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REHA für bröckelnde Brücken

Technik|Digitales

REHA für bröckelnde Brücken
Viele Brücken kommen ins kritische Alter: Der Beton bröckelt und der Stahl ermüdet. Denn die Belastung durch den Verkehr ist enorm gewachsen. Neue Werkstoffe und Techniken sollen die Großbauwerke fit für die Zukunft machen.

Als Verkehrsplaner für die Stadt New York City erhielt Robert Moses im April 1937 den Auftrag, zwischen den Bezirken Bronx und Queens eine Autobrücke über den East River zu bauen. Nur zwei Jahre später, am 29. April 1939, durchschnitt er das Band und eröffnete die Bronx-Whitestone Bridge. Sie ist 1149 Meter lang. Zwischen den beiden 41 Meter hohen Brückenpfeilern erstreckt sich die vierspurige Fahrbahn über 701 Meter, aufgehängt an zwei 1208 Meter langen, baumdicken Kabelsträngen. Dem Geist der Zeit entsprechend fertigte der mit dem Bau beauftragte Ingenieur Othmar Ammann, ein Schweizer, die ganze Hängebrücke – Pfeiler, Seile und Tragwerk – aus Stahl.

Architekten aus aller Welt rühmten die effiziente, filigrane und elegante Bauweise im Art-Déco-Stil. Doch im November 1940 schaukelte sich im Bundesstaat Washington eine ähnliche Brücke, die Tacoma Narrows Bridge, in einem Sturm so stark auf, dass sie zusammenbrach. Später stellte sich heraus: Die Breite des Brückendecks war im Verhältnis zur Spannweite zu gering bemessen gewesen. Das verhieß nichts Gutes für die Bronx-Whitestone Bridge: 1943, nach einem Sturm, schwankte sie so heftig, dass Ammann auf jeder Seite längs zur Fahrbahn ein massives und gar nicht elegantes Stahlträgerfachwerk zur Versteifung anbringen musste.

Für Brückenbauer ist die Geschichte der Bronx-Whitestone Bridge das Paradebeispiel, wenn sie über die Unzulänglichkeiten und den Optimierungsbedarf vieler heutiger Brücken sprechen. Es ist nicht so sehr der Wind, der ihnen zusetzt, sondern vor allem der rapide wachsende Verkehr. Beispiel Deutschland: 1970 fuhren auf deutschen Straßen rund 17 Millionen Fahrzeuge, heute sind es über 50 Millionen. Bis 2025 wird allein der Lkw-Verkehr um 85 Prozent zunehmen, prophezeit das Bundesverkehrsministerium. Genau 38 525 Brücken (Stand: Mai 2010) gibt es an deutschen Autobahnen und Bundesstraßen. Viele müssten dringend saniert werden. „Schon heute sind 15 Prozent dieser Brücken in einem kritischen bis ungenügenden Zustand“, sagt Jürgen Berlitz, Fachreferent für Straßenverkehrsplanung beim ADAC. Insgesamt seien 46 Prozent der Bauwerke aufgrund des Alters und der erhöhten Beanspruchung derart geschädigt, dass dringend Erhaltungsmaßnahmen erforderlich sind.

Das Bundesamt für Straßenwesen (BASt) bemisst die Lebensdauer von Brücken mit 80 bis 100 Jahren, je nach Bauart. Rund die Hälfte der Brücken auf den deutschen Fernstraßen ist bereits über 30 Jahre alt. Ihr Stahl ermüdet und rostet, Witterung und chemische Prozesse lassen den Beton bröckeln. 1999 waren laut ADAC 35 Prozent der Brücken in einem sehr guten oder guten Zustand, 2008 waren es nur noch 16 Prozent. 2008 verschlang der Erhalt dieser Brücken 350 Millionen Euro. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um die Bauten langfristig belastbar zu machen, sind 5 bis 7 Milliarden Euro erforderlich, sagt ADAC-Experte Berlitz.

