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Schleichwege durchs Universum

Allgemein

Schleichwege durchs Universum
Physiker erforschen Wurmlöcher als kosmische Abkürzungen. In Einsteins Relativitätstheorie gibt es Schlupflöcher, die scheinbar überlichtschnelles Reisen erlauben. Mit exotischer Materie könnte der Traum vom Flug zu den Sternen Wirklichkeit werden.

Sie stürzten. Plötzlich war der Himmel voller Sterne. Ellie konnte eine gewaltige Spiralwolke aus Staub erkennen, die anscheinend in ein Schwarzes Loch von schwindelerregenden Ausmaßen floß und aus der Strahlungsblitze schossen wie Wetterleuchten in einer Sommernacht. Wenn dies das Zentrum der Galaxis war, wie sie vermutete, mußte es von Synchrotronstrahlung überflutet sein. Sie hoffte, daß die Außerirdischen daran gedacht hatten, wie empfindlich Menschen waren.”

So hat Carl Sagan die erste Reise von Menschen zu den Sternen beschrieben. Mit seinem 1985 erschienenen und letztes Jahr verfilmten Roman “Contact” hat der 1996 verstorbene Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaften an der Cornell University im US-Bundesstaat New York einen Ausflug ins Genre der Science-fiction-Literatur unternommen. Sein Thema: Die Erde empfängt eine außerirdische Funkbotschaft, die die Bauanleitung für eine Maschine enthält, mit der sich dann ein paar Forscher durchs Weltall “bohren”.

Bisher können wir unsere kosmische Isolation nur in der Phantasie überwinden. Selbst wenn es gelänge, interstellare Archen auf die Reise zu schikken oder wagemutige Astronauten über Jahrtausende einzufrieren und erst am Ziel wieder aufzuwecken, wären diese Ausflüge in unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft nur im Schneckentempo möglich. Auch fortgeschrittene Antimaterie-Antriebstechnologien könnten die “Mauer” der Lichtgeschwindigkeit aufgrund der Gesetze der Speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins niemals erreichen, da hierfür unendliche Energiemengen erforderlich wären.

Carl Sagan wollte diese Einschränkungen nicht akzeptieren, die Weltraumreise aber trotzdem so schildern, daß sie nicht den bekannten Naturgesetzen widersprach. Deshalb schickte er 1984 das fast fertige Manuskript seinem Freund Kip Thorne, der als Professor für Theoretische Physik am California Institute for Technology in Pasadena arbeitet, und bat ihn um Rat. Vielleicht könnten Schwarze Löcher weiterhelfen, falls deren Zentren mit anderen Regionen des Weltalls in Verbindung stünden. “Es machte Spaß, Carls Roman zu lesen, doch es gab da ein Problem”, erinnert sich Thorne. “Es ist unmöglich, vom Zentrum eines Schwarzen Lochs in einen anderen Teil des Universums zu reisen.” Der Grund: Jedes Raumschiff würde von der Strahlung zerstört. Außerdem ist die Gravitation so groß, daß einem Schwarzen Loch nichts mehr entkommen kann, was einmal seine Grenze – den Ereignishorizont – passiert hat (bild der wissenschaft 2/1998, “Sturz in den Schlund”). “Carl mußte seinen Roman ändern.”

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Auf einer langen Autofahrt kam Kip Thorne die entscheidende Idee: Einsteins Relativitätstheorie gestattet im wahrsten Sinn des Wortes ein Schlupfloch für überlichtschnelle Reisen. Thorne gelang es zusammen mit seinem Doktoranden Michael Morris zu beschreiben, wie zwei weit entfernte Regionen im All miteinander in Verbindung stehen könnten. Solche Raumzeit-Tunnel waren früher schon von anderen Wissenschaftlern untersucht worden, sogar von Einstein selbst. Thornes einstiger Doktorvater John Archibald Wheeler, der an der amerikanischen Princeton University lehrte, und auf den der Begriff “Schwarzes Loch” zurückgeht, hatte sie 1957 mit den Löchern von Würmern in Äpfeln verglichen und als “Wurmlöcher” bezeichnet.

Diese Gebilde lassen sich möglicherweise als Abkürzungen benutzen, um ferne Regionen im All zu erreichen oder sogar in andere Universen vorzustoßen. Dadurch könnte man die Barriere der Lichtgeschwindigkeit austricksen. Für intergalaktische Raumflüge sind allerdings spezielle Voraussetzungen erforderlich, die eine sichere Durchfahrt gewährleisten: Das Wurmloch muß stabil sein. Die Gravitationskräfte müssen klein sein. Die Reise durch das Loch darf maximal ein Jahr dauern. Die Konstruktion eines Wurmlochs muß in einem vertretbaren Zeitraum möglich sein und keine unendlichen Mengen an Materie und Energie verschlingen.

Tatsächlich fanden Thorne und Morris eine einfache Lösung der Einstein-Gleichun- gen, die eine Sanduhr mit zwei abgeflachten Becken und einer engen Passage dazwischen beschreibt. Später zeigten Matt Visser, Professor an der Washington University in Saint Louis, und weitere Forscher, daß es auch andere Wurmlöcher geben könnte. Ein Modell Vissers ähnelt beispielsweise einer – allerdings vierdimensionalen – eckigen Garnspule mit einer rechteckigen Passage, die viel sicherer zu durchfliegen wäre als das Sanduhr-Modell.

