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Aussichtslose Abwehrschlacht

Allgemein

Aussichtslose Abwehrschlacht
Die kostenlose Verbreitung von Musik und Filmen über das Internet ist nicht zu stoppen. Die Plattenfirmen sollten sich damit abfinden.

Warum steht der Computer denn in der Küche? „Weil er Tag und Nacht läuft, und im Wohnzimmer stört mich das Lüftergeräusch.” Tag und Nacht? „Ja, manche Filme brauchen schon mal ein paar Tage, bis sie gesaugt sind.” Wie, gesaugt? „Na ja, aus dem Internet geladen, mit E-Mule.” E-Mule? „Klar, die Online-Tauschbörse, da finden Sie fast alles.” Marco Wolf kennt sich gut aus, wenn es darum geht, sich Musik, Filme und Computerspiele im Internet kostenlos zu besorgen.

In Wirklichkeit heißt er nicht Marco Wolf, und wir verraten besser auch nur, dass er in der Nähe von Stuttgart wohnt. Denn wenn eine gewiefte Anwaltskanzlei oder die Staatsanwaltschaft seinen Namen wüsste, dann würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis jemand bei Marco vor der Tür stünde und seinen Computer mitnähme. 600 Filme und 5000 Lieder hat er bisher „gesaugt”. Das gilt schon nicht mehr als Kavaliersdelikt, auch wenn Marco noch nie einen Film verkauft hat. Das würde er auch nie tun, sagt er. Einmal schellte ein Polizist bei ihm. Da habe er ein wenig Angst bekommen, erzählt Marco. Der Polizist war aber nicht seinetwegen da, sondern irgendwo hatte es einen falschen Alarm gegeben. Trotzdem speichert Marco Wolf seitdem die Filme nicht mehr bei sich zu Hause, sondern auf einer externen Festplatte bei einer Bekannten. Das hält er für sicherer.

Sieben Millionen Sauger

Marco Wolf ist kein Einzelfall. Er ist einer von geschätzt sieben Millionen Menschen in Deutschland, die sich in Tauschbörsen Musik und Filme herunterladen. Die Programme, die auf dem Heimrechner installiert werden und kostenlosen Zugang zu Millionen von Liedern und Filmen verschaffen, tragen Namen wie E-Mule, Limewire oder Bearshare. Sie und ihre Vorgänger-Programme sind Protagonisten einer Geschichte, die so begann:

Der 18-jährige Informatikstudent Shawn Fanning entwickelte 1998 ein Programm mit dem Namen Napster, basierend auf dem Peer-to-Peer-Prinzip (mehr dazu im Kasten auf S. 96 „So funktionieren Tauschbörsen”). Napster wurde schnell zum Erfolg: Tausende Menschen installierten das Programm auf ihrem Computer und stellten ihre digitalisierte Musiksammlung den anderen Napster-Nutzern zur Verfügung. Das Internet-Portal wurde zur größten Musiksammlung der Welt, für alle zugänglich, für alle kostenlos – die von Forschern der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelte MP3-Technologie ermöglichte eine gute Klangqualität trotz geringer Dateigrößen. Bald begann ein Feldzug gegen Napster unter Führung des amerikanischen Branchenverbands der großen Plattenfirmen RIAA (Recording Industry Association of America), der in zahlreichen Gerichtsprozessen gipfelte.

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Währenddessen entstanden andere Tauschbörsen, die eine subtilere Technik als Napster nutzen. Während Napster die Suche nach Musik über einen zentralen Server organisiert, kommen die neuen Tauschbörsen ohne einen Server aus. Es gibt also keine zentrale Instanz mehr, gegen die jemand vorgehen könnte. Auch die Nachfolger Napsters verbreiteten sich schnell. Allein in Deutschland luden die Internet-Nutzer 2002 und 2003 insgesamt rund 1,2 Milliarden Musiktitel kostenlos aus dem Web herunter, die meisten davon in Tauschbörsen. Und damit begann der große Streit. Vertreter der Musikindustrie auf der ganzen Welt klagten gegen Tauschbörsen und forderten, dass deren Verbreitung gestoppt würde. Meist hatten sie jedoch keinen Erfolg, denn moderne Tauschbörsen sorgen lediglich dafür, dass sich mehrere Computer miteinander verbinden und Dateien hin und her schicken können. Das können zwar urheberrechtlich geschützte Daten sein, müssen es aber nicht.