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60 Tonnen sind zu viel

Und es drohen noch höhere Kosten, europaweit: In diesem Sommer soll das Ergebnis einer EU-Studie zur Zulassung sogenannter Gigaliner vorliegen. Sollten künftig auch solche Sattelzüge mit maximal 60 Tonnen Gewicht auf die Brücken drücken, heißt es in einem Gutachten des BASt, können bei den meisten Brücken „über den Bemessungswerten liegende Beanspruchungen auftreten“. Das heißt: Sie dürfen dann wohl nicht befahren werden – es sei denn, es würden elf Milliarden Euro zusätzlich in ihre Ertüchtigung investiert. Angesichts dieser Probleme stehen die Verkehrsplaner früher oder später vor der Wahl: Renovierung und Verstärkung oder Abriss und Neubau. Letzteres ist angesichts klammer Kassen jedoch kaum möglich. Hilfe kommt aus der Forschung: Neue Werkstoffe und Konstruktionsweisen sollen dazu beitragen, müde Brücken wieder fit zu machen. Erdacht und erprobt werden diese Innovationen in der Schweiz.

Vom Züricher Hauptbahnhof sind es nur drei Stationen mit der S-Bahn nach Dübendorf. Am Bahnhof des ruhigen Städtchens weisen kleine Schilder zum Ziel der Reise. Es sind nur wenige Gehminuten bis zu einem weitläufigen Areal mit fabrikähnlichen Gebäuden aus rotem Backstein. Hier hat die Empa ihren Sitz, die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Vor dem Eingang des Empa-Verwaltungsgebäudes wölbt sich eine flache Fußgängerbrücke über einen kleinen Teich. „Wir zeigen, dass man sichere Brücken auch ohne Stahl und Beton bauen kann“, sagt Urs Meier, ehemaliger Direktor der Empa und weltweit anerkannter Brückenexperte, über sein Bauwerk. Dessen hölzernes Brückendeck wird auf der Unterseite von parallelen Bändern aus Kohlenstofffaser-verstärktem Kunststoff (CFK) gespannt. Die Konstruktion erinnert an einen himmelwärts gerichteten Pfeilbogen. Die Pfeilbogenbrücke ist Meiers trittfestes Beispiel dafür, was der Verbundwerkstoff im Brückenbau leisten kann.

Kraftvolles Fliegengewicht

Seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich der Bauingenieur mit Werkstoffen aus Kohlenstofffasern, die damals vor allem in der Luft- und Raumfahrt genutzt wurden. „CFK ist das ideale Material für den Brückenbau“, sagt Meier. Die feinen schwarzen Fasern sind flexibel einsetzbar. Sie lassen sich zu Matten, Balken oder Kabeln formen. Vor allem aber ist eine in Kunststoff gebettete Kohlenstofffaser bis zu viermal so fest wie Stahl, wiegt dabei aber nur ein Fünftel. In den 1990er-Jahren begann die Empa unter Meiers Führung damit, CFK-Bänder um schwächelnde Brückenpfeiler zu wickeln und unter überlastete Fahrbahnen zu kleben. „Dadurch lässt sich die Tragfähigkeit einer Brücke enorm erhöhen“, sagt der inzwischen 67-jährige Bauingenieur.

Heute setzen spezialisierte Baufirmen weltweit CFK-Werkstoffe zur Brückenverstärkung ein, auch weil die oft nur wenige Millimeter dünnen Bänder und Matten das Aussehen der Bauwerke kaum verändern. Rund ein Viertel der weltweiten Kohlenstofffaser-Jahresproduktion wird bereits im Bau verwendet. Angesichts des Renovierungsnotstands wird der Bedarf in Zukunft voraussichtlich steigen. Dann dürfte das Hightech-Material auch preisgünstiger werden – derzeit kostet es etwa viermal so viel wie Stahl. Ein weiteres Hemmnis: Für viele Kohlenstoff- und Glasfaser-Verbundwerkstoffe zum Bauen liegen keine einheitlichen Normen vor. Das bedeutet einen größeren bürokratischen Aufwand, weil für jede geplante Verwendung eine Einzelgenehmigung eingeholt werden muss. Viele Bauherren schreckt das ab.

Muskeltraining für die Seile

Urs Meier kam die zündende Idee, was man mit dem Hightech-Werkstoff anstellen könnte, als er ein Grundproblem des Brückenbaus betrachtete: Bei Hänge- und Schrägseilbrücken müssen die tonnenschweren Stahlseilbündel ihr Eigengewicht, das Gewicht des Tragwerks, der Fahrbahn und des Verkehrs aushalten. Die Erbauer üben dabei stets den Spagat zwischen minimalem Materialaufwand und maximaler Tragfähigkeit. Warum also, so Meiers Gedanke, ersetzt man die Stahlseile nicht durch leichtere und gleichzeitig festere Kabel aus CFK? Das würde das Eigengewicht der Brücke erheblich senken, und sie könnte zugleich mehr Verkehr tragen.

