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PLASMA DIE LEUCHTENDE VERHEISSUNG

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PLASMA DIE LEUCHTENDE VERHEISSUNG
Plasma war lange Zeit nur für Physiker interessant. Jetzt soll es helfen, Krankheitskeime abzutöten und Wunden zu schließen.

In der Halbleiterindustrie hilft Plasma beim Ätzen, in der Metallindustrie beim Schneiden, und in der Fusionsforschung wird der Brennstoff vor der Reaktion in den Plasmazustand versetzt. Plasma, der vierte Zustand der Materie, in dem das Gas ionisiert ist, erscheint in vielen Formen und Arten, doch es ist immer heiß und lebensgefährlich. Aber das muss nicht so sein, haben Wissenschaftler nun gezeigt. Und: Es hat ein großes medizinisches Potenzial. „Plasma kann heilen“, bringt Axel Kramer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die Ergebnisse der letzten Jahre auf den Punkt. „Wir haben große Hoffnung, dass mit der neuen Plasmamedizin vielen Menschen geholfen werden kann.“

Der Forscher denkt dabei vor allem an die fünf Millionen Menschen in Deutschland, die an schlecht heilenden chronischen Wunden leiden. Ihnen könnte mithilfe einer Plasmatherapie Linderung verschafft werden, da der Stoff antiseptisch höchst wirksam ist. Er ist ein effektives Mittel gegen Keime. „Die Oberflächen medizinischer Instrumente werden damit schon seit einiger Zeit erfolgreich dekontaminiert“, erklärt Klaus-Dieter Weltmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald. „Die Anwendung auf lebendem Gewebe war nur der nächste logische Schritt.“ Hierfür fehlte bis vor Kurzem allerdings eine entscheidende Voraussetzung: Plasma mit hautverträglicher Temperatur. Keine kleine Hürde: Plasma ist von Natur aus heiß. Es entsteht, wenn einem Gas so viel Energie zugeführt wird, dass sich die Elektronen aus den Atomen und Molekülen lösen. Sowohl die Elektronen als auch die Ionen werden dabei in Schwingung versetzt. Und je schneller sie schwingen, desto höher ist die Temperatur des Mediums. Der Trick zur Herstellung von kaltem Plasma besteht darin, dem Gas gerade so viel Energie zukommen zu lassen, dass zwar die winzigen Elektronen in Bewegung gebracht und somit heiß werden, die großen Ionen dagegen nicht. Der Größenunterschied ist derart gewaltig, dass die Elektronen viele Tausend Grad heiß sein können, ohne dass sich die Temperatur des gesamten Plasmas auf mehr als Raumtemperatur erhöht.

Das kalte Plasma wurde zunächst an chirurgischen Instrumenten getestet. Die Oberflächen dieser Geräte sind oft sehr komplex und dadurch schwer zu reinigen. Viele Instrumente sind zudem hitzeempfindlich. Wenn eine Sterilisation durch Hitze unmöglich ist, müssen kalte Chemikalien verwendet werden. Doch auch die sind problematisch: Sie können empfindliche Oberflächen angreifen oder giftige Rückstände auf den Instrumenten hinterlassen. Plasma dagegen nicht: Es attackiert sowohl Viren als auch Bakterien und Pilze, kriecht in jede Öffnung und tötet Keime so schnell ab, dass sie nach wenigen Minuten nicht mehr nachweisbar sind. Selbst gegen Antibiotika resistente Bakterien wie Staphylokokken, die in Krankenhäusern für rund ein Drittel aller Infektionen verantwortlich sind, lassen sich mit kaltem Plasma abtöten. Wissenschaftler fanden im Auftrag der US-Airforce zudem heraus, dass Plasma hitzeresistente Prionen wie den BSE-Erreger vernichtet. Und es kann komplexe chemische Verbindungen wie Nervengase und biologische Toxine wie Anthrax zerstören.

Wie PLASMA KEIME TÖTET

Wie genau die Dekontamination und Sterilisation mit kaltem Plasma gelingt, darüber wird allerdings nach wie vor spekuliert: Manche Plasmaforscher sind überzeugt, dass die vom Plasma ausgehende UV-Strahlung das Erbgut der Keime schädigt. Die geladenen Partikel des Plasmas könnten aber auch die Außenhülle der Keime zum Platzen bringen, weil sie sich mit den Zellmembranen verbinden und durch die gegenseitige Abstoßung Risse erzeugen. Die freien Radikale im Plasma könnten zudem durch ihre chemische Aggressivität die natürlichen Verteidigungsmechanismen der Zellen überwinden und auch das Umfeld der Zellen chemisch verändern: Reagiert beispielsweise das Radikal Stickstoffmonoxid mit Wasser, so kann Salpetersäure entstehen, die den pH-Wert der Flüssigkeit senkt. Und ein solches saures Milieu vertragen viele Bakterien nicht.