Die Musikindustrie hat ihre Gründe, gegen Tauschbörsen vorzugehen: Seit Jahren sinken die Umsatzzahlen. Die Tauschbörsen seien schuld, wettern die Plattenfirmen: Sie würden dafür sorgen, dass Musik nicht mehr gekauft, sondern nur noch kostenlos heruntergeladen wird. Kritiker widersprechen: Wenn sich jemand ein Lied herunterlädt, hieße das ja noch lange nicht, dass er sich – wenn es die Tauschbörse nicht gäbe – das Lied auf CD kaufen würde. Vielmehr habe die Musikindustrie ihre Misslage selbst zu verantworten, weil sie die Verbreitungswege über das Internet zu lange nicht oder falsch genutzt habe. Zu hohe Preise für Musikstücke, die es im Internet legal zu kaufen gibt, sowie lästiger Kopierschutz hätten nur wenige Kunden angelockt. „Die Musikindustrie hat nicht rechtzeitig erkannt, dass digitale Musik nun einmal verlustfrei zu kopieren ist und damit ein grundsätzlicher Wandel im Musikmarkt eintreten wird”, sagt Bernhard Schillo, politischer Geschäftsführer der Piratenpartei, die sich für freien Wissensaustausch und eine Reformierung des Urheber- und Patentrechts einsetzt. Schillo: „Die Musik- industrie hat ihre Kunden kriminalisiert, statt ihre Produkte und Dienstleistungen anzupassen.”

Tausende Euro Schadensersatz

Seit 2004 geht die Musikindustrie juristisch direkt gegen die Nutzer von Tauschbörsen und weniger gegen deren Entwickler vor. Per Zufall werden Tauschbörsen-Nutzer ausgesucht, abgemahnt und zu Schadensersatzzahlungen von teils mehreren Tausend Euro aufgefordert (siehe Kasten links „Wie Tauschbörsen-Nutzer ins Netz gehen”). Manche Anwaltskanzleien verschicken Hunderte Abmahnungen jede Woche. Die Methode zahlt sich aus für die Musikindustrie: Von 2003 bis 2007 hat sich die Zahl der in Deutschland per Tauschbörsen illegal aus dem Internet gezogenen Lieder halbiert. Doch das reicht den Firmen noch nicht: „Wir wissen zwar, dass wir die illegalen Downloads nicht gänzlich eindämmen können, aber wir möchten sie gerne in den nächsten Jahren nochmals halbieren und damit auf ein gesundes Maß schrumpfen lassen”, sagt Daniel Knöll vom Bundesverband Musikindustrie. Das Wunschszenario der Musikverbände: Hat eine Anwaltskanzlei oder ein anderes Unternehmen im Auftrag der Musikverbände in Tauschbörsen eine IP-Adresse ausfindig gemacht und will die Person herausfinden, die sich hinter dieser Adresse verbirgt, muss sie nicht mehr – wie bisher – die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht einschalten, sondern kann direkt beim Provider, also beim Netzanbieter, die Person samt Adresse erfragen.

Kopieren ist meist illegal

Für den Rückgang der Tauschbörsen-Nutzung in den vergangenen Jahren hat wohl nicht nur das massenhafte Abmahnen gesorgt. Hinzu kommt, dass es inzwischen verboten ist, den Kopierschutz zu umgehen. Das heißt: Kauft man sich ein Lied als kopiergeschützte Datei, will es auf seinen MP3-Player kopieren und umgeht dafür den Kopierschutz, macht man sich strafbar. Das stößt auch deshalb auf Kritik, weil Privatkopien früher uneingeschränkt möglich waren und als Ausgleich Pauschalabgaben auf unbespielte CDs und auf MP3-Player erhoben wurden. Die Pauschalgebühren gibt es immer noch, doch die Privatkopie ist nun weitgehend illegal, weil kaum Medien ohne Kopierschutz verkauft werden.

Seit Jahren leisten die Interessenverbände Lobbyarbeit. Sie starteten die Kampagne „Raubkopierer sind Verbrecher” und senden Werbespots, in denen Kinder ihren Vater zum Geburtstag im Gefängnis besuchen, weil der eben ein „Raubkopierer” ist. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich des Themas angenommen und forderte im April 2008 in ihrem wöchentlichen Video-Podcast den „ Aufbau von Barrieren, Inhalte kopieren zu können, und die Verbesserung des Schutzes von geistigem Eigentum”.

Lawrence Lessig ist Professor für Recht an der Stanford Law School und in den USA ein bekannter Verfassungsrechtler. Eine seiner Veröffentlichungen ist das Buch „Freie Kultur”. Darin prangert er die Verschärfung der Gesetze zugunsten der Musikindustrie und die teils millionenschweren Klagen gegen Tauschbörsennutzer an. Seine These: Eine neue Technik (das Internet und Peer-to-Peer) hat ein bestehendes Geschäftsmodell (das der klassischen Musikindustrie) beschädigt – und nun fordert die Musikindustrie vom Staat, das bestehende Geschäftsmodell zu schützen. Lessig schreibt: „Fernbedienungen haben die Aufdringlichkeit von Fernsehwerbung gemindert (wenn ein langweiliger Spot auftaucht, kann man schnell umschalten), und es kann gut sein, dass das den Markt für Fernsehwerbung geschwächt hat. Doch: Verlangt etwa deswegen irgendjemand, wir sollten unsere Fernbedienungen umprogrammieren, um das Werbefernsehen zu unterstützen (indem wir sie vielleicht so programmieren, dass sie pro Stunde nur zehn Senderwechsel zulassen)?”