Für Architekten eröffnet das neue Horizonte: Brücken könnten bei gleicher Belastbarkeit im Vergleich zu einer Stahl- oder Stahlbeton-Konstruktion wesentlich größere freie Spannweiten erreichen, was wiederum neue Verkehrswege erschließen würde. „Die Kombination aus geringem Eigengewicht und hoher Tragfähigkeit macht es möglich, eine Brücke mit einer Stützweite jenseits der 3500-Meter-Marke zu errichten“, sagt Brückenexperte Meier.

3500 Meter – das ist die derzeit größte Stützweite, also die Distanz zwischen zwei Pfeilern einer Brücke, die sich mit konventionellen Baustoffen realisieren lässt. An diese Grenze stößt man bei der seit 2009 im Bau befindlichen Hängebrücke über die Straße von Messina, die ab 2016 das italienische Festland mit Sizilien verbinden soll: 3300 Meter Mittelmeer soll der Riesenbau überbrücken, je 383 Meter hoch sollen die beiden Brückenpfeiler in den Himmel aufragen. Wäre die Spannweite noch größer, würde die Brücke unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen (siehe Kasten „Brückenprojekt Gibraltar“).

Das Testlabor der Empa ist eine große Halle. Gabelstapler schaffen kontrolliert zerstörte Betonblöcke beiseite, überall stehen Computer und Messgeräte. Den weiten Raum dominiert eine haushohe Ermüdungsprüfmaschine, zusammengenietet aus massiven Stahlträgern. Seit den 1990er-Jahren versucht der Koloss, Brückenseile aus CFK durch bis zu zehn Millionen Belastungszyklen zu zermürben. Ein typisches Kohlenstofffaser-Seil besteht aus 241 parallel verlegten Fasersträngen mit einem Durchmesser von je fünf Millimetern. Im Versuch zeigen sie in Längsrichtung eine dreimal so große Ermüdungsfestigkeit wie vergleichbare Stahlseile. Starke Verformungen, etwa durch Wind, machen diesen Kabeln kaum etwas aus.

1996 wurden erstmals zwei 35 Meter lange CFK-Seile neben 22 Stahlseilen in die 124 Meter lange Storchenbrücke in Winterthur eingesetzt. Eigens entwickelte Funksensoren senden seitdem Daten über Temperatur, Kabelkräfte und Luftfeuchtigkeit von der Schrägseilbrücke via Internet ins Empa-Labor. Das Ergebnis des Langzeitversuchs bestätigte die Annahmen der Forscher: Anders als Stahlkabel leiern die CFK-Kabel unter Belastung nicht aus und sind in Längsrichtung temperaturunempfindlich. Im Gegensatz zu Stahl dehnen sie sich nicht im Sonnenlicht und schrumpfen nicht bei Frost. An fünf weiteren Brücken werden jetzt CFK-Seile zu Testzwecken eingesetzt.

Kübelweise Rostschutz

„Mit Kohlenstofffasern verstärkte Kunststoffe haben viele Vorteile“, sagt Meier, „vor allem: Sie rosten nicht.“ Korrosion ist im Brückenbau ein Riesenproblem. In Stahlbeton-Konstruktionen dringt mit der Zeit Wasser ein, Zusatzstoffe im Beton reagieren mit dem Metall, der Rost lässt den Beton bröckeln. Seile und Tragwerk aus Stahl müssen alle fünf bis zehn Jahre mit Hunderten Litern Schutzfarbe bestrichen werden. Das treibt die Wartungskosten in die Höhe. „Kabel aus Kohlenstofffaser-Strängen sind zwar in der Anschaffung teurer, dafür aber nachhaltiger“, sagt der emeritierte Empa-Forscher. Die Kabel benötigen bloß eine isolierende Hülle aus Polyethylen, die sie vor Blitzeinschlägen schützt. Eine dünne Beschichtung mildert die Wirkung schädlicher UV-Strahlung. „Viele Hänge- und Schrägseilbrücken sind in dem Alter, in dem Stahlseile wegen Ermüdung ausgetauscht werden müssen“, sagt Meier. „Eigentlich eine gute Gelegenheit, auf CFK-Seile umzusteigen.“