Das alles klingt selbst für hartgesottene Wissenschaftler ziemlich abenteuerlich. “Wurmlöcher sind spekulative Physik”, betont Visser. “Es gibt keinen einzigen konkreten Hinweis, daß sie existieren. Aber sie sind eine Erweiterung der bekannten Physik, ohne daß neue physikalische Prinzipien oder neue Theorien erforderlich wären.” Und das macht einige Physiker zuversichtlich. Denn die Erfahrung zeigt, daß viel von dem, was von den Naturgesetzen nicht ausdrücklich verboten wird, tatsächlich existiert – selbst so exotische Dinge wie Antimaterie, Supraleitung, metallischer Wasserstoff, Teleportation und Schwarze Löcher, die zunächst am Schreibtisch erdacht und von prominenten Wissenschaftlern wie Einstein angezweifelt worden waren.

Visser empfiehlt die Wurmlochphysik fortgeschrittenen Studenten, um daran ihre Fertigkeiten im Umgang mit dem mathematischen Handwerkszeug der Relativitätstheorie zu üben. In jedem Fall sind Wurmlöcher eine faszinierende Möglichkeit, die Tragweite der Allgemeinen Relativitätstheorie auszuloten. Für eine praktische Nutzung stellen sie Wissenschaft und Technik aber vor große Herausforderungen. Was wäre zu tun? “Am besten wäre ein Wurmloch, das bereits mit dem Urknall in die Struktur der Raumzeit verwoben wurde, und das man so modifizieren könnte, daß es für eine Reise taugt”, schmunzelt Matt Visser. “Das würde freilich die Nützlichkeit eines solchen Wurmlochs stark einschränken, da sich kaum kontrollieren ließe, wohin es führt. Außerdem erinnert mich diese Strategie an das Rezept für einen Drachenbraten: Man nehme einen Drachen…”

“Wenn beim Urknall keine Wurmlöcher entstanden sind, könnte man versuchen, sie auf zweierlei Art zu erzeugen”, schlägt Kip Thorne vor: Der Weg der klassischen Physik wäre, die Raumzeit wie Knetmasse zu biegen. Dabei könnte theoretisch direkt ein Wurmloch in sie “hineingeknotet” werden. “Diese Methode würde aber die Zeit so stark verzerren, daß Zeitreisen möglich wären”, schränkt Thorne ein. Doch Zeitmaschinen sind für Physiker ein Alptraum (siehe Seite 72). Der quantenmechanische Weg scheint vielversprechender. Für eine solche Theorie der Quantengravitation, die die beiden Fundamente der modernen Physik – die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie – vereinigt, gibt es bislang nur einige vage Ansätze. Sie zeigen immerhin, daß die Raumzeit auf der sogenannten Planck-Skala – das heißt bei Längen von 10-33 Zentimeter und Zeiten von 10-43 Sekunden – eine schaumartige Form annimmt: John Wheeler beschrieb das submikroskopische Vakuum als ein brodelndes Meer von geometrischen Möglichkeiten, das von winzigen Wurmlöchern geradezu wimmelt. Vielleicht läßt sich ein Weg finden, ein solches Gebilde zu einem befahrbaren Wurmloch aufzublasen.

Bislang hat kein Wissenschaftler eine Vorstellung, wie eine Anleitung für ein solches Unternehmen aussehen könnte. Auch Carl Sagan zog sich in seinem Roman “Contact” raffiniert aus der Affäre, indem er für den Bau der Weltraum-U-Bahnen eine uralte, enorm fortgeschrittene und längst verschwundene Zivilisation verantwortlich machte.

Selbst wenn es gelänge, ein Wurmloch zu finden, fingen die wirklichen Probleme erst an. Eine Hauptschwierigkeit ist die Stabilisierung des Schlundes. “Die einzige Möglichkeit, ein Wurmloch offen zu halten, besteht darin, es mit einem Material auszukleiden, das durch seine Gravitation die Wände auseinanderdrückt”, sagt Thorne, der ein solches Material als “exotische Materie” bezeichnet. Sonst würde schon die geringste Störung das Wurmloch zum Einsturz bringen. Um das zu verhindern, muß mit Hilfe der exotischen Materie ein gewaltiger negativer Druck aufgebaut werden.

Für eine sechs Kilometer weite Öffnung wäre ein Druck von 1032 Kilogramm pro Quadratzentimeter notwendig. Das entspricht etwa den Verhältnissen im Inneren eines Neutronensterns. Man hat errechnet, daß die Spannung der Wand, die das Wurmloch am Einsturz hindern soll, einer mindestens 1017mal größeren Dichte der Substanz entsprechen muß, mit der das Wurmloch gebaut wird. Ein solches Material ist bislang unbekannt. Die Zugfestigkeit eines Stahlstabs erreicht zum Beispiel nur ein Hundertmilliardstel des von den Physikern geforderten Wertes.