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Der Greifswalder Plasmaphysiker Weltmann kann die Wirkung jeder dieser Mechanismen bestätigen. Er betont aber, dass nicht alle Keime gleich auf Plasma reagieren. „Was den einen abtötet, schadet dem anderen nur bedingt. Um Keime möglichst vollständig abzutöten, müssen die Mechanismen deshalb optimal kombiniert werden.“ Dafür testen und entwickeln die Forscher am INP eine Vielzahl von Plasmaquellen mit unterschiedlichen Eigenschaften. In München hat ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern schon 2006 eine vielversprechende klinische Studie begonnen. Das Team, zu dem René Pompl vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching, Gregor Morfill, Direktor des Instituts, und Wilhelm Stolz, Leiter der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Umweltmedizin des Klinikums Schwabing in München gehören, behandelte zunächst menschliche Blut- und Gewebeproben mit kaltem Plasma. Ergebnis: keine schädlichen Nebenwirkungen. Als Plasmaquelle benutzen die Münchner eine Art Fackel mit einer Plasmaflamme aus reinem Argon. Die Fackel ist rund 20 Zentimeter lang und über einen Metallarm mit einem großen Rollwagen verbunden. Auf dem befinden sich die Kontrollelemente der Fackel und der Argontank für die Plasmaflamme.

EDELGAS AUF DIE WUNDEN

Für die Wahl des Trägergases hat Pompl einleuchtende Gründe: „ Argon ist ein Edelgas, es reagiert also nicht mit der Wunde. Diese Eigenschaft ist für die klinische Studie sehr wichtig.“ Je nach Wahl des Gases verändern sich nämlich die Eigenschaften des Plasmas: „Wenn wir Kohlendioxid beimischen würden, hätten wir mehr UV-Strahlung, bei Stickstoffbeigaben würden sich Stickstoffmonoxid-Radikale bilden“, erklärt Pompl. Stickstoffmonoxid wird vom menschlichen Körper selbst zur Bekämpfung von Infektionen und Entzündungen eingesetzt.

Doch die Plasmatherapie funktioniert auch ohne Radikale und zusätzliche UV-Strahlung: Etlichen der 105 Patienten mit chronischen Wunden, die an der derzeit laufenden Phase-II-Studie im Klinikum Schwabing teilnehmen, hat das Gerät große Linderung verschafft. Den Erfolg genauer beziffern kann Pompl erst bei Abschluss der Studie. Doch das kann er jetzt schon sagen: „Die Therapie ist absolut schmerzlos. Wir haben die Keimzahlen deutlich verringert, zum Teil bis null, und auch Wundschließungen beobachtet. Da chronische Wunden allerdings vielfältige Ursachen haben, ist der Erfolg, der auf das kalte Plasma zurückgeht, schwer abzuschätzen. Die tiefere Ursache der Wunden, zum Beispiel Diabetes, kann auf diese Weise natürlich nicht behoben werden.“ Der Wissenschaftler sieht für das Plasma noch viele andere Einsatzmöglichkeiten – das Bekämpfen von Fußpilz zum Beispiel oder die Behandlung von sich leicht infizierenden Brandwunden.

HANDGERÄTE FÜR DEN HAUSGEBRAUCH

Neben dem großen Gerät, das vor allem für den Einsatz in Krankenhäusern konzipiert ist, sollen in Kooperation mit der Industrie innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre noch zwei weitere Geräte Marktreife erlangen. Ein Miniplasma-Gerät für die Verwendung bei niedergelassenen Ärzten wird bereits entwickelt, und ein Handgerät für den Hausgebrauch ist geplant. Die Kosten für eine der großen Plasmafackeln liegen aufgrund der geringen Stückzahl bislang im fünf- bis sechsstelligen Bereich. International gibt es vielerlei Geräte und Verfahren, die in der Plasmamedizin eingesetzt werden: zum Beispiel eine Plasmanadel, eine Plasmabürste und einen Plasma-Pencil. Die Plasmanadel und der Plasma-Pencil können ähnlich wie die Plasmafackel verwendet werden. Die Plasmabürste wurde für die Behandlung von Karies konzipiert.