Doch der Dübendorfer muss sich in Geduld üben. Denn trotz der überzeugenden Eigenschaften spielen Kohlenstofffaser-verstärkte Kunststoffe beim Bauen bisher keine Rolle. Silvio Weiland weiß, warum: „Bauherren vertrauen lieber auf bekannte Materialien. Außerdem ist der Planungs- und Genehmigungsaufwand noch zu hoch.“ Der 35-jährige Bauingenieur leitet die Geschäfte des 2009 gegründeten Vereins Tudalit. Der Zusammenschluss aus Unternehmen der Baubranche und Brückenforschern der Technischen Universität Dresden will textilbewehrten Beton unter dem Markennamen „Tudalit“ zum Baustoff der Zukunft machen. „Textilbeton ist ein Verbundwerkstoff, der Stahlbeton ähnelt“, sagt Weiland, „nur dass er statt mit Stahlgittern mit einer löcherigen Matte aus Kohlenstoff- oder Glasfasern verstärkt wird.“

Brückenpfeiler mit GipsverbanD

Die Verarbeitung der Matten auf der Baustelle gleicht dem Anlegen eines Gipsverbands: Die Matten werden zugeschnitten, einzeln oder in Lagen auf das Brückendeck oder um die Pfeiler gelegt und anschließend mit einer millimeterdünnen Schicht Spritzbeton bedeckt. Das Ganze geht so schnell und unkompliziert, dass der Verkehrsfluss kaum gestört wird. Silvio Weiland lobt auch die Vielseitigkeit des Werkstoffs: „Textilbeton ermöglicht Konstruktionen und Bauteile, die mit Stahlbeton nicht realisierbar sind.“ Die dünne Betonschicht schützt die Matten vor Witterung und UV-Strahlung. Sollte ein Bauteil beschädigt werden, reißt zunächst der Beton, erst danach die Fasermatrix.

Textilbeton dient aber nicht nur als Hightech-Pflaster: 2006, auf der Landesgartenschau im sächsischen Oschatz, wurde die weltweit erste Textilbetonbrücke errichtet. Die neun Meter lange Spannbogenbrücke ähnelt einer langgezogenen Badewanne. Die Wände sind nur drei Zentimeter dünn, das Gewicht beträgt fünf Tonnen – aus Stahlbeton wäre die Brücke 25 Tonnen schwer. Die Projektpartner an der RWTH Aachen arbeiten bereits an einer rund 100 Meter langen Variante. Sollen mit einer Brücke mehr als 200 Meter überspannt werden, ist seit den 1960er-Jahren die Schrägseilbrücke erste Wahl. Konstruktionsbedingt benötigt sie weniger Stahl und Beton als etwa eine Hängebrücke. Das senkt die Baukosten – und verringert das Gewicht. Aber Schrägseilbrücken haben deshalb auch ein Problem: „Schrägseile neigen bei kritischen Windgeschwindigkeiten zu heftigen Schwingungen“, sagt Empa-Forscher Felix Weber. Bei Seillängen von 150 bis 450 Metern kann die Seilmitte einen bis drei Meter weit ausschlagen. Davon sind Schrägseile aus Stahl genauso betroffen wie solche aus CFK. Um dieses Problem zu beseitigen, hat Weber mit der Firma Maurer Söhne aus München ein aktives Dämpfungssystem für Schrägseilbrücken entwickelt. Ohne Dämpfung müssten viele Brücken dieses Typs bei starkem Wind gesperrt werden, denn die Seile könnten an den Verankerungspunkten einkerben und Schaden nehmen. Anders bei dem aktiven („smarten“) Hydraulikdämpfer, den Weber an einer kleinen Schrägseilbrücke im Empa-Testlabor eingebaut hat: Nahe der Seilverankerung am Brückendeck stemmt sich ein armdicker Zylinder samt Kolben gegen das Seil. Mit der Hand versetzt es der Forscher in Schwingung. Ein Bewegungssensor misst 100 Mal pro Sekunde die Schwingung, und ein PC berechnet daraus die optimale Dämpfungskraft. Die eigentliche Dämpfung übernimmt ein mit magnetisierbaren Partikeln versetztes Öl. Abhängig von der benötigten Dämpfungskraft erzeugt eine Spule ein schwächeres oder stärkeres Magnetfeld. Je nach Stärke des Felds verklumpen die magnetisierbaren Teilchen im Öl mehr oder weniger, wodurch sich die Zähigkeit des Gemischs ändert. So regelt der Dämpfer automatisch und stufenlos die Widerstandkraft. Die Technik kommt bereits zum Einsatz: Die 2002 eröffnete, 518 Meter lange Franjo-Tudjman-Brücke bei Dubrovnik in Kroatien erhielt 2005 an sämtlichen 38 Schrägseilen nachträglich die aktiven Dämpfer. Ein Sturm hatte die bis zu 220 Meter langen Stahlkabel anderthalb Meter weit ausschwingen lassen. „Mit den smarten Dämpfern verkleinert sich die Amplitude auf ein Zehntel“, sagt Felix Weber. Ein Netz aus Funksensoren zeichnet laufend die Schwingungsdaten auf, per Fernsteuerung via Internet lässt sich das Dämpfungssystem optimieren. In Zukunft werden Leichtbaubrücken wohl schon beim Bau mit solchen aktiven Dämpfern ausgestattet. 48 Stück wurden in die Ende 2008 eröffnete Sutong-Brücke über dem Jangtse eingebaut, die die beiden chinesischen Städte Suzhou und Nantong miteinander verbindet. Sie ist derzeit die Schrägseilbrücke mit der größten Stützweite: 1088 Meter. Ohne Dämpfer wären ihre bis zu 541 Meter langen Stahlseile bei Sturm nicht zu bändigen.

