsprogramm mitentwickelt, dank dessen die Ratten so erpicht auf den Geruch von Tuberkulose-Bakterien sind. Die gutmütigen Tiere werden vor Ort gefangen, gezüchtet und ausgebildet. Das Training beginnt, wenn die Riesenhamsterratten vier Wochen alt sind. Als Erstes lernen sie, dass Futter auf sie wartet, sobald der Trainer mit einem kleinen Metallgerät klickt. Das tut er in den weiteren Trainingsphasen dann, wenn die Ratte fünf Sekunden an einer Probe mit Tuberkulose-Bakterien geschnüffelt hat. Verharrt sie bei bakterienfreien Proben, gibt es nichts zu fressen.

Die Tiere brauchen ein paar Monate, um ihr Nasenwerk sicher zu lernen. Die Ausbildung bestanden hat, wer bei mindestens 80 Prozent der richtigen Proben anschlägt, aber höchstens bei fünf Prozent der falschen. Das schaffen die meisten Tiere. Da sie bis zu acht Jahre alt werden, steht ihnen ein langes Arbeitsleben bevor.

Bei einem 2010 veröffentlichten Feldtest schnüffelten zehn Tiere an 23 000 Proben, die bereits unter dem Mikroskop gesichtet worden waren. Schlugen zwei oder mehr Ratten an, wurden die Proben nachuntersucht. Ergebnis: Die Ratten entdeckten 620 neue Fälle, die anschließend bestätigt wurden. Unter dem Strich fand man so dank der Ratten 44 Prozent mehr Erkrankte als nur mit dem Mikroskop.

TREFFERQUOTE: 99 PROZENT

Ratten sind die ersten Tiere, die systematisch Erkrankungen aufspüren. Ansonsten bietet die medizinische Fachliteratur nur ein paar kuriose Einzelfälle und Pilotstudien. In einer kleinen Studie aus dem Jahr 2006 schnüffelten fünf gewöhnliche Haushunde nach einigen Wochen Training an Atemproben von Lungenkrebspatienten und Gesunden. Sie erkannten die Proben der Kranken mit einer Trefferquote von 99 Prozent. Und dann wäre da noch die Katze Oscar, die in einem amerikanischen Heim bevorzugt Bewohner besucht, deren Lebensende unmittelbar bevorsteht. Offenbar kann sie den nahenden Tod riechen. Wenn Oscar zu Besuch kommt, verständigen die Schwestern und Ärzte die Angehörigen, berichtete 2007 das „New England Journal of Medicine“.

Die Riesenhamsterratten dagegen sind nicht nur bei der Tuberkulose- Diagnostik im Routineeinsatz. Schon seit sechs Jahren spüren sie in Mosambik Minen auf – für die belgische Hilfsorganisation APOPO, die auch die Tuberkulose-Erkennung organisiert. Über der verdächtigen Fläche wird ein Seil gespannt, an dem das Geschirr der diensthabenden Ratte mit einer kurzen Leine befestigt ist. Das Tier läuft mit der Nase am Boden die vorgegebene Strecke ab und fängt an zu buddeln, sobald es den Sprengstoff riecht, auf den es trainiert ist. Die Ratte ist dabei nicht in Gefahr, in die Luft zu fliegen, denn sie ist nicht schwer genug, um die Mine hochgehen zu lassen. Bis 2014 sollen ein paar Dutzend Ratten und die hinterher räumenden Menschen eine ganze Provinz von Minen befreit haben.

EIN AUTOMATISCHER KÄFIG

Beim Tuberkulose-Projekt geht es noch nicht schnell genug voran. Zwar sind die Ratten willig und fix – jedes der 40 Tiere schafft 1000 Proben am Tag. Doch angesichts der Straßenverhältnisse ist es schwierig, genügend Proben heranzuschaffen. Außerdem hält jedes Tier bislang drei Leute auf Trab: einen Trainer, der die Ratte betreut, einen Helfer, der die Auswurf-Proben nachschiebt, und einen Protokollanten, der die Ergebnisse notiert. Abhilfe soll ein automatischer Käfig schaffen, der selbstständig Proben nachlädt und mithilfe einer Lichtschranke registriert, wie lange das Tier seine Nase in eine Vertiefung steckt. So würde die Methode noch preiswerter und attraktiver. Trotzdem könnte es passieren, dass sie eines Tages von erschwinglicheren DNA-Analysen-Automaten ausgestochen wird. Alan Poling hat damit kein Problem: „Selbst wenn wir jedes Jahr nur 620 neue Fälle finden würden, hätte es sich gelohnt.“ ■

von Jochen Paulus

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Internet

Die Organisation APOPO zeigt auf ihrer Website Videos von Ratten im Einsatz gegen Tuberkulose und Landminen: www.apopo.org (unter „News“ Stichwort „Videos“ anklicken)

Wer eine Ratte adoptieren will, kann dies für 60 Euro im Jahr tun: www.apopo.org/adoptarat.php?lang=en

Ein Faktenblatt der WHO zu Tuberkulose: who.int/mediacentre/factsheets/fs104/ en/index.html

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