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FILME GEFÄHRDEN DIE GESUNDHEIT

Gesellschaft|Psychologie

FILME GEFÄHRDEN DIE GESUNDHEIT
Qualmende Kinohelden sind einer der Hauptgründe, warum Jugendliche anfangen zu rauchen. Besonders verführerisch sind die „Bösen“.

Hollywoods Regie-Berserker James Cameron bekam Ärger. Erst suchte seine Starschauspielerin Sigourney Weaver im Science-Fiction-Spektakel „Avatar“ fluchend ihre Zigaretten, dann zog sie genüsslich daran. Dabei verkörperte sie im Film ausgerechnet eine Umweltwissenschaftlerin und -aktivistin. Prompt nahm sich die US-Initiative „Smoke Free Movies“ den mit drei Oscars prämierten Film in einer Anzeigenkampagne zur Brust: „ Rauchen in Filmen tötet im wirklichen Leben“ – lautete der Slogan. Der scharfe Ton kommt nicht von ungefähr. Qualmende Filmstars sind einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Kinder mit dem Rauchen anfangen. Wissenschaftler haben das so überzeugend nachgewiesen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das amerikanische nationale Krebsforschungsinstitut in jüngster Zeit warnende Berichte veröffentlicht haben. „Nötig ist eine umfassende Strategie, um Rauchbilder in Filmen zu bekämpfen“ , stand vergangenes Jahr in einem WHO-Aufruf.

Schon 2003 schockierte das medizinische Top-Journal „Lancet“ mit dem Befund: 52 Prozent der jugendlichen Raucher fangen wegen Filmen mit dem Qualmen an. Zu diesem Schluss kam damals Madeline Dalton von der Dartmouth Medical School in New Hampshire. Andere Forscher zogen diese Zahl zwar in Zweifel, doch methodisch bessere Studien aus den letzten Jahren kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

RAuchende RAF-Terroristen

Nun bewiesen vor Kurzem deutsche Forscher erstmals, dass Hollywoodfilme auch außerhalb der USA bedenkliche Wirkungen entfalten. Finanziert vom Bundesgesundheitsministerium organisierte der Psychologe Reiner Hanewinkel Studien mit mehreren Tausend Schülern in Schleswig-Holstein. Das von ihm geleitete Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel (IFT) erhob zunächst, welche von knapp 400 Filmen die 10- bis 16-Jährigen gesehen hatten – im Kino, im Fernsehen oder auf DVD. Die Forscher erfassten minutiös, wie viel in jedem Film geraucht wurde. In dem preisgekrönten DDR-Drama „Das Leben der Anderen“ rauchen die Darsteller 114 Mal auf der Leinwand oder werden sonstwie als Raucher ausgewiesen. Die Terroristen der RAF und ihr Umfeld sorgen im „Baader Meinhof Komplex“ sogar für 423 Tabakdarstellungen. Die Forscher berechneten für jedes Kind, wie oft es mit paffenden Mimen konfrontiert war.

Ein Jahr später fragten die IFT-Forscher nach, welche Kinder inzwischen mit dem Rauchen angefangen hatten. Das Ergebnis: Es waren vor allem die mit vielen schlechten Vorbildern auf Leinwand und Bildschirm. Das Viertel der Versuchsteilnehmer, das die höchste Dosis Filmqualm abgekriegt hatte, griff doppelt so oft zur Zigarette wie das Viertel mit der niedrigsten Dosis. Dabei ist berücksichtigt, dass es für das Rauchen weitere Risikofaktoren gibt und sich diese womöglich auf die Filmvorlieben der Betroffenen auswirken. Zu diesen Faktoren zählen vor allem rauchende Freunde und Geschwister sowie die Persönlichkeit der Kinder. Dies wurde herausgerechnet.

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Von Natur aus besonders gefährdet sind Heranwachsende mit großem Erfahrungshunger, auch im Deutschen „Sensation Seeker“ genannt. Sie suchen den Nervenkitzel häufig in riskanten Situationen und testen gerne ihre Grenzen aus. Bei psychologischen Tests kreuzen sie auf dem Fragebogen beispielsweise an: „Ich mag gefährliche Beschäftigungen.“ Dass solche Jugendliche besonders oft mit dem Rauchen anfangen, ist nicht gerade überraschend. Doch wie die Forscher herausfanden, sind diejenigen, die sich nicht gerne in Gefahr bringen, sondern lediglich häufig Filmschauspielern beim Rauchen zusehen, genauso gefährdet.

DIE bösen als Vorbilder

Ein erstaunlicher Befund der Forscher: Besonders stark wirken qualmende Filmhelden ausgerechnet auf Kinder von Nichtrauchern. Ihr Risiko verdreifacht sich nahezu, während das für Raucherkinder nur um die Hälfte steigt. Der Psychologe Reiner Hanewinkel hat dafür eine Erklärung: „Wenn die eigenen Eltern qualmen, erscheint das Rauchen halt nicht so cool wie bei Brad Pitt in ‚Fight Club‘.“ Das heißt: Bei Kindern von Nichtraucher-Eltern wirken Provokation und Normbruch stärker. Wer den Eindruck hat, dass die Schurken im Kino mehr rauchen als brave Sympathieträger wie Til Schweiger oder Sandra Bullock, hat recht: 14 Prozent der positiven Charaktere stecken sich in Hollywoods Top-Produktionen mindestens eine an, bei den negativen Charakteren sind es 23 Prozent. Doch das macht die Sache nicht harmloser: Denn Böse verführen mit Zigaretten stärker zum Rauchen als Gute. Das gilt vor allem für brave Kids mit geringem Erfahrungshunger. „Offenbar ist es für ‚gute‘ Kinder besonders verführerisch, die ‚bösen‘ Figuren auf der Leinwand nachzuahmen“, folgert die Studienautorin Susanne Tanski, Professorin für Kindermedizin an der Dartmouth Medical School in New Hampshire.