Druckluft gegen das Schaukeln

Ein anderes Dämpfungsverfahren haben Wissenschaftler des Fachgebiets Massivbau der Technischen Universität Berlin ausgetüftelt. Sie konstruierten eine rund 15 Meter lange Spannbandbrücke auf CFK-Basis. Auf schmalen, gespannten Bändern aus Kohlenstofffasern liegen Betonplatten als Gehweg. Um die simple Konstruktion vor Schwingungen zu schützen, wollen die Berliner Forscher sie mit einer Art künstlichen Muskeln dämpfen. Die Idee: Beschleunigungs- und Positionssensoren erfassen den Brückenzustand und geben Steuersignale an drei Kunststoffschläuche, die auf jeder Seite im Handlauf des Geländers montiert sind. Per Druckluft können sich die Röhren zusammenziehen oder dehnen. Die Kunstmuskeln reagieren sensibel auf jede Bewegung des Gerippes aus CFK und Beton. „Das Ganze ist aber noch im Versuchsstadium“, sagt Achim Bleicher, der in dem Berliner Team forscht.

Die Bronx-Whitestone Bridge in New York wird seit 2002 komplett renoviert. Der enorm angeschwollene Verkehr und das Gewicht der zusätzlichen Verstärkung aus den 1940er-Jahren hatten die Hauptkabel der Hängebrücke zu stark belastet. Um das Gewicht zu senken, entfernten Bauarbeiter auch die von Othmar Ammann so ungeliebte stählerne Fachwerkkonstruktion. Stattdessen lenkt nun eine federleichte aerodynamische Verkleidung aus glasfaserverstärktem Kunststoff entlang der Fahrbahn den Wind so um die Brücke herum, dass er keinen Schaden anrichten kann. Das über 70 Jahre alte Bauwerk wird damit wohl nicht nur die kommenden Jahrzehnte überstehen. Es sieht auch wieder so leicht und schlank aus wie bei der Eröffnung. ■

Sanierungsarbeiten an maroden Rheinbrücken in seiner Heimatstadt Köln stießen den Technikjournalisten Martin Borré auf dieses Thema.

von Martin Borré

Die Trickkiste der Brückenmeister

Sensoren, Messtechnik und neue Werkstoffe sollen helfen, die Sicherheit von Brücken zu überwachen, ihre Lebensdauer zu verlängern und ihre Konstruktion zu verbessern. Dazu dienen etwa Seile aus CFK: Hunderte von verklebten Kohlenstofffasern, die viermal so fest und nur ein Fünftel so schwer sind wie Stahlseile. Künftig sollen auch Brückenpfeiler aus diesem Material gefertigt werden. Bei Textilbeton ersetzen CFK-Matten das Stahlgeflecht im Beton. Grübchen in den Seilen mildern die Wirkung des Winds und verhindern Schwingungen. „Flügel“ am Brückendeck lenken den Wind um das Bauwerk herum. Kommt es dennoch zu Schwingungen von Brückenseilen, lassen sich diese mit „ smarten“ Hydraulik-Elementen dämpfen. Ihre Steuerdaten erhalten die Dämpfer von Funksensoren. Auf den Seilen sitzen auch Temperaturmessfühler, um das unterschiedliche Schwingungsverhalten bei Wärme und Kälte zu berücksichtigen. Kameras, GPS-Geräte, Bewegungssensoren und Wetterstationen überwachen den Brückenzustand.

