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Sieben Dollar für eine Tonne CO2

Allgemein

Sieben Dollar für eine Tonne CO2
Die internationale Klimapolitik ist eine Erfolgsstory, sagt Hermann E. Ott – zehn Jahre nach Rio und vor dem Umweltgipfel in Johannesburg.

Dr. Hermann E. Ott ist seit 2001 Direktor der Abteilung Klimapolitik des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie GmbH. Der promovierte Jurist (Jahrgang 1961) war von November 2000 bis Juni 2001 im Planungsstab des Auswärtigen Amtes für die Konzeption einer „Umweltaußenpolitik“ zuständig. Ott ist im Aufsichtsrat von Greenpeace Deutschland. Zusammen mit Sebastian Oberthür veröffentlichte er 2000 einen umfassenden Kommentar zur internationalen Klimapolitik des 21. Jahrhunderts. bild der wissenschaft: Im Juni waren es genau zehn Jahre, dass der Erdgipfel von Rio zu Ende ging. Ein wesentliches Ergebnis dieser Konferenz war die Rahmenkonvention zum Schutz des Erdklimas, wonach die menschgemachten Treibhausgas-Emissionen zu stabilisieren sind. Wo stehen wir heute, Herr Dr. Ott? Ott: Der internationale Klimaschutz kommt beachtlich rasch voran. Die ersten Verhandlungen zu dieser Konvention begannen 1990. Sie wurde schon 1992 von 100 Regierungschefs in Rio unterzeichnet. 1995 war die erste Vertragsstaatenkonferenz – der so genannte Klimagipfel in Berlin – auf dem festgestellt wurde, dass die Konvention nicht ausreicht und ein Protokoll, also ein Tochtervertrag der Klimarahmenkonvention, ausgearbeitet werden muss. Dieses wurde 1997 in Kyoto angenommen. Inzwischen haben es 74 Staaten ratifiziert. Noch fehlt Russland. Doch Präsident Putin will alles in seiner Macht Stehende tun, dass das russische Parlament noch in diesem Jahr das Protokoll ratifiziert. Anfang 2003 dürfte das Vertragswerk dann in Kraft treten. Damit haben wir zum ersten Mal ein internationales Abkommen, das verbindlich festlegt, wie der Ausstoß an CO2 und anderen Treibhausgasen zu begrenzen ist. So etwas wäre vor zehn Jahren überhaupt nicht möglich gewesen.

bdw: Selbst wenn Russland ratifiziert, haben immer noch mehr als 100 Staaten der Welt das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet. Ist die angestrebte weltweite Reduzierung der CO2-Emissionen damit nicht Makulatur? Ott: Natürlich sollten im Endeffekt alle ratifizieren. Die wichtigsten Länder sind zunächst aber die mit dem höchsten Ausstoß von Klimagasen – also die Industriestaaten –, die immer noch etwas mehr als 60 Prozent des Weltausstoßes verursachen, obwohl sie nur ein Viertel der Menschheit stellen. Die großen Emittenten der Entwicklungsländer, dazu gehört beispielsweise China, sollen nach 2012 in einem zweiten Schritt in den Vertrag mit einbezogen werden. Im Grunde vernachlässigbar sind viele Staaten in Afrika, die kaum CO2 freisetzen. Dennoch muss man auch um sie werben. Denn das, was als Lösung erarbeitet wird, betrifft auch sie.

bdw: Was ist im ersten Schritt bis 2012 konkret fällig? Ott: In den fünf Jahren zwischen 2008 bis 2012 müssen die Industriestaaten im Schnitt fünf Prozent ihrer Emissionen im Hinblick auf das Bezugsjahr 1990 senken. Dabei gibt es Unterschiede. Die Staaten der EU müssen um acht Prozent reduzieren. Russland dagegen darf den Ausstoß nicht über den Wert von 1990 ansteigen lassen.

bdw: Die Beschlüsse von Marrakesch im Herbst 2001 öffnen für manche Industrieländer neue Schlupflöcher. Ott: In der Tat sieht es so aus, dass das gesteckte Ziel nicht vollständig erreicht wird: Die Anrechnung von Kohlenstoff, der in waldreichen Staaten gebunden wird, ist etwa so ein Schlupfloch. Deshalb werden wir bis 2012 wohl nur eine Reduktion von 2,2 Prozent erreichen. Angesichts der hohen Steigerungsraten ist dies immer noch eine ganze Menge und verschafft uns ein wenig Zeit.