„Die Plasmamedizin ist zurzeit noch wie ein Werkzeugkasten“, beschreibt Klaus-Dieter Weltmann die Situation. „Oft werden einfach Hammer, Säge und Meißel herausgenommen und ausprobiert. Dass sich der Hammer am besten zum Schlagen, die Säge am besten zum Zerteilen und der Meißel für Feinarbeiten eignet, muss erst noch herausgefunden werden.“

Weltmann setzt an seinem Institut deshalb auf Grundlagenforschung. Im April hat er vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zu diesem Zweck eine Förderung in Millionenhöhe erhalten. Der Wissenschaftler hofft, die optimale Plasmaquelle und -zusammensetzung für jede Anwendung zu ermitteln, sei es in der Chirurgie, in der Wundbehandlung, der Dermatologie oder der Zahnheilkunde. Bis dieses Ziel erreicht ist, werden aus seiner Sicht allerdings noch etwa zehn Jahre vergehen, denn: „Plasma ist wie ein Cocktail – man muss sich überraschen lassen, wie er schmeckt und weiß erst später, ob er anregend wirkt oder Kopfschmerzen verursacht.“ ■

LIVIA RASCHE ist Wissenschaftsjournalistin. Dieser Artikel entstand während ihres Praktikums bei bild der wissenschaft.

Kompakt

· Kaltes Plasma kann medizinische Instrumente keimfrei machen.

· Jetzt versuchen Ärzte, das ionisierte Gas an lebendem Gewebe einzusetzen.

· Erste klinische Tests zeigen: Es kann chronische Wunden verschließen.

GUT ZU WISSEN: Plasma

Unter Plasma verstehen Physiker ein ionisiertes Gas, das aus Ionen, freien Elektronen und neutralen Atomen besteht. Neben „ flüssig“, „fest“ und „gasförmig“ gilt es als der vierte Aggregatzustand.

Zuerst beschrieben wurde Plasma 1879 vom englischen Chemiker und Physiker William Crookes, der es „radiant matter“ (strahlende Materie) nannte. Das Wort „Plasma“ kommt aus dem griechischen und bedeutet „Gebilde“. Der amerikanische Physiker Irving Langmuir prägte den Begriff 1928.

Als ionisiertes Gas besitzt Plasma viele angeregte Teilchen. Sie senden neben Strahlen im sichtbaren Bereich auch UV-Strahlung aus. Plasmen können nach verschiedenen Kriterien eingeteilt werden: nach Vorkommen unterscheidet man terrestrisches (Blitze), künstliches (Plasmalampe) und astrophysikalisches Plasma (Sterne) – nach Temperatur thermisches (heißes) und nicht-thermisches (kaltes) Plasma. Die dritte gebräuchliche Einteilungsart ist nach dem Druck, der beim Erzeugen des Plasmas herrscht: Nieder-, Hoch- oder Atmosphärendruckplasma.

Vor der industriellen Anwendung muss Plasma künstlich hergestellt werden. Das geschieht meist mithilfe einer Gasentladung. So wird beim Plasmaätzen in einem mit Gas gefüllten Vakuumreaktor eine Mikrowellenentladung gezündet, wodurch ein hochreaktives Plasma entsteht.

Mehr zum Thema

Lesen

Plasma in der modernen Industrie und Wissenschaft: Michael Kaufmann PLASMAPHYSIK UND FUSIONSFORSCHUNG Teubner, Stuttgart 2003, € 39,90

Einführung in die Plasmaphysik: Eckhard Rebhan HEISSER ALS DAS SONNENFEUER Piper, München 1992 (nur noch antiquarisch erhältlich ab ca. € 12)

Lawrence Kennedy, Alexander Fridman PLASMA PHYSICS AND ENGINEERING Taylor & Francis, London 2004, € 127,99

Plasmaphysik für Fortgeschrittene: T. J. M. Boyd, J. J. Sanderson THE PHYSICS OF PLASMA Cambridge University Press Cambridge 2003, € 61,99

Internet

Fachveröffentlichung zur Plasmamedizin: www.egms.de/en/journals/dgkh/ index.shtml

Wissenswertes rund ums Plasma: fb08-schottky.phys.chemie.uni-giessen.de/Jahr_der_Chemie/index.html

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