Die Tabakindustrie ist schon lange überzeugt, dass rauchende Hollywood-Götter ihren Absatz fördern. Schon früh warb sie mit Stars wie Rita Hayworth und James Stewart. 1983 zahlte der heute nicht mehr bestehende Tabakkonzern Brown & Williamson dem Muskelhelden Sylvester Stallone, der mit den „Rocky“-Filmen berühmt wurde, 500 000 Dollar dafür, dass er in fünf seiner Filme rauchte, darunter „Rhinestone“ und ein „Rambo“-Streifen. Derartiges Sponsoring ist inzwischen verboten. Selbst die Jüngsten sind nicht vor dem Einfluss schlechter Vorbilder geschützt. In der Theorie berücksichtigt die deutsche Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) der Filmwirtschaft zwar das Rauchen, wenn sie festlegt, ab welchem Alter Heranwachsende einen Film sehen dürfen. Allerdings fiel ihrer Geschäftsführerin Christiane von Wahlert auf Nachfrage kein Film ein, der deswegen tatsächlich erst für Ältere freigegeben worden wäre. Groß kann die Rücksicht nicht sein: Geraucht wird in überder Hälfte der US-Produktionen, die in Deutschland ab sechs oder sogar für alle Altersgruppen freigegeben sind. In den deutschen Streifen sind es sogar 80 Prozent. IFT-Forscher Hanewinkel, der die Zahlen erhoben hat, fordert all diese Filme erst ab 18 Jahren freizugeben. Das wäre das Ende aller filmischen Liebeserklärungen mit Feuerzeug und triumphal angesteckten Zigaretten. Denn auf das jugendliche Publikum können praktisch nur Pornoproduzenten verzichten.

KEINE GNADE FÜR COMICFIGUREN

Entsprechend groß ist der Widerstand vieler Filmemacher. In Indien verbot die Regierung 2005 das Rauchen in neuen Filmen, in alten mussten einschlägige Szenen mit Einblendungen wie „Tabak tötet“ unterlegt werden. Doch ein Bollywood-Regisseur klagte wegen Verletzung seiner künstlerischen Freiheit, und das Oberste Gericht gab ihm vergangenes Jahr recht. Nur in wenigen Ländern sind Kinder bislang vor Kinofiguren geschützt, die das Rauchen nicht lassen können. In Thailand wird diese Unart einiger „ Simpsons“ verpixelt. In der Türkei musste ein Fernsehsender vor Kurzem 24 000 Euro Strafe bezahlen, weil er in „Tim und Struppi“ einen Comic-Kapitän mit qualmender Pfeife gezeigt hatte. Andernorts kommen die Filmemacher bislang mit dem Argument durch, Rauchen sei für eine lebensnahe Darstellung nun mal erforderlich. In Florida machten sich Kritiker über diese Berufsauffassung bereits in Anzeigen lustig: „Den Machern dieses Films ist nichts eingefallen, um die Figuren cool, sexy oder rebellisch wirken zu lassen, deshalb lassen sie sie einfach rauchen.“ Nicht gerade überzeugend wirkte auch James Cameron, als er in Sachen „Avatar“ vorbrachte: „Filme sollten die Wirklichkeit widerspiegeln.“ „ Avatar“ spielt im Jahr 2154 auf einem fernen Planeten. Die Wirklichkeit dort hat Cameron entworfen. ■

JOCHEN PAULUS, Psychologe und Wissenschaftsjournalist in Frankfurt am Main, liebt gute Kinofilme – vor allem die rauchfreien.

von Jochen Paulus

KOMPAKT

· In 80 Prozent der Filme, die in Deutschland für Sechsjährige freigegeben sind, wird geraucht.

· Mehr böse als gute Charaktere stecken sich in Filmen Zigaretten an.

· Jugendliche „Sensation Seeker“, die gerne gefährlich leben, sind fürs Rauchen besonders anfällig.

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LESEN

Karin Maruska und Reiner Hanewinkel DER EINFLUSS DES RAUCHENS IN FILMEN AUF KINDER UND JUGENDLICHE Eine systematische Übersichtsarbeit Bundesgesundheitsblatt, Vol. 53 (2010), S.186–1 95 Erhältlich unter: www.springerlink.com/ content/b15366912160j203 (kostenpflichtig)

INTERNET

Die Initiative „Smoke Free Movies“ von Stanton Glantz, Medizinprofessor der University of California, San Francisco: www.smokefreemovies.ucsf.edu

VERLOCKENDER KINOQUALM

Je mehr Filmszenen Jugendliche sehen, in denen geraucht wird, desto höher ist das Risiko, dass sie selbst zur Zigarette greifen. Die Kinder von nichtrauchenden Eltern sind besonders gefährdet.

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