Kleine Brückenkunde

Über die Jahrtausende haben Brückenbaumeister eine ganze Palette von Brückentypen entwickelt. Heute besteht die Kunst darin, diese Grundkonstruktionen weiterzuentwickeln und an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Die Brücken für den Straßen- und Bahnverkehr basieren meist auf einem der folgenden drei Typen:

Hängebrücke

Ein alter Brückentyp, bekannt aus Dschungelfilmen wie „Indiana Jones“ und „Fluch der Karibik“: Moderne Hängebrücken bestehen aus Tragseilen, die über Türme geführt werden und an denen die Fahrbahn hängt. So lassen sich theoretisch Stützweiten bis etwa 3500 Meter erreichen. Nachteil: Die Hänge-brücke neigt bei Wind zum Schwingen und verdreht sich leicht, weshalb sie für den Schienenverkehr ungeeignet ist.

Schrägseilbrücke

Eine moderne Variante der Hängebrücke: Die Fahrbahn wird von schrägen Seilen getragen, die an einem Pylon und im Brückendeck verankert sind. Die gesamte Last wird über die Seile in den Pylon gelenkt, der sie in den Untergrund ableitet. Bauherren schätzen diesen Brückentyp, weil er schneller und damit preiswerter zu errichten ist als etwa eine Hängebrücke. Kombiniert man mehrere Schrägseilbrücken, lassen sich außerdem Spannweiten jenseits der 3500 Meter erreichen. Und: Die relativ steife Konstruktion ermöglicht auch Schienenverkehr.

Balkenbrücke

Über Autobahnen, Bundes- und Landstraßen spannen sich vor allem Balkenbrücken aus Stahl und/oder Stahlbeton. Es gibt unterschiedliche Varianten, doch das Prinzip ist immer gleich: Das Brückendeck, optisch einem Balken ähnlich, ruht flexibel gelagert auf einem Unterbau, der zum Beispiel aus mehreren Stützpfeilern besteht. Balkenbrücken sind relativ einfach und damit preiswert zu errichten, aber nur für Stützweiten bis 200 Meter geeignet.

Brückenprojekt Gibraltar

Seit 1979 denken Politiker in Spanien und Marokko über eine Verkehrsverbindung zwischen ihren Ländern nach. Der Vorschlag des Brückenbauers Urs Meier, Ex-Direktor der Empa im schweizerischen Dübendorf: Eine gigantische Brücke soll Europa mit Afrika verbinden. Und zwar dort, wo die Kontinente sich am nächsten sind: an der 14 Kilometer breiten Wasserstraße von Gibraltar. Ein Tunnelbau ist wegen des bis zu 900 Meter tiefen Wassers kaum möglich.

Brückenpfeiler lassen sich aber nur in maximal 350 Meter Tiefe errichten. Eine Brücke muss also die gesamte Meerenge überspannen. „Mit Stahl und Beton lässt sich das nicht machen“, sagt Meier. „Die Brücke würde unter ihrem eigenen Gewicht kollabieren.“ Die Lösung: eine 16,2 Kilometer lange Kombination aus zwei Schrägseilbrücken mit Seilen und Tragwerk aus festem, aber leichtem Kohlefaser verstärktem Kunststoff (CFK). „Die beiden Pylone wären über Wasser 850 und 1250 Meter hoch“, sagt Meier. (Zum Vergleich: Das höchste Gebäude der Welt, der Burj-Chalifa-Turm in Dubai, misst 828 Meter.) Zwischen den Pfeilern lägen 8400 Meter freie Spannweite. Damit wäre die Brücke mit der größten Stützweite von 1911 Metern, die Akashi-Kaiky-Brücke in Japan, um das Vierfache übertroffen. Um die Brücke zu fertigen, würde man 150 000 Tonnen Kohlefasern benötigen, das Doppelte der Weltjahresproduktion. Ein Problem sind auch die Kosten: CFK ist viermal so teuer wie Stahl.

Kompakt

· Mit Kohlenstofffasern verstärkte Kunststoffe können die Tragfähigkeit von Brücken wesentlich erhöhen.

· Matten aus textilbewehrtem Beton trotzen Regen, Frost und UV-Strahlung.

· Aktive Dämpfungssysteme verhindern ein gefährliches Aufschaukeln von Brücken.

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INTERNET

Alternativen zur geplanten Brücke für die Überwindung der Straße von Gibraltar: www.gibraltarinformation.com/ gibraltar-bridge.html

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