Die exotische Materie muß also merkwürdige Eigenschaften haben, nämlich eine negative Energiedichte beziehungsweise eine negative Masse. Dadurch entsteht eine gravitative Abstoßung. Diese Antischwerkraft könnte den Raumzeit-Tunnel offen halten. Für ein Wurmloch mit einem Meter Durchmesser bräuchte man bereits exotische Materie von der Masse des Riesenplaneten Jupiter. Gibt es einen solchen Stoff überhaupt?

Bislang tappen die Theoretiker noch weitgehend im dunkeln. Das hindert sie freilich nicht daran, über Anwendungen von Wurmlöchern zu spekulieren. Solche Raumzeit-Verbindungen würden sich nicht nur dazu eignen, um schnell riesige Strecken zurückzulegen, ferne Welten zu besiedeln und andere Völker der Galaxis zu besuchen. Wurmloch-Passagen lassen sich vielleicht auch in Schwarze Löcher legen. Damit wäre es möglich, Ausflüge in die Schwerkraftfallen zu unternehmen, diese zu erkunden und wohlbehalten wieder zurückzukehren.

Vor allem aber könnte man Materie und Energie aus den Schwarzen Löchern heraussaugen und über die Wurmloch-Pipelines direkt an die Verbrauchsorte transportieren. Alle Energieprobleme wären ein für allemal gelöst.

Die Kraft aus dem Vakuum

Schon vor über 2300Jahren behauptete Aristoteles, die Natur habe ein “horror vacui”, eine Furcht vor dem Leeren. Dies wurde im 17. Jahrhundert bezweifelt und im Rahmen der klassischen Mechanik widerlegt. Aber die moderne Quantenphysik hat Aristoteles doch noch bestätigt: Ein vollkommenes Nichts kann nicht existieren. Ganz im Gegenteil: Das Vakuum brodelt.

Nach der Heisenbergschen Unschärferelation muß es winzige Fluktuationen geben, die sich Energie kurzfristig scheinbar aus dem “Nichts” borgen können. Das ist wie im Wirtschaftsleben: Solange die Gesamtbilanz nicht gefährdet ist, darf man hin und wieder einige Konten überziehen.

Virtuelle Photonen und Teilchen-Antiteilchen-Paare durchwabern ständig den Raum. Sie tauchen plötzlich auf und verschwinden sofort wieder, ohne sich jemals einfangen zu lassen. Selbst im Hochvakuum beim nur theoretisch erreichbaren absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius, wenn alle Wärmestrahlung verschwunden ist, wird der leere Raum noch von solchen Quantenfluktuationen erfüllt: der sogenannten Nullpunktstrahlung.

Daß das keine waghalsige Spekulation ist, läßt sich experimentell beweisen: Wenn zwei Spiegel im Vakuum parallel ausgerichtet werden, so daß zwischen ihnen nur ein Abstand vom Bruchteil eines Millimeters bleibt, erfahren sie eine schwache elektromagnetische Kraft, die eine geringfügige Anziehung der Spiegel bewirkt.

Vorausgesagt haben diesen Casimir-Effekt schon 1948 der niederländische Physiker und spätere Nobelpreisträger Hendrik Casimir und Dik Polder vom Philips Laboratorium in Eindhoven. Doch erst 1997 gelang es Steven K. Lamoreaux vom Los Alamos National Laboratory in New Mexiko, den Casimir-Effekt mit großer Genauigkeit nachzuweisen.

Lamoreaux hatte einen der Spiegel durch eine goldbeschichtete Quarzkugel ersetzt und mit einer Torsionswaage die Kraft zwischen ihr und einer ebenfalls beschichteten, unbeweglichen Quarzplatte gemessen. Zwei Spiegel auf weniger als 1 Mikrometer (Tausendstel Millimeter) Abstand parallel zu halten, wäre zu kompliziert gewesen. Das Experiment bestätigte Casimirs Voraussage mit einem Meßfehler von lediglich fünf Prozent. Bei einem Abstand von 0,75 Mikrometenr betrug die induzierte Kraft etwa ein Milliardstel Newton.

Die Ursache für den Casimir-Effekt ist das Brodeln des Vakuums. Weil gemäß dem Bohrschen Komplementaritätsprinzip Teilchen zugleich Wellen sind, können sich in dem Raum zwischen zwei Platten nur jene Photonen aufhalten, deren Wellenlängen ein ganzzahliger Bruchteil des Abstandes der Platten ist. Alle anderen löschen sich aus. Außerhalb der Platten existieren dagegen alle möglichen Wellenlängen und somit viel mehr virtuelle Teilchen. Dieser Überschuß übt eine winzige Kraft aus, die die Platten zusammendrückt. Deshalb ist die Energiedichte zwischen den Platten relativ zur Umgebung negativ.

Wenn man diesen Effekt im großen Maßstab nutzbar machen könnte, hätte man eine Möglichkeit, Wurmlöcher offen zu halten. Denn die exotische Materie, die notwendig ist, um ihren Schlund zu stabilisieren, muß eine negative Energiedichte besitzen.

Rüdiger Vaas

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