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Rotierende Ruinen

Allgemein

Rotierende Ruinen
Sie rühren die Raumzeit um wie zähflüssigen Honig, schleudern mit Energie um sich und summen alle dieselbe Melodie.

28 Stunden lang hatte der Röntgensatellit XMM-Newton eine winzige Stelle am Himmel im Visier, wo mit bloßem Auge nichts zu sehen ist. Doch genau von dort erhaschten die ineinander geschachtelten vergoldeten Spiegel des Teleskops, die einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als glatteste Oberflächen der Welt bekamen, energiereiche Photonen – ins All gestrahlt, als auf der Erde noch die Dinosaurier herrschten. Rund 100 Millionen Jahre waren sie unterwegs. Nun geben sie Zeugnis von entfesselten Naturgewalten, die fast die Vorstellungskraft sprengen und den verheerenden Meteoriteneinschlag, der zum Untergang der Dinosaurier führte, zu einem schwachen Funken degradieren. Denn etwa 100 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Centaurus verschlingt ein unersättliches Schwarzes Loch nicht nur Gas und Staub. Es reißt auch Raum und Zeit mit sich herum und quetscht aus ihnen gleichsam Energie heraus, deren furioses Feuerwerk die Umgebung in Flammen setzt. „Mit den genauen Messungen von XMM-Newton haben wir etwas entdeckt, das nie zuvor bei einem Schwarzen Loch beobachtet wurde“, sagt Jörn Wilms voller Respekt. Tatsächlich denkt jeder bei Schwarzen Löchern an kosmische Staubsauger und unersättliche Malströme. Dass die Schwerkraftfallen auch mit Energie buchstäblich um sich schleudern können, überrascht daher – obwohl der seltsame Effekt schon vor einem Vierteljahrhundert vorhergesagt wurde. Doch erst die Messungen des europäisch-amerikanischen Forscherteams unter der Leitung des jungen Astronomen von der Universität Tübingen haben der grauen Theorie die feurigen Farben der Erfahrung zur Seite gestellt. Das ist freilich eine komplizierte Geschichte.

MCG–6-30-15 gehört zu den linsenförmigen Galaxien ohne Spiralarme, hat aber einen erhöhten Energieausstoß. Röntgenastronomen ist das Sternsystem auf Grund seiner drastischen Leuchtkraftschwankungen schon länger aufgefallen. „ Wir sehen, wie sich die Helligkeit innerhalb von 100 Sekunden verdoppeln kann“, sagt Andrew Fabian von der University of Cambridge. Er hat 1989 vorhergesagt, dass es bei den Akkretionsscheiben um die zentralen Schwarzen Löcher aktiver Galaxien ganz bestimmte Effekte geben könnte, die sich nur mit Albert Einsteins Relativitätstheorie erklären lassen. Beim Einsturz der Materie in das Schwarze Loch wird durch Reibung sehr viel Energie frei. Dadurch bildet sich eine Korona – hauptsächlich aus Elektronen und Protonen – um die Akkretionsscheibe aus und gibt Röntgenstrahlung ab. Diese regt Atome in der Scheibe zur Fluoreszenz an, unter anderem Eisen. Die Atome emittieren wiederum Röntgenstrahlung, und zwar bei Energien von etwa sechs Kiloelektronenvolt. Doch auf Grund der raschen Bewegung der Atome in der Scheibe um das Schwarze Loch herum sollte diese Linie verbreitert und asymmetrisch erscheinen – eine Art Dopplereffekt wie bei PolizeiSirenen: Diese heulen bei bestimmten Frequenzen, die kürzer (höher) oder länger (tiefer) werden, wenn sich das Polizeiauto nähert beziehungsweise entfernt. Die Eisen-Linie kann den Astronomen daher wie eine Radarpistole zur Geschwindigkeitsmessung dienen – aber nicht von Autos, die schneller fahren, als die Polizei erlaubt, sondern von den glühenden Gasen in der inneren Akkretionsscheibe. Das hat Fabian 1989 vorausgesagt – und der japanische Röntgensatellit ASCA (Advanced Satellite for Cosmology and Astrophysics) hat es 1994 in MCG–6-30-15 tatsächlich gemessen. Um Beobachtungen zu überprüfen und ein aktuelles Bild zu gewinnen, haben Jörn Wilms und seine Kollegen XMM-Newton erneut auf MCG–6-30-15 gerichtet. Das 1999 gestartete und von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA betriebene Röntgenobservatorium ist wesentlich empfindlicher als ASCA (bild der wissenschaft 4/2000, „Newtons Höhenflug“). Es maß ebenfalls die Eisen-Emissionslinie, die auf Grund des Dopplereffekts stark verbreitert ist – die innere Akkretionsscheibe dreht sich mit rund einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit um das Schwarze Loch, dessen Masse die von drei Millionen Sonnen übersteigt. Aber zur großen Überraschung registrierte XMM-Newton viel mehr Photonen, als es die gängigen Modellrechnungen vorhersagen. „Das ist wie bei einem Gummiball, der auf den Boden geworfen wird“, sagt Wilms. „Man kennt die Oberflächenbeschaffenheit und kann vermuten, wie und wann der Ball zurückkommen wird. Aber hier kommt der Ball viel schneller zurück, als ob dort, wo er hinfällt, eine Energiequelle wäre. Für unser Schwarzes Loch bedeutet dies, dass etwas anderes die Akkretionsscheibe zusätzlich aufheizt.“

Nach einem Modell, das Roger Blandford und Roman Znajek 1977 an der Cambridge University entwickelt haben, sorgt das Schwarze Loch selbst für das Inferno. Die finsteren Ruinen der Materie können nämlich rotieren. Und dann ist die gerade noch stabile Umlaufbahn vor dem Todeskurs bis zu sechsmal enger als bei nichtrotierenden Schwarzen Löchern. Anders gesagt: Die Akkretionsscheibe reicht viel näher an den Ereignishorizont heran. Dort aber gelten unsere Alltagsvorstellungen von Raum und Zeit nicht mehr. Das Schwarze Loch schleppt bei seiner Umdrehung den Raum gleichsam mit sich – wie ein Löffel den zähflüssigen Honig, wenn man im Honigglas rührt. Erste Hinweise auf diesen bizarren Effekt gab es schon vor ein paar Jahren (bild der wissenschaft 2/1998, „Der Raum rotiert“). Nun beobachtete Tod Strohmayer vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, mit dem Röntgensatelliten RXTE (Rossi X-ray Timing Explorer Mission), wie heißes Gas um GRO J1655-40 wirbelt. Das 10000 Lichtjahre entfernte Schwarze Loch hat sieben Sonnenmassen und ist die Ruine eines kollabierten Sterns. Die Röntgenstrahlung aus seiner Umgebung zeigt quasiperiodische Oszillationen bei 300 und 450 Hertz – so viele Umläufe pro Sekunde legt das Gas also zurück. Die 450 Hertz sind nur möglich, wenn das Schwarze Loch rotiert. Denn bei statischen Schwarzen Löchern hat die engst mögliche Umlaufbahn laut Relativitätstheorie einen bis zu sechsmal so großen Abstand vom Ereignishorizont. Dass Schwarze Löcher rotieren, ist nicht überraschend – denn beim Kollaps ausgebrannter Sterne bleibt deren Drehimpuls erhalten, und die in galaktischen Schwarzen Löchern verdichtete Materie bringt ebenfalls Drehimpuls mit. Ein anderes Goddard-Team um Jane Turner hat Eisen-Linien bei 35- und 175-facher Entfernung des Randes eines zentralen Schwarzen Lochs in der Galaxie NGC 3516 gemessen. Tahir Yaqoob von der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, vergleicht diese Referenzpunkte mit Palmen auf einem fernen Hügel (in diesem Fall der Akkretionsscheibe): „Weiß man, wie groß Palmen werden, lässt sich die Höhe des Hügels abschätzen. Mit solchen heißen Röntgen-Flecken können wir die gekrümmte Raumzeit um ein Schwarzes Loch messen und auch seinen Drehimpuls. Das ist ein weiterer Test der Relativitätstheorie.“

In diesem Whirlpool der Raumzeit kann ein Schwarzes Loch wie ein Schwungrad Energie speichern. Und über Magnetfeldlinien kann es diese auch wieder abgeben. Dadurch verlangsamt sich die Rotationsgeschwindigkeit um einen winzigen, unmessbaren Betrag – eine Zahlenangabe für den Ereignishorizont ist ohnehin unmöglich, da die Rotationsgeschwindigkeit aufgrund der mitgeführten Raumzeitkoordinaten gar nicht definierbar ist –, und die Umgebung heizt sich auf. Es ist vor allem die Akkretionsscheibe einschließlich ihrer Eisen-Atome, die die Energie absorbiert und dann wieder abstrahlt. „Die Energie entweicht also nicht aus dem Inneren des Schwarzen Lochs, sondern dessen Drehimpuls nimmt geringfügig ab“, korrigiert Wilms die häufig missverständlichen Berichte in den Medien. „Keine Information überquert den Ereignishorizont, die Kausalität wird nicht verletzt.“ „Die Theoretiker reden über solche Prozesse seit Jahren“, sagt Christopher Reynolds von der University of Maryland in College Park, der mit Fabian zusammenarbeitet und jetzt auch in Wilms‘ Team ist. „Aber bislang wurde sie nie beobachtet.“ Die Datenanalysen dazu waren äußerst langwierig: „Fast monatlich gerieten wir in Panik, weil wir dachten, irgendetwas würde mit der Eichung von XMM-Newtons Instrumenten nicht stimmen.“ Inzwischen haben die Forscher zu ihren Daten und Interpretationen noch mehr Vertrauen. Denn auch Andrew Fabian und seine Kollegen haben bei MCG–6-30-15 die verbreiterte Eisen-Linie gefunden, als sie die Galaxie mit XMM-Newton ins Visier nahmen, und zwar noch dreimal länger als Wilms. Zudem hat ein weiteres Astronomen-Team um Julia C. Lee vom Massachusetts Institute of Technology keine diesen Beobachtungen widersprechenden Indizien entdeckt, als sie die Galaxie mit zwei anderen Röntgen-Observatorien, Chandra und RXTE, beobachtete. „Wir sehen beide Ergebnisse als eine Bestätigung unserer Resultate“, freut sich Wilms, schränkt aber ein: „Wir müssen noch andere Beobachtungen abwarten, um unsere Schlussfolgerungen abzusichern.“ Zurzeit arbeitet er an der Auswertung weiterer Daten von RXTE, der bei höheren Energien als XMM-Newton misst, aber mit einer schlechteren Energieauflösung. „ Im Prinzip scheint sich an unseren Ergebnissen nichts zu ändern.“

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Wie die neue Quelle kosmischer Energie funktioniert, stellt die Forscher freilich noch vor zahlreiche Rätsel. „Im Prinzip ist ein solcher Prozess einem Stromgenerator, wie er in jedem Auto steckt, sehr ähnlich: Wenn sich ein Draht in einem Magnetfeld bewegt, dann wird in ihm ein elektrischer Strom erzeugt“, sagt Jörn Wilms. „Genau das Gleiche passiert auch in MCG–6-30-15, nur ist hier der Magnet eben ein Schwarzes Loch. Die dabei zwischen dem Pol und dem Äquator des Schwarzen Lochs entstehende Spannung kann sehr groß sein: viele Trilliarden Volt.“ Momentan untersucht der Astrophysiker, ob die Energie schubweise oder quasi-kontinuierlich freigesetzt wird. Man kann die Magnetlinien mit Drähten und das Schwarze Loch mit einem elektromagnetischen Generator vergleichen, der Rotationsenergie in Strahlung verwandelt ähnlich wie ein Fahrrad-Dynamo – ein Vorgang, der im Prinzip schon 1831 von dem englischen Physiker Michael Faraday beschrieben wurde. Oder man kann sich die Magnetfeldlinien als elastische Gummibänder vorstellen, die geladene Teilchen in den Raum hinaus katapultieren. Gespannt werden die Bänder, weil sie sich um das rotierende Schwarze Loch wickeln. „Vermutlich verdrillen sich die Feldlinien um einen bestimmten Betrag und schnappen dann zurück“, sagt Roger Blandford, der heute am California Institute of Technology forscht. „Daraufhin verdrillen sie sich wieder und schnappen erneut zurück. Dies geschieht unstetig und unvorhersagbar und setzt jedes Mal Energie frei.“ Diese Energie erhöht die Temperatur der inneren Akkretionsscheibe um einige Prozent. Sie beträgt einige Millionen Grad.

Schützenhilfe beim Rätselraten um den genauen Mechanismus der Energieerzeugung könnte aus der Milchstraße kommen. Denn MCG–6 -30-15 ist kein Einzelfall. Beobachtungen von XMM-Newton, Chandra und RXTE haben auch eine rotverschobene Eisen-Linie bei dem Objekt XTE J1650-500 entdeckt. Dieses stellare Schwarze Loch von ungefähr zehn Sonnenmassen befindet sich rund 26000 Lichtjahre entfernt im Sternbild Altar. Es saugt Materie von einem engen Nachbarstern in sich hinein. Die Forscher um Jon Miller vom Center for Space Research am Massachusetts Institute of Technology, zu denen auch Michael Freyberg vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching gehört, interpretieren ihre Daten ähnlich wie Wilms bei MCG–6 -30-15, nur dass sich alles auf kleineren Skalen abspielt: Rotationsenergie in der Umgebung des Schwarzen Lochs entweicht, wird über Magnetfeldlinien weitergeleitet und heizt die innere Scheibe auf. Die Ähnlichkeit der Prozesse in den Akkretionsscheiben um stellare Schwarze Löcher eröffnet die Möglichkeit, die viel ferneren galaktischen Schwarzen Löcher in Quasaren und aktiven Galaxien besser zu verstehen – via Analogieschlüsse anhand ihrer kleineren Vettern vor unserer kosmischen Haustür. Astrono-men bezeichnen diese auch als Mikroquasare (XTE J1650-500 ist ein typisches Beispiel). Denn wie Quasare besitzen sie Akkretionsscheiben und Jets. Nur sind die galaktischen Schwarzen Löcher fettleibige Einzelgänger, die gleichsam im Schlaraffenland des von allen Seiten einströmenden Futters hausen, während die Mikroquasare als notorische Doppelgänger ihren Partner förmlich zum Fressen gern haben – das heißt einem benachbarten Stern Materie entreißen. Die „ Tischsitten“ sind aber erstaunlich ähnlich. Alan P. Marscher von der Boston University, Massachusetts, und seine Kollegen haben drei Jahre lang das Fressverhalten der aktiven Galaxie 3C120 im Bereich der Radio- und Röntgenstrahlen studiert. Sie ist rund 450 Millionen Lichtjahre entfernt und beherbergt ein Schwarzes Loch von bis zu 50 Millionen Sonnenmassen. In einer Distanz von nur einem Lichtjahr rast ein Jet energiereicher Teilchen ins All. „ Wir sind geradezu Zeugen, wie der innere Bereich der Akkretionsscheibe instabil wird und plötzlich ein Teil davon ins Schwarze Loch stürzt“, sagt Marscher. Denn in diesem Moment fällt die Röntgenstrahlung ab. Gleichzeitig wird Materie im Jet abgestrahlt. Vergleichbare Prozesse finden in dem Mikroquasar GRS1915+105 statt. Er wurde 1994 mit dem russischen Satelliten Granat im Sternbild Adler entdeckt, 40000 Lichtjahre entfernt, und hat mit 14 Sonnenmassen das bislang größte bekannte stellare Schwarze Loch in der Milchstraße. Jede halbe Stunde speit sein Jet eine Radioblase ins All. Der Abfall der Radiostrahlung erfolgt alle 25 bis 100 Millisekunden – im Gegensatz zum Abstand von vielen Monaten bei galaktischen Schwarzen Löchern. „Nichts was wir über Quasare wissen, wurde durch die Beobachtungen von Mikroquasaren bislang verändert“, sagt Bruce Margon von der University of Washington in Seattle. „Mikroquasare sind ideale Testlabors für die Erforschung der Jet-Entstehung“, fügt Stephen Eikenberry von der Cornell University in Ithaka hinzu. Auch sonst ähneln Mikroquasare verblüffend den supermassereichen Schwarzen Löchern in Galaxienzentren. Phil Uttley von der University of Southampton spricht sogar von der „Musik der Schwarzen Löcher“. Sechs Jahre lang hat er mit RXTE die Variabilität von Röntgenstrahlen aus dem Zentrum aktiver Galaxien beobachtet und mit jenen von Röntgen-Doppelsternen verglichen, bei denen ein Partner ein Schwarzes Loch ist. Diese Variabilität beruht auf Turbulenzen in den Akkretionsscheiben und den Schwankungen im „ Nachschub“ von Gas und Staub. Bei galaktischen Schwarzen Löchern betragen die Zeitskalen der Schwankungen Stunden bis Jahre, bei stellaren Schwarzen Löchern dagegen Millisekunden bis Sekunden. Doch die Muster selbst unterscheiden sich erstaunlicherweise kaum. „Das kann man mit Musikstücken vergleichen, die auch kleine Variationen auf kurzen Zeitskalen zeigen (Veränderungen einzelner Noten) sowie größere Variationen in längeren Zeiträumen (Veränderungen ganzer Tonarten)“, berichtet Uttley und erhärtet damit frühere Studien von Rick Edelson (University of California, Los Angeles). „Mit RXTE haben wir entdeckt, dass die Noten- und Tonarten-Wechsel in aktiven Galaxien etwa eine Million Mal länger dauern als in Röntgen-Doppelsternen. Würde man das Lied eines stellaren Schwarzen Lochs aufnehmen und eine Million Mal langsamer abspielen, käme das Lied eines galaktischen Schwarzen Lochs heraus.“ Den Schwerkraftfallen ist es gleichgültig, woher sie ihre Nahrung beziehen – diese wird immer in derselben Weise verschlungen und verdaut. Und da die Röntgenvariationen nur von der Masse des Schwarzen Lochs abzuhängen scheinen, eröffnet sich eine ganz neue Möglichkeit von Ferndiagnosen: Zum einen lässt sich das Verhalten aktiver Galaxien extrapolieren. „Ein Tag Beobachtungszeit einer galaktischen Quelle entspricht ungefähr 3000 Tagen bei einer aktiven Galaxie“, sagt Jörn Wilms. Und wenn man die Vorgänge in Röntgen-Doppelsternen genauer versteht und die Variationen standardmäßig zu eichen vermag, dann sollte sich mit diesem Maßstab die Masse der verschiedenen zentralen Schwarzen Löcher in fernen aktiven Galaxien abschätzen lassen. Man bräuchte dann nur die Melodien aufzuzeichnen, die sie ins Weltall schicken.

Kompakt

Die gewaltige Rotationsenergie von Schwarzen Löchern kann die Umgebung aufheizen. Große und kleine Schwarze Löcher verschlingen Materie auf eine sehr ähnliche Weise, wie ihre Röntgenstrahlung zeigt.

„Ich kann es Berechnen, mir aber Nicht vorstellen“

bdw: Wie sind Sie zu Ihrem exotischen Forschungsgebiet gekommen? Wilms: Ich wollte schon immer in die Hochenergieastrophysik, wo es um die stärksten Magnetfelder im Universum, die heißesten Orte, die extremsten Massekonzentrationen und die gewaltigsten Explosionen geht. Das hat mir gefallen. bdw: Ihre spektakulären Beobachtungen der Galaxie MCG–6-30-15 erforderten über einen Tag Teleskopzeit, um die Sie international konkurriert haben. War es schwierig, diese Zeit zu bekommen? Wilms: Wenn subtile Details im Spektrum untersucht werden sollen, sind so lange Zeiten nötig. Auf dem „ freien Markt“ sind sie nur schwer zu bekommen. Doch unser Institut hat zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching einen der Detektoren für den Satelliten XMM-Newton entwickelt. Daher steht uns gesonderte Beobachtungszeit zu. bdw: Weiß man denn genau, wie die Energie den Schwarzen Löchern entzogen wird und in die Umgebung gelangt? Wilms: Ich kann das berechnen – und die Ergebnisse passen. Aber ich habe große Schwierigkeiten, mir diese Prozesse anschaulich vorzustellen. Überdies sind meiner Ansicht nach alle Fragen, die über die Existenz rotierender Schwarzer Löcher hinausgehen, noch offen. Hier auf meinem Schreibtisch liegen gerade vier Artikel, in denen verschiedene Modelle beschrieben werden, wie eine Energieextraktion funktionieren könnte. Mit unseren Beobachtungen ist es nicht möglich, zwischen ihnen zu unterscheiden. Hier sind Daten wesentlich besserer Qualität nötig, wie wir sie frühestens 2015 mit dem geplanten europäischen Röntgensatelliten XEUS erhalten werden. Ferner wissen wir nicht, wie weit die Akkretionsscheibe ans Schwarze Loch heranreicht. Und wir verstehen nicht, woher die Schwarzen Löcher in den Zentren der aktiven Galaxien eigentlich kommen. Daher wissen wir auch nicht, warum sie rotieren. Um Klarheit zu schaffen, brauchen wir die projektierten Nachfolge-Missionen von XMM und Chandra. bdw: Haben Sie auch in anderen Galaxien nach der Emissionslinie der Eisen-Atome gesucht, die auf die Rotation und Energiefreisetzung Schwarzer Löcher schließen lässt? Wilms: Wir und andere sehen auch bei weiteren Quellen breite Eisenlinien. Zur Zeit arbeite ich an der Frage, woher die Strahlung stammt. Ich komme gerade von der Europäischen Südsternwarte in Chile. Wir erforschen die 100 Millionen Lichtjahre entfernte aktive Galaxie NGC 4593 in der Jungfrau vom infraroten über den optischen und UV- bis hin zum Röntgen-Bereich. Diese Balkenspiralgalaxie sollte die Eisenlinie ebenfalls zeigen.

Rüdiger Vaas

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♦ Di|plom|me|te|o|ro|lo|ge  〈m. 17; Abk.: Dipl.–Met.〉 Meteorologe mit abgeschlossener Hochschulbildung

♦ Die Buchstabenfolge di|plo… kann in Fremdwörtern auch dip|lo… getrennt werden.
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