60 Millionen Verbrecher?

Der Schutz des bestehenden Geschäftsmodells kann laut Lessig nur gewährleistet werden, indem „40 bis 60 Millionen Amerikaner in Verbrecher verwandelt werden”, weil sie urheberrechtlich geschützte Musik kostenlos aus dem Web laden. Und er fragt: „Gibt es eine andere Möglichkeit, Künstler zu entlohnen, ohne dass Amerika eine Nation von Verbrechern wird?” Seine Antwort: „Ich bin überzeugt, dass es eine gibt.”

Was mit Musik angefangen hat, ist mittlerweile bei Film und Print angekommen. Seit die Internetverbindungen hohe Datenraten ermöglichen, laden Privatleute nicht nur Musik, sondern auch ganze Filme herunter – die wegen der großen Datenmenge und der oft schlechten Bild- und Tonqualität allerdings nicht so beliebt sind wie Lieder, die meist einwandfreie Klangqualität haben. Gedruckte Produkte sind zwar bisher weitgehend verschont geblieben, weil die technischen Möglichkeiten fehlen. Wer liest schon gern ein Buch am Bildschirm? Sollten sich aber die elektronischen Verbreitungswege auch für Print-Publikationen – etwa in Form eines komfortablen E-Books – durchsetzen, werden in Zukunft wohl Zeitungen, Zeitschriften und Bücher als Kopie kostenlos im Internet verfügbar sein.

„Solange die Computer, die man als Privatperson kaufen kann, universelle Maschinen sind, die beliebige Bits von A nach B bewegen können, solange ist jeder Kopierschutz eine Illusion”, sagt André Spiegel, Informatiker und Autor des Buches „Die Befreiung der Information”. In der Tat gibt es keinen Kopierschutz, der nicht umgangen werden könnte. Die Klagewelle der Musikverbände wird spätestens dann ein Ende haben, wenn die nächste Generation von Tauschbörsen im Einsatz ist, die verschlüsselt arbeitet und die IP-Adresse des Computers unsichtbar werden lässt. Andere Techniken wie externe Festplatten ermöglichen das Kopieren von Tausenden Liedern und Filmen auf einen Schlag. Und dank Youtube und anderer Streaming-Angebote wie „Last-FM” und „MySpace Music” ist sowieso fast alles online. Für den Informationsrechtler Thomas Hoeren steht fest: Es geht um Informationsgerechtigkeit und Informationsfreiheit. „Ein striktes Urheberrecht sowie eine strenge Überwachung widersprechen den natürlichen Entwicklungen, die das Internet herbeigeführt hat.” Hoeren fordert deshalb „eine objektive Diskussion, ökonomische Analyse und wissenschaftliche Betrachtungsweise”. Lawrence Lessig schreibt, das Ziel müsse sein, die Gesetze so zu gestalten, dass ein möglichst großer Nutzen für möglichst viele Menschen entsteht – und nicht etwa mit immer strengerer Überwachung die Interessen von wenigen zu schützen.

Ein Dollar für jeden Musiker

Ideen gibt es viele. Bernhard Schillo von der Piratenpartei schlägt vor: „Jegliche Tauschbörsennutzung wird uneingeschränkt legalisiert, also auch der Tausch von urheberrechtlich geschützten Werken.” Aber würden dann nicht viele Künstler ihre Arbeit aufgeben müssen, weil niemand mehr CDs kauft? Schillo: „ Eben nicht. Es ist nicht leicht nachzuvollziehen – aber der Werbeeffekt, den Tauschbörsen durch die Verbreitung von Musik bewirken, kann auch dazu führen, dass sogar mehr CDs verkauft werden und die Leute mehr Konzerte besuchen.”

Ein anderer Ansatz ist die „Kultur-Flatrate”. Das Prinzip: Bezahlt wird nicht mehr pro Lied oder pro Film, sondern pauschal – egal wie viele Lieder und Filme aus dem Internet heruntergeladen werden. Die Nutzung von Tauschbörsen wäre dann nicht mehr illegal. Lessig schlägt eine Mischform vor: Man fordert von allen Tauschbörsen-Nutzern genau so viel Geld ein, wie die Musikindustrie an finanziellem Schaden durch Tauschbörsen glaubhaft machen kann. Der Informatiker und Aktivist für freie Software Richard Stallman hat folgende Idee: „Man könnte in jede Abspielsoftware einen Knopf integrieren: ‚Gib dem Musiker, den ich gerade höre, einen Dollar‘.” Stallman ist davon überzeugt, dass viele einen solchen Knopf nutzen würden – und die Musiker besser leben würden als heute. ■

von Konstantin Zurawski

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