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bdw: Großbritannien und Deutschland haben ihren Ausstoß gegenüber 1990 bereits deutlich verringert. Bekommen solche Länder nun noch eins draufgesattelt? Ott: Alles, was seit 1990 erreicht wurde, wird angerechnet. Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß unter anderem durch die Folgen der Wiedervereinigung um mehr als 15 Prozent verringern können. In Großbritannien beträgt die Verringerung mehr als 10 Prozent. Von diesen Anstrengungen profitieren in der Tat andere EU-Staaten. Dennoch: In allen EU-Ländern zusammen wurde 2000 nicht mehr CO2 emittiert als 1990, insofern haben wir unser erstes Ziel bereits erreicht. Ich bin zuversichtlich, dass die europäischen Staaten ihr Reduktionsziel von minus 8 Prozent bis 2012 schaffen.

bdw: Was passiert ab 2012? Ott: Da muss neu verhandelt werden. Dabei wird es vor allem darum gehen, die USA und die Entwicklungsländer mit ins Boot zu holen.

bdw: Die Regierung Bush will das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnen. Dennoch mehren sich in jüngster Zeit auch dort die Stimmen, die einräumen, dass die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen eine wesentliche Ursache für die zu verzeichnende Erwärmung des Erdklimas ist. Ott: Die Signale aus den USA sind zweideutig. Einerseits ist dort eine Regierung, die sehr, sehr stark mit der Ölindustrie verflochten ist und alle entsprechenden Eingriffe ablehnt. Andererseits gibt die dortige Bevölkerung dem Umwelt- und Klimaschutz einen hohen Stellenwert und benotet in diesem Zusammenhang die ansonsten sehr positiv beurteilte Regierung schlecht. Ich glaube, dass mit der jetzigen Regierung multilateral, also im Rahmen von Verträgen, keinerlei signifikante Fortschritte im Klimaschutz gemacht werden können. Dem gegenüber steht, dass auch in den USA fast alle Wissenschaftler die Auffassung vertreten, dass die gegenwärtigen Klimaveränderungen auf das Wirken des Menschen zurückgeführt werden müssen.

bdw: Bieten die Europäer denn genug Paroli? Ott: Die Europäer stemmen sich den USA sehr entgegen – in einem bisher nur in der Handelspolitik bekannten Ausmaß. Gerade die Konferenz von Marrakesch im November 2001 ist ein guter Beleg: Trotz des Rückzugs der USA hielten die Europäer am Kyoto-Protokoll fest und machten sich zusammen mit osteuropäischen Staaten und Entwicklungsländern an die weitere Ausgestaltung. Tatsache ist dennoch, dass sich das Klimaproblem nicht ohne die USA lösen lässt. Das liegt nicht nur daran, dass die USA der weltgrößte Emittent ist, sondern auch daran, dass die USA wohl der einzige Staat ist, der die notwendige Durchschlagskraft und Entschlussfreudigkeit besitzt, um wirklich weltweit etwas zu bewirken. Erst wenn sich die USA mit ihrer Innovationsfreudigkeit daran macht, das Klimaschutzziel zu ihrer Sache zu erklären, kommen wir voran. Wenn die amerikanischen Unternehmen den Grundgedanken verinnerlicht haben, dass die effiziente Nutzung von Energie ein wesentliches Momentum ist, um Produkte auf dem Weltmarkt zu verkaufen, werden die Europäer sich sehr anstrengen müssen, innovatorisch mitzuhalten.

bdw: Um das Kyoto-Protokoll in unserer ökonomisch dominierten Welt durchzusetzen, haben sich die Unterzeichnerstaaten auf einen Handel von CO2-Emissionsrechten geeinigt. Dadurch erhofft man sich eine Stimulanz für die weltweite CO2-Abrüstung. Wird dieses Modell in der Praxis funktionieren? Ott: Obwohl ich dem Emissionshandel zunächst skeptisch gegenüber stand, erscheint er mir nun als ein sehr geeignetes Instrument. Er verbindet in idealer Weise die Erfordernisse der Naturwissenschaften nach absoluter CO2-Reduktion mit den Notwendigkeiten gesellschaftlicher Steuerung. Der Emissionshandel wirkt hier wie ein Transmissionsriemen zur Übersetzung von der natürlichen in die gesellschaftliche Sphäre. Eine vor kurzem vorgelegte EU-Richtlinie sieht vor, auf nationaler Ebene für bestimmte Unternehmen Ausstoß-Obergrenzen festzusetzen. Wer sein Kontingent nicht ausschöpft, könnte über Börsen Anteile anbieten. Einige Börsen der Welt – etwa die in Chicago – handeln bereits heute solche Kohlenstoff-Zertifikate. Wer mehr emittiert, erwirbt dort zusätzliche Zertifikate, anderenfalls drohen dem Unternehmen Strafen. Dass ein solches Modell funktioniert, haben die USA vor Jahren mit ihrem Schwefeldioxid-Minderungsprogramm bereits bewiesen. Und das Tolle ist: zu 5- bis 20-mal geringeren Kosten für die Unternehmen, als ursprünglich befürchtet worden war.

bdw: Das System funktioniert aber nur dann, wenn es genug Nachfrage nach Zertifikaten gibt. Ott: Nach der ökonomischen Theorie wird es immer Nachfrager geben, weil es angesichts des Konkurrenzumfelds betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll sein kann, in einem bestimmten Jahr nicht in Kohlenstoffdioxid-Minderungsmaßnahmen zu investieren, sondern die zu dieser Zeit kostengünstigeren Zertifikate zu erwerben.

bdw: Die Zahl der Marktteilnehmer ist gigantisch. Dann braucht man also auch eine gigantische Überwachungs- und Steuerungsorganisation? Ott: So viele Unternehmen sind in den Handel gar nicht einbezogen. Nach der jetzt vorgestellten europäischen Richtlinie werden im EU-Rahmen zunächst nur rund 5000 Anlagen erfasst. Und wenn der Handel über Börsen abgewickelt wird, die damit auch Umsätze machen, brauchen die Staaten gar keine große Behörde aufzubauen. Übrigens gibt es auch in den USA großes Interesse an einem solchen Emissionshandel, angefangen von Dienstleistern wie Brokern und Zertifizierern bis hin zu Energieproduzenten oder Stahlfirmen, die hohe Potenziale haben, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren, und deshalb bei der Teilnahme am CO2- Handel sehr viele Rechte versilbern könnten. Diese Unternehmen werden Druck auf US-Regierung und Kongress ausüben, sich nicht endlos zu verweigern.

bdw: Um welche Beträge geht es? Ott: Nach Simulationen pendelt sich der Zertifikatpreis pro Tonne C02 auf etwa sieben Dollar ein. Ich gehe aber davon aus, dass der Preis weiter fallen wird, wenn tatsächlich mit dem Emissionshandel Ernst gemacht wird.

bdw: Der britische Energiekonzern BP hat das im eigenen Unternehmen bereits umgesetzt. Ott: In der Tat hat sich eine Gruppe britischer Unternehmen, angeführt von BP, aus Eigeninitiative zu Vorreitern in der CO2-Vermeidung entwickelt. Ganz anders hierzulande: Der Bundesverband der Deutschen Industrie sowie einige Energieversorger und Chemiekonzerne sind strikte Gegner eines solche Vorgehens. Zudem ist Großbritannien ja ein sehr engagierter CO2-Reduzierer. Durch die Politik „Weg von der Kohle, hin zu Erdgas“ von Margret Thatcher sind bereits große Einsparziele erreicht worden.

bdw: Was spielt sich bei BP konkret ab? Ott: Die Geschwindigkeit, mit der BP voranprescht, ist in hohem Maß auf das Engagement des Chief Executive Officer, Sir John Browne, zurückzuführen, der in idealer Weise unternehmerisches Kalkül mit öffentlichem Verantwortungsbewusstsein verbindet. BP hat sich von einem Kohlekonzern zu einem Ölkonzern und neuerdings einem Gaskonzern entwickelt und wird in 20 bis 30 Jahren ein Konzern für erneuerbare Energie sein. Das ist kluge Unternehmensstrategie. Im operativen Betrieb fallen bei BP gegenwärtig noch mehr klimaschädigende Gase an, als ganz Belgien emittiert. Jede von den etwa 130 BP-Business Units weltweit hat inzwischen eine eigene Reduktionsverpflichtung zugewiesen bekommen. Die Manager sind verantwortlich, diese einzuhalten, und – sehr wichtig – ihr Einkommen wird auch danach bemessen, dass ihnen das gelingt. Meines Erachtens ist es mit dieser Strategie sehr gut gelungen, alle Mitarbeiter – vom Arbeiter bis zum obersten Chef – auf das wichtige Unternehmensziel Klimapolitik einzuschwören.

bdw: Sie selbst sind Leiter der Abteilung Klimapolitik beim Wuppertal Institut. Inwiefern profitiert die Öffentlichkeit von Ihrer Arbeit? Ott: Die Nachfrage nach den Ergebnissen unserer Arbeit sowohl durch die Bundesregierung als auch durch die EU, die Länder, Kommunen und der Industrie ist groß. Unsere Auftraggeber erwarten von uns eine wissenschaftlich saubere Arbeit, die gekoppelt ist mit einem Blick für die politischen Realitäten und die Anwendbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ferner verstehen wir uns als Vermittler von Wissenschaft für die Öffentlichkeit – durch Bücher, Aufsätze, unsere Website (www.wupperinst.org) und durch Interviews wie dieses.

bdw: Soeben hat der Wissenschaftsrat das Wuppertal Institut begutachtet – mit dem schlimmen Ergebnis: In der bestehenden Form nicht erhaltenswert. Auch Ihre Abteilung hat ihr Fett abgekriegt. Was sagen Sie zu der harten Kritik? Ott: Unserer Abteilung wurde „ Einseitigkeit“ unterstellt, weil wir keine eigene naturwissenschaftliche Forschung betreiben, sondern uns an den Ergebnissen des internationalen Klimawissenschaftlergremiums IPCC orientieren. Dazu stehe ich. Denn dort wird von mehreren hundert Klimawissenschaftlern weltweit, unter Einschluss sogar der OPEC-Staaten, der Stand des Wissens ermittelt. Wir müssen nicht deren Ergebnisse in Frage stellen. Wenn der Wissenschaftsrat das Wuppertal Institut daran gemessen hätte, wie gut wir unseren im Gesellschaftsvertrag festgelegten Auftrag erfüllen, nämlich eine Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Politik einzunehmen, hätte er zu einem anderen Schluss kommen müssen. Die Wirkung unserer Arbeiten – national und international – ist enorm. Bei aller Berechtigung vieler Kritikpunkte: Der Wissenschaftsrat hatte mit uns das Problem, dass wir nicht in dessen fest gefügtes Schema streng disziplinärer Wissenschaft passen. Doch eine Einrichtung außerhalb bestehender Schemata war ja gerade die Absicht, mit der das Wuppertal Institut 1991 gegründet wurde. Den Auftrag, über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinweg nach tragfähigen Lösungen für unseren Planeten zu suchen, haben wir erfüllt und werden es weiter tun.

Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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La|mi|na  〈f.; –, –mi|nae [–n:]〉 1 〈Bot.〉 = Blattspreite 2 〈Zool.〉 blattförmiges Organteil … mehr

Py|ra|zol  〈n. 11; Chem.〉 eine heterozyklische Verbindung aus drei Kohlenstoff– und zwei Stickstoffverbindungen, deren Derivate u. a. bei der Produktion von Farb– und Kunststoffen, in der Landwirtschaft als Herbizid und Insektizid sowie als Wirkstoff in verschiedenen Medikamenten verwendet werden

Crui|ser  〈[kruz(r)] m. 3; Mar.〉 Kreuzer ● Day~ Sportmotorboot … mehr

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