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Francis Crick – The Grand Old Man

Allgemein

Francis Crick – The Grand Old Man
Der 82jährige hat sich auf die Suche nach dem menschlichen Bewußtsein gemacht. Francis Crick ist einer der berühmtesten Nobelpreisträger aller Zeiten. Und noch immer flammt die wissenschaftliche Neugierde in ihm. Inzwischen ist er eine feste Größe in der Bewußtseinsforschung.

Der Mann ist alt, doch beileibe kein verknöcherter Alter. Er lacht viel und laut, ist umwerfend freundlich und humorvoll. Er denkt schneller als viele seiner jüngeren Kollegen, diskutiert ausdauernd über Stunden und Tage, wenn er sich in ein Problem verbissen hat. Sir Francis Crick, britischer Naturwissenschaftler und Nobelpreisträger, beweist, daß schöpferische Tätigkeit jung hält.

Zusammen mit dem amerikanischen Biologen James Watson entschlüsselte Crick vor fast 50 Jahren die Struktur der menschlichen Erbsubstanz DNA. Das Crick-Watsonsche Modell der DNA, die berühmte Doppelhelix, ist mittlerweile Legende und einer breiten Öffentlichkeit vertraut. Viele halten dies für die größte wissenschaftliche Entdeckung des Jahrhunderts. Auf ihr gründen nicht nur die moderne Molekularbiologie, sondern auch Biotechnologie und Gentechnik.

Crick lebt heute in Südkalifornien: da, wo es – gemäß einem berühmten Song – niemals regnet, aber die Swimmingpools immer gut gefüllt sind. Seit 1976 arbeitet er am Salk-Institut für Biologische Studien in La Jolla, nördlich von San Diego. Das “Salk” ist zweifellos einer der schönstgelegenen Forschungstempel der Welt. Es thront wie eine kubistische Festung hoch über den Wassern des Pazifischen Ozeans, einige hundert Meter von der Kliffkante entfernt. Von Cricks großem hellem Arbeitszimmer hat man einen phantastischen Blick auf den Pazifik, einer der Gründe, warum er gerne in Kalifornien lebt: “Ich mag die Atmosphäre von Wohlstand und den entspannten, lockeren Lebensstil, der Kalifornien vom amerikanischen Osten oder England unterscheidet.” Auch äußerlich hat er sich angepaßt: buntes Hawaiihemd, heller Sportanzug, keine Krawatte.

Francis Crick wurde 1916 in Northampton, einer Stadt in Mittelengland, geboren. Er war ein neugieriges Kind, interessiert daran, wie Dinge funktionieren. Nach der Schule besuchte er das University College in London. Chemie reizte ihn nicht und Biologie erschien ihm altmodisch. Also studierte er Physik und Mathematik und blieb nach seinem Abschluß am University College.

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Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Crick als Ingenieur und entwickelte Minen mit Magnet- und Akustikzündern für die Marine “erfolgreich”, wie er mit Stolz vermerkt. Nach Kriegsende fragte er sich, was er machen sollte. Um das zu entscheiden, erfand der Forscher den “Plaudertest”: Er achtete darauf, über welche Themen er sich am liebsten unterhielt. Das waren das Gehirn und das Grenzgebiet zwischen belebter und unbelebter Materie. Heute nennt man das Molekularbiologie.

Crick entschied sich schließlich für die Molekularbiologie und lag damit im Trend. Eine wachsende Zahl von Physikern war damals davon überzeugt, daß man die grundlegenden biologischen Fragen nur mit den exakten Methoden von Physik und Chemie beantworten könne. Erwin Schrödingers berühmtes Buch “Was ist Leben?” galt als Manifest dieser Gruppe und brachte etliche begabte Physiker zur Biologie, darunter auch Francis Crick.

1949 ging er an das Cavendish-Physiklabor in Cambridge, damals eines der renommiertesten Forschungsinstitute weltweit. Hier hatte eine Gruppe von Physikern damit begonnen, mittels Röntgenbeugung den Aufbau von Proteinen zu untersuchen.

Zwei Jahre später kam James Watson ans Cavendish. Er wollte mehr über Gene wissen und meinte, dazu Röntgenbeugung lernen zu müssen. Watson – zwölf Jahre jünger – hatte bereits seinen Doktortitel, Crick – inzwischen 35 – saß dagegen immer noch an seiner Promotion. Der Amerikaner und der Brite verstanden sich auf Anhieb glänzend. Beide waren, wie Crick später schrieb, “von Natur aus jugendlich arrogant, skrupellos und ungeduldig”.

Crick und Watson fanden rasch ihre gemeinsame Frage: Wie funktioniert Vererbung? Der amerikanische Biologe Oswald Avery hatte 1944 nachgewiesen, daß nicht Proteine, sondern das DNA-Molekül die genetische Information trägt und weitergibt. Wie aber passiert das? Wie kann sich das Molekül replizieren? Um diesen Vorgang zu verstehen, mußte man die Struktur des DNA-Moleküls entschlüsseln. Am Londoner Kings College bemühten sich Rosalind Franklin und Maurice Wilkins, den Aufbau des Moleküls mit Hilfe der Röntgenbeugung zu finden. Crick und Watson hingegen waren überzeugt, das Ziel mit Hilfe eines Modells zu erreichen. Das erste Modell, im Winter 1951, war ein Fiasko. Die beiden Bastler hatten ihre Londoner Kollegen eingeladen, sich das Gebilde anzuschauen. Erbarmungslos zerpflückte Rosy Franklin das Konstrukt: Es hatte viel zuwenig Wassermoleküle. Die Institutsleitung forderte Crick und Watson auf, sich von der DNA fernzuhalten.

Die beiden gaben nicht auf. 1953 war das Strukturmodell der DNA, die Doppelhelix, fertig. Die Legende besagt, daß Crick nach Fertigstellung des Modells in seine Stammkneipe stürmte und lauthals rief: “Wir haben das Geheimnis des Lebens gelöst!” Für ihre Entdeckung erhielten Crick und Watson, zusammen mit Maurice Wilkins, neun Jahre später den Nobelpreis.

Natürlich steht in Cricks Arbeitszimmer ein Modell der DNA: zwei lange Molekülketten mit regelmäßigem Rückgrat aus Zucker- und Phosphatgruppen, die sich gegenläufig um eine gemeinsame Achse winden und über Brücken miteinander verbunden sind, bilden die Doppelwendel. An jeder Zuckergruppe hängt eine kleine Molekülgruppe, die als Base bezeichnet wird. Davon gibt es vier Typen, A, G, T und C. Diese vier Buchstaben sind das Alphabet des Lebens: die Anordnung der Basen entlang einem beliebigen Abschnitt der DNA bildet die genetische Information. Auf der Entdekkung von Crick und Watson beruht nicht nur das weite Feld der Gentechnik und Biotechnologie. Sie hat auch eine alte Diskussion neu entzündet.

Heute herrscht in der öffentlichen Diskussion die Meinung vor, daß menschliches Verhalten genetisch bedingt ist: Intelligenz, Eigennutz, männliche Untreue, weibliche Eifersucht – all das soll genetische Ursachen haben. “Früher glaubte man dagegen, daß Gene keinen Einfluß auf das menschliche Verhalten hätten. Jetzt ist die öffentliche Meinung ins andere Extrem verfallen”, meint Crick. Der genetische Determinismus sei für viele eine gute Entschuldigung für schlechtes Verhalten. Crick verhält sich in diesem Streit diplomatisch: “Im allgemeinen läßt sich schwer festlegen, welche Eigenschaft und wieviel davon vererbt wird.” Sicher werde man irgendwann Genaueres wissen – doch das könne noch dauern.

In der Debatte um das Klonen äußert sich Crick dagegen pointierter. “Natürlich setzt das Klonen von Menschen sehr viel Bedacht voraus, doch bei Tieren sehe ich keine großen Probleme.” Die herkömmliche Tier- und Pflanzenzucht sei schließlich auch “unnatürlich”, denn die Zuchtergebnisse hätten nur wenig mit den ursprünglichen Wildformen zu tun. “Wenn ich heute in ein Restaurant gehe, erhalte ich keine völlig naturbelassenen Produkte, sieht man vielleicht von ein paar Pilzen ab”, meint der Meister.

Die Frage “Was ist Leben?” ist für Crick im großen und ganzen beantwortet. Leben lasse sich auf der Grundlage von Molekülen erklären, das heißt, mit chemisch-physikalischen Mitteln. Eine entscheidende Frage aber sei dagegen immer noch vollkommen offen. Wie ist das Leben auf der Erde überhaupt entstanden? Auch hierüber hat Crick nachgedacht und – gleichzeitig mit zwei anderen Forschern – vorgeschlagen, daß am Anfang des Lebens sich reproduzierende Moleküle der RNA, der Schwester der DNA, gestanden haben könnten. “Dieser Vorschlag hat inzwischen an Wahrscheinlichkeit gewonnen”, erklärt er. “Aber woher kommen die Komponenten der RNA?”

Bislang hat sich die RNA-Hypothese allerdings nicht im Reagenzglas nachvollziehen lassen. Crick schließt deshalb nicht aus, auf der falschen Spur zu sein. Es könnte auch sein, daß das Leben aus dem Weltraum auf die Erde gekommen ist. “Es gibt zwar kaum Belege für diese sogenannte Panspermie-Hypothese”, meint er, “deshalb ist sie derzeit aber ebenso glaubhaft oder unglaubhaft wie jeder andere Vorschlag.” Es fehle, so Cricks Resümee, “an guten Ideen”, was den Ursprung des Lebens betreffe.

Nicht verstanden ist auch ein zweiter Komplex, dem sich Crick seit den achtziger Jahren zuwendet: das menschliche Bewußtsein. Philosophen haben schon immer darüber nachgedacht, warum der Mensch sich und seiner Umwelt bewußt ist. Doch für Neurowissenschaftler war Bewußtsein immer ein Unwort: Mit wissenschaftlichen Methoden sei es nicht zu erfassen, deshalb solle man die Finger davon lassen. Crick hingegen meint, daß Bewußtsein eine nicht zu leugnende elementare Tatsache des Lebens sei. Dafür müsse man eine wissenschaftliche Erklärung finden. Bewußtsein “sitze” im Gehirn, und Gehirntätigkeiten hätten eine molekularbiologische Grundlage, die es zu finden gelte. Cricks letztes Buch “Was die Seele wirklich ist” beginnt entsprechend mit der Hypothese, wonach es sich beim “Ich”, seinen Freuden und Leiden, seinen Zielen und Erinnerungen um nichts weiter handele als um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen.

Seit Anfang der neunziger Jahre macht Crick Propaganda dafür, daß Bewußtsein auf die wissenschaftliche Tagesordnung kommt. Mit Erfolg: Inzwischen wächst die Zahl der Bücher und Artikel, die sich mit Bewußtsein befassen, nahezu exponentiell. Auf Konferenzen treffen sich Wissenschaftler der verschiedenen Fachgebiete. Bewußtsein wandelt sich allmählich von einem philosophischen Geheimnis zu einer empirischen Fragestellung – dank Cricks beharrlichem Werben, dank seines Prestiges, das er in die Waagschale wirft.

Auch dafür hat Crick einen Partner – Christof Koch. Koch ist deutscher Herkunft, hat in Tübingen studiert und ist inzwischen Neuroinformatik-Professor am Caltech in Pasadena. Koch fährt jeden Monat ein paar Tage nach La Jolla. Dann diskutieren beide bis abends. Trotz des Altersunterschiedes – Koch ist 40 Jahre jünger – verstehen sich beide glänzend. Crick schätzt Energie und Enthusiasmus des Jüngeren und daß er Kritik locker wegsteckt. Der Juniorpartner schwärmt von der Intellektualität des Älteren: “Francis ist so ungeheuer schlau, so gut darin, Verbindungen da herzustellen, wo andere nichts sehen.”

Beide wollen herausfinden, welche Hirntätigkeit mit Bewußtsein zusammengeht. “Dazu müssen wir uns die Hirnzellen anschauen”, erklärt Crick. “Wir müssen sehen, wie sie miteinander kommunizieren, welche Signale sie aussenden und wohin.” Wie unterscheidet sich die Hirntätigkeit bei bewußter und bei unbewußter Wahrnehmung, ist eine der entscheidenden Fragen.

Crick ist überzeugt, daß sich die Antwort nur durch Experimente finden läßt. Daran fehle es. Neurowissenschaftler machten zwar eine Vielzahl von allen möglichen Versuchen, aber Crick weiß von keinem Vorhaben, das als Bewußtseinsforschung gefördert würde. Auf die Frage, ob sie auch selbst Experimente durchführten, lacht Crick herzlich. “Mein letztes Experiment habe ich 1961 gemacht”, sagte er, der sich als theoretischer Biologe sieht.

Aufgrund der immensen Komplexität des Gehirns läßt sich eine Lösung der Bewußtseinsfrage heute nur schwer vorstellen. Crick aber ist überzeugt, daß es eine wissenschaftliche Antwort geben wird. “Bei der Frage nach dem Leben war die Situation vor 100 Jahren ähnlich. Die damaligen Vitalisten nahmen an, daß eine geheimnisvolle Lebenskraft für die vielfältigen Erscheinungen des Lebens verantwortlich sei. Ihre Gegner vertraten die Auffassung, wonach Leben auf chemisch-physikalischen Vorgängen beruhe.” In 100 Jahren, so glaubt Francis Crick, wird man auf die Frage Bewußtsein genauso zurückblicken, wie wir heute auf die Frage nach dem Leben.

Infos im Internet

Weiteres zu Cricks Bewußtseinsforschung http://www.princeton.edu/freshman/science/crick

Heinz Horeis / Francis